Die Bühne ist dunkel, zu hören ist ein musikalisches Brodeln, ein psychedelisches oder free-jazziges Sequencer-Brummen und Grollen, aus dem Geräusche werden, Wortfetzen gar und schließlich die Schöpfungsgeschichte: „Am Anfang – wabba dong! Wabba dabba dong!“
Nachdem dieses programmatische Intro verklungen ist und der Overhead-Projektor eingeschaltet, haben wir es zu tun mit einer recht beleibten Grundschullehrerin, die sich von Frau Knüppelkuh eigentlich nur durch ihre wirre Lockenpracht unterscheidet. Verblüfftes Gelächter im Publikum, ein bisschen unsicher auch. Keiner weiß, was kommt. Geborgen fühlt man sich keinesfalls, denn die Lehrerin brüllt: „Ruhe! Ich warte so lange, bis auch der Letzte sich beruhigt hat!“ Es folgt eine Lektion in Malen nach Zahlen auf dem Overhead, eine Farbe steht zur Verfügung: schwarz. Die gestrengte Lehrerin zeigt beim Ausmalen eines Quadrats unerwartete Einblicke in ihre emotionale Verfassung und unterstützt jeden Strich durch orgasmisches Stöhnen. „Nicht über den Rand malen!“ Und natürlich: „Wenn ich schimpfen muss, tut das mir mehr weh als euch!“
Nach und nach löst sich die furchteinflößend komische Lehrerin-Persona auf und artikuliert sich in Gesten, Texten und Liedern als gewaltiger, wogender Neurosenstrang, in dem so ziemlich jede neumodische Neurose verkabelt wurde. Der Abend wird zu einem absurden Überblick über die Epoche des Ritalin, und die Lyrik springt mit besonderer Leidenschaft im Spannungsfeld zwischen Konformität und Unangepasstheit herum. So sieht das offenbar aus, wenn Menschen unter Anpassungsdruck und ständiger ADHS-Angst auseinanderbrechen.
Annamateur, das ist die Jazz-Chanteuse Anna Maria Scholz, und als die Außensaiter fungieren ihre beiden „Purzel“, Samuel Halscheidt an der Gitarre und Christoph Schenker an Cello und Bass. Alles Leute, die das, was sie tun, gelernt haben. Das merkt man. Allein Halscheidts und Schenkers musikalisches Duett ungefähr in der Mitte des Programms ist den ganzen Abend schon wert. Was da an Tempo, Dynamik und motivischen Assoziationen auf einen niederkracht, ist gewaltig. Fast ein bisschen King Crimson mit Bluegrass-Spritzern.
Aber im Zentrum steht natürlich die Wuchtbrumme. Frau Scholz weiß ihre Gewichtigkeit zu absurdesten Effekten einzusetzen, tanzt manisch, wischt mit Ganzkörpereinsatz den Boden, als zöge sie Bahnen im Schwimmbad, und zieht sogar (fast) blank. Sie macht sich für uns zum Narren und provoziert peinlich berührtes Gelächter. Normalerweise schauen wir da weg und gehen weiter, aber hier haben wir ja dafür bezahlt. Dann aber schleudert sie uns fast übergangslos in Sphären tragischer Melancholie, Schönheit und assoziativer Lyrik, ehe sie als Zugabe André Rieu als Sportpalast-Event inszeniert und uns allen die Spucke wegbleibt.
Annamateur & Außensaiter rangieren bisher unter „ewiger Geheimtipp“. Die Comedia war bei weitem nicht ausverkauft. Das muss sich ganz dringend ändern.