Im April bringen Monsignore Luzifer und seine Tanzkapelle ein neues Album heraus und wollen auf ihrer Tournee auch diese Stadt hier besuchen. Es wäre die Gelegenheit, etwas nachzuholen, denn die Bemühungen in der Vergangenheit sind stets gescheitert: Dreimal wollte ich hin, dreimal fielen die Konzerte aus. Es könnte natürlich sein, dass man diesen Konzertbesuch nun so spät im Leben gesundheitlich nicht mehr übersteht, denn Monsignore Luzifer und seine Tanzkapelle, die übrigens in der alten Originalbesetzung anzutreten gedenken, hauen einem bekanntlich ein ziemliches Brett vor den Latz.
Früh genug sollte man deswegen mit den Liegestützen anfangen, um seine Kondition zu verbessern, mit der Werkschau beginnen und endlich mal die alten LPs gegen digitale Tonträger ersetzen. Heute widmen wir uns jedoch erstmal dem späteren Album Democracy von 1996, das nicht ersetzt zu werden braucht, weil es bereits als CD im Schrank steht. Nicht so Industrial-mäßig und technoid wie der Vorgänger Pandemonium und auch nicht so hart und schwer, etwas leichter, abwechslungsreicher und freundlicher in der thematischen Auffächerung. Im besten Sinne politisch, mal konkret, mal metaphorisch, mit erstaunlichem, durch die Mangel gedrehtem Folk, klimpernder Akustikgitarre, klaren Punk-Bekenntnissen, Ethno-Schüben, Mystizismus, Weltbürgergehabe, einer guten Portion Verachtung und eben dem, was den Tödlichen Witz stets ausmachte: rhythmische Kraft durch hypnotische Strukturen, Architekturen des Dröhnens und Sirrens, Schicht um Schicht an Sound, Leidenschaft und Pathos mit Schmackes. Während der Aufnahmen in der idyllischen englischen Landschaft gab es auch eine Trommelsession ums Lagerfeuer unterm Vollmond. Leute haben sich bemalt, sind ums Feuer herumgehüpft, haben den Mond angeheult und Weltpolitik diskutiert. Ich schrieb seinerzeit mal in einer Plattenkritik für die Zeitung, das wäre etwa so, als würde man ein Album von Peter Gabriel dreimal schneller und fünfmal lauter abspielen, als ihm guttut, und den Mix mit einem steten Brummen und Rauschen anreichern, wie ihn startende Düsenjets verursachen. Dann bliebe zwar nicht mehr viel von Peter Gabriel übrig, aber man käme Democracy schon recht nahe.
Wir sind das Volk, teilt uns das Album mit, und gemeint ist das aus globaler Perspektive. Demokratie ermöglicht Buntheit, Demokratie ist global, Demokratie ist aber auch gefährdet, meistens durch ihre eigenen übersättigten Lenker und Denker. Freiheit ist wild, Freiheit fordert ebenso Verantwortung. Der Zugang zur Materie ist widersprüchlich: aufklärerisch, analytisch, aber dennoch anti-naturalistisch und emotional. „Pilgrimage“ beispielsweise beschreibt die erhebenden Gefühle einer Pilgerfahrt, und nein, man darf hier keinesfalls nach politisch korrekter, „linker“ Kritik an naiver Religionsausübung suchen: Es geht um das Erlebnis von Entgrenzung im Glauben. Alles kulminiert in dem – ich sag’s jetzt einfach mal – besten Song, den die Band je gemacht hat, dem achtminütigen „Aeon“, einem Rock/Techno-Hybrid, ein ekstatischer Rave, dessen Refrain geradewegs in die Ewigkeit hineinreicht und dessen monströse Sound-Schleifen einem die Grütze kochen und alles an üblen Inhaltsstoffen wegsterilisieren. Ein Interpret sah später in einer Textzeile sogar eine Vorwegnahme des Falls der Türme im Jahr 2001. Na ja, zu viel hineingedeutet, würde ich meinen. „Aeon“ ist jedenfalls ein Rausch, nach dem der geneigte Hörer das verhältnismäßig liebliche „Medicine Wheel“ mit seinem Ethno-Intro ansteuern sollte, um den leergeräumten Verstand wieder mit Sinnhaftigkeit zu füllen.
Ein für Luzifers Tanzkapelle sehr zugängliches Album von exquisiter Einmaligkeit und ausgesuchter Schönheit.