Zons, eine Ortschaft irgendwo hinter Leverkusen, könnte ein weltvergessenes Fleckchen sein, wenn im Sommer nicht Bus- und Schiffsladungen von Touristen hier abgeladen würden. Der Grund liegt darin, dass Zons im Mittelalter Zollfeste des Kölner Erzbischofs war und dass sich das historische Ensemble hübsch erhalten hat. Komplette Stadtmauer, Wehrtürme, Mühle, Fachwerk, enge Gässchen. Obwohl unwesentlich größer als unsere Küche, legt der Ort trotzigen Wert auf die Bezeichnung „Stadt Zons“.
Wenn mal wieder etwas Bräune an den blassen Kadaver soll, was liegt da also näher als eine Schiffsfahrt nach Zons auf dem Sonnendeck der Drachenfels? Natürlich ist das eine Rentnertour, und die Rentner erweisen sich bereits beim Entern des Schiffs als skrupellos. Kaum geht die Absperrung an der Landebrücke auf, drängeln und schieben sie, rufen sie Parolen, heizen Gattinnen ihre Männer auf, schwingen Handtaschen und beißen mit den dritten Zähnen. Dann strömen sie auf die Unterdecks an die reservierten Tische zu Kaffee und Kuchen sowie Mittagessen. Bis aufs Sonnendeck kommen die meisten gar nicht erst. Sie interessieren sich eben nicht so sehr für die Landschaft, sondern für die Speisekarte. Und sie wollen sich mit Gleichgesinnten über künstliche Hüftgelenke und geschwollene Fußgelenke austauschen.
Hier, auf dem Sonnendeck, geht es daher eher meditativ zu. Die Servicekraft ist aufmerksam, die Preise niedrig. In einen Stuhl gefläzt, die Beine auf der Reling, schaut man der Landschaft beim Vorbeigleiten zu. Kölner Panoramen, Auen und Wäldchen, Yachtclubs, Campingplätze, ein Pferdegestüt, chemische Industrie, vorbeiziehende Pötte. Zwei sehr angenehme Stunden Fahrt in Sonne und Flussbrise.
Am Zielort schlagen die Rentner wieder zu. Alle strömen gleichzeitig zum Ausgang. Vielleicht wollen sie auch vor der Musikberieselung im Schiffsinneren fliehen. Dann stellen sie, jeder für sich, fest, dass die Laufplanke, die das Schiff mit dem Anleger verbindet, eng und steil ist. Jeder Rentner benötigt gefühlte fünf Minuten für die drei Meter. Crewmitglieder tragen die Rollatoren hinterher. Als wir endlich im zwei Fußminuten entfernten Zons ankommen, die stetig stockende Rentnerkarawane auf dem schmalen Fußweg rechts überholend, ist eine halbe Stunde des zweieinhalbstündigen Aufenthalts schon vorbei. Die Rentner verteilen sich auf die überdurchschnittlich hohe Anzahl an Restaurationsbetrieben und Eisdielen. Nach dem Mittagessen an Bord, dem anstrengenden Ausstieg und dem Fußmarsch brauchen sie Stärkung und müssen untereinander ein bisschen klagen.
Tatsächlich ist der Ort pittoresk. Mag sein, dass hier Mittelalterfilme gedreht wurden. Löblich: Die Stadt erkennt ihr Kapital; hier wird alles auf alt gehalten. Keine grelle Werbung, keine Take-aways, kein Fast Food, kein Neon. Die Sehenswürdigkeiten sind in einer knappen Stunde erwandert und aufgeguckt. Auf der Freilichtbühne am Schloss wird „Des Kaisers neue Kleider“ gegeben, allerdings nicht heute. Die Kirche ist zu – um Vandalismus vorzubeugen, informiert eine Tafel. Das ist in Zons schwer vorstellbar. Drumherum idyllisches plattes Land. Gegen Ende wird es dann doch noch knapp, da der spontan ausgewählte Restaurationsbetrieb trotz wenig Zulauf für das Kredenzen eines höchst mittelmäßigen Salats und einer soliden, aber gewöhnlichen Lage Bratkartoffeln mit Spiegelei eine geschlagene Dreiviertelstunde benötigt. Und die Cola war lauwarm und abgestanden. Schwach. Wir hätten uns, so wie die Rentner, eben auf dem Schiff die Bäuche vollschlagen sollen und hätten nach hinten raus noch etwas Zeit gehabt, an irgendeinem mittelalterlichen Stadtmauerplätzchen kontemplativ zu verweilen und uns als Rittersleut zu fühlen. Auf dem Weg zum Schiff treffen wir dann immerhin noch das sagenumwobene „Dicke Kind von Zons“. Die Gerüchte stimmen: Es ist ziemlich dick. Und hässlich.
Auf der Rückfahrt nieselt es, was die Rentner in den Eingeweiden des Schiffs festhält. Alles frei hier oben. Mehr Verkehr auf dem Rhein zu dieser Stunde, und ich bewundere die Manövrierfähigkeiten der Flusskapitäne, vor allem wenn drei Pötte gleichzeitig, einmal sogar vier, aneinander vorbeifahren müssen. Totales Flussfeeling.
Danach vom Anlegesteg zu Fuß nach Hause. Lange genug gesessen. Die erwünschte Bräune am blassen Kadaver entpuppte sich am Abend mehr so als Röte. „Du leuchtest“, sagt die Gemahlin. „Du auch“, sage ich.
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