Freitag, 15. November 2013

Take Me To Your Leader

Acht Jahre nach der Veröffentlichung dieses Album von 2005, des einzigen vollwertigen Hawks-Studioalbums der Nullerjahre, darf man es sich guten Gewissens mal wieder zwischen die Neuronen zwirbeln, um es abschließend zu bewerten. 
Die erweiterte Band der zweiten Neunziger-Hälfte ist passé, es agiert nach einer achtjährigen Pause (!) seit dem letzten Studioalbum wiederum das Trio Brock/Davey/Chadwick, das bereits die erste Neunziger-Hälfte bestritten hatte. Allerdings hat man sich zum Veredeln der Studioaufnahmen diverse Gäste geladen. Am auffälligsten aktiv sind die Gesangsikonen Arthur Brown und Lene Lovich sowie Saxophonist Jez Huggett und TV- und Radiomoderator Matthew Wright als Sänger/Sprecher. 
Die Platte hat eine komplizierte Produktionsgeschichte, vieles lag in der Schublade, und einige der Stücke waren schon Jahre alt, ehe sie es endlich auf diese CD schafften. Take Me To Your Leader ist ein Quasi-Konzeptalbum über Mensch/Maschine-Interaktionen, ausgehend von Robert Calverts Text zu „Spirit of the Age“ (1977), das dementsprechend eine Neuinterpretation erfährt, gleich als Opener. Matthew Wright übernimmt den Gesangspart im Calvert’schen Stil, musikalisch wird der Klassiker upgedated und mit allerhand neuem Stampf, gleißenden Gitarren und Samples versehen. Die Versionen der Calvert-Ära sind damit allerdings nicht zu überbieten. 
Take Me To Your Leader ist auch das erste Hawkwind-Album, das zwischendurch mit einem entspannten, loungigen Jazz-Faktor aufwartet, so etwa auf „Out Here We Are“, das als amorpher Space-Schweber beginnt und sich dann überraschend auf Jazz-Kurs begibt. „Greenback Massacre“, ein schneller Rocker aus Alan Daveys Fertigung, ist eher gescheitert. Davey möchte mal wieder wie Lemmy Kilmister sein, kommt aber wie stets nicht an sein Idol heran. Musikalisch astrein, aber als Song zu banal gebaut. Ganz anders „To Love A Machine“, eine von Dave Brocks berückendsten Kompositionen zwischen Melodic Rock, Gestampfe und kammerspielartigen Intermezzi auf der Akustikgitarre. Ein weithin unterschätzter Song von nicht unerheblicher Schönheit, dessen letzte Minute wiederum in Jazz-Geklimper ausgleitet. Das Titelstück, eine Übung darin, wie man Hawkwind mit Drum’n’ Bass verhochzeitet und Industrial und Ambient als Trauzeugen dazulädt, ist eines der herausragenden Stücke des Spätwerks dieser Band. „Digital Nation“, ein Song über Computerspielnetzwerke und ein voll ausgearbeiteter Melodic Rocker mit balladesken Zügen, ist der erste Song aus Drummer Chadwicks Feder und belegt unerwartete gesangliche Qualitäten des Schlagwerkers. Auf den jüngeren Alben agiert er diesbezüglich oft zu hysterisch und durchgeknallt, aber hier macht er auf weich und melancholisch. Kein Song, für den er mit Preisen totgeschmissen würde, aber eine sehr solide Angelegenheit. „Sunray“ ist der erste Auftritt von Gastsänger Arthur Brown; das ganze Stück stammt aus seiner Fertigung. Leider. Es ist definitiv kein Hawkwind-Song, und Browns enormes Vokalorgan passt nicht zu einer Band, deren Stärke eher das bratzige Kollektiv ist, keinesfalls jedoch der Sänger. Ab und an kann man das ertragen, aber Browns Engagement ging schon auf dem vorherigen Live-Album Spaced Out in London und der dazugehörigen DVD Out of the Shadows zu weit. 
Mit „Sighs“ wird ein kurzes, gesichtsloses Instrumental-Einsprengsel absolviert, ehe mit „Angela Android“ ein weiterer Höhepunkt folgt. Die skrupellos nach vorne gestampfte Geschichte eines Liebesroboters, wiederum super vorgetragen von Chadwick, wird in der zweiten Hälfte schön strange, wenn Lene Lovich die Rolle des Roboters übernimmt und sich in halsbrecherische Höhe kiekst. Eine tolle Retro-SF-Kiste. „A Letter to Robert“ kehrt zum Anfang zurück, zu Calvert nämlich, und präsentiert zu allerhand technoider Rhythmik einen launigen Monolog Arthur Browns, in dem er sich an seinen Kumpel Robert erinnert und an dessen Weltbild brillanter Paranoia, die sich aus Technikfaszination und Technikhass zugleich nährte. 
Kurz nach dieser CD erschien noch die EP Take Me To Your Future, die einige auf dem Studioalbum ausgelassene Tracks nachschob. Erwähnenswert ist auch die nur als Single-B-Seite verwendete Neuaufnahme des grandiosen „Paradox“ von 1974. 
Die Stärken von Take Me To Your Leader liegen in einer gravitätischen, kreativen Mitte und auch nach hinten raus. Der ganz große Befreiungsschlag war das sicher nicht, aber als Lebenszeichen einer damals nahezu verschollen geglaubten Band mehr als erwünscht. Es dauerte fünf Jahre bis zum nächsten Studioalbum, wiederum unter völlig veränderten Bedingungen.

