Freitag, 4. November 2011

Glänzendes Mittelalter

Wieder mal unter die Noblesse gemischt. Ausstellungseröffnung „Glanz und Größe des Mittelalters“ im Museum Schnütgen. Weit über 200 hauptsächlich christliche Kunstwerke mit Herkunftsort Köln, die in aller Herren Länder verstreut wurden und nun für vier Monate wieder zusammenfinden. Großereignis für den traditionsbewussten Kölner und den Freund des echten Mittelalters. Mittelalter-Simulanten wurden derweil keine gesichtet. 
Es gibt Kölsch, aber nix zu essen. Ziemlich warm. Viele Besucher, kaum Security, die Einladungen überprüft. Kann also im Prinzip jeder rein. Abgesehen von allerhand fachbezogenen Lokalgrößen ist die Promi-Dichte eher gering. Dafür sind amerikanische Leihgeber angereist sowie die US-Generalkonsulin in Vertretung des Botschafters. Beim Gang auf die Rednerbühne legt sie sich erstmal flach, springt aber sofort wieder auf wie eine geübte Bodenturnerin. Die amerikanische akademisch-politische Präsenz verleiht dem Ereignis einen deutlich wahrnehmbaren Hauch von Welt. Auch wenn die PA und die damit verbundene Akustik eher provinziell anmuten. An der Eingangstür hinten zankt sich eine herrische, vermutlich vermögende Schnepfe lautstark mit dem Security-Mann, und man hört die Redner vorne nicht mehr. Daran müssen wir noch arbeiten. 
Die notorische Künstlermuse ist auch wieder da, ein paar seltsame Leute aus der Eifel ebenso (Erkennungszeichen: Strickwesten, rote Backen). Sowie die junge Frau, die über „die spitzen Brüstchen“ der Nackten auf dem Liebeszauber-Bild spottet, dabei aber offenbar selbst noch nicht gemerkt hat, dass hochalberne Girlie-Frisuren sowas von out sind. Ich selbst trete einmal mit den schweren Lederstiefeln fast der verehrten Frau Dombaumeisterin auf die zarten Füßlein. Sie war aber auch zu gut getarnt. 
Für die, die’s nicht wussten: Köln war eine der bedeutendsten Städte des europäischen Mittelalters und somit ein Zentrum von Kunst und Kunsthandwerk. Sehr vermögend, sehr fortschrittlich, sehr hingebungsvoll, sehr viel Manpower. Wie der Titel der Ausstellung schön verrät, geht es nicht um den Dreck, sondern um den Glanz: Kruzifixe, Reliquiare, Bibeln, Kreuzigungsgruppen, Heilige, bekannte und abstruse Bibelszenen, liturgische Gewandungen, Bischofsstäbe, ein Gerichtsschwert, Kirchenfenster, ganze Altäre, frühe akademische Schriften. Ein umfassendes, nicht endenwollendes Geschichtenerzählen in allen erdenklichen Medien, sogar mit Humor: Auf einer Kreuzigungsdarstellung kriecht am unteren Bildrand der Tod aus einem Loch hervor und kriegt von einer körperlosen Hand mit der Keule eins übergebraten. Muss man schon genau hinschauen. 
Das archaisch wirkende Kapitelkreuz von ca. 1000 n. Chr., das Herimann-Kreuz mit dem falschen Christus-Kopf, die elfenbeinernen Turm-Reliquiare, der Linzer Marienaltar, das gewaltige Stadtbanner, das kleine Liebeszauber-Bild, die Propheten aus dem Kölner Rathaus und die Seifenblasen produzierenden Knäblein („homo bulla est“) bleiben auf Anhieb am besten in Erinnerung. 
Eine Ausstellung, für die man Zeit mitbringen sollte, denn da werden wirklich sehr viele Geschichten erzählt. Und wenn diese zahllosen alten Storys sich mit den Gesprächsfetzen des modernen Publikums mischen, dann ist das Erlebnis am umfassendsten.