Mittwoch, 28. Oktober 2009

Dickes Mädchen

Hätte nicht übel Lust, dem derzeitigen Briefträgeramateurdarsteller in diesem Viertel mal mit dem Topflappen an die Klöten zu fassen und ihn daran auf die vielbefahrene Straße zu zerren.
Wahrscheinlich stellt sich dann heraus, dass "er" ein schüchternes, dickes, ungewöhnlich hässliches Azubi-Mädchen mit Hasenzähnen und zu großer Uniform ist, das mit seinem Wägelchen geduckt von Haustür zu Haustür schleicht und lieber Benachrichtigungskarten einwirft statt bei Adressaten zu klingeln, weil die alle über seine dicke Brille, den Überbiss und die riesengroßen Füße lachen. Mannomann, ich hab schon wieder Mitleid!

Sonntag, 18. Oktober 2009

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Menschen retten

Wie die meisten Supermärkte hat der Plus seine Einkaufswagen vor der Tür geparkt, unter einem Wellblechdach. Es sind vier verschiedene Typen von Wagen, und zwei dieser Typen passen beim Ineinanderschieben nicht zusammen. Der eine Wagentyp ist größer und bleibt sozusagen im anderen Typ stecken, und die Kette mit dem Arretierungsbolzen reicht nicht weit genug, um die - wie nennt sich das Ding eigentlich offiziell? - Pfandmünzensteckverbindung des eigenen Wagens zu erreichen.
Als ich aus dem Laden kam, hockte unter dem Wellblechdach nun sicher schon zum zwanzigsten Mal eine Oma, den Tränen nahe, mit wirrer Frisur und völlig aufgerieben von den fruchtlosen Bemühungen, den Wagen in eine der drei Reihen einzuparken und ihren Pfandchip zu lösen. Die letzten Wagen aller drei Reihen waren von Wagentyp A, ihr Wagen jedoch Typ B. Mit zitternden Ärmchen und zusammengebissenen Zähnen hatte sie versucht, Typ B in Typ A zu rammen, immer wieder und immer hysterischer, und dabei „Mein Chip! Mein Chip!“ gejammert. Aber die Oma-Ärmchen konnten gegen die Metallverstrebungen der Wagen natürlich nichts ausrichten. Muskeln sind da ohnehin nicht angesagt, höchstens eine pneumatische Rettungsschere. Die Oma sah mich nun mitleiderregend an und sagte: „Mein Chip!“ Ich seufzte. Ich kann bei solchen Blicken einfach nicht Nein sagen. Dabei hatte ich weder mein Cape um noch meine Maske auf.
So begann es also erneut, das Einkaufswagenrangieren. Als hätte ich nicht genug Erfahrung darin. Ich fuhr zuerst meinen Wagen Typ A ordnungsgemäß ein, nahm den Chip heraus und besah mir die Situation. Mathematisch relativ einfach diesmal. In Reihe zwei befand sich auf Position drei von hinten ein Wagen Typ B, in den der Wagen der Oma passen würde. Ich nahm also meinen Chip und wollte nacheinander die beiden ersten Typ-A-Wagen in die Typ-A-Wagen von Reihe drei rangieren, so dass der Typ-B-Wagen zum Vorschein kam. Wie sich jedoch zum allgemeinen Entsetzen herausstellte, war der Typ-B-Wagen seiner Kette und seines Bolzens verlustig gegangen, so dass Omas B-Wagen zwar reinpasste, sie aber nicht an ihren Chip kam. Also noch mal geseufzt und weiter. In Reihe eins befand sich etwa auf Position sechs von hinten ein weiterer Typ B, was zu einer recht anspruchsvollen Fummelei und Rangiererei führte, erst recht um neun Uhr morgens und ohne Maske und Cape. Ich fuhr alle fünf Wagen in Reihe drei ein, denn Reihe zwei ging ja nicht wegen des kaputten Typ B. Reihe drei wurde dadurch sehr lang und ragte nun weit unter dem Wellblechdach hervor. Was nicht schön aussah und zweifellos Passanten und Autos vom Parkplatz nebenan behinderte, aber scheiß der Hund drauf. Hier ging es um Oma-Rettung. Und hurra, der Wagentyp B aus Reihe eins hatte seine Kette und seinen Bolzen noch. Schließlich konnte ich der Oma Signal geben, ihren Typ B dort einzufahren.
Sie griff sich ihren verloren geglaubten Chip und streichelte ihn zärtlich. „Mein Chip!“. Über uns brach ganz kurz die Sonne durch die Wolken. Dann trocknete die Errettete ihre Tränen, richtete sich das Haar, bedankte sich freundlich und ein bisschen aufgeregt bei „der hilfreichen Jugend“ und tippelte mit ihren Tüten von dannen.
Es ist schön, Menschen zu retten.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Demon