Mittwoch, 30. Oktober 2013

Spacehawks

Allzu zu viel Revolutionäres sollte man nicht erwarten von diesem neuen, betont kostengünstigen Hawks-Album. Es dient der Unterstützung der ersten US-Tour seit einer halben Ewigkeit (die dann wegen Krankheit auf 2014 verschoben werden musste) und soll ein neugieriges oder indifferentes jüngeres Publikum an die aktuelle Inkarnation der Uralt-Band heranführen. Es ist eine durch Remixes und vereinzelte Neuaufnahmen veredelte Kompilation mit bekanntem, aber zum Teil neu interpretiertem Material und erinnert vom Charakter her absichtlich an die erste klassische Hawkwind-Kompilation Roadhawks von United Artists (1976). 
Der Mix aus Altem, Neuem und Upgedatetem erfreut den weltraumaffinen Genussmenschen durch Vielseitigkeit und die obligatorischen Teilchenkollisionen im Gattungsmischmasch. Das Einzige, was wirklich berechenbar bleibt, ist die permanente Anwesenheit von Zirpen, Zischen, Piepen sowie Soundwänden von barocker Pracht. Es geht trippy, dreamy und heavy zu auf Spacehawks. Und es gibt eine Neuerung in der Besetzung: Der seit einiger Zeit für Live-Auftritte engagierte Fred Reeves („Dead Fred“) stößt nun an Geige und Keyboards als vollständiges Bandmitglied zu Dave Brock, Richard Chadwick, Mr. Dibs, Tim Blake und Niall Hone hinzu. 
Der Opener „Seasons“ übte diese Funktion schon aus auf dem letzten Studioalbum Onward und wirkt im Remix wie ein Industrial-Klopper mit übergeworfenen Gitarren-Girlanden. Hawkwind als düstere, nahezu apokalyptische Rocker. Das folgende Triplet ist ein festes Live-Segment und erfährt hier in dieser Form eine erste Studio-Version: „Assault & Battery“ und „The Golden Void“ sind mit das Schönste, was Hawkwind je eingespielt haben, und man kann auch mit verkürzten Versionen nicht viel verkehrt machen. Die Varianten von 1990 gefallen mit persönlich jedoch besser. „Where Are They Now?“ wird live stets als kurzes Übergangsstück an „Void“ angefügt und ist hier erstmals überhaupt auf Platte zu hören: ein wunderbar einfacher, melancholischer Rocker mit Tendenz zur Ewigkeit. 
Die Versionen von „Sonic Attack“ sind zahllos. Manche ziehen den Sound eher nach hinten und betonen Moorcocks lustigen Text, andere trachten danach, das Versprechen, das der Titel abgibt, möglichst zu erfüllen: eine Lärmattacke selten gekannten Ausmaßes. Diese neue Inszenierung ist eine der infernalischsten und bedrohlichsten, klammert aber keineswegs die Ironie des Ganzen aus. Prachtvoll, wild und mittendrin richtig schwerer Heavy-Rock. Mit „Demented Man“ spielt Brock eine seiner schönsten und asketischsten Kompositionen neu ein als swingenden Melancholie-Rocker, allerdings im Mittelteil circa zwei Minuten zu lang. Weniger wäre mehr gewesen. Ähnlich verhält es sich mit „We Took the Wrong Step Years Ago“, dem Akustik-Space-Folker von 1971, dessen Neuaufnahme von Brocks jüngstem Soloalbum Looking for Love in the Lost Land of Dreams stammt. Entzückend die folkige Akustikgitarre und überhaupt die schwer melancholische Hippie-Vibration inmitten all der Space-Dröhnung. 
„We Two Are One“ ist eine verkürzte, neu gemischte Version des titellosen „Mystery Track“ am Ende von Onward, ein Poetry-Slam-Jam, mit schwerstem Powerrock nach vorne gezwiebelt. „Master of the Universe“ bietet die x-te Version, jedoch erstaunlicherweise erst die zweite offizielle Studioversion, denn alle anderen waren Live-Aufnahmen. In dieser nach hinten raus zunehmend heftiger werdenden Fassung wird dem verstorbenen Huw Lloyd-Langton Referenz erwiesen, der die Lead-Gitarre bediente – nicht mehr so wild wie früher, aber immer noch gut drauf. 
„Sacrosanct“ ist eines jener Brock’schen Laborexperimente mit zahllosen Synthie- und Sequencer-Schichten, sehr, sehr techno und ungefähr doppelt so lang, wie es sein müsste – so dass der Captain sich hinten mit nichts anderem zu helfen weiß als Spielereien mit simulierten Piano- und Vibraphon-Läufen. Fängt gut an, bleibt aber ziellos. 
Ich persönlich bin mittlerweile der Auffassung, dass „Sentinel“ (vom Album Blood of the Earth) die schönste Spacerock-Ballade ist, die es nur geben kann. Was vor allem im Refrain zuerst ein bisschen pathetisch wirken mag, ist tatsächlich allumfassende Melancholie angesichts eines tiefen schwarzen Weltalls und existentieller Einsamkeit. Purer Sense of Wonder. Außerdem gefallen mir Mr. Dibs’ Stimme und die kleinen Schlenker seiner Melodieführungen immer besser. „It’s All Lies“ von Stellar Variations mögen erstaunlich viele Fans, ich nicht so sehr: rockt schwer ab, ist aber zu banal gestrickt. Das nächste Triplet besteht aus kurzen Soundschnipseln, mal jazzig, dann ruppig-tribalistisch und elegisch. Sie wirken wie aus dem Ärmel geschüttelt, sind aber inszeniert. 
Ganz, ganz wunderbar und traurig der Abschluss: „Sunship“. Bisher nur erhältlich als Bonustrack der Vinylausgabe von Blood of the Earth, nun also auch verfügbar für die CD-Player dieses galaktischen Spiralarms. Ein Zweiminüter, mehr nicht, der aber ein ganzes Universum öffnet. 
Das Wort „Melancholie“ fiel hier des Öfteren, und das war Absicht. Auffällig an der Songauswahl von Spacehawks ist neben den typischen Dröhnorgien nämlich die Hinwendung zu ruhigeren, epischen und seltsam traurigen, fast demütigen Songs. Vielleicht ist das dem Alter geschuldet, womöglich auch nur der wiederentdeckten Freude an der schönen Halb-Ballade.
Ein hübscher Mix für den Weltraumwanderer.

