Gestern gab’s einen Beitrag der Sendereihe „37 Grad“ (ZDF) über drei beinharte weibliche Fans, jede auf ihre Art hingebungsvoll an einen Künstler gebunden. Ein Teenie-Girl, das Sarah Connor anhimmelt. Soweit halbwegs normal und bekannt, inklusive der erschütternden Naivität, die diese Sängerin als eine messianische Figur begreift und nicht als das, was sie ist: ein kühl kalkuliertes Industrieprodukt, das jungen Mädchen Anteilnahme an ihrer Gefühlswelt vorgaukelt. Dann eine gesundheitlich angeschlagene Endfünfzigerin, die es mit Roy Black hat. Devotionalienschrein im Keller nebst Devotionalienarchiv, Roy-Black-Rose im Garten und duldsamem Ehemann. Auch nichts allzu Irritierendes, teils sogar richtig rührend.
Fall drei hingegen war rätselhaft. Eine 30jährige Bauzeichnerin steht auf Walzertorte André Rieu. Diese junge Frau, die ihr Leben durchaus noch vor sich hat und grundsympathisch wirkt, verfügt über zwei Beine, zwei Arme, einen Kopf, blondes Haar (keck zu Girlie-Zöpfen geflochten), einen Hintern und Busen, hat einen Beruf und ein Auto, ist modern gekleidet und eine mehr als aparte Erscheinung. Will sagen: Mit der scheint sonst eigentlich alles in Ordnung. Dann sagt sie jedoch Dinge wie: Wenn Rieu (58) morgen beschließen würde, die Geige an den Nagel zu hängen, hätte sie ein ernstes Problem. Sie gibt freimütig zu, dass sie bei SEINEN Konzerten stets die Jüngste im Publikum ist, und behauptet, dass ER sie genau deswegen von der Bühne herab länger anschaut als die anderen, während sie zugleich die erotische Komponente ihrer „Beziehung“ verneint: ER sei zu alt für sie, ja, sie halte IHN schon für einen attraktiven Mann und würde auch sicher gerne mal mit IHM essen gehen, aber nein, um diese Art von Verhältnis ginge es ja gar nicht.
Ich ertappe mich dabei, fasziniert zu sein. Niemals habe ich von „so einer“ gehört. Wenn sie wenigstens Hartmut Engler von PUR anhimmeln würde, ja, das ließe sich verstehen. Das ist der scheußlichste Sänger von der scheußlichsten Band der Welt, aber es wäre zumindest verständlich. Es wäre irgendwie normal, denn dem fliegen solch empfindliche Frauenherzen doch zu wie aus der Tenniskanone geschossen. Hört man zumindest. Aber Walzerbacke Rieu? Ich meine, wie tief muss man mit Dreißig schon gesunken sein, um …?
Die Küchenpsychologie in mir arbeitet auf Hochtouren. Die junge Frau hatte eine schwere Kindheit, mutmaße ich, ihre Eltern haben sich früh getrennt. Oder sind früh verstorben. Und einen Kerl hat sie auch nicht, nie einen gehabt, mit dem sie etwas anfangen konnte, oder sie konnte denjenigen, der etwas taugte, nicht halten. Irgendsoein Trauma wird wohl dahinter stecken. Ich liege vorerst völlig falsch, wie sich bald darauf herausstellt. Ihre Eltern erfreuen sich bester Gesundheit, sind selbst beinharte Rieu-Fans und haben ihre Leidenschaft an die Tochter weitergegeben. Der Mutter scheint es insgeheim fast ein bisschen peinlich, dass Töchterlein durch sie auf diesen Trip geraten ist. Die Mutter hat es auf unartikulierbare Weise im Urin: Gutgewachsene Dreißigjährige sollten ihre Freizeit eigentlich nicht damit verbringen, stundenlang Rieu zu hören, auf Video zu schauen und anzuschmachten. Und dann noch eine Überraschung: Sie ist längst verheiratet. Der Ehemann kann allerdings mit ihrer Leidenschaft wenig anfangen, taucht in dem Beitrag nur als stummer Statist auf und verlässt dann – irgendwie symbolisch – das Haus. Als er weg ist, sitzt sie im Wohnzimmer und erzählt wieder davon, Rieu sei zwar erotisch, aber wohl doch zu alt für sie – als müsse sie sich das einhämmern, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Ich fange an, vor Entsetzen zu zittern, aber da ist die Sendung schon vorbei. Ich fordere vom ZDF eine „extended version“ dieses einen Falls, eine 120-Minuten-Doku über das Leben und den Alltag dieser komplett rätselhaften jungen Frau. Für meine Gebühren möchte ich nicht so holterdipolter abgefertigt werden, sondern gefälligst wissen, was da falsch gelaufen ist. Ob man die junge Frau eventuell zu diesem oder jenem Zeitpunkt ihres Lebens hätte retten können, bevor sie für sich selbst die Hölle wählte. Und warum grinst und kichert ihr Vater immer so merkwürdig?