Mochte ich damals in den Mittachtzigern. Eine Band der New Wave of British Heavy Metal, die nach zwei ausgewiesenen Satan-Kroppzeug-Melodic-Metal-Alben zum Neo-Progressive driftete, aber trotz einigen Talents nie wirklich den Durchbruch schaffte. Das meiste ist mir heute zu kommerziell, schwülstig und glitschig von Pathos, aber das eigenartige Album British Standard Approved von 1984 lebt irgendwo im Hinterhirn weiter. Ich hatte es dauernd im Walkman während der Armee-Zeit, abends auf dem Etagenbett liegend, und driftete nach getaner Staatsbürgerpflicht in dem Sound herum. Die Platte beschreibt eigentümlich mystische Transitionen, meistens anhand der Metapher einer Schiffsreise. Melancholisch und schön. Irgendwie herbstlich. Gitarrist, Songschreiber und Texter Malcolm Spooner war schon von Krankheit gezeichnet und starb kurz nach dem Ende der Aufnahmen.
Ich hätte damals auch viel gegeben für ein Poster des Covers von Breakout. Ganz dolle.

Dienstag, 6. Oktober 2009

Auftritt: Herbst

Schon wieder Herbst. Geht schnell. Drinnen Licht einschalten zum Lesen und Schreiben. Heizung auf Funktionstüchtigkeit hin überprüfen. Pullover sichten und dickere Jacke rauskramen. Mütze aufsetzen und festhalten. Im Zeitlupentempo Blätter vom Balkon fegen. Durchs Laub im Park schlurfen, vorbei am geschlossenen Biergarten und den aufgebockten Tretbooten. Gerüche aufnehmen und leise knisternden Geräusche lauschen, sofern die Stadt drumherum mal kurz Ruhe gibt. Unterm tiefhängenden Himmel hindurchducken. Sich auf die nächste Landpartie und die sinnliche Rezeption von Farbenspielen und Herbstfeuern vorbereiten. An die Vergänglichkeit allen Strebens denken und die Wichtigtuer und Laberfressen verachten. Die Gräber der mühselig Gegangen besuchen. Bergmans Das siebente Siegel anschauen. Frage nach Geburtstagsgeschenk beantworten mit: „Ach, ich hab doch alles.“

Montag, 5. Oktober 2009

Freudig der Realität entrückt

Der cineastische Nachbar hat mir zwei Filme ausgeliehen, japanisches Phantastisches Kino aus den 60ern. Ich war gestern Abend freudig der Wirklichkeit entrückt angesichts der Geistergeschichte „Hoichi the Earless“ aus dem Episodenfilm Kwaidan. Hochartifizielle und hypervirtuose Hearn-Verfilmung, selten etwas Prächtigeres gesehen.
Lafcadio Hearn (1850-1904) war ein Brite gemischter Abstammung, der es in Japan zu Ruhm und Ehre brachte und mit seiner Erzählungssammlung Kwaidan traditionelles japanisches Erzählen auch in Europa bekannt machte. In Deutschland wurde die Sammlung von Gustav Meyrink übersetzt.
Masaki Kobayashi schuf 1965 aus vier dieser Geschichten einen ursprünglich über 180 Minuten langen Episodenfilm, von dem Cineasten behaupten, er sei bis heute der beste Gruselfilm Japans. Extrem künstlich und stilisiert, perfekt arrangierte Räume und Landschaften, Illusionen von Außenaufnahmen in traumhaften Studiokulissen, gemalte Augen und Zeichen am Himmel, filmische Dynamisierung von Schlachtengemälden, traumatische Berührungen von (artifizieller) Realität und Geisterreich. Eine meisterhafte Meditation über das Sinnliche und das Übersinnliche. Von den Episoden ist wiederum „Hoichi the Earless“ die längste und schönste. Ein blinder Novize und virtuoser Lautenspieler gerät an die Geister eines Hofstaats, denen er wieder und wieder den epischen Gesang ihres eigenen Untergangs vortragen soll. Bis der Chefmönch dahinter kommt und einen – allerdings nicht ganz perfekten - Gegenzauber wirkt. Die anfängliche Schlachtsequenz, untermalt von klagendem Gesang, die Passage im Geisterreich mit dem sich stetig wandelnden Tableau an Gespenstern, die ästhetische Umsetzung des Ganzkörperzaubers sowie die anrührende Qualität der puren Geschichte sind etwas, das man so schnell nicht wieder vergisst. Poesie auf allerhöchstem gestalterischen Niveau. Wird heute noch mal angeschaut und dann beim nächsten Brauhaus-Abend ausführlich seziert.