Samstag, 19. Oktober 2013

Closer Than Skin

Im Internet bieten Leute diese CD aus dem Jahr 2005 für fast 100 Euro an, kauft man sie hingegen direkt bei David Cross, kostet sie nur Neunpfundneunundneunzig und man bekommt noch eine nette Widmung vom Musikprofessor selbst. So viele von den Platten verkauft er nicht, dass er nicht die Zeit für ein persönliches Wort hätte. 
Das Cover ist allerdings auch nicht dazu angetan, dass man ihm den Tonträger aus den Händen reißen würde. Die Platte sieht von außen eher aus wie die Debüt-CD eines Amateur-Entertainers für Hochzeiten oder 50. Geburtstage. Drinnen aber herrscht nichts als Entzücken und Entsetzen für Connaisseure. 
Closer Than Skin ist Cross’ bisher schwerstes, drängendstes Werk, ein düsterer Moloch, der schwere Basslinien, polternde Rhythmen, verdichtete Metal-Riffs, pathetisch-manischen Gesang und eine allgegenwärtige, völlig entfesselte Violine miteinander kollidieren lässt. Würde man das Album, ungeachtet seines Covers, im Laden unter „Heavy Metal“ einordnen, würde sich sicher kaum ein Metalhead beschweren. Ein echtes Konkurrenzprodukt zu den King-Crimson-Alben der Nullerjahre und zudem lebendiger, furioser und noch schwerer einzuordnen. Von der mitunter schwebenden Leichtigkeit und esoterisch-ethnographischen Farbgestaltung der früheren Alben ist kaum noch etwas übrig. Stattdessen schwere, düstere Power, völlig gegen den Strich gebürstete Songs – diesmal allesamt mit Text und Gesang –, die schon mal einschmeichelnd sein können, sich aber im nächsten Moment in bissige Biester verwandeln, voller Kerben und Narben und Sollbruchstellen in der geschuppten Haut. Ein unverschämt reichhaltiges, barockes Fusionsuniversum, das Konzentration verlangt und Hörnerven mit Hornhaut. Die Drums sind träger, technischer und metallischer als die Jazzrock-Spielarten der früheren Platten, die Basslinien ungeheuer schnell und souverän, die Gitarre ist diesmal hauptsächlich eine Waffe, und Cross’ Geige gibt sich schon mal bildungsbürgerlich und zitiert klassische Musik, aber meistens operiert sie jenseits des Schönen-Wahren-Guten im kreischenden Alptraumland. 
Ein tolles Album.

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Yvonne

Hauswirtschaftsmeisterin und Sozialpädagogin Yvonne Willicks hat sich zu meinem TV-Superstar entwickelt. In meiner Funktion als Gelegenheits-Quasi-Hausmann ist das nur allzu verständlich. 
Ich hege heimliche Phantasien, in denen ich Yvonne Willicks mit einem Staubwedel durch eine völlig zugemüllte Wohnung jage, bis sie sich im Gemüsefach eines Großkühlschranks versteckt, in dem sich aber kein Gemüse, sondern – Schreck lass nach! – palettenweise Dosenbier befindet. Yvonne entsteigt sofort dem zweckentfremdeten Gemüsefach und beginnt damit, die Bierdosen aus- und Gemüse einzuräumen. Sie kann nicht anders. Was mir die Gelegenheit gibt, wieder mit dem Staubwedel auf sie loszugehen. 
