Mittwoch, 5. Oktober 2011

Wildwest

Eine meiner Cousinen heiratete und zog das Fest unter dem Motto „Wildwest“ auf. Auf dem Platz vor dem Pfarrhaus wurde ein Zelt errichtet, die Inneneinrichtung gemahnte an einen Saloon, weiter hinten war es mehr so Pferdestall mit Stroh und Heu. Mein Bruder machte den DJ, fand aber keinen Gefallen an Country-Musik und sattelte mittendrin um auf Soul, dann auf irgendein urbanes Techno-Zeug. Sein Kumpel Holger trat dazu als Poledance-Tanzmaus auf, in knallrotem Ganzkörper-Latex. Er hatte sich im Motto geirrt. 
Die Mädels an der Theke waren als Pioniersfrauen gekleidet, aber nicht recht auf Zack. Ich bestellte ein Bier und bekam Tee in einer Blechtasse, in der noch der aufgeplatzte Teebeutel schwamm. Auf meine Reklamation hin bekam ich Moselwein mit einem Schuss Tabasco. An der Bretterwand hinter der Theke hingen Covergirls der „Neuen Revue“ mit blanken Hupen. 
Draußen gab es Hufeisen-Werfen, Klapperschlangenfangen und Blechbüchsen-Schießen mit echten 45ern und Winchesters. Die Fassade des Pfarrhauses sah danach aus wie Berlin im April 45. Ein Kind wurde von einer Schlange gebissen, und der Ortsbürgermeister, verkleidet als Doc Holliday und hauptberuflich tätig bei der Bundespolizei, saugte die Wunde aus und rettete ein junges Leben. 
Einige der Gäste waren hochinteressant. Da kam dieser ausgesprochen authentisch aussehende Cowboy rein ins Zelt, wettergegerbt, Riesenschnurrbart, ständig Kautabak spuckend und unverständlich murmelnd und fluchend. Er grabschte sturzbesoffen die Pioniersfrauen an und versuchte ständig, ihnen seine Zunge ins Ohr zu stecken. Es stellte sich im Laufe des Abends heraus, dass unter der Maske der Herr Pfarrer steckte. Großes Hallo! Als er mit seinem Colt auf die Äpfel im Pfarrgarten zielte, traf er aus Versehen eine Kuh. Vielleicht auch nicht aus Versehen. Jedenfalls wurde die Kuh gleich aufgespießt und zum Garen übers Feuer gehängt.
Eingeladen war auch Burt Reynolds, was ein bisschen verwunderte, weil er ja nicht unbedingt als Westernheld berühmt geworden war. Yul Brynner hätte ich besser gefunden. Burt kam schon völlig besoffen aus dem Hubschrauber (landete auf dem Sportplatz) getorkelt und war offenbar nur wegen des Geldes hier. Irgendwann machte er sich sogar nackig und schubste Holger von der Stange. Mein Bruder stellte derweil um auf Gilbert Becaud, während die Pioniersfrauen Burt ankreischten und sich gegenseitig ihre Korsagen lockerten. 
Später am Tag gab es einen Angriff von Indianern auf Fort Laramie. Sie wurden gespielt von den diesjährigen Kommunionkindern, der Kirchenchor verkörperte die US-Kavallerie. Nicht ganz authentisch, weil 80% des Kirchenchors weiblich sind und 60% über siebzig. Burt Reynolds versaute es, als er besoffen eine Petroleum-Lampe aus dem Baumarkt gegen die Palisaden von Fort Laramie warf und die ganze Bude abfackelte. Die Freiwillige Feuerwehr kam zu spät, weil sie erst aus ihren Galeerensklaven-Kostümen in ihre Einsatzkleidung schlüpfen musste. Auch sie hatten sich offenbar im Motto geirrt. 
Als ausgerechnet ich dann den Brautstrauß fing und Pioniersfrau Irmgard mir lüstern zublinzelte, wachte ich mit einem Schrei auf.