Sonntag, 11. September 2011

The Business Trip

Damals, Herbst 1993, war ich auf der Tour, welche dieses Live-Album abbildet, und das Zwerchfell flattert immer noch manchmal, wenn es sich daran erinnert. Das kurz darauf publizierte Live-Album vernachlässigte ich allerdings immer ein wenig. Das Problem, fand ich, nahm seinen Anfang beim Studioalbum, das der Tour zugrunde lag. It’s The Business Of The Future To Be Dangerous war so technobasiert, dass es keine nennenswerten Songs und dementsprechende klassische Strukturen enthielt. Ob experimentelle oder kommerzielle Absichten dahintersteckten oder einfach nur kreative Verlegenheit, blieb unklar. Die Platte geriet jedenfalls reichlich amorph. Viele Fans mochten sie nicht, und um die Stammhörer auf der Tournee trotzdem bedienen zu können, musste sozusagen um das Album drumherum gespielt werden, ohne neues Songmaterial zum Promoten zu haben. Außerdem operierte die Band damals als Trio, das sehr viel Sound zu produzieren hatte und deswegen auf der Bühne kaum präsent wirkte. Ein bisschen wie eine Mixtur aus späten Pink Floyd und den zeitgenössischen Techno-DJs, die sich hinter ihren Aufbauten und Maschinen verbargen. Das Bearbeiten der Instrumente und das Abrufen zahlloser Samples forderte die ganze Aufmerksamkeit der drei schwer ackernden Bühnenaktivisten. Muss eine ziemliche Tüftelei gewesen sein, bis dieses Programm stand. 
The Business Trip kam mir immer etwas zahm vor, im Gegensatz zum Konzert damals. Die Platte funktioniert in einer Art Modul-Bauweise, bei der um einige zentrale ältere Songs herum Strukturen und Fragmente sowohl des neuen Studioalbums wie auch Aktualisierungen betagterer Passagen gestellt werden. Selten sind die Übergänge zwischen den Modulen scharf, alles fließt episch ineinander und beharkt einen förmlich mit Dynamikschwankungen und -brüchen, abrupten Wechseln zwischen meditativ-halluzinogem Geschwebe und bretthartem Rock. Tatsächlich hat man mit dem Kauf dieser CD einen Trip gebucht, einen Flug durch eine imaginäre, oft surreale Galaxie, in der es immer was zu gucken gibt. Besichtigung eines postsozialistischen Abbruchviertels auf einem Planeten mit violetter Oberfläche, danach mit Lichtgeschwindigkeit links am Altair vorbei zur Welt Elysium, rüber zur submarinen Zivilisation des Grünflossigen Dämons, danach einen Abstecher zur Goldenen Leere, um kurz darauf in eine wilde Raumschlacht verwickelt zu werden, in der die Laserkanonen mächtig grollen. 
Beim jüngsten Trip durch dieses Terrain habe ich diese Inszenierung sehr genossen. Mit dem exzellenten Sound und der erzählerischen Wucht ist es womöglich eines der besten Live-Alben der Band – sofern man Live-Alben nicht auffasst als möglichst perfektes Rekonstruieren von Studiosongs. Und es ist mir angesichts mancher explosiven Ausbrüche ein völliges Rätsel, wie ich The Business Trip jemals für „zahm“ halten konnte.

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