Yvonne benötigte nicht lange, um sich in mehreren Etappen im Fernsehen auszubreiten, bis man an ihr und ihrer Haushalts-Ratgeberei kaum mehr vorbeikam. Sie trat auf als „Superhausfrau“, „Allestester“ und „Yvonne Willicks räumt auf“. Sie ist also der Sylvester Stallone des deutschen Küchenratgeber-Fernsehens. Zurzeit betätigt sie sich hauptsächlich im WDR auf der Vorabendschiene. Ich plädiere dringend für eine große Samstagabend-Show. „Staubwedeln mit Yvonne“ vielleicht, oder doch besser „Die Kühlschrank-Voyeure“. Yvonne erkennt dreißig B-Prominente anhand des Inhalts ihrer Kühlschränke und gibt danach Tipps zur Optimierung. Dazwischen Show-Acts von Pur bis Helene Fischer. 
Yvonne ist eine schlanke Frühvierzigerin, Typ Ilona Christen, eine robust auftretende Blondine mit federndem Gang, schaukelnder Mittellang-Frisur, Habichtnase und Wichtigtuerbrille, durch sie hindurch sie ihre Klienten – allesamt Haushaltschaoten – ermahnend anblickt, als seien sie unartige Kinder, um dann blitzschnell umzuschalten auf joviale Besserwisserin, die zwar permanent was zu maulen hat, diese Unart aber mit einer Fassade heiteren, kauleistenpräsentierenden und ruhrpottakzentuierten Laissez-faire abzumildern sucht. „Ihr wisst es eben nicht anders, ihr Schluffen. Lasst mich mal da ran! Nein, keine Widerrede! Lasst mich mal da ran!“ Sie weiß, dass sie Gefahr läuft, wie der Alptraum aller Muttertraumatisierten rüberzukommen, und steuert durch Kommunikation (= Geplapper) und neckischen Augenaufschlag gegen. Dennoch ist es ihr bisher noch nicht überzeugend gelungen, diese abschreckende Besserwisserei und Dauermotzerei konstruktiv umzudeuten in „Zuwendung“. In Yvonnes Sendungen geht es nun mal hauptsächlich um Yvonne und darum, was Yvonne so alles weiß und kann. 
Yvonne lebt in dem Glauben, dass das, was sie tut, wichtig ist, denn sie setzt sich ja für „uns“ ein, die Verbraucher. Ihr Lieblingswort ist „Verbrauchertäuschung!“, nur echt mit dem Ausrufezeichen. Insofern hat sie alles Recht der Welt, kritisch und empört zu tun, in irgendwelche Lebensmittelkonzernzentralen einzufallen, Verbraucher-Anti-Preise für die „Mogelpackung des Jahres“ zu vergeben und den Leuten da gehörig auf den Sack zu gehen. Hauptsächlich den Pförtnern, denn weiter kommt sie meistens nicht. Danach steht sie dann vor dem Gebäude, stampft mit dem Fuß auf und macht Telefonterror vom Handy aus. Manchmal testet sie auch Haushaltsmaschinen, kleckert sich voll und quiekt entsetzt, als sei sie menschlich-allzumenschlich und nicht bloß eine verkleidete Küchentyrannin. Neulich schickerte sie sich in einer Champagner-Testrunde an und machte dem Co-Moderator Avancen. Und das in ihrer eigenen Küche – die natürlich blitzblank gewienert war. Könnten ja Fernsehleute zu Besuch kommen. Manchmal okkupiert sie auch die Haushalte von Promis, meistens welche vom WDR, steigt auf einen Hocker und saugt in den Lebensmittelregalen den Endgegner weg: Mehlkäferlarven. Die Promis verabschieden sich stets freundlich, sind aber vermutlich froh, wenn der quasselnde blonde Fremdkörper endlich weg ist und sie wieder Herr über ihr eigenes Leben sind.

