Donnerstag, 19. November 2009

Zwiebelbaguette

Der verschlafene Plus um die Ecke wurde zu Netto. Zwei Wochen Umbaupause, Neueröffnung heute. 10% Rabatt auf alles. Als leidenschaftlicher Konsument habe ich diesem Datum entgegengefiebert und nach dem Aufwachen mal den Kundschafter gemacht, wohlwissend, dass heute allerhand Menschen in den einst so meditativen Laden strömen werden.
Ist nicht ganz so schlimm, aber mit dem Einkaufswagen hat man tatsächlich Probleme, an den Konsum- und Sparwütigen slalomtechnisch vorbeizuwedeln, denn in allen Gängen und an allen Ecken stehen die Billigheimer herum, studieren die Preise und rechnen in Gedanken 10% ab. Nix mehr mit Meditieren, man muss auf Gegenverkehr achten, den es früher nie gab. Wegen des größeren Warenangebots ist es zudem enger als früher. Mehr Regale, höhere Regale, Regalschluchten, in die niemals die Sonne scheint. Und beim Umkurven derselben brettert man garantiert in eine Oma mit Rollator, eine Großfamilie mit Migrationshintergrund oder einen WDR-Redakteur. Also parke ich den Wagen in einem lauschigen, unentdeckten Eckchen, wo er niemanden behindert, und mache mich zu Fuß an die Aufgabe, Übersicht über die neuen Standorte der Produkte zu gewinnen. Ziel ist die Erstellung einer Mind Map, damit ich schon beim nächsten Einkauf nicht gar so hilflos herumirre.
Die Produktpalette ist größtenteils die gleiche, jedoch mit mehr Variationen und einigen signifikanten Änderungen. Viel mehr Auswahl an Maggi-Kochstudio-Tüten! Ab jetzt auch wieder Getränkekästen! Ein Pfandautomat! Frische Backwaren in Frischhaltefächern!
Unglaublicherweise thront dort ganz oben ein frisches Zwiebelbaguette, das letzte seiner Art. Ich merke erst bei diesem Anblick, wie sehr ich Zwiebelbaguette vermisst habe. Zwiebelbaguette. Paradiesisch. Um diese neue Backwarenauslage hat sich seltsamerweise eine Traube Hostessen in schwarzen Kostümen und mit Klemmbrettern versammelt, offenbar eine Abordnung aus der Netto-Zentrale, die den Eröffnungstag analysiert. Als ich nach dem letzten Zwiebelbaguette greife, schaltet sich eine blonde Hostess ein und informiert mich, dass es sich um Zwiebelbaguette handelt. Ich stutze, sage freundlich danke und dass das ja dran stünde und ich mir demzufolge dessen absolut bewusst sei. Außerdem sehe ich ja die geilen kleinen Röstzwiebeln durch die Kruste schimmern. Ja, eindeutig Zwiebelbaguette. Ich blicke sie finster an, um klarzustellen, dass dies nun mein Zwiebelbaguette ist, komme, was da wolle. Wer weiß, vielleicht will die Tussi das Zwiebelbaguette ja für sich selbst. Sie meint zur Erklärung, manche würden nicht auf Anhieb verstehen, dass es sich um ein Zwiebelbaguette und nicht um ein normales Baguette handelt – das läge nämlich hier drüben -, und man wolle ja nicht, dass der Kunde gleich am ersten Tag Grund zur Beschwerde hätte. Ich atme erleichert durch und entspanne die geballte Faust in der Jackentasche.
Eigentlich wollte ich heute bloß mal kundschaften, aber der Wagen ist in Nullkommanichts voll. An der Kasse scannt die Fachkraft die Brechbohnendose aus Versehen zweimal ein und gerät angesichts der neuen Software in Panik, aber zum Glück ist „Frau Baum“ da, offenbar Chefin der Hostessentraube und nebenberuflich Softwarespezialistin, denn sie kommt sofort aus ihrer Warteposition im Eingangsbereich angerauscht und bereinigt das Problem auf dem Touchscreen.
Kann ein Kundschafter zufriedener sein?
So, und jetzt zu dir, mein geiles Zwiebelbaguette …