Fortunat von Schlechterdingen, Sproß aus südwestdeutschem Adelsgeschlechte und Reserveoffizier, im honorigen Nebenberufe Literaturgutachter und -betrachter und Freund der Schönen Künste in Wort, Bild und Tat, suchte im August des Jahres 1891 in seinem Arbeitszimmer nach einem Manuskript, das sein Auftraggeber ihm vor einiger Zeit schon hatte zusenden lassen. Er wusste ganz genau, daß es sehr zuunterst in dem hohen Stapel aus eil’gen Papieren und Manuskripten lag. Während seiner Bemühungen und Verrenkungen geschah es, daß ihm das Beinkleid verrutschte und er das Gleichgewicht verlor. Ein kurzes „Zur Hülfe!“ war zu vernehmen, dann stürzte er der Erde entgegen, schmiss dabei den ganzen Papierturm neben seinem Biedermeier-Sekretär um, schlug ungünstig mit dem Kopf ans Holz des ansonsten nützlichen Möbels, strampelte und trat in beinahe hysterischer Manier mit den Beinen, und die Manuskripte plumpsten polternd hernieder, knallten ihm gewichtig auf den Kopf oder flatterten hoch zur Decke, flogen schwarmhaft sausend durcheinander und vermischten und vermengten sich um und über seinem Leibe, der ob des Schlags an die Schläfe und all des Staubs schlagartig der Ohnmacht anheimgefallen war, als läge er ganz friedlich während der Kirschblüte unter einem besagten Baume und hielte einen erholsamen, elysischen Schlummer.
Mehr als eine Stunde lag erwähnter Literarturbetrachter derweil hingestreckt und wie entseelt in diesem Szenarium, währenddessen sich der Staub in der Nachmittagssonne, die in schrägen, hellen Balken durch das Fenster fiel, langsam legte. Es begab sich nun, dass Fortunat von Schlechterdingens Mätresse, Adele Freifrau zu Taubenblau-Bocksbein, das Zimmer betrat und nach ihrem „Fortunat?“ verlangte. (Dazu muß man wissen, dass die Freifrau den Schlüssel zu von Schlechterdingens Stadthaus besaß.) Sie wurde des Szenariums schlagartig gewahr, flüsterte ein schnelles „Ojemine!“, lockerte geschwind ihr Mieder, beugte sich herab zu ihrem Liebsten und grub ihn mit allerhand Engagement aus, fortwährend den neuerlich aufgewirbelten Staub mit Händen und gelöstem Halstuch wegwedelnd. Sie war nicht wenig ängstlich und im selben Augenblicke jedoch gleichermaßen - auf eine gewisse, seltsame Art und Weise, die sich einer genaueren Beschreibung entzog - befriedigt, hatte sie ihren Liebsten doch stets gewarnt, ihm fiele eines Tages „all das staubige Papier“ aufs Haupt und es würde ihn begraben und er würde darinnen ersticken wie ein Bergarbeiter im Kohlenflöze. Aber Freifrau von Taubenblau-Bocksbein wurde dieser kleine Triumph schnell schal, und sie tat natürlich ihr möglichstes, den kurzzeitig Entschlafenen zu erretten und ihm seine miserable Lage zu erleichtern. Sie wußte selbstverständlich: Im Mittel bestand so ein Manuskript deutscher Dichtkunst in ihren Tagen aus 200-300 handbeschriebenen Blättern, die aufeinander gestapelt circa drei bis vier Centimeter ergaben. Die Freifrau raffte nun all die gefallenen, verstreuten Seiten und verkeilten Teile zusammen, stapelte sie mithülfe eines Lineals aus dem Sekretär ihres Galans zu folglich jeweils drei bis vier Centimeter hohen Stapeln und dieselben danach wieder zum ordentlichen Papierturme neben dem Biedermeier-Sekretär. Nachdem sie ihrem Liebsten eine Prise ihres Riechsalzes verabreicht hatte (nicht zu viel, Fortunat war ja asthmatisch!) und derselbe papierstaubhustend, niesend und etwas röchelnd aus der Bewusstlosigkeit erwacht war und sich hochgestemmt hatte, schoben sie eine schnelle Nummer auf dem Sekretär (hierbei sollte man beachten, daß Fortunat von Schlechterdingens Beinkleid noch offen war und das Mieder der Freifrau gelockert), bevor sie sich für den frühen Abend zu einem Spaziergang an der Promenade und einer Speise im neueröffneten Fischrestaurant Forelle Müllerin verabredeten.
Als die Freifrau ihn wieder verlassen hatte, griff Fortunat von Schlechterdingen, noch etwas verduselt im Hirne, schlußendlich zu dem anfänglich gesuchten Manuskripte und las es im Strahlen der Nachmittagssonne, die als helle, schräge Balken durch sein Fenster fiel. Danach meldete er schriftlich an seinen Verleger: „Eine seltsame Satyre. Passagenweise recht gut, kann da hie und da keine Zweifel anmelden. Dann jedoch paßt wieder gar nichts zusamm'. Handschrift ist mal lesbar, dann wieder gar nicht. Täusche ich mich, Herr Wolff, oder waren unsere verehrten Schriftsteller und Geistesgrößen früher nicht so verwürrt? Aber modern, Herr Wolff, modern! Das ist es gewisslich!“