Gestern auf Arte die restaurierten Nibelungen gesehen. Viereinhalb Stunden, und am Ende sind alle tot. So muss das sein. Ziemlich zu Anfang, als Siegfried sich dem (eher niedlich geratenen) Drachen nähert, ruft neben mir die Gemahlin der Bestie zu: „Lauf weg!“
Ausschnitte und Passagen waren mir bekannt, aber nicht das ganze Ding, nicht der Rhythmus. Es ist ein ziemlicher Schlauch, aber es zieht einem die Schuhe aus. Die halbe Nacht davon geträumt. Man muss nach den endlosen Schnittgewittern der Gegenwart und der CGI-Inflation das Sehen neu erlernen. Die Netzhaut abspülen. Dazu eignet sich dieser Blockbuster der Zwanziger vorzüglich. Art-Deco-Mittelalter von massiver Strenge trifft auf wuselndes Hunnen-Chaos. Frühe Comic-Ästhetik, wie später auch bei Metropolis, und die Hunnen als Ahnen der Orks, nur noch hässlicher, aber irgendwie auch sympathischer. Künstlichkeit trifft auf Natur. Es wurden seither vermutlich zahllose filmwissenschaftliche Seminare darüber abgehalten. In den Zwischentexten werden den Figuren signalhaft Wappentiere zugeordnet. War mir zum Beispiel neu. Jede Einstellung ist ein in Bewegung geratenes S/W-Gemälde mit orangebrauner Einfärbung. Was für ein Aufwand, was für eine Geometrie, was für eine dräuende tiefdeutsche Schwere, was für eine Unbedingtheit. Der Endkampf setzt immer noch Maßstäbe, und Kriemhild ist die unbedingteste Rächerin der Filmgeschichte. Eine kleine menschliche Regung gönnt sie sich beim Tod Giselhers, ansonsten nur elfenbeinerne Rächermaske. Brrr.