Freitag, 15. November 2013

Take Me To Your Leader

Acht Jahre nach der Veröffentlichung dieses Album von 2005, des einzigen vollwertigen Hawks-Studioalbums der Nullerjahre, darf man es sich guten Gewissens mal wieder zwischen die Neuronen zwirbeln, um es abschließend zu bewerten. 
Die erweiterte Band der zweiten Neunziger-Hälfte ist passé, es agiert nach einer achtjährigen Pause (!) seit dem letzten Studioalbum wiederum das Trio Brock/Davey/Chadwick, das bereits die erste Neunziger-Hälfte bestritten hatte. Allerdings hat man sich zum Veredeln der Studioaufnahmen diverse Gäste geladen. Am auffälligsten aktiv sind die Gesangsikonen Arthur Brown und Lene Lovich sowie Saxophonist Jez Huggett und TV- und Radiomoderator Matthew Wright als Sänger/Sprecher. 
Die Platte hat eine komplizierte Produktionsgeschichte, vieles lag in der Schublade, und einige der Stücke waren schon Jahre alt, ehe sie es endlich auf diese CD schafften. Take Me To Your Leader ist ein Quasi-Konzeptalbum über Mensch/Maschine-Interaktionen, ausgehend von Robert Calverts Text zu „Spirit of the Age“ (1977), das dementsprechend eine Neuinterpretation erfährt, gleich als Opener. Matthew Wright übernimmt den Gesangspart im Calvert’schen Stil, musikalisch wird der Klassiker upgedated und mit allerhand neuem Stampf, gleißenden Gitarren und Samples versehen. Die Versionen der Calvert-Ära sind damit allerdings nicht zu überbieten. 
Take Me To Your Leader ist auch das erste Hawkwind-Album, das zwischendurch mit einem entspannten, loungigen Jazz-Faktor aufwartet, so etwa auf „Out Here We Are“, das als amorpher Space-Schweber beginnt und sich dann überraschend auf Jazz-Kurs begibt. „Greenback Massacre“, ein schneller Rocker aus Alan Daveys Fertigung, ist eher gescheitert. Davey möchte mal wieder wie Lemmy Kilmister sein, kommt aber wie stets nicht an sein Idol heran. Musikalisch astrein, aber als Song zu banal gebaut. Ganz anders „To Love A Machine“, eine von Dave Brocks berückendsten Kompositionen zwischen Melodic Rock, Gestampfe und kammerspielartigen Intermezzi auf der Akustikgitarre. Ein weithin unterschätzter Song von nicht unerheblicher Schönheit, dessen letzte Minute wiederum in Jazz-Geklimper ausgleitet. Das Titelstück, eine Übung darin, wie man Hawkwind mit Drum’n’ Bass verhochzeitet und Industrial und Ambient als Trauzeugen dazulädt, ist eines der herausragenden Stücke des Spätwerks dieser Band. „Digital Nation“, ein Song über Computerspielnetzwerke und ein voll ausgearbeiteter Melodic Rocker mit balladesken Zügen, ist der erste Song aus Drummer Chadwicks Feder und belegt unerwartete gesangliche Qualitäten des Schlagwerkers. Auf den jüngeren Alben agiert er diesbezüglich oft zu hysterisch und durchgeknallt, aber hier macht er auf weich und melancholisch. Kein Song, für den er mit Preisen totgeschmissen würde, aber eine sehr solide Angelegenheit. „Sunray“ ist der erste Auftritt von Gastsänger Arthur Brown; das ganze Stück stammt aus seiner Fertigung. Leider. Es ist definitiv kein Hawkwind-Song, und Browns enormes Vokalorgan passt nicht zu einer Band, deren Stärke eher das bratzige Kollektiv ist, keinesfalls jedoch der Sänger. Ab und an kann man das ertragen, aber Browns Engagement ging schon auf dem vorherigen Live-Album Spaced Out in London und der dazugehörigen DVD Out of the Shadows zu weit. 
Mit „Sighs“ wird ein kurzes, gesichtsloses Instrumental-Einsprengsel absolviert, ehe mit „Angela Android“ ein weiterer Höhepunkt folgt. Die skrupellos nach vorne gestampfte Geschichte eines Liebesroboters, wiederum super vorgetragen von Chadwick, wird in der zweiten Hälfte schön strange, wenn Lene Lovich die Rolle des Roboters übernimmt und sich in halsbrecherische Höhe kiekst. Eine tolle Retro-SF-Kiste. „A Letter to Robert“ kehrt zum Anfang zurück, zu Calvert nämlich, und präsentiert zu allerhand technoider Rhythmik einen launigen Monolog Arthur Browns, in dem er sich an seinen Kumpel Robert erinnert und an dessen Weltbild brillanter Paranoia, die sich aus Technikfaszination und Technikhass zugleich nährte. 
Kurz nach dieser CD erschien noch die EP Take Me To Your Future, die einige auf dem Studioalbum ausgelassene Tracks nachschob. Erwähnenswert ist auch die nur als Single-B-Seite verwendete Neuaufnahme des grandiosen „Paradox“ von 1974. 
Die Stärken von Take Me To Your Leader liegen in einer gravitätischen, kreativen Mitte und auch nach hinten raus. Der ganz große Befreiungsschlag war das sicher nicht, aber als Lebenszeichen einer damals nahezu verschollen geglaubten Band mehr als erwünscht. Es dauerte fünf Jahre bis zum nächsten Studioalbum, wiederum unter völlig veränderten Bedingungen.