Sonntag, 13. Oktober 2013

Exiles

Und noch mal der Ex-King-Crimson-Geiger. Exiles von 1998 ist der Nachfolger von Testing to Destruction und noch mal ein Stückchen besser. Das Cover führt in die Irre, fordert es einen doch scheinbar dazu auf, die CD als Begleitmusik zur Ayurveda-Kur einzulegen. Tatsächlich aber sind weite Teile der Platte geflutet von wilder, ungezähmter Fusionsenergie und haben bei Entspannungssuchenden kontraproduktive Wirkung. Dem Himmel sei Dank. 
Ganz zu Anfang sieht es noch so aus, als behielte das Cover doch recht, denn der Titeltrack wird eingeleitet von einem sanften Tangerine-Dream-Rieseln, das einen offenbar schön in Stimmung zu bringen trachtet. Dann entspinnt sich jedoch auf einmal eine rockige Neuaufnahme eben jenes King-Crimson-Klassikers „Exiles“, am Mikro niemand anderes als der originale Sänger von damals: der warmherzige, zum Erzählen schier geborene John Wetton. 
„Tonk“ erweist sich als ruppiges Düstermann-Gipfeltreffen. Eine der rockigsten, schneidendsten Soundapokalypsen, die King Crimson nie eingespielt haben, mit Robert Fripp an der Apokalypto-Gitarre und Gastsänger Peter Hammill im Shouter-Modus. Der wahrscheinlich rabiateste Hammill-Auftritt außerhalb seines eigenen Oeuvres. „Slippy Slide“ platzt mir schnell als Lieblings-Track ins Gesicht, eine Fusionsgranate von entzückender Durchschlagskraft, die, schleudert man sie in einen Raum, garantiert keine Überlebenden zurücklässt. Mit diesem lebensechten Heavy-Punk-Jazzrock mischt man allzu gutbürgerliche Jazzfestivals auf. Da werfen selbst Bildungsbürger mit Klappstühlen. Das driftende „Cakes“ kommt dann als etwas überlange Erholung daher, eignet sich wegen seiner diffus-unbestimmten Bedrohlichkeit aber auch nicht recht zum Ayurveda. „This Is Your Life“, wiederum gesungen von John Wetton und mit einem Text von Peter Sinfield, ist eine leicht schief gewickelte Ballade im King-Crimson-Stil, pathetisch und anrührend. Der Titel des Stücks „Fast“ ist Programm: wieder eine dieser schwermetallisch nach vorne gerockten und mittels Jazz-Breaks mit sich selbst kollidierenden Soundorgien. „Troppo“, eine von Hammill gesungene Mixtur aus King Crimson und Van der Graaf, gefällt mir nicht durchgehend: zu lang, zu ambitioniert-zerfahren, zu sehr Siebziger. Das weit ausholende Schlussstück „Hero“ gerät allerdings erneut zu so einem Jazzfestival-Verblüffer, einem in zahllosen Farben schillernden Energiebündel, in dem Hardrock, Jazz, Avantgarde und diesmal sogar lieblicher Violinen-Folk verschmelzen.
Eine außergewöhnlich packende Platte, die mal zeigt, wie außerhalb von Genres wie Heavy Metal oder Punk die Urgewalten wirken.

