Freitag, 11. November 2011

"Weiter"

Man kennt ihn vom Sehen, den Wilfried Schmickler. Er wohnt hier irgendwo um die Ecke, und man sieht ihn oft morgens auf dem Weg zum Bäcker vor dem „Filos“ am Stehtisch, Kaffee und Kippe inhalierend. Ein Mann des Volkes. Hauptsächlich kennt man ihn aber aus dem Fernsehen als zornbebenden Rausschmeißer aus den Mitternachtsspitzen. Er sagte neulich in einem Interview, aufgrund dieser hohen Eskalationsstufe hätten manche Leute Angst, in seine Programme zu kommen. Die Termine sind trotzdem regelmäßig ausverkauft.
Schmickler spielt drei Tage lang sein Programm „Weiter“ in der Comedia, zwei der Termine sind mit WDR-Aufzeichnung. Wir haben uns den ohne Kameras ausgesucht.
Schmickler ist gekommen, um Verkrampfungen zu lösen und sich quasi stellvertretend fürs Publikum in Rage zu reden. Völlig zu Recht wird er gern mal bezeichnet als „Scharfrichter“ und als „Moralist“. Er tritt wechselweise auf als Volkstribun, der gegen „die da oben“ wettert, als Prediger, der der Gemeinde den Spiegel vorhält und allzu viel Selbstzufriedenheit gar nicht erst zulässt, sowie als melancholisch-lässiger Schlagerstar zu Halbplayback. Seine Laune schwankt zwischen der eines grantigen Maschinengewehrs, seine Taktfrequenz darauf abgestimmt, und der eines links wie rechts blickenden 80er-Überlebenden, der die Gegenwart reichlich albern findet.
Im Kölner Südstadt-Heimspiel ist der Mann ein Souverän, der König des Abends, der auf ein aufmerksames, manchmal wohl etwas zu amüsierwilliges Publikum trifft. Einige Leute lachen ständig, auch bei Sachen, die gar nicht lustig sind oder dazu dienen, Pointen erstmal vorzubereiten. Der Typ, der hinter uns sitzt, sagt leicht missbilligend und mit Blick dorthin, von wo das meiste Gekickel kommt: „Es sind Landeier anwesend.“ Leider sieht er sich seinerseits genötigt, der Gattin jede Pointe zu erklären. Nervt auch. Viele nicken Schmickler bestätigend zu, reden ein bisschen mit, bringen Zwischenrufe an, teilen die Meinung des Vortragenden. Fehlen nur noch zornig erhobene Fäuste. Glücklicherweise sind es nicht so viele Amüsierlacher, lautstarke Synchronanalytiker oder Meinungsbekunder, dass sie Schmickler den Rhythmus oder die Pointen zerhauen könnten. Er steht manchmal da wie ein Demagoge und gefällt sich dabei, wobei er allerdings nicht nur die politische Klasse, sondern auch sich selbst karikiert, jedes Gewese um seinen Standpunkt dezent wegwedelt oder die Mundwinkel schmerzhaft verzieht, sobald er glaubt, es gerade zu weit getrieben zu haben. Unter der rauhen Schale kommt oft genug der engagierte Typ hervor, dem die Dinge tatsächlich am Herzen liegen. Er erreicht deswegen einen Grad an Bühnenauthentizität, den man selten findet. Ein von gesundem Zorn angetriebenes Spottprogramm mit kathartischen Tendenzen, einer ganz deutlichen rheinisch-katholischen Note der Demut sowie einer dezenten „Altersfusseligkeit“. Seine von selbstironischer Sangesstar-Attitüde unterstützten Blues-Couplets sind okay, die extrem konzentriert vorgetragenen kleinen Gedichte, Philippiken und Predigten exzellent, und die Einlassungen zum Nichtraucherschutz, zum Gesundheitswahn, zu den FDP-Bubis, zu den zwei letzten Verteidigungsministern und zur katholischen Kirche sind nicht steigerbar. Schmickler ist der Maestro einer auf engstem Raum komprimierten rhetorischen Verachtung. Und er hat, bevor er diese Dinge im Kämmerlein ausformulierte, dem Volk aufs Maul geschaut. So etwas nennt man Kabarett. Und am Ende, als das Licht wieder angeht, schallt Johnny Cash aus den Lautsprechern.
Großartiger Abend. Das nächste Mal auf dem Weg zum Bäcker spreche ich ihn an, den Wilfried Schmickler, und sage ihm das persönlich.