Der Mann hat Farbe bekommen. Ein Besuch im Zoo an einem strahlenden Samstag kann da Wunder wirken. Vor allem auch deshalb, weil jeglicher Schatten bereits von Heerscharen von Besuchern besetzt ist und einem gar nichts anderes übrig bleibt, als sich in der Sonne aufzuhalten. Tatsächlich sind die Besucher manchmal spannender als die Tiere, vor allem ihre vielen, vielen Tattoos. Riesige Engelsflügel auf dem Rücken einer korpulenten, mächtig verlebten Mama. Nie wurde auf Erden etwas Engelsferneres erblickt als diese Dame. Ein riesenhaftes Kölsches Stadtwappen, von einem noch gewaltigeren Doppeladler gehalten, an den Waden einer drallen S/M-Komplettgepiercten in Tarn-Shorts. Extrem schlecht ausgeführter Indianerkopf auf der Schulter eines Kalker Großfamilienvorstands, den man in der Schlange die ganze Zeit anstarren muss. Handelsübliche Großflächen-Tribals über Schulter und Arm, zwischen die auch noch japanische Schriftzeichen gesetzt sind. Passt überhaupt nicht, und der arme Kerl trägt das jetzt sein Leben lang. Schönes Wetter hat auch seine Nachteile.
Anlass für den Besuch war der neue „Hippodom“, eine Anlage für die Flusspferde, in der der Besucher in eine Senke geführt wird und die Viecher hinter Panzerglas in gefiltertem Wasser schwimmen sehen kann. Wenn die Kolosse sich mal nach vorne bequemen, was sie angesichts der glotzäugigen Menschlein hinter dem Glas ganz gerne tun, bieten sie eine hübsche Show. Man fragt sich, wer hier wen zur eigenen Erbauung studiert. Auf der gegenüberliegenden Seite kann man dasselbe mit Krokodilen haben, die aber bewegen sich nur, wenn es wirklich nötig ist. Habe trotzdem eins schwimmen sehen.
Die Lemuren hängen faul rum, die Schwänze ergeben sich der Gravitation. Weiter oben steigt der Giraffenbulle zärtlich der Stute nach, knabbert an ihrem Hals herum und schubbelt sich, sie aber hat vermutlich Kopfschmerz und führt ihn langsam zum Heu, wo ihm plötzlich jeder erotische Gedanke vergeht. Clever, diese Stute. Ihre Fellzeichnung entschädigt zudem für so manches Menschen-Tattoo.
„Guck mal, Geier!“, ruft der menschliche Familienvorstand und lenkt seine Truppe zum offenen Gehege mit dem Federvieh, bei dem es sich allerdings doch eher um Marabus handelt. Steht zumindest dran, und ich bilde mir ein, dass einer der schreitenden Vögel den Vater anschaut, einmal mit dem Riesenschnabel klackt und den Kopf schüttelt. Zwischenzeitlich werden wir des großen dicken Mannes gewahr, der mitten in der prallen Sonne einen wenig schmeichelhaften Sermon über Merkel und Rösler und die Kopfpauschale hält. Ich nenne ihn spontan „den Polit-Aktivisten“, muss ihn aber später entschuldigen, als er sich als Mitglied einer Gruppe geistig Behinderter erweist. Er begegnet uns fortan immer wieder auf unserer Runde und hält unterschiedliche Kurzpredigten über diesen oder jenen. Ich vermute, dass er in bestimmten Besuchern oder auch in Tieren Personen des öffentlichen Lebens erkennt. Als die Gruppenbetreuerin ihn im Affenhaus auf die Schimpansen hinweist, sagt er: „Das ist die Merkel.“ Und der zweite Schimpanse daneben, das sei „der Personenschutz“. Auf der anderen Seite im Affenhaus sitzt King Kongs größerer Cousin, knabbert an Lauchstangen oder so etwas und schaut der Interaktion zwischen seiner Erst-, Zweit- oder Drittgemahlin und ihrem Neugeborenen zu. Das Publikum klebt an den Scheiben und sagt: „Süüß!“ Und es hat recht. Der Polit-Aktivist allerdings glaubt hier „Arabella Kiesbauer“ zu erkennen, was die Niedlichkeitsstimmung etwas trübt. Das klitzekleine Äffchen im extra Seitengehege nimmt kaum einer wahr, außer wir natürlich, und es guckt erst zurück und wird dann ganz aufgeregt.
Am Pavianfelsen stellen wir anhand des Spektakels Mutmaßungen an über pavianische Endzeitpropheten, Erweckungs– und Pilgerbewegungen, Fronleichnam und religiöse Massenaufläufe. Wer diese Rundum-Prozession am Felsen schon mal gesehen hat, weiß, was ich meine.
Auf der Empore des gigantischen Elefantenhauses kann man übrigens auch standesamtlich heiraten. Allerdings riecht die Hochzeitsgesellschaft danach vermutlich nach Dickhäuter-Dung. Die Herde ist heute natürlich draußen im großen Freigehege, und nach einigen Minuten Meditation ob ihres Anblicks stelle ich fest, dass ich Elefant sein möchte. Den ganzen Tag lang rumstehen, den Rüssel schwingen lassen und sich ab und zu Dreck auf den Rücken werfen. Paradiesisch.
Die Seelöwen-Fütterung fällt heute aus, trotzdem stehen etwa fünftausend Menschen ums Geländer herum, als hätten sie das Schild nicht gesehen. Die Seelöwen ziehen derweil ihre Kreise, und einer geht in Rückenlage und tippt sich mit der Flosse an die Stirn.
Wir sind dann irgendwann ziemlich nah dran an der Zoo-Schließung und müssen zum Ausgang, und ich kann das irre niedliche Wasserschwein nicht mehr in Ruhe studieren. Es befindet sich in einem Gehege mit genauso großartigen Tapiren, ganz weit hinten, und wird beim nächsten Mal als Allererstes begutachtet.