In der Wochenendbeilage des KStA findet sich eine ausführliche Reportage über das Nörvenich-Desaster vor 50 Jahren. Zur Feier der Indienststellung der F-104G, auch bekannt als Starfighter, sollte es damals auf besagtem Fliegerhorst zwischen Köln und Aachen zu einer spektakulären Flugvorführung mit dem neuen Gerät kommen. Bei der Generalprobe stürzten alle vier Flugzeuge der Formation ab. Keine Überlebenden. Aus der groß angelegten bundesrepublikanischen Wir-sind-wieder-wer-Jubelstunde wurde eine Trauerfeier. Die Affäre wurde danach recht schnell unter den Teppich gekehrt. Zu peinlich.
Der Artikel im KStA geht einher mit der Aufforderung, eigene Erfahrungen mit dem inzwischen ja längst historisch gewordenen „Witwenmacher“ zu schildern.
Also her mit der Schilderung. Ich mach's hier ein bisschen ausführlicher als in meiner Mail an den KStA. Am 25. September 1975 nämlich – wir waren in der dritten Klasse und hatten gerade Pause – stürzten etwa anderthalb Kilometer von der Grundschule entfernt, nahe Godendorf/Rheinland-Pfalz, vier italienische Starfighter ab. Es war der einzige derartige Starfighter-Kollektiv-Crash neben dem 1962 in Nörvenich und bedarf daher zwingend der Erwähnung. Die Italiener verfügten auch über die für die deutsche Luftwaffe modifizierte F-104G („G for Germany“). Sie kamen von einem Manöver über der Nordsee und absolvierten auf dem Rückweg nach Brescia eine Zwischenlandung auf der US Air Base Bitburg. Nach dem Start gen Italien wollten die vier offenbar noch ein paar Tiefflugformationen vorführen und dem Bitburger Radar ungesehen entfleuchen. Ungefähr so wie das Kind, das mit dem neuen Fahrrad stolz um die Verwandtschaft kurvt und ruft: „Guckt mal, ohne Hände!“ Jedenfalls übersah der Staffelführer dabei mal eben das Plateau oberhalb von Godendorf, diesseits der Sauer, dem Grenzfluss zu Luxemburg. Keine Überlebenden.
Es herrschte eine Zeitlang heftiger Trubel in der Gegend. Am sowieso schon vollen Himmel der Region war an diesem Tag vor lauter Flugzeugen das Blau nicht mehr zu sehen. Hubschrauber flogen irgendwelches Lametta oder Bergungsgerät ein. Es gab aber auch die Ehr- und Trauerbekundungen aller nur denkbaren NATO-Luftstreitkräfte, von denen einige wohl ganz schöne Umwege flogen, um hierher zu gelangen. Die Piloten fingen schon über der Grundschule an mit ihrem obligatorischen Flügelwackeln, denn der Unglücksort lag ja gleich nebenan. Ob es tatsächlich menschliches Versagen war oder auf die technischen Unzulänglichkeiten der F-104G zurückging, blieb offen. Irgendwo im Internet spökt einer sogar über eine UFO-Begegnung als Grund für den mysteriösen Absturz. Aber eigentlich war er gar nicht so mysteriös: Einer fliegt vor, die anderen folgen. Der Vorflieger kracht aufs Plateau, und der Rest geht überschallschnell.
Die Italiener flogen ihre anfälligen F-104s ziemlich genauso wie die Deutschen: viel zu tief für die europäischen Binnenland-Landschaften und wie die gesengten Säue. Wir sind die coolsten Hechte des Kalten Krieges, uns kann nichts passieren. Glück, dass diese speziellen Helden des Tiefflugs Godendorf verpassten, eine Stromleitung kappten und außer sich selbst offenbar nur noch ein paar Kühe in den Boden rammten. Im Untersuchungsbericht hieß es später, Ursache sei schlechtes Wetter gewesen. Ich erinnere mich an einen strahlenden Sonnentag mit tiefblauem Himmel. Na ja, das „schlechte Wetter“ mag morgendlicher Nebel aus dem Flusstal gewesen sein.
Die Sache geriet schnell in Vergessenheit. „Dienstunfall“ eben. Ein Zeuge vom Räumtrupp der USAF, der später in einer Usenet-Liste im Internet den Absturz kurz zusammenfasste, hat nicht mal mehr den Fluss korrekt parat. Es war nicht das „Mosel valley“, sondern das „Sauer valley“. In einem Dorfporträt von Godendorf, das der SWR vor einiger Zeit anfertigte, wird der Absturz noch mal in Erinnerung gerufen, und es kommen Augenzeugen zu Wort.