Angesichts des Rush-Konzerts Mitte nächsten Jahres bin ich noch mal über die ganzen Alben gehechtet. Das habe ich nämlich schon sehr lange nicht mehr getan.
Relevant bleiben jene Platten, von denen ich auch schon vorher wusste, dass sie relevant bleiben würden: Es sind die vier aufeinanderfolgenden LPs der ersten Achtziger-Hälfte. Jene Umbruch- und Transformationsphase, in der das Trio sich in der Epoche umsah, sich auf globaler Ebene relevant machte und auch auf unserer Seite des Teichs Jungmänner zu beeinflussen begann. Es ist die Phase, die mir und meinen Altersgenossen in die DNA geschrieben wurde. Wir waren zufällig gerade da und erreichten das Alter, in dem wir ermittelten, wer stellvertretend für uns die Dinge ausformulieren durfte, jene schwierigen Sachverhalte, die wir zwar fühlten, aber noch nicht so recht zu artikulieren wussten. Rush waren die global denkenden, libertären Humanisten dieses Lebensalters. Und die vier aufgeräumten, unendlich virtuosen LPs rühren einen heute fast noch mehr als damals:
Permanent Waves (1980)
Davor, ab 1975, fabrizierte Rush eher so einen elaborierten Pseudo-Progressive-Hardrock aus Phantasien, für meinen Geschmack viel zu großspurig, verschwurbelt, behauptet tiefsinnig und dabei nie abgespaced genug. Die erste Textzeile von Permanent Waves hingegen lautet einfach nur: „Begin the day with a friendly voice“. Und der Hit-Song „Spirit of Radio“ kommt bewundernswert direkt zur Sache, der Text wendet sich gegen das Formatradio und gerät ein bisschen arg selbstgefällig, aber das ist Hochenergie-Musik, Hardrock ohne Wenn und Aber, und nach hinten raus macht er allen Ernstes auf Reggae. Rush sind in unserem Raumzeitkontinuum angekommen. Und so geht das munter weiter auf der Platte. Zum Beispiel auf dem Melodic-Rocker „Freewill“. Mit diesen straighten Dingern zeigen Lee/Lifeson/Peart viel eher, was sie draufhaben, als auf überambitionierten 20minütigen Rock-Suiten über Apollo, Dionysos und irgendwelche mystischen Tempel auf dem weltfernen Nerd-Planeten. Okay, weiter hinten auf Permanent Waves gibt es auch so sperrige Progressive-Klöpse wie „Jacob’s Ladder“ und „A Natural Science“, aber selbst die sind irgendwie melodiöser als früher.
Supervitales Rockalbum mit total einmaligem, damals prägendem Crossover-Stil.
Moving Pictures (1981)
Nonplusultra. Die Platte fängt an mit Rushs bekanntestem
Song, „Tom Sawyer“, der mir damals auf der Heiligen Stereoanlage das
Oberstübchen neu verkabelt hat. Seitdem achte ich bei Rocksongs immer zuerst
auf den Drummer. Zum geheimen Lieblingsstück entwickelte sich aber kurz darauf
„Red Barchetta“, die anheimelnde, automobilfreundliche Geschichte vom über die
Landstraße rasenden Onkel. Musikalisch allererste Sahne und stärker denn je mit
diesen Ska-Rock-Akzenten. Das Instrumentalstück „YYZ“ wird zum Inbegriff
Rush’scher Virtuosität und kokettiert mit dem Jazzrock, bis es funkt. Danach
haben wir noch drei Rocker, einer davon gar düsterlich („Witch Hunt“), einer
Ska, sowie einen letzten Restbestand der verteufelt progressiven 70er.
Eine unerreichte Ansammlung von lebensbejahenden Stimmungen
und fest ineinander gedrehten Stilrichtungen. Wave-Rock geradezu, Betonung
natürlich auf Rock.
Signals (1982)
Es geht so richtig los mit den Keyboards. Das mochten damals
nicht alle. Geddy Lee hat sich mächtig weitergebildet an den Tasten und stellt
sie in den Vordergrund. Aber er tut das geschmackvoll und degradiert seinen
Gitarrenkumpel Alex Lifeson (noch) nicht vollends zum Statisten.
Das Überzeugende an Signals ist aber (neben dem Cover) das
Songmaterial, eine Abfolge von Höhenflügen melodischen, teils elegischen Rocks,
der sich anders – hibbeliger – artikuliert als der Rest der Epoche. Die
Melodien machen immer einen Schlenker mehr, die Rhythmen ziehen an und lassen
gehen. Dazwischen die faszinierenden Klangfarben des notorischen Crossover. Man
hörte damals so etwas in den Charts, ja, aber nie, niemals in dieser
Kombination.
Ewige Favoriten: „Subdivisions“ und „The Analog Kid“. Wunderwerke.
Grace Under Pressure (1984)
Technokratisches Hit-Album. Wurde damals überall
herumgereicht. Mehr Elektronik denn je, Peart spielt sogar Synthie-Drums. Weite
Keyboardflächen, allerdings immer noch in Balance zur Gitarre. Ein würdiger
Nachfolger von Signals in Sachen Songwriting. Anziehen, loslassen, verzwirbeln,
über die Grenzen hinausziehen und doch zugänglich halten. Aus einem einzelnen
Rush-Song machen andere Bands eine ganze Platte. Geheimfavorit: „The Enemy
Within“. Was für ein Drive!
Das wirklich Bleibende an diesem Album ist seine düstere
Kalter-Krieg-Stimmung, sein alarmistischer Charakter und der fast ungläubig
wirkende Zustand zwischen Empörung und Trauer. Für mich fängt kaum ein
Rockalbum die Epoche so ein wie dieses. Ein Song wie „Between The Wheels“
sollte zur eigentlichen Hymne der Achtziger erklärt werden, nicht diese
hirnverbrannten 99 Luftballons.
Danach wurden Rush mit Alben wie Power Windows und Hold Your Fire leider, leider zum 80er-Designer-Rock.
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