Samstag, 3. Oktober 2009

Leistungsmarsch

Ich hätte nicht gedacht, dass ich nach all den Jahren das Leistungsmarsch-Tempo noch draufhabe.
Gestern ließ sich Kamerad H., wohnhaft in der Eifel, in einem innerstädtischen Kölner Gefäßzentrum ambulant und unter Vollnarkose ein Gefäß im Bein veröden und erhielt nach dem Aufwachen vom Arzt die Order, für ein paar Stunden möglichst wenig zu sitzen oder zu stehen. Als Einheimischer erklärte ich mich bereit zur postoperativen Betreuung des Patienten. Ich fuhr mit der Straßenbahn hin zum Gefäßzentrum, zurück ging’s zu Fuß. Kamerad H. durfte ja nicht sitzen oder stehen. Kamerad H. ist Sportler und Gesundheitsfanatiker. Marathonläufer, Speed-Inliner, Tennis-Crack, Karottenfetischist und Vegetarier, Kaffeeverächter, militanter Nichtraucher und Power-Wanderer. Er war morgens schon den Weg vom Bahnhof zur Praxis gewandert und noch ein bisschen herumgestrolcht, weil er viel zu früh da war. Ungefähr drei Stunden zu früh.
Nach einem Päuschen in der Wohnung, während dem er nun unaufhörlich von Raum zu Raum wanderte und seine narkosebedingte Beduseltheit sich legte, brachen wir auf zum Hauptbahnhof, damit er zurück in die Eifel tuckern konnte. Kamerad H. durfte bekanntlich nicht sitzen oder stehen, also wiederum zu Fuß. Wir fingen früh genug los, denn er war ja „gehandicapt“. Kamerad H. befleißigt sich jedoch selbst im frisch operierten Zustand eines Tempos, als müsste er vor einer heranrollenden pyroklastischen Welle fliehen oder so was. Dabei reißt er auch noch munter Witze, während ich mit dem Schnaufen kaum hinterherkomme und beim Lachen Atemaussetzer habe. Unter anderem meint er, beim Bund wäre er heute sicher „Stillgestanden-befreit“. Und wenn nicht, dann hätte er den Begriff eben spontan erfunden und den Stabsarzt auf seine Seite gebracht. Ich halte tempomäßig bewundernswert mit, wie ich finde. Fast alle Ampeln auf der Strecke sind grün, weswegen es kaum eine Marschpause gibt. Zwei Mädchen flüchten sich vom schmalen Bürgersteig in einen Hauseingang, um uns vorbei zu lassen, so eingeschüchtert sind sie von dem Tempo, mit dem wir uns nähern.
Besonders heiter wird es in der Hohen Straße, die wie üblich komplett voll mit Menschen ist, angesichts derer Kamerad H. aber nicht die geringsten Absichten zeigt, die Geschwindigkeit zu verringern. Der bislang geradlinige Marsch verwandelt sich nun in ein rasantes Schlenkern, ein Hineinstoßen in Lücken, in Ausbremsen und Touchieren, in Beinahe-Kollisionen und in mehrmaliges entsetztes Quieken meinerseits. Langsamer machen kann ich jedoch nicht, sonst verliere ich Kamerad H. da vorne in der Menschenmenge. Dann erweist sich Kamerad H. als Mann von Ehre, als vor ihm ein älteres Ehepaar kreuzt – der Mann schiebt seine Frau im Rollstuhl – und er abbremst, statt über die sitzende Frau zu hechten, wie ich es erwartet hätte. Ich schieße an ihm vorbei, bin angesichts dieser Verzögerung irritiert und blicke zu ihm zurück, wobei ich fast in einen mobilen Pizza-Stand hineinrenne. Mir kommt das alles vor wie „Star Wars“ und der Flug durchs Asteroidenfeld, an meiner Seite ein Eifelaner, der auch noch jeden Großstadt-Freak, den er im Vorbeiflitzen erspäht, ausgiebig kommentiert und Witze reißt.
Im Bahnhof wird es nicht besser, denn auch der ist proppevoll, und wir müssen natürlich ganz durch bis Gleis 8, und selbstverständlich bewegen wir uns mit halber Lichtgeschwindigkeit gegen die Menschenmasse statt mit ihr. Ich versuche verzweifelt, an den Rand auszuweichen, aber Kamerad H. hält sich den geschlossenen Schirm wie eine Barriere vor den Leib und bleibt stur mittig.
Als wir, mehr als eine halbe Stunde zu früh, auf dem Bahnsteig anlangen, läuft Kamerad H. noch ein wenig auf und ab zwischen den Abschnitten A-E, während ich verzweifelt nach einer freien Sitzgelegenheit Ausschau halte, die es nicht gibt. Nachdem ich ihn heil in seinen Zug bugsiert habe („Ich laufe während der Fahrt noch ein bisschen auf dem Gang herum“), genieße ich es, mit einer langsamen, stockenden U-Bahn-Linie 16 zurückzufahren und die Tunnelwände anzustarren.
Abends ruft Kamerad H. noch an, während ich mit zitternden Muskeln, ziehenden Sehnen und jämmerlich klagend flach auf dem Rücken liege, und bestätigt, dass er gut heimgekommen ist. Er meint, er sei jetzt doch etwas müde und ginge ins Bett, damit er morgen fit sei zum Sport.

