Sonntag, 23. August 2009

Idyll mit Sensenmann

Der „Drei-Flüsse-Radweg“ ist genau so pittoresk, wie sein Name klingt. Auf Französisch hört er sich leicht umständlich an: „Piste cyclable des trois Rivières“. Mit den drei Flüssen sind Our, Sauer und Mosel gemeint; der Weg ist von Norden bis Süden 86 Kilometer lang und geht von Vianden (tolle Burg!) bis nach Schengen (wo bekanntlich mal alle Grenzen fielen).
Ich halte mich an ein Teilstück entlang der Sauer und an das deutsche Pendant („Sauertalradweg“), das über die alten Grenzübergänge oder Radfahrer-/Fußgängerbrücken erreicht werden kann. Auf dem Campingplatz Metzdorf kann es passieren, dass man beinahe einen torkelnden Restalkoholiker touchiert, der einem irgendetwas Unverständliches hinterherlallt. In Born begegnet man dem Sensenmann, nicht dem allegorischen, sondern dem echten steinalten Bäuerlein, das gefährlich nahe am Radweg Gras für die Karnickel mäht und nicht wirklich auf Radfahrer achtet, wenn es die Sense schwingt. Nachdem man dem Mähgerät entkommen ist, gibt das merkwürdige alte Hochhaus oben an der Hauptstraße Rätsel auf: mittendrin im Bauerndorf, zerdepperte Fenster, abblätternder Putz, wie zur Sprengung vorgesehen, aber eben zu sehr mittendrin für solcherlei. Also steht es einfach da rum. Vermutlich die aufgelassene Zentrale einer landwirtschaftlichen Genossenschaft. Wird bei der nächsten Tour erkundet, denn ein Abstecher würde einem jetzt gerade das Tempo nehmen.
Die subjektiv beste Stelle befindet sich auf der Höhe des Dörfchens Hinkel, direkt gegenüber des Heimatdorfes, das sich auf der anderen, deutschen Flussseite den Hang hinaufarbeitet. Dort in Hinkel gibt es eine Steigung. Strategisch klug platziert ist die klitzekleine „Radlerschänke“ mit der Pappschild-Aufforderung: „Gönnen Sie sich eine Pause“, jedoch ist daran nicht zu denken, denn eine Pause würde einem den Rhythmus zerhauen. Direkt nach der Steigung kommt nämlich ein ekstatisches Gefälle, vorbei an zwei Bauernhöfen und in einen weitläufigen Rastplatz nahe dem Wasserkraftwerk mündend, der einem nach dem Ausrollen „Zigarettenpause!“ entgegenschreit. In Rosport wird einem der Spaß am dortigen kurzen Gefälle genommen, weil ein holländischer Familienclan breitärschig über den Weg latscht und man deren Krücken-Opa nicht umnieten will. Also vorsichtig durchschlängeln. Hinter Rosport dann die Sprudelfabrik mit dem Reiter-Logo. Man wünscht sich, es würde irgendwer an einem Campingtisch und unter einem Sonnenschirm an der Werkseinfahrt sitzen und Produktproben zur Verköstigung anbieten, aber bei den Sprudlern ist heute keiner da.
Steinheim erweist sich im unteren Teil als reinstes Idyll aus Bauernhöfen und Kirchplatz, die schönste Verweil-Bank der ganzen Strecke befindet sich hier am Ortsausgang. Auf der nicht mehr ganz neuen Brücke bei Minden knarzen die Holzbohlen, dass man befürchtet, gleich in den Fluss durchzubrechen. Zwischen Edingen und Godendorf erhascht man einen Blick auf den Fluss und ein Schwanenpärchen, dass einem kurzzeitig der Atem stockt und man abbremsen muss, so idyllisch ist das. Der Tunnel bei Ralingen ist hingegen ein gefährliches Ding, wenn man nämlich aus dem gleißenden Sonnenschein ins Stockdunkle rast, nur noch gelbe Flecken und tiefste Schwärze vor Augen hat und einem eine Truppe Hobbysportler entgegenkommt, die ebenfalls nur gelbe Flecken und tiefste Schwärze vor Augen hat, zu dritt nebeneinander fährt und keinen Gedanken an Gegenverkehr verschwendet. Weder ihre Asphaltkampfmaschinen noch mein Veteran besitzen eine Lichtquelle. Nachdem man das ohne Frontalkollision überstanden hat, kommt eine sehr kurze, sehr brutale Steigung, die man von weitem nicht für menschenmöglich hält, aber dann doch irgendwie packt, ehe es durchs Dorf bergab geht und sich die Sache abflacht und beruhigt. Es zieht sich ein bisschen bis nach Hause, da der Weg auf der deutschen Seite wegen einer Flussschleife sehr viel weiter ist als auf der ausländischen, man hat sozusagen die Außenbahn erwischt. Jedoch ist man dann schon zu sehr damit beschäftigt, telepathischen Kontakt zu der Flasche mit koffeinhaltigem Softdrink aufzunehmen, die man vor der Abfahrt klugerweise im Kühlschrank platziert hat.