Moorcock, Elric von Melniboné, Schwarzes Schwert. Ewiger Krieg, gewaltige Schlachten auf öden Ebenen, wimmelnde Ungeheuer, tragischer Held mit seelenfressender Dämonenklinge, Kriegsdrachen, dekadente Zivilisationen, Höllenfürsten noch und nöcher. Das zog stets die Schwermetaller an, weniger die Klimperbarden und Zwitscherelfchen. Allerhand Pathos- und Grunz-Metallisten haben sich des populären Fantasy-Stoffs angenommen. Der Sänger der italienischen Band Domine etwa hört sich auf der eigenen Elric-Verwurstung des Öfteren so an, als würden die anderen Bandmitglieder ihm gerade die Zehen aufs Studioparkett nageln. Also, ich hasse so etwas. Und der Rest der Musik ist auch nicht sooo berauschend. Die Habichte hingegen, die alten zotteligen Overlords des Fantasy-induzierten Powerrocks und -gezisches, sind mit dem Material seit jeher verwachsen gewesen. Michael Moorcock hat sie schon in den frühesten Siebzigern in seinen Büchern auftreten lassen. Und natürlich ist er Mitte der Achtziger bei diesem musikalischen Gefechtsmarsch durch seinen literarischen Kosmos selbst mit auf der Bühne.
Live Chronicles verwertet das Chronicle of the Black Sword-Studiomaterial aus dem Jahr 1985 als Live-Doppel-Album und bildet die aufwendige UK-Tour dieses Jahres ab. Es werden selbstverständlich die Stücke des Studioalbums geboten, härter und dynamischer ausgeführt, zusätzlich werden ältere Klassiker geschmeidig in das Moorcock-Multiversum integriert, außerdem tauchen Songs auf, die nicht auf der Platte zu finden waren und hier ihre erste (und einzige) Aufführung erfahren. Die beiden von Huw Lloyd-Langton fabrizierten Stücke „Moonglum“ und „Dreaming City“ sind Highlights des Hawkwind-Repertoires und hätten zwingend auf das Kernalbum gemusst. So existieren beide Songs nur in den hier auf Live Chronicles erhältlichen Bühnenversionen.
In der ersten Publikation der Doppel-LP beim Label GWR (1986) fehlten einige Passagen, in denen Michael Moorcock als Conferencier der Hölle auftritt und heroische Elric-Gedichte in die Konzerthalle schleudert. Es gab da offenbar ein Urheberrechtsproblem, weswegen Moorcock seine Beiträge herausschneiden ließ. Auf einer späteren amerikanischen CD-Auswertung des Albums (mit abweichendem Cover) sind diese Passagen wieder eingefügt. Ihre definitive Gestalt fand die Fantasy-Rock-Platte allerdings erst 2009 in der Version von Cherry Red Records. Man hört einfach im tiefen Raum mehr brodelndes Zeug auf dieser Remastered-Ausgabe, zudem weist das CD-Heft die Coulthart-Illustrationen auf, die damals das Programmheft und die Maxi-Singles zierten.
Bereits 1986 erschien ebenso ein VHS-Videomitschnitt der Black Sword-Tour. Weniger Spielzeit als das Doppelalbum, dafür aber mit den Moorcock-Passagen. Der Mitschnitt wurde später auch als DVD ausgewertet. Ich selbst bevorzuge allerdings die reine Audio-Aufnahme. Das manchmal unfreiwillig komische Fantasy-Gewusel auf der Bühne lenkt von Song und Sound ab. Genauso wie die ‚avantgardistische’ Schnittechnik und die Videoeffekte aus der Kinderstube der Videoeffekte. Die Band wollte ihre Vertonung des Moorcock-Stoffs als große Heavy-Metal-Bühnenshow aufziehen, aber das Budget war kleiner als die Ambitionen, weswegen dieser Fantasy-Papp-Trash gewisse Spinal Tap-Assoziationen weckt. Sieht aus wie eine Ansammlung von LARP-Gestalten, die sich Musikinstrumente umgehängt haben und mit Gummischwertern herumfuchteln. Andererseits: Wird anderswo aus so etwas nicht Kult geboren?