Freitag, 2. Oktober 2009

Levitation (3CD)

Wunderbare Luxus-Edition. 3 CDs, fettes Booklet mit dem kompletten Tourprogramm von 1980, die genaue Dokumentation der Jahre 1979/80 durch Hawks-Experte Brian Tawn, sowie drei Postkarten im damaligen Hawks-Design.
Levitation war schon immer perfekter Eskapismus. Weltraum- und Fantasy-Drifterei, Triebwerksgeräusche, Funkgesprächfetzen, Akustik-Geklimper über dem Geräusch plätschernden Wassers, kombiniert mit schichtenweise agilem, gleißend hellem und dunkel riffendem Rock mit manchmal jazziger Tendenz. Die reinste Sound-Torte. Eine frühe Digital-Aufnahme zudem, die das brodelnde Miteinander, das Hawkwind traditionell darstellte, in Einzelkomponenten separiert und dann wieder zusammenfügt. Hörte sich schon damals sehr modern an, das Album. Durch das Remastering wird es noch schöner. Zum Beispiel wirkt es jetzt fast doppelt so laut und druckvoll wie die alte LP. Technisch brilliant produziert, zeichnet es sich aber hauptsächlich aus durch die Kombination von Virtuosität und Solidität. Drei exzellente Musiker schieben sich die Bälle zu - Baker an den Drums, Lloyd-Langton an der Lead-Gitarre, Blake an den Keyboards -, während Bainbridge und Brock solide Fundamente für diese Eskapaden zimmern, an Rhythmusgitarre und Bass, aber auch an den Effektmaschinen, und haufenweise Space- und Fantasy-Klänge produzieren, die man bislang nicht mal von den Hawks kannte.
Als Bonus gibt es einige Session-Tracks der auseinander brechenden Hawklords von 1979 zu hören, die nach diesem Soundgewitter ziemlich abfallen, denn sie sind weniger organisierte Songs als vielmehr Session-Improvisationen. Ein Stück wie „Time Of“ kann man als Psycho-Schlamm-Blubberei immerhin gelten lassen, während „Valium Ten“ unverzichtbarer Bestandteil des Hawks-Katalogs ist. Allerdings ist es auch sehr verbreitet und hätte auf diese CD nicht zwingend draufgemusst. Drei weitere Bonustracks sind auch nicht so wichtig, aber bei "Nuclear Toy" kommt man immerhin in den zweifelhaften Genuss von Vocoder-Gesang, der sich nach ELO anhört. Ja, das war damals schwer angesagt.
Die CDs 2 und 3 sind für die Aufnahme eines Live-Konzerts der Levitation-Tour (Dezember 1980) reserviert. Teile dessen fanden sich bereits auf dem Live-Album Do Not Panic (1984), das man sich daher im Grunde nun sparen kann. Einige weitere Schnipsel gelangten schon 1983 auf das Verlegenheitsalbum Zones. Die englischen Fans sagten damals schon: „They played a stormer of a set on that night“, aber die neue Komplettversion ist natürlich noch druckvoller. Was Ginger Baker hier treibt, könnte man bei irgendwelchen Schlagzeug-Workshops vorspielen, mit dem Ergebnis allerdings, dass dann 80% der Teilnehmer frustriert nach Hause gehen und nur die ganz Ambitionierten dableiben. Tim Blake war auf der Tour schon nicht mehr dabei, weil er sich nach Frankreich zu seiner Freundin absetzte, die eine Fehlgeburt erlitten hatte. Sein Ersatzmann Keith Hale konnte mit ihm nicht wirklich konkurrieren, aber die stärkere Betonung der harten Rhythmusfraktion und Lloyd-Langtons Allgegenwart machten das wett. Extrem individueller Proto-Stoner-Space-Heavy-Melodic-Rock, so nirgendwo sonst zu hören.
Wirklich exzellente Packung.

