Mittwoch, 17. September 2008

Geduld

Klar doch, genau an dem Tag, an dem ich die fünfzig Kilo mehr oder weniger relevanter Manuskripte endlich zur Post-Filiale schleppe, herrscht dort Ausnahmezustand. Schlange bis auf die Straße. Die Kunden mutmaßen, es habe etwas zu tun mit der gestrigen Schließung wegen Betriebsversammlung. Kommen also alle Kunden von gestern heute noch mal. Drinnen tun dann erfreulicherweise ganze zwei Mitarbeiterinnen Dienst, weniger als im Postbank-Investment-Center gleich nebenan. Der Typ vor mir hat den Mund offenstehen, zuckt komisch und spricht alle, die rauskommen, mit "Mojen. Bitteschön!" an. Ich hoffe, er schaut nicht nach hinten, findet mich spontan nett und beginnt ein Gespräch über die Spanische Eröffnung beim Schach, über Onanieren oder Heilkräuter. Dann würde ich nämlich freiwillig einige Leute vorlassen müssen.
Eine Familie, die sich gleich komplett versammelt hat, bringt einen Großauftrag. Fünfundzwanzig Pakete an die arme Verwandtschaft in Kasachstan. Sie haben nur die Waren dabei (Kleidung), aber keine Pakete. Die müssen erst vor Ort gepackt werden, natürlich möglichst günstig. Keine Ahnung von Paketformaten, keine Ahnung von Tarifen und auch keine von die deutsches Sprach, aber bitte schon mal anstellen, während die Mamuschka noch fröhlich vor Ort Pakete mit Kleidung vollpackt und beileibe noch nicht fertig ist, als das anstehende Familienmitglied drankommt. Ach, was wird das für ein herrliches Getümmel! Kasachische Menschenkette von der packenden Mamuschka zum Schalter, mitten durch die Schlange der geduldigen Mitbürger, von denen sogar welche mit weiterreichen. Die Angestellte bearbeitet ein Paket nach dem anderen, während Mamuschka in Hockstellung weiterpackt, schreiende Kleinkinder belabert und Adressaufkleber beschriftet, vermutlich auf Russisch, und das Familienmitglied am Schalter sich lauthals einen über Portogebühren radebrecht. Zwischendurch muss auch noch ein alter zittriger Herr mit Gehhilfe, der aus dem Investment-Center getippelt kommt, durch das Getümmel geschleust werden. Ich habe irgendwann die Übersicht verloren und hoffe, dass er nicht aus Versehen eingepackt wurde und sich jetzt auf dem Weg nach Kasachstan befindet.
Als ich dann dran bin, taucht die dritte Mitarbeiterin auf, die man per rotem Telefon aus dem Abfeiern der Überstunden herzitiert hat. Zu spät für mich und meine Mitbürger. Der Typ vor mir hat im Laufe der Wartezeit tatsächlich ein Gespräch begonnen, erwies sich als ein bisschen neben dem Gleis, aber auch als sehr freundlich. Hatte mit Schach, Onanie und Heilkräutern nichts am Hut, sondern wollte selbstreferentielle Kommentare zum Thema Warteschlange loswerden, bevor er aufs Wetter kam. Kein Problem für mich.
Ich beobachtete derweil mich selbst und die anderen Kunden in der Schlange und stellte dabei fest: Eigentlich habe ich echt eine Engelsgeduld. Wichtig erschien mir während dieser halben Stunde in erster Linie, dass die in Kasachstan warm angezogen sind, wenn dort der Winter kommt.

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