Laut Zeitung haben neulich „zwei Dutzend Aktivisten und eine Sambagruppe“ einen Outdoor- und Waffenladen von der Bonner Straße vertrieben. Die sogenannten „Anscheinswaffen“ im Schaufenster verführten all die kleinen Torbens und Kevins offenbar dazu, sich die Nasen platt zu drücken. Dürfen sie aber nicht, denn das ist schädlich.
Wir haben das damals auch gemacht. Die Nasen an solchen Fenstern platt gedrückt. Auf dem Dorf gab es so was nicht, in der Stadt aber schon. Und wir kamen auf dem Schulweg jeden Tag an ihnen vorbei: gefährliche Lustobjekte, bekannt aus Funk und Fernsehen. Es stand nie eine Sambagruppe daneben, und wir fühlten uns sicher.
Schützenverein hatten wir keinen, also herrschte nie konkreter Bedarf an Waffen. Es gab bei uns überhaupt nie eine derartige Tradition im echten Leben, außer die Jäger, aber die galten allgemein als dubios. Die ganzen zerschossenen Verkehrsschilder in der grünen Heide und am Waldrand sprachen Bände. Die paar Burschen, die Luftgewehre besaßen, waren als Problemkinder verrufen.
Aber es existierte sehr wohl eine andere Tradition. Die im Fernsehen nämlich: Krimis, Western, Ritterfilme, Kriegsfilme. Unsere Helden verschafften sich mit diesen Objekten Respekt oder verhalfen der Guten Sache zum Erfolg. Also durfte man sich ihre Werkzeuge doch mal unverbindlich anschauen und sich die Nase platt drücken, oder nicht? Von Berühren war nie die Rede. Zu Hause benutzten wir zur Durchsetzung der Guten Sache nämlich ausschließlich Karnevalsrevolver, Erbsenpistolen (ich hatte eine Walther PPK), Wasserpistolen oder selbstgeschnitzte Objekte. Mein braunes Holzgewehr (Xyladecor-Beschichtung!) war mit schwarzem Duct-Tape umwickelt und sah wirklich cool aus. Irgendwer warf es mal irgendwo ins Feuer, und ich war eine Zeitlang erzürnt. Der Griff meines Holzschwerts war mit der ausgeleierten Gummidichtung einer Melkmaschine versehen. Passte perfekt und federte die Schläge besser ab. Natürlich waren wir auf der richtigen Seite, denn Michel aus Lönneberga lief schließlich auch mit einem Holzgewehr oder einer Weidenrute als Säbel herum und wehrte Kavallerie-Angriffe ab, oder etwa nicht?
Wir verloren schließlich das Interesse, als die Mädchen aktuell wurden und wir dazu übergingen, diejenigen Waffen zu erkunden, welche die Biologie uns mit auf den Weg gegeben hatte. Nichtsdestotrotz kamen später einige Buben zu dem Schluss, dass die nicht ausreichten, kauften sich PS-starke Motorräder und Golf GTIs und brachten sich damit selbst um. Wilde Jugend, kurze Jugend.
Nun, wir leben heute in anderen Zeiten. Die Kinder halten sich zwar immer noch in Fiktionen auf, aber die scheinen rauher geworden zu sein, kompetetiver und darwinistischer, und die Grenze zur Realität scheint manchmal auszufasern. Insofern ist es sicher gut, dass die Sozialpädagogen ihre Trommeln schlagen und die Torbens und Kevins vor sich selbst retten.
Immerhin hat diese kleine Veedel-Affäre mich zur Verwirklichung eines Kindheitstraums veranlasst. Nase platt drücken ist nicht mehr. Ich bin jetzt Besitzer eines Colt Revolver von 1873. Peacemaker, die lange Version. Natürlich handelt es sich um eine nicht schussfähige Replik, die aber hinsichtlich Größe, Gewicht, verwendeter Materialien und Mechanik authentisch ist. Die Motivation zum Kauf war zu gleichen Teilen sentimentaler, ästhetischer, popkultureller, historischer, haptischer und querulantischer Anti-Sambagruppen-Natur. Ein bisschen Gute Sache von damals schwang sicher auch noch mit.