Egal, der Sound dieser Tour ist phänomenal und brachial. Hawkwind verschaltet sich seit 1975 erstmals wieder direkt mit Moorcocks Ewigem Helden und legt sich mächtig in die Riemen. Sogar das stupide Kirmesschlagzeug der damaligen Jahre fällt in diesem wogenden Soundgewitter kaum negativ auf, sondern wird zum Donnerhall. Nein, es ist kein zweites Space Ritual geworden, aber es befindet sich auf Dreiviertel des Weges dahin. Der Elric-Kosmos wird viel umfassender dargestellt als auf dem vorangegangenen Studioalbum: mehr Spoken Word, mehr Hysterie, mehr Starkstrom, Pathos und Theaterdonner. Und mehr dämonisch dräuender Pulp. Die Stücke verschränken sich zu einer individualistischen Fantasy-Rock-Oper, die mal wieder keinem Musikgenre eindeutig zuzuordnen ist. Da ist natürlich ein ganz starker metallischer Anschlag drin, aber zwischendurch wulsten sich die Synthie-Beats aus und produzieren Trance und Industrial, bevor es Trance und Industrial gab, und wird rezitiert und verträumt geschwebt, bis man sich tatsächlich im Märchenreich wähnt. Diese Phase ist sehr song- und melodieorientiert, weswegen es kaum ein anderes HW-Live-Album gibt, auf dem so viel komplett durchgestyltes, nach vorne rockendes Liedgut zu hören ist. Von der beinahe apokalyptisch zu nennenden Live-Version von „Choose Your Masks“ über das tragisch-schöne „Zarozinia“ bis zur bis dato brachialsten Version von „Angels of Death“. Bemerkenswert ist, dass auf damals schon übliche Heroic-Metal-Standards à la Manowar nahezu völlig verzichtet wird. Und aus heutiger Perspektive erscheint es sehr wohltuend, dass es auch keine Spur dieses pseudo-folkloristischen Mittelalter-Metal-Gothic-Gekröses gibt, das neuerdings gerne mit „Fantasy“ assoziiert wird. Nein, Fantasy ist hier eine einzige Oszillation aus stetem Brummen, Blähen, Blubbern, Sirren, Rauschen und Murmeln, ein höllisches Stakkato inklusive Gewittersturm, Schlachtenlärm, elektronischer Meeresbrandung, glockenhellen Gitarrenläufen, Chaosstimmen, apokalyptischem Lärm und völlig skrupelloser Lyrik, in der Pulp und Expressionismus verheiratet werden.
Die Platte profitiert enorm vom unwahrscheinlichen Talent Huw Lloyd-Langtons, der als Songwriter, als Sänger, vor allem aber als Lead-Gitarrist ständig hochkonzentriert auf der Szene ist und dessen Instrument gleißt wie selten zuvor. Mag sein, dass er es manchmal übertreibt, vor allem dann, wenn er ältere Stücke aus den 70ern, an denen er damals gar nicht beteiligt war, mit Lead-Gitarre quasi ‚überschreibt’. Aber allein die Vielfältigkeit dieser Gitarre ist das ganze Album schon wert. Und da sind natürlich auch noch Harvey Bainbridges Synthie- und Sequencer-Wellen, Dave Brocks sägende Rhythmusgitarre, Alan Daveys melodische Bassläufe, Danny Thompsons Dampframmen-Schlagzeug und Moorcocks Poetry Slams aus dem Märchenreich des Ewigbösen.
Ja, die Bühnenshow mag ein bisschen pappig gewesen sein, aber musikalisch ist es die definitive Aufarbeitung der Saga vom Schwarzen Schwert. Die Geschichte von Elric – lord of ruins, albino prince of ruins who killed the only two mortal women he ever loved – wird zum LSD-Metal. Phantastisch.
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