Dienstag, 13. November 2012

Wachstum

„Och, ich lass das einfach. Mal sehen, was da im Lauf des Sommers so wächst.“ Diesen Satz äußerte ich, als es im Frühjahr darum ging, das erste Unkraut aus den Balkonritzen zu zupfen. Natürlich war das ein Scheinargument, das eine liberale Einstellung gegenüber allem, was lebt, signalisieren sollte. Tatsächlich war es pure Faulheit. 
Jetzt, da der Balkon aufgrund des Laubs von den umstehenden Bäumen kaum noch betretbar war, musste der Landschaftsgärtner (= ego) also doch mal ran. Das Laub wurde weggeräumt, und nun, vor dem Frost, konnte ich bewundern, was meine Laissez-faire-Einstellung da so alles zum Gedeihen gebracht hatte. Ein botanisches Handbuch aus dem Jahr 1867 leistete bei der Bestimmung gute Dienste. 
Hintere Ecke links: Stechpalmenginster, Haselnuss, Weißdorn. Hintere Ecke rechts: Tollkirsche, Kokospalme, Buschwindröschen, Karotten. Vordere Ecke rechts: Ananas, Ficus, das-komische-Teil-mit-den-Bommeln, Anacondakraut. Vordere Ecke links, gleich an der Tür: Sackhüpferröschen, Promenadenbusch, Geiles Lieschen. In der Mitte: Ahorn und Kirsche. 
Nicht genug damit. Als ich den ganzen Urwald gerodet hatte (den Haselnussstrauch und den Kirschbaum ließ ich stehen), stieß ich in tiefere Schichten vor, wo das Laub von Jahrzehnten bereits in eine Art Humus oder Mulch übergegangen war. Großes Hallo beim Wiederfinden des seit 2007 vermissten knallroten Ferrari-Aschenbechers (jetzt blassrot). Nicht unerhebliche Freude beim Entdecken des verloren geglaubten Comichefts „Spiderman vs. Methangasmonster“. Leichtes Zusammenzucken angesichts des 2010 beim Abendessen heruntergefallenen Rindersteaks medium. 
Unerwartet und vermutlich auf vorherige Mieter zurückgehend: ein Zigarrenstummel mit Banderole „Cuba 1899“; das Originalmanuskript einer Erzählung von Heinrich v. Kleist; das Skelett eines Kleinsauriers; zwei Moorleichen, eine davon mit Stichwunden; Alien-Artefakt 17/3-B; Felsritzzeichnungen der Connemara-Kultur (darauf abgebildet: Alien-Artefakt 17/3-B); Büffelknochen; eine verlassene Ansiedlung polnischer Hausmeister. 
Na ja, gut, dass das jetzt mal alles erledigt ist.