Nachtrag:
Das Live-Album This Is Hawkwind, Do Not Panic ist also seit der neuen Luxus-Version von Levitation überflüssig geworden, zumindest die Musik darauf. Cover und Zusatzmaterial haben natürlich weiter Bestand.
Aus sentimentaler Perspektive ist die Platte nicht ganz unwichtig, denn sie gehörte zu meiner Sozialisation. Ich weiß noch, als ich das Album, eine LP/Maxi-Kombination mit Faltposter, 1984 in einer Freistunde kaufte und damit in den Oberstufen-Aufenthaltsraum kam. Die signalhafte rote Plastiktüte verriet allen sofort, dass ich in diesem speziellen Plattenladen gewesen war, und natürlich musste ich die Neuerwerbung herumzeigen. Die Reaktionen fielen aus wie immer, wenn ich mit roten Plastiktüten aus der Freistunde zurückkam: „Wasndas?“, „Nie von gehört“, „Kann man das essen?“, „Warum kaufst du nicht Supertramp?“, „Warum stehst du nicht auf BAP?“. Mit dem zugegebenermaßen eigenartigen Cover konnte erst recht niemand etwas anfangen. Stonehenge-Zeichnung auf freudlosem Grau und dann dieser blutspritzerartige Fleck, der Rorschach-mäßig einen doppelköpfigen Raubvogel mit gespreizten Flügeln ergab. Wenn es wenigstens ein klar definiertes Metal-Cover gewesen wäre. Nackte Amazone auf phallischem Fantasy-Viech, eine durch eine Glasscheibe schmetternde Faust oder so was. Mir blieb nichts anderes übrig, als vor versammelter Mannschaft mit den Schultern zu zucken und mich wie ein armseliger Nerd in die Ecke zu setzen, denn ein Referat über Bewusstseinserweiterung anhand von Heavy-Spacerock hätte ohnehin keiner von den selbsternannten Hipness-Päpsten im Raum verstanden. Ein bisschen elitär fühlte ich mich da in meiner Ecke schon, weil nicht jeder dahergelaufene JU- oder Juso-Knallkopf meinen Musikgeschmack verstand. Obwohl sich diese Szene damals in schönster Regelmäßigkeit wiederholte, ist mir die beim Herumzeigen von Do Not Panic besonders in Erinnerung geblieben.
Zu Hause pinnte ich das Faltposter sofort an die Wand, und es hing jahrelang an derselben Stelle. Ich besitze es immer noch. Die Platte gefiel mir ganz vorzüglich in ihrer rauen, schwergewichtigen Art, und ihre brandneue, druckvolle Aufbereitung katapultiert mich nun directement in diese drolligen Zeiten vor unfassbaren 25 Jahren zurück.