Ich fuhr morgens immer mit meinem Vater zur Schule. Es passte zeitlich und lag auf dem Weg. Die anderen Kinder aus dem Dorf, die in die Stadt auf Gymnasium oder Realschule gingen, mussten mehr als eine Stunde früher aufstehen, um mit dem einzigen Bus zu fahren.
Ich hingegen saß gemütlich auf dem Beifahrersitz, lauschte der morgendlichen Radiosendung, rieb mir die Augen und betrachtete den heraufziehenden Morgen, der an uns vorbeiflog.
Diese jahrelange Routine wurde im Jahr 1981, ich war vierzehn, jäh unterbrochen, als an einer engen Stelle vier Kilometer außerhalb des Dorfs ein entgegenkommender Wagen ins Schleudern geriet und in uns reinbretterte. Ich erinnere mich daran, dass mein Vater irgendwas rief, heftig gegensteuerte und eine Leitplanke touchierte, an sonst nichts. Erst später lernte ich im Biologieunterricht das mit dem Ultrakurzzeitgedächtnis, das bei traumatischen Einwirkungen ausgelöscht wird, ein paar Sekunden nur, mehr nicht.
Eventuell war ich eine kurze Zeit ohnmächtig, sehr gut erinnere ich mich allerdings an das Gefühl, das danach kam. Als würde innerhalb von circa fünf Sekunden ein tonnenschweres Gewicht von einem genommen, als würde man im Zeitraffertempo, aber doch in einer Art Prozess und nicht mit einem schnellen schnipp aus einer Lähmung befreit. Als würde man von irgendwoher auftauchen, wo großer Druck herrschte. Es waren vermutlich die Kräfte des Aufpralls, die das verursacht hatten. Ich öffnete die Augen und sah weiter vorne den nackten Motor, aus dem es qualmte. Die Haube war weggeflogen. Auf der Straße lagen weitere Trümmer verstreut. Plastik, Blech, Kühlergrill, Scheinwerfer, Unidentifizierbares. Irgendwo qualmte noch etwas, aufsteigender Wasserdampf aus einem Kühler. Ich bemerkte auch, dass ich in Millionen Scherben von Sicherheitsglas saß, die alles überzogen hatten und in der frühen Morgensonne hübsch glitzerten. Meine ganzen Haare waren voll davon, ich hatte das Zeug sogar im Mund. Alles war still, die Vöglein zwitscherten, das Grün an der Straße sah idyllisch aus. Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Neben mir erkundigte sich mein Vater nach mir. Mir ging es gut, alles okay. Ein bisschen seltsam, aber okay. Das Lenkrad war im unteren Bereich völlig verzogen, mein Vater war mit dem Arm dagegen geprallt und hatte es dabei verformt. Seine Seite des Fahrzeugs war eingedrückt und hatte irgendwie einen Winkel, wo vorher keiner gewesen war. Er blutete heftig an der Stirn. Später im Krankenhaus entfernte man ihm den Schleimbeutel aus dem Ellenbogen. Ansonsten war ihm nichts geschehen. An mir selbst bemerkte man später einen großen blauen Fleck auf der Brust, der vom Sicherheitsgurt herrührte. Außerdem hatte ich einen Schock. Bei einem Schock wird man käseweiß, weil einem das Blut in die Beine sackt. Kann sein, dass man zu zittern anfängt, weiß ich nicht mehr. Außerdem fühlt man sich drei Tage lang, als sei einem Blei in die Beine gegossen worden. Wir wurden vom Krankenwagen abgeholt, ich nur ambulant gecheckt, von einem fiesen Arzt im Übrigen, der sehr ruppig mit Unfallopfern umging. Meinen Vater behielten sie da, ich durfte wieder gehen, und Opa und Mutter holten mich ab. Meine Mutter hatte einige Ängste ausgestanden, denn andere Pendler aus dem Dorf fuhren dieselbe Strecke, die nun gesperrt war, sahen von weitem den Unfall, erkannten die Wracks und kehrten zurück ins Dorf, um meine Mutter zu informieren. Es war jedoch eine Cousine meines Vaters, die anhielt, bis zur Unfallstelle lief und sich ein kompletteres Bild machte. Sie berichtete meiner Mutter dann, dass zwar das Auto völlig hinüber sei und es da draußen ziemlich übel aussähe, ihre beiden Männer jedoch offenbar halbwegs in Ordnung seien.
Im anderen Wagen saß eine Mutter mit kleinem Sohn, kleiner Tochter und Hund. Sie stammte auch aus dem Dorf und war von irgendwoher auf dem Heimweg. Dabei fummelte sie offenbar am Autoradio herum und verlor die Kontrolle über das Lenkrad. Der Hund war tot, der Sohn starb kurz darauf im Krankenhaus, die Tochter war schwer verletzt. Beide Kinder wurden mit dem Hubschrauber abgeholt. Ihre Mutter kam ohne jede Schramme davon, so wie ich.
