Neulich ist Siggi Roth gestorben.
Im Jahr 1982 begann ich bei der „Sportaufnahme“ der Trierer Lokalzeitung und machte den Job, von einer einjährigen Unterbrechung abgesehen, bis 1998, sogar durch die Zeit des Wehrdienstes hindurch. Es war ein blinder Nebenzweig der Sportredaktion, besetzt mit Leuten, die das zusätzliche Honorar brauchen konnten. Sonntagabends wurden Ergebnisse und Spielberichte des Regionalfußballs durchgegeben, auf vorsintflutliche Gerätschaften (wiederbespielbare Platten!) aufgezeichnet und dann in die Schreibmaschine gehämmert. Die freien Mitarbeiter, die draußen in der Region die Ergebnisse sammelten und telefonisch durchgaben, waren nicht selten angeheitert oder besoffen, so dass die richtige Schreibweise von Torschützennamen in der Montagszeitung meistens auf Zufall oder Scrabble-Experimenten unsererseits beruhte.
Zur Crew gehörte auch der heutige Chefredakteur des Trierer Bistumsblatts, jung und langhaarig war der damals noch. Und eben auch Siggi Roth. Er war Festangestellter des Hauses und betreute zusammen mit einem Herrn namens Wolf den Aufnahmeraum. In dem gingen Nachrichten aus aller Welt ein und aus. Das Internet war noch ein feuchter IT-Traum, damals lief das alles über Telex, Fernschreiber oder Telefon. Die Sache wurde erst in den folgenden Jahren schrittweise moderner.
Herr Wolf ging irgendwann in Rente und starb wenig später. Er war ein Kettenraucher alter Schule; der Aufnahmeraum glich stets einer wabernden Nebelbank. Kollege Roth verblieb im Haus, wurde später in den Abteilungen herumgeschoben, ehe auch er in Rente ging, bald darauf einen Schlaganfall erlitt und zum Pflegefall wurde, was man so hörte. Ich weiß nicht, wie schlimm sein Zustand in den letzten Jahren war. Nun, am 20. August, ist er im Alter von 64 Jahren gestorben und ließ sich anonym bestatten.
Sicher war er etwas seltsam und nicht bei allen beliebt. Der Nachruf der Zeitung auf den eigenen Traueranzeigenseiten soll recht schmal ausgefallen sein. Ein fleischiger, jovialer Typ war er, der einen mit seiner No-Bullshit-Einstellung schon manchmal gewaltig nerven konnte – und mit seinen Verschwörungstheorien, die sich auf die Weltpolitik ebenso bezogen wie auf die Interna im Verlagshaus. Lange Jahre kam er mit dem Mofa angeknattert, den ganzen weiten Weg aus Konz. Begeisterter Angler war er und trat für einen "verantwortungsvollen Umgang" mit dem Flossentier ein. Er hatte eine geistig behinderte Tochter, klagte aber kein einziges Mal darüber, sondern sprach, wenn die Rede auf sie kam, immer zart von „seinem Mädchen“. Als ich den Job schließlich aufgab, war Siggi Roth immer noch im Haus, und ab und zu trafen wir uns in der Stadt und hielten ein Schwätzchen, der Dicke und ich. Seine Lache war irgendwo zwischen schallend und keckernd. Mit meiner später dazugestoßenen Kollegin Christina hat er sich sehr gut verstanden, weil beide Diskussionen mochten. Ich weiß gar nicht, ob sie von seinem Tod weiß. Wenn ich's recht überlege, weiß ich nicht mal, wo sie überhaupt abgeblieben ist.
Also, trotz anonymer Grabstätte und womöglich verwehter Urnenasche – die Erinnerung an Siegbert Roth ist hiermit schriftlich fixiert worden und ins Internet eingegangen.