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Testing to Destruction

„David Cross – Ex-Member of King Crimson“, sagt der Aufkleber, den der deutsche Vertrieb SPV damals 1994 auf das Cover des Albums pappte. Nur um sicherzugehen. Immerhin war es zwanzig Jahre her, dass der Interpret auf den KC-Alben der ersten Siebzigerhälfte die Geige bedient hatte. Ich bedurfte des Aufklebers nicht, denn als Freund der verzerrten, alles niederwalzenden Rock-Violine wusste ich schon, wer David Cross ist. Ich erwartete dennoch nicht allzu viel, ein vermutlich etwas konturloses, esoterisches Gefiedel, dem die ordnende Hand eines begabten Komponisten und Arrangeurs fehlte. Cross war bei King Crimson ein Ungeheuer, aber die Stücke stammten ja meistens aus der Feder des genialischen Robert Fripp. 
Testing to Destruction erwies sich als überraschend hochklassiges, vor allem aber als unerwartet robustes und vitales Fusion-Album. Zweifellos ahmen Cross und seine exzellente Begleitband die KC jener Phase nach, jedoch modernisieren sie sie und lassen sie geschmeidiger klingen, weniger akademisch. Nicht alles hier muss sich anhören wie Fingernägel, die über eine Tafel kratzen, während einem gleichzeitig ein antiker Titan mit einer Basaltsäule auf den Kopf schlägt. Aber der Titel darf durchaus ernst genommen werden, denn manches wird wirklich bis an die Grenzen der Belastbarkeit getrieben. Hauptsächlich natürlich die Geige.
Das gewaltige Seefahrer-Epos „Calamity“ könnte sich anhören wie die Coverversion eines KC-Stücks, das es nie gab, würde da nicht mittendrin urplötzlich auf Schweinrock umgeschaltet und ab da heftig drauflos gescheppert, gedrückt und gequietscht, dass es eine Wonne ist. Sänger/Bassist John Dillon operiert auffällig im John-Wetton-Modus, Drummer Dan Maurer nimmt sich Bill Bruford zum Vorbild und schlägt eine wunderbar trockene Snare ohne den geringsten Hall, und Keyboarderin Sheila Maloney arbeitet Fripps Mellotron-Parts in warmherzige Synthesizer-Texturen um. Cross’ Violine ist so gewaltig und omnipräsent, dass man das Fehlen von Fripps Gitarre kaum registriert. Gitarrist Paul Clark versucht gar nicht erst, hier irgendwas zu kopieren, sondern hat eher Spaß am guten alten Hardrock. 
„The Swing Arm Disconnects“ könnte man mit etwas gutem Willen als ein Ineinanderblenden und gleichzeitiges Aktualisieren von „Larks’ Tongues in Aspic/Part one“ und „The Talking Drum“ interpretieren – eine monströse Studie in Jazzrock-Violine und hochflexiblen Rhythmusmustern. „The Affable Mister G.“ und „Tripwire“ erweisen sich als Hard-Pop-Songs in der üblichen KC-Schieflage, wobei „Mister G.“ durchaus an Adrian Belew und die KC-Inkarnation der frühen 80er gemahnt. Die Ethno-Parts von „Abo“ (Kürzel für „Aborigines“) geraten allerdings etwas zu erwartbar und geschmäcklerisch. 
Testing for Destruction bleibt also in der Familie und ist für Sympathisanten von starkem Interesse. Wenn irgendwer der Auffassung sein sollte, die King Crimson zwischen 1973-75 hätten noch nicht alles gesagt, dann findet er die Fortsetzung bei David Cross. 