Das Foto oben ist ein Original. Der Wagen war mal ein Alfasud.
Ich hingegen saß gemütlich auf dem Beifahrersitz, lauschte der morgendlichen Radiosendung, rieb mir die Augen und betrachtete den heraufziehenden Morgen, der an uns vorbeiflog.
Diese jahrelange Routine wurde im Jahr 1981, ich war vierzehn, jäh unterbrochen, als an einer engen Stelle vier Kilometer außerhalb des Dorfs ein entgegenkommender Wagen ins Schleudern geriet und in uns reinbretterte. Ich erinnere mich daran, dass mein Vater irgendwas rief, heftig gegensteuerte und eine Leitplanke touchierte, an sonst nichts. Erst später lernte ich im Biologieunterricht das mit dem Ultrakurzzeitgedächtnis, das bei traumatischen Einwirkungen ausgelöscht wird, ein paar Sekunden nur, mehr nicht.
Eventuell war ich eine kurze Zeit ohnmächtig, sehr gut erinnere ich mich allerdings an das Gefühl, das danach kam. Als würde innerhalb von circa fünf Sekunden ein tonnenschweres Gewicht von einem genommen, als würde man im Zeitraffertempo, aber doch in einer Art Prozess und nicht mit einem schnellen schnipp aus einer Lähmung befreit. Als würde man von irgendwoher auftauchen, wo großer Druck herrschte. Es waren vermutlich die Kräfte des Aufpralls, die das verursacht hatten. Ich öffnete die Augen und sah weiter vorne den nackten Motor, aus dem es qualmte. Die Haube war weggeflogen. Auf der Straße lagen weitere Trümmer verstreut. Plastik, Blech, Kühlergrill, Scheinwerfer, Unidentifizierbares. Irgendwo qualmte noch etwas, aufsteigender Wasserdampf aus einem Kühler. Ich bemerkte auch, dass ich in Millionen Scherben von Sicherheitsglas saß, die alles überzogen hatten und in der frühen Morgensonne hübsch glitzerten. Meine ganzen Haare waren voll davon, ich hatte das Zeug sogar im Mund. Alles war still, die Vöglein zwitscherten, das Grün an der Straße sah idyllisch aus. Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Neben mir erkundigte sich mein Vater nach mir. Mir ging es gut, alles okay. Ein bisschen seltsam, aber okay. Das Lenkrad war im unteren Bereich völlig verzogen, mein Vater war mit dem Arm dagegen geprallt und hatte es dabei verformt. Seine Seite des Fahrzeugs war eingedrückt und hatte irgendwie einen Winkel, wo vorher keiner gewesen war. Er blutete heftig an der Stirn. Später im Krankenhaus entfernte man ihm den Schleimbeutel aus dem Ellenbogen. Ansonsten war ihm nichts geschehen. An mir selbst bemerkte man später einen großen blauen Fleck auf der Brust, der vom Sicherheitsgurt herrührte. Außerdem hatte ich einen Schock. Bei einem Schock wird man käseweiß, weil einem das Blut in die Beine sackt. Kann sein, dass man zu zittern anfängt, weiß ich nicht mehr. Außerdem fühlt man sich drei Tage lang, als sei einem Blei in die Beine gegossen worden. Wir wurden vom Krankenwagen abgeholt, ich nur ambulant gecheckt, von einem fiesen Arzt im Übrigen, der sehr ruppig mit Unfallopfern umging. Meinen Vater behielten sie da, ich durfte wieder gehen, und Opa und Mutter holten mich ab. Meine Mutter hatte einige Ängste ausgestanden, denn andere Pendler aus dem Dorf fuhren dieselbe Strecke, die nun gesperrt war, sahen von weitem den Unfall, erkannten die Wracks und kehrten zurück ins Dorf, um meine Mutter zu informieren. Es war jedoch eine Cousine meines Vaters, die anhielt, bis zur Unfallstelle lief und sich ein kompletteres Bild machte. Sie berichtete meiner Mutter dann, dass zwar das Auto völlig hinüber sei und es da draußen ziemlich übel aussähe, ihre beiden Männer jedoch offenbar halbwegs in Ordnung seien.
Im anderen Wagen saß eine Mutter mit kleinem Sohn, kleiner Tochter und Hund. Sie stammte auch aus dem Dorf und war von irgendwoher auf dem Heimweg. Dabei fummelte sie offenbar am Autoradio herum und verlor die Kontrolle über das Lenkrad. Der Hund war tot, der Sohn starb kurz darauf im Krankenhaus, die Tochter war schwer verletzt. Beide Kinder wurden mit dem Hubschrauber abgeholt. Ihre Mutter kam ohne jede Schramme davon, so wie ich.
Das Foto oben ist ein Original. Der Wagen war mal ein Alfasud.