So kann’s gehen. Da wollte ich unlängst mal eine Karte für das neu angesetzte Killing-Joke-Konzert morgen besorgen, und es stellte sich heraus, dass der Gig wohl schon seit einiger Zeit restlos ausverkauft ist. Hab ich verschwitzt. Immerhin habe ich nun eine gute Ausrede, meinen schwächlichen Altmännerkörper nicht diesen Phonzahlen aussetzen zu müssen. Ich wünsche den jungen Dingern viel Spaß, aber dass mir keine Klagen kommen über pulverisierte Zwerch- und Trommelfelle und explodierte Köpfe.
Es bleibt also die neue Platte, heute erschienen. Ist wieder in der ganz frühen O-Besetzung und darf verstanden werden als ein Zusammenführen der Fäden (oder besser: der Stahltrossen), die in 30 Jahren Bandgeschichte über einem durchs schiefergraue Firmament gezogen wurden. Eine dreckige, dumpfe Produktion wie auf dem letzten Album, aber sehr viel mehr aufgebrochene Soundwälle, was Uniformität und Monotonie verhindert. KJ ist zu einem um die 20% liegenden Anteil wieder eine Popband. Dadurch, dass Jaz Coleman in vielen Songs seinen weichen Gesangsstil bevorzugt, gerät das manchmal so melodisch und wavig wie in den 80ern, allerdings mit einem brennenden Nullerjahre-Punk-Metal-Riff-Gitarrenbrett, einem sumpfigen Bass und dem mächtigsten Metronom der Welt, namentlich Big Paul Ferguson am Schlagwerk. Eine Vielzahl von Scapes, einige Elektro-Pop-Momente, dicht und pathetisch im Ausdruck, brutal und balladesk. Ständige Ambivalenzen, erzeugt durch das direkte Nebeneinander der Dinge. KJ ist schön und elysisch, KJ ist hässlich und dämonisch, KJ ist Progressive Rock mit dem Dreschflegel.
Colemans neu entdeckte Vielseitigkeit im stimmlichen Ausdruck macht die Sache ungemein spannend, auch wenn er manchmal hinter den Instrumenten proklamiert, als stünde er etwas abseits des Geschehens. Wenn man gefragt wird, was von Killing Joke einst bleiben wird, verweise man in Zukunft bitte auf dieses programmatische Album. Britische Medien haben ihre Features zu Absolute Dissent überschrieben mit „The Dark Knight Returns“.
Worum geht’s? Polit-Rock, globaler Tribalismus, Rückgewinnung von Spiritualität, Mystizismus und Ethik, fundamentalgrünes Denken, modern angedacht. Überwachungsstaat, Biotech, Kapitalismus. Hass/Verachtung, Idyll/Schönheit stehen nebeneinander, durchdringen sich. Manch einem sind Colemans Botschaften zu radikal; ich persönlich halte seine ewigen Apokalypsenmessages für reinen Reflex. Da hat sich weltanschaulich nicht viel getan. Problem: Der Weltuntergang kam seit 1979, dem ersten Bandjahr, nicht. Langsam ist also gut. Aber man darf sich getrost überraschen lassen. Der Titel des Songs „European Super-State“ suggeriert vielleicht Kritik an aufgeblähter Bürokratie, Gleichmacherei und Reinrednerei, tatsächlich aber ist der Text ein Plädoyer für Europa und beinhaltet die Aufforderung, daran mitzuwirken. Dies ist mir in 'radikalen' Kreisen so noch nie begegnet. „I’m a Judeo-Christian morality with a Greco-Roman intellect/It’s the way we’re short-wired/It’s a civilising force that demands respect from the Baltic to the Straits of Gibraltar/(...)/A blue flag gold star sparks a brand new empire/Ours to build, ours the choice.” Muss auch mal gesagt werden dürfen, auch wenn es Berufsbesserwissern nicht passt.
Leider schaffte es das beschwörende „Kali Yuga“ nicht auf das Album, und man hätte sicher den ein oder anderen Apokalypse-Song gegen diesen Maxi-Track austauschen können, um das Album zu optimieren.