Freitag, 2. Oktober 2009

Levitation (3CD)

Wunderbare Luxus-Edition. 3 CDs, fettes Booklet mit dem kompletten Tourprogramm von 1980, die genaue Dokumentation der Jahre 1979/80 durch Hawks-Experte Brian Tawn, sowie drei Postkarten im damaligen Hawks-Design.
Levitation war schon immer perfekter Eskapismus. Weltraum- und Fantasy-Drifterei, Triebwerksgeräusche, Funkgesprächfetzen, Akustik-Geklimper über dem Geräusch plätschernden Wassers, kombiniert mit schichtenweise agilem, gleißend hellem und dunkel riffendem Rock mit manchmal jazziger Tendenz. Die reinste Sound-Torte. Eine frühe Digital-Aufnahme zudem, die das brodelnde Miteinander, das Hawkwind traditionell darstellte, in Einzelkomponenten separiert und dann wieder zusammenfügt. Hörte sich schon damals sehr modern an, das Album. Durch das Remastering wird es noch schöner. Zum Beispiel wirkt es jetzt fast doppelt so laut und druckvoll wie die alte LP. Technisch brilliant produziert, zeichnet es sich aber hauptsächlich aus durch die Kombination von Virtuosität und Solidität. Drei exzellente Musiker schieben sich die Bälle zu - Baker an den Drums, Lloyd-Langton an der Lead-Gitarre, Blake an den Keyboards -, während Bainbridge und Brock solide Fundamente für diese Eskapaden zimmern, an Rhythmusgitarre und Bass, aber auch an den Effektmaschinen, und haufenweise Space- und Fantasy-Klänge produzieren, die man bislang nicht mal von den Hawks kannte.
Als Bonus gibt es einige Session-Tracks der auseinander brechenden Hawklords von 1979 zu hören, die nach diesem Soundgewitter ziemlich abfallen, denn sie sind weniger organisierte Songs als vielmehr Session-Improvisationen. Ein Stück wie „Time Of“ kann man als Psycho-Schlamm-Blubberei immerhin gelten lassen, während „Valium Ten“ unverzichtbarer Bestandteil des Hawks-Katalogs ist. Allerdings ist es auch sehr verbreitet und hätte auf diese CD nicht zwingend draufgemusst. Drei weitere Bonustracks sind auch nicht so wichtig, aber bei "Nuclear Toy" kommt man immerhin in den zweifelhaften Genuss von Vocoder-Gesang, der sich nach ELO anhört. Ja, das war damals schwer angesagt.
Die CDs 2 und 3 sind für die Aufnahme eines Live-Konzerts der Levitation-Tour (Dezember 1980) reserviert. Teile dessen fanden sich bereits auf dem Live-Album Do Not Panic (1984), das man sich daher im Grunde nun sparen kann. Einige weitere Schnipsel gelangten schon 1983 auf das Verlegenheitsalbum Zones. Die englischen Fans sagten damals schon: „They played a stormer of a set on that night“, aber die neue Komplettversion ist natürlich noch druckvoller. Was Ginger Baker hier treibt, könnte man bei irgendwelchen Schlagzeug-Workshops vorspielen, mit dem Ergebnis allerdings, dass dann 80% der Teilnehmer frustriert nach Hause gehen und nur die ganz Ambitionierten dableiben. Tim Blake war auf der Tour schon nicht mehr dabei, weil er sich nach Frankreich zu seiner Freundin absetzte, die eine Fehlgeburt erlitten hatte. Sein Ersatzmann Keith Hale konnte mit ihm nicht wirklich konkurrieren, aber die stärkere Betonung der harten Rhythmusfraktion und Lloyd-Langtons Allgegenwart machten das wett. Extrem individueller Proto-Stoner-Space-Heavy-Melodic-Rock, so nirgendwo sonst zu hören.
Wirklich exzellente Packung.

Nachtrag:
Das Live-Album This Is Hawkwind, Do Not Panic ist also seit der neuen Luxus-Version von Levitation überflüssig geworden, zumindest die Musik darauf. Cover und Zusatzmaterial haben natürlich weiter Bestand.
Aus sentimentaler Perspektive ist die Platte nicht ganz unwichtig, denn sie gehörte zu meiner Sozialisation. Ich weiß noch, als ich das Album, eine LP/Maxi-Kombination mit Faltposter, 1984 in einer Freistunde kaufte und damit in den Oberstufen-Aufenthaltsraum kam. Die signalhafte rote Plastiktüte verriet allen sofort, dass ich in diesem speziellen Plattenladen gewesen war, und natürlich musste ich die Neuerwerbung herumzeigen. Die Reaktionen fielen aus wie immer, wenn ich mit roten Plastiktüten aus der Freistunde zurückkam: „Wasndas?“, „Nie von gehört“, „Kann man das essen?“, „Warum kaufst du nicht Supertramp?“, „Warum stehst du nicht auf BAP?“. Mit dem zugegebenermaßen eigenartigen Cover konnte erst recht niemand etwas anfangen. Stonehenge-Zeichnung auf freudlosem Grau und dann dieser blutspritzerartige Fleck, der Rorschach-mäßig einen doppelköpfigen Raubvogel mit gespreizten Flügeln ergab. Wenn es wenigstens ein klar definiertes Metal-Cover gewesen wäre. Nackte Amazone auf phallischem Fantasy-Viech, eine durch eine Glasscheibe schmetternde Faust oder so was. Mir blieb nichts anderes übrig, als vor versammelter Mannschaft mit den Schultern zu zucken und mich wie ein armseliger Nerd in die Ecke zu setzen, denn ein Referat über Bewusstseinserweiterung anhand von Heavy-Spacerock hätte ohnehin keiner von den selbsternannten Hipness-Päpsten im Raum verstanden. Ein bisschen elitär fühlte ich mich da in meiner Ecke schon, weil nicht jeder dahergelaufene JU- oder Juso-Knallkopf meinen Musikgeschmack verstand. Obwohl sich diese Szene damals in schönster Regelmäßigkeit wiederholte, ist mir die beim Herumzeigen von Do Not Panic besonders in Erinnerung geblieben.
Zu Hause pinnte ich das Faltposter sofort an die Wand, und es hing jahrelang an derselben Stelle. Ich besitze es immer noch. Die Platte gefiel mir ganz vorzüglich in ihrer rauen, schwergewichtigen Art, und ihre brandneue, druckvolle Aufbereitung katapultiert mich nun directement in diese drolligen Zeiten vor unfassbaren 25 Jahren zurück.