Ursprünglich als Großprojekt der 70er geplant, als Doppelalbum mit flankierendem Fantasy-Roman, als Konkurrenzprodukt zu Yes, ELP oder Genesis, wurde Warrior on the Edge of Time 1975 zur Einzel-LP zusammengestrichen. Das tat dem Werk vermutlich gut, denn es wirkte konzentrierter und hatte wenig Gelegenheit, allzu sehr abzudriften. Aber mal unter uns: Natürlich hätte man schon gern das komplett konzipierte Monstrum gehört.
Es ist der klassische Hawkwind-Output, ein Meisterwerk, eine der tollsten Platten der 70er. Die späteren CD-Veröffentlichungen krankten allesamt daran, dass sie a) vom knisternden Vinyl überspielt wurden oder sich b) nur auf abgenudelte Master-Tape-Kopien berufen konnten oder c) auch noch illegal waren. United Artists hielt die Originaltapes in seinen Verliesen unter Verschluss. Vor kurzem jedoch kam es zu einem Deal, so dass Cherry Red Records seiner großen Edition von HW-Neuauflagen nun auch dieses klassische Album hinzufügen kann – endlich aufwendig entstaubt und remastered und mit Boni versehen; geplant sind drei verschiedene Album-Versionen für die ganz doll Audiophilen.
Begleitend zur Publikation im Mai wird die aktuelle Band auf einer UK-Tournee das komplette Album aufführen. Es bleibt zu hoffen, dass eine Live-Platte nachgeschoben wird, denn die Hawks sind nun mal berüchtigt für die Umdeutungen und Aktualisierungen ihrer alten Stoffe. Einiges von diesem Album gehört zum Live-Standard („Golden Void“, „Magnu“), aber kaum vorstellbar, wie sich selten aufgeführte Stücke wie „Opa-Loka“ oder „The Demented Man“ heute anhören könnten. Gerüchten zufolge frickeln und üben Brock und Co. bereits heftig in den Earth Studios in Devon. Meine heimliche Hoffnung ist, dass sie wenigstens Geiger Simon House engagieren, wenn Lemmy „Motörhead“ Kilmister schon keine Zeit hat.
„Warrior“ ist Fantasy ohne Wenn und Aber. Als ich die LP damals in Saarbrücken kaufte – wird so 1983 gewesen sein –, haute sie mich um, und ich war wochenlang nicht ansprechbar. Denn nie zuvor waren in meiner kleinen Biographie die Lese- und Weltfluchtinteressen des jugendlichen Lebensalters so derart mit Rockmusik in Deckungsgleichheit gebracht worden, seitdem eigentlich auch nie wieder. Für mich wurde es zur Definition von Rockmusik. Und es war Zufall, keine Absicht. Bis dahin waren die Dinge getrennt voneinander gelaufen. Jetzt aber entstanden endlich Synergien, regte sich die Multimedialität. Warrior on the Edge of Time war ein Initiationsritual und entwickelte sich zum Kraftzentrum. Ist es auch geblieben.
Aus heutiger Sicht deutet die Platte voraus sowohl auf pathetischen Fantasy-Metal späterer Jahre wie auch auf Neo-Progressive. Nicht zu kompliziert verfrickelt, nicht zu akademisch und analytisch, aber doch avantgardistisch und stets ungemein sinnlich. Symphonische Klanganballungen, Bombast geradezu, titanische Mellotron- und Synthesizer-Mauern. Zwei Schlagzeuger, überall proto-tribalistische Perkussion, Lemmy Kilmister am Bass und die Ursprungsversion des Songs „Motorhead“ als Single-B-Seite, echokammerverstärkte Violine, Flötenflirren, bardenhafte Akustikgitarre, schwere E-Gitarren-Riffs und jede Menge Drama. Für Letzteres ist Michael Moorcock zuständig, der speziell für dieses Album Texte aus dem Universum des „Ewigen Helden“ schrieb und sie auch mit mächtig verzerrter Stimme vorträgt, während hinter ihm die Kriegstrommeln wummern und die Schlachtrösser wiehern. Wunderliche Pulp-Apokalypsen vom Ende der Zeit. Martialische Kunstmärchen, bei deren Vortrag einem angst und bange wird. Die Texte fanden später Eingang in Moorcocks Roman The Dragon in the Sword.
Mächtiges, abstruses Edel-Pulp-Ding, Kampf dem verderblichen Rationalismus!