Montag, 26. August 2013

UK

UK waren eine kurzlebige Supergroup der zweiten Siebzigerhälfte. Der Name hätte origineller sein können, finde ich. Sie setzte sich zusammen aus Mitgliedern der eben zerbrochenen jüngsten King-Crimson-Besetzung, John Wetton und Bill Bruford nämlich, sowie dem Jazzrocker Allan Holdsworth (Soft Machine) und Eddie Jobson (Roxy Music). Diese Besetzung hielt ein Album lang, und danach wurde nicht mehr viel draus. Kreative Differenzen, weniger Erfolg als erwünscht – wie es so geht. 
Wetton fand sich später bei den Kommerzrockern Asia wieder (und verdiente auch mal ein bisschen Geld), Jobson veredelte eine Zeitlang Jethro Tull, Bruford wurde wieder Teil der neuen, hibbeligen King-Crimson-Inkarnation. 
Jobson kümmerte sich in den folgenden Jahrzehnten immer mal wieder um eine Revitalisierung, scheiterte aber zumeist am juristischen Widerstand John Wettons. Insofern war es erstaunlich, dass sich ausgerechnet Jobson und Wetton 2011 zusammentaten und eine Reunion hinlegten, die in Tokio live dokumentiert wurde. Das Live-Doppelalbum krankt an einem miesen Sound, wie es heißt, aber auf der ebenfalls erschienenen DVD merkt man davon nichts. Die beiden anderen Bandmitglieder von damals wurden ersetzt durch zwei jüngere Session-Profis mit Jazzrock- und Fusion-Erfahrungen, den deutschen Weltklasse-Schlagzeuger Marco Minnemann und den in L.A. lebenden österreichischen Gitarristen Alex Machacek. 
UK sind natürlich auch in dieser Formation etwas akademisch. Kein Wunder, sie haben King-Crimson-DNA und spielen einige Stücke aus Wettons Zeit bei KC. Aber genau wie das Vorbild können sie auch ungeheuren Druck machen. John Wetton ist ein bisschen füllig geworden, verfügt aber trotz gewisser Alkoholeskapaden in der Vergangenheit immer noch über die beste Stimme des ProgRock-Genres und spielt eine schwere, schwere Bassgitarre. Musikprofessor Jobson schmeißt einen mächtigen Riemen auf die Orgel, und sein Markenzeichen, die transparente Plexiglas-Violine, zieht einem immer noch die Haut vom Leib. Alex Machacek übernimmt auf uneitle, fast dezente Art die Parts von Holdsworth und Fripp, nicht aber deren Manierismen. Sehr überraschend (für die, die ihn noch nicht kannten) kommt Marco Minnemann rüber, der dem genialischen Originaldrummer Bill Bruford seine polyrhythmische Referenz erweist und wunderbar mit/gegen/neben/unter/hinter dem Takt trommelt. Ich wünschte, der Mann würde über uns wohnen und täglich zwei, drei Stunden üben.

Montag, 12. August 2013

Zwei Welten

In dieser Wohnung existieren zwei Welten. Sie lassen sich recht einfach separieren durch „Lärmschutzfenster während Berufsverkehr auf“ und „Lärmschutzfenster während Berufsverkehr zu“. 
Die erste Welt ist lebendig und betriebsam, voller Zischen, Sausen, Rauschen, Quietschen, Röhren und lautem Plappern oder Lachen; alle Verrichtungen innerhalb der Wohnung laufen schneller und effizienter ab, passen sich dem Rhythmus von draußen an. Man fühlt sich jung, kann kaum stillsitzen und möchte unbedingt Anteil haben an dem rätselhaften Geschehen, an den Tätigkeiten, an den Wegen von A nach B, am Gewusel, und man möchte den Nachttopf durchs Fenster entleeren und dabei rufen: „Vorsicht, da unten! Scheibenwischer an!“ 
In der zweiten Welt ist das alles ganz weg. Da will man sich sofort den Kimono überstreifen, in die liegende Position wechseln und sich dem altehrwürdigen Schrifttum und dem Ikebana widmen, dabei dem leisen Prötteln der Kaffeemaschine lauschen, dem zarten Schnarchen des Katzentiers, dem Plätschern des Springbrunnens im Patio, den Vögelein von hinterm Haus, möchte die Düfte des Bewuchses um sich wehen haben und sanftmütig ins Nickerchen hinüberbegleitet werden. 
Und natürlich ist es gut zu wissen, dass, wenn einem das alles auf den Senkel geht, man einfach nur die Fenster wieder öffnen muss.

