Vor Jahren tauchte aus dem Nichts dieser Detlef Soost auf und durfte überall seine Ideologie verbreiten. Die hörte sich beim ersten Mal auch gar nicht so verkehrt an. Mach es so wie ich, sagte er, arbeite an dir und komm aus der Gosse ganz nach oben. Ehrgeiz, eiserner Wille und Disziplin sind gefragt, eventuell auch Talent, wenn's sein muss. Auf jeden Fall aber eine große Schnauze. Das Talent von Detlef Soost, der - ganz Reduktionist - sich fortan D! nannte, erstreckte sich auf den brutalisierten diskothekenkompatiblen Ausdruckstanz – oder wie immer man das Gehüpfe nennen will, das er vorführte. Sogar das ZDF gönnte ihm eine Betroffenheitsdoku und wies ihn aus als jemanden mit einer Mission: Das eigene Modell des Hart-an-sich-Arbeitens wollte er der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, natürlich mit sich selbst als Vortänzer. Andere können auch so werden wie er. Soost öffnete seine soziale Ader und gab kund, die Kids mit seinen Projekten von der Straße zu holen, vergleichbar mit den Box-Trainern, die in sozial unterdeterminierten Stadtvierteln Kurse für Jugendliche anbieten, um Aggressionen zu kanalisieren und kathartisch abzuarbeiten. Ein bisschen Anerkennung fällt dabei vielleicht auch noch ab. Soost wollte nicht boxen, nein, sondern die Jugend zum Tanzen bringen. Eine Illusion, die schon damals unter ihrer idealistischen Oberfläche schrecklich nach kontrolliertem Faustrecht müffelte.
1964 drehte Sidney Lumet den Film The Hill (deutscher Titel: Ein Haufen toller Hunde). Darin geht es um ein britisches Sträflingslager in Nordafrika, in dem während des 2. Weltkriegs straffällig gewordene Soldaten resozialisiert werden sollen. Das Drehbuch, nach einem Theaterstück entstanden, ist unglaublich präzise; veredelt wird das Ganze durch eine Konzentration von Schauspieltalent, wie man sie selten zu sehen bekommt: Sean Connery, Ian Bannen, Ian Hendry, Harry Andrews, Michael Redgrave, Ossie Davis, Roy Kinnear, Jack Watson und und und. Der Film gilt als eines der heftigsten und leidenschaftlichsten Plädoyers gegen die „Kultur“ des Militärs überhaupt, gegen die faschistoiden Tendenzen, die jeder Armee der Welt innewohnten und wohl auch weiterhin innewohnen. Die Individuen werden gebrochen, um danach wieder aufgebaut zu werden, ganz nach den Maßgaben des Militärs. Sie werden wieder zu brauchbaren Soldaten und Kanonenfutter. Die Sträflinge wehren sich mit Intelligenz, Individualität und schließlich auch mit Gewalt gegen die Misshandlungen. In diesem Film sitzt jede Geste und jeder Satz, hier wird mit Leidenschaft argumentiert, und nebenbei ist The Hill ausgesprochen komisch. So war das noch in den Mittsechzigern.
Die Botschaft des Films ist inzwischen vergessen, heute gibt es jedoch Detlef Soost, der eiskalt das wiederholt, was Harry Andrews in Gestalt des Hauptfeldwebels in The Hill den Neuankömmlingen im Lager mitteilt. Er zeigt auf das Tor, das sich gerade hinter ihnen geschlossen hat, und meint: „Wenn ihr hier fertig seid, werdet ihr da heraustanzen wie die Puppen!“ Das hätte Harry Andrews gern, aber es geht natürlich ganz anders aus, dieses Drama.
Nicht so bei Soost. Da funktioniert alles. Seine wackelige, aber sympathische „Aus dem Loser wird ja doch noch was“-Ideologie ist auf dem Weg zu „Popstars“ umgekippt und wälzt sich im Staub von Bootcamp und Umerziehungslager. Soost erzeugt mit seinen vorgeblichen Sozialtherapien keine selbstbestimmten Individuen, das war nie seine Absicht, sondern Puppen, mit denen er sein brüchiges Ego (und natürlich seine Konten) füttert. Soost ist das Update von Harry Andrews: Er erschafft aus Sand und sozialem Lehm Kanonenfutter für die Medienwelt. Und wenn die Püppchen verheizt sind und als Moderatorenimitationen bei „Neun Live“ enden, kommt eben der nächste Schwung ins Lager, die nächste Staffel „Popstars“.
Diese Sendung hat Chuzpe. So fest wurden Sozialdarwinismus, Menschenverachtung und Kommerz noch nie zuvor zusammengebacken.
The Hill ist übrigens skandalöserweise nicht auf DVD erschienen, und das VHS-Band kriegt man auch nirgendwo.