Der aufregendste und zugleich idyllischste Spielplatz der Welt ist meines Erachtens ein Heuboden. Der kombinierte Heu/Strohboden.
Man muss der urbanen Konsumentengeneration, die glaubt, Kühe seien generell lila und trügen coole Sonnenbrillen, weil sie auf Schokolade und Milchtüten so abgebildet werden, einen Exkurs vorausschicken. Heu ist getrocknetes Gras und dient als Futtermittel. Stroh besteht aus Getreidehalmen und dient im Stall als Unterlage für Kühe. Es verwandelt sich tagtäglich in Mist, wenn die Kühe drauf kacken und strullen.
Bei der Getreideernte fährt der Mähdrescher übers Feld und massakriert das Getreide. In seinem rätselhaften mechanischen Inneren trennt er Korn von Halmen, schüttet das Korn über einen Ausguss in einen nebenher fahrenden Wagen, presst die Halme hingegen zu Ballen, umwickelt sie mit Seil und kackt sie am anderen Ende aufs abgeerntete Feld. Tags darauf kommt der Bauer mit dem Traktor und einem Wagen und einigen Helferlein und sammelt die Ballen ein. Dann fährt er sie auf seinen Hof, parkt den Wagen neben dem Stall und der vertikal verlaufenden Förderkette mit den Transportzacken, schmeißt diese an und beginnt damit, die Strohballen abzuladen. Die Kette befördert sie nach oben und lässt sie auf dem Heu/Strohboden verschwinden, wo irgendein Helferlein sie schichtet.
Wenn das alles erledigt ist, wieder Ruhe einkehrt und der Staub sich legt, ist der Strohboden überm Stall voll mit Ballen. Es riecht toll, ist schummrig, und der große Speicherraum wird zu einem exquisiten Labyrinth. Diese geheime, unberechenbare Landschaft verändert sich zudem ständig, weil der Bauer täglich hinaufklettert und durch eine Luke Ballen herunterschmeißt, da er neues Stroh für die Kühe braucht. Das alte haben die ja vollgekackt und in Mist verwandelt.
Der Mist wird übrigens über ein klappriges Förderband mit Schaufeln, das hinter den Kuhärschen verläuft, nach draußen transportiert und landet auf dem Misthaufen. Von dort sickert die Flüssigkeit in ein Reservoir unter dem Haufen. Man nennt das dann Jauche. Von Zeit zu Zeit füllt der Bauer mittels einer Pumpe einen Fassanhänger mit Jauche und bringt diese auf den Feldern als Dünger aus. Dann riecht es meistens streng auf dem Land, und die Touristen aus der Stadt halten sich die Nase zu und brabbeln etwas davon, sie hätten sich die gute Landluft aber anders vorgestellt. Blödis.
Der Heuboden ... Man wird, sofern die eigenen, ungefähr gleichaltrigen Cousinen Bauerstöchter sind, frühzeitig initiiert und darf mit hoch zum mystischen Ort. Mit vier, fünf Jahren spätestens. Man erreicht den Heu/Strohboden vom Stall aus über eine heubedeckte Leiter und findet sich sofort, nachdem man den Kopf durch die Öffnung gesteckt hat, in einer anderen, stilleren Welt wieder, fast wie in einem Bergmassiv, durch dessen Luft Staubteilchen driften und von Sonnenstrahlen, die durch Schlitze, Ritzen und die große Öffnung für die Transportkette fallen, illuminiert werden. Wie eine Freeclimbing-Halle ohne Erwachsene, ohne Sicherheitsleinen, ohne Sturzhelme, dafür mit berauschendem Geruch. Unten drunter befindet sich der Stall mit den Kühen, ihre Dünste ziehen herauf, die ihrer Ausscheidungen, die ihres Kraft- oder Grünfutters, und vermischen sich mit dem Duft des Strohs und des Heus. Man hört bloß gedämpft kauende Kühe, ab und zu muht eine unmotiviert, pisst einen Strahl ins Stroh oder klatscht einen Fladen hin. Manchmal schnaubt der Zuchtbulle in der abgetrennten Box und tritt gegen seine Tür, wenn ihm gerade danach ist. Oben herrscht eine Zeitlang stille Andacht, ehe die Toberei losgeht.
Es gibt Ballen bis unter die hohe Decke und in den teils offenen Dachstuhl, aber nie so diszipliniert und eng gestapelt, dass man nicht zwischen ihnen durchrennen, darauf herumklettern oder Höhlenbildungen untersuchen könnte. Natürlich ist das scheißgefährlich, denn so etwas kann einstürzen. Ein, zwei Ballen tun einem nichts, aber zwanzig, dreißig, eine ganze Lawine aus Ballen, während man gerade in einer Höhle steckt? Es bleibt uns überlassen, das zu checken und die Gefahren zu erkennen oder auch nicht. Heu gibt es auch da oben. Heu ist weicher und liegt lose aus, nicht gepresst. Man springt metertief von Strohballen ins Heu. Dabei muss man aufpassen, dass es auch hoch genug liegt, denn der Boden ist aus nacktem Beton, und mit dem möchte man keine Bekanntschaft schließen. Ich lernte ihn einmal kennen und prellte mir bei einer Heu-Arschbombe ganz gehörig den Steiß. Arztbesuch. Tut manchmal heute noch weh, eventuell ein Haarriss im Steißknochen.