Samstag, 10. August 2013

Bundestagswahl

Dieses Mal macht sich da zugegebenermaßen eine gewisse Ratlosigkeit breit. 
Die Grünen formulieren eine Art Gängelei-Agenda zur Weltverbesserung aus und haben wie üblich keinerlei Humor. Die FDP hingegen hat einen viel zu bizarren Humor, als dass er regierungsfähig wäre. Die Linke liegt im Magen wie ein Fass voll mit ausgehärtetem Beton, und mein Mitleid mit den Partei-Prominenten äußert sich darin, dass ich bei ihrem Erscheinen auf dem Fernsehbildschirm sofort umschalte. 
Die AfD besteht aus langgedienten Tagungsexperten, die hauptsächlich darauf trainiert sind, Buffets kahlzufressen. Die Piraten sind eine Zusammenkunft von tragikomischen Indoor- und Kellerschacht-Schraten, das Internet ist meiner Meinung nach sowieso scheiße, und die mit ihnen verbündeten Promis sind funktionsgestörte Dröppelminnas wie Juli Zeh. Die CDU, die ehemalige katholische Zentrumspartei und natürliche Heimat des Dorfjungen, bevor er achtzehn und damit wahlberechtigt wird, entfällt wegen Pofalla. Es bleibt also wohl doch nur wieder die SPD – in der Hoffnung, dass sie nicht gewinnt.

Donnerstag, 8. August 2013

Knöllchen

Meine Knöllchen-Geschichte ist eher eine übersichtliche. Ich war da meistens auf der korrekten Seite. Nicht immer, aber meistens. Kein Parken in zweiter Reihe, nicht in Ladezonen, nicht auf Behindertenplätzen, nicht in Einmündungen oder Feuerwehrzufahrten.
Mannomann, denke ich also jetzt, wieso habe ich denn da dieses Knöllchen am Auto? Es gibt keinen offensichtlichen Grund dafür. Kein Parkverbot, Anwohnerparkerlaubnis gut sichtbar, Kennzeichen dran, TÜV in Ordnung, Umweltplakette dran. Wieso kriege ich nach sechs selbstverständlichen Jahren im Anwohnerparken plötzlich eine Knolle? Und wieso erst nach einer kompletten Woche Standzeit auf dieser Position? Der Belehrungstext auf dem Knöllchen verkündet: „Verkehrsteilnehmer, Kölsche Jung! Mein Meedels und isch sön gar nisch fruh. Wart of den Schriev von da Stadt mit Begründung und nerv üs nit vorher mit irgendwat Scheißeingaven, du Ei. Emeffgee und so, de Ob-er-bür-ge-mee-ster." 
Also mal eben selbst recherchiert. Und siehe da, nach geschlagenen sechs Jahren haben erst der Oberbürgermeister und seine Mädels und in der Folge jetzt auch ich begriffen, dass die vorderen zwei Drittel der parkseitigen Fahrspur der Volksgartenstraße gar nicht fürs Anwohnerparken freigegeben sind, sondern nur für normale Parker. Und wer stand da breitärschig eine Woche lang mitten drin? Genau. 
Er hat also recht, der Oberbürgermeister. Ich werde ohne Renitenz zahlen. Im Geiste höre ich seine ermahnenden Worte: „Musste mal frieher of Lageplan von An-woh-ner-par-ken gucken, ne, Ei?“
An der Pauluskirche parkt es sich eh besser. Weniger Vogelkacke und mehr spirituelle Ruhe fürs Auto.