Attraktiv ist auch die Transportkette, die von draußen vertikal hereinkommt, unter der Decke in die Horizontale abknickt und durch den ganzen Raum verläuft, damit sie Ballen in jede Ecke transportieren kann. Sie verfügt über ein orangefarbenes Sicherheitsgestänge, fest in der Decke verankert, an dem man sich entlanghangeln kann, um sich dann aus großer Höhe ins Heu fallen zu lassen. Es gibt einen älteren Teil des Heubodens, abgetrennt von dem neueren, durch einen alten, gratigen Mauerdurchbruch zu erreichen, für den festes Schuhwerk zu empfehlen ist. Da gibt es kein Fenster, es ist noch schummriger, es riecht noch intensiver, die Mauern sind uralt, man sieht nicht mal, wohin man springt. Ideal zum Verstecken und Verweilen und zum Verschüttgehen und nie wieder Auftauchen.
Wir mussten im Frühjahr und im Herbst ein wenig aufpassen, wenn die Katzen hier ihre Jungen warfen. Wir machten einen weiten Bogen um sie und behandelten sie stets wie wertvolles Porzellan, die kleinen Geschöpfe, denn schließlich waren sie Geistesverwandte. Irgendwann purzelten sie über verschlungene Pfade runter in den Stall und legten ihrerseits zwischen den Kühen los mit dem Getobe.
Natürlich ist so ein Heuboden auch toll zum Knutschen oder für Doktorspiele. Ich muss gestehen, gewisse präpubertäre Fantasien diesbezüglich gehegt zu haben, ohne sie jedoch so recht zu verstehen. Wir waren einfach noch zu jung dafür, und als man in das entsprechende Alter kam, hatte der Heuboden für uns schon keine wirkliche Relevanz mehr. Die Aktivitäten hatten sich anderswohin verlagert. Glücklicherweise hatten wir wenigstens unsere ersten, verbotenen Experimente mit Filterzigaretten nicht da oben durchgeführt.
Später soll sich da mal tagelang ein von der Polizei gesuchter Krimineller versteckt haben, ehe er abhaute und sich im Saarland umbrachte. Würde gerne mal wissen, wie der mystische Ort heute aussieht, nachdem der Bauer seinen Hof aufgegeben hat. Der Bauer, mein Patenonkel, wohnt da noch, aber die ganze bäuerliche Infrastruktur und die ganzen Utensilien sind außer Betrieb und leer geräumt.
Man muss der urbanen Konsumentengeneration, die glaubt, Kühe seien generell lila und trügen coole Sonnenbrillen, weil sie auf Schokolade und Milchtüten so abgebildet werden, einen Exkurs vorausschicken. Heu ist getrocknetes Gras und dient als Futtermittel. Stroh besteht aus Getreidehalmen und dient im Stall als Unterlage für Kühe. Es verwandelt sich tagtäglich in Mist, wenn die Kühe drauf kacken und strullen.
Bei der Getreideernte fährt der Mähdrescher übers Feld und massakriert das Getreide. In seinem rätselhaften mechanischen Inneren trennt er Korn von Halmen, schüttet das Korn über einen Ausguss in einen nebenher fahrenden Wagen, presst die Halme hingegen zu Ballen, umwickelt sie mit Seil und kackt sie am anderen Ende aufs abgeerntete Feld. Tags darauf kommt der Bauer mit dem Traktor und einem Wagen und einigen Helferlein und sammelt die Ballen ein. Dann fährt er sie auf seinen Hof, parkt den Wagen neben dem Stall und der vertikal verlaufenden Förderkette mit den Transportzacken, schmeißt diese an und beginnt damit, die Strohballen abzuladen. Die Kette befördert sie nach oben und lässt sie auf dem Heu/Strohboden verschwinden, wo irgendein Helferlein sie schichtet.
Wenn das alles erledigt ist, wieder Ruhe einkehrt und der Staub sich legt, ist der Strohboden überm Stall voll mit Ballen. Es riecht toll, ist schummrig, und der große Speicherraum wird zu einem exquisiten Labyrinth. Diese geheime, unberechenbare Landschaft verändert sich zudem ständig, weil der Bauer täglich hinaufklettert und durch eine Luke Ballen herunterschmeißt, da er neues Stroh für die Kühe braucht. Das alte haben die ja vollgekackt und in Mist verwandelt.
Der Mist wird übrigens über ein klappriges Förderband mit Schaufeln, das hinter den Kuhärschen verläuft, nach draußen transportiert und landet auf dem Misthaufen. Von dort sickert die Flüssigkeit in ein Reservoir unter dem Haufen. Man nennt das dann Jauche. Von Zeit zu Zeit füllt der Bauer mittels einer Pumpe einen Fassanhänger mit Jauche und bringt diese auf den Feldern als Dünger aus. Dann riecht es meistens streng auf dem Land, und die Touristen aus der Stadt halten sich die Nase zu und brabbeln etwas davon, sie hätten sich die gute Landluft aber anders vorgestellt. Blödis.
Der Heuboden ... Man wird, sofern die eigenen, ungefähr gleichaltrigen Cousinen Bauerstöchter sind, frühzeitig initiiert und darf mit hoch zum mystischen Ort. Mit vier, fünf Jahren spätestens. Man erreicht den Heu/Strohboden vom Stall aus über eine heubedeckte Leiter und findet sich sofort, nachdem man den Kopf durch die Öffnung gesteckt hat, in einer anderen, stilleren Welt wieder, fast wie in einem Bergmassiv, durch dessen Luft Staubteilchen driften und von Sonnenstrahlen, die durch Schlitze, Ritzen und die große Öffnung für die Transportkette fallen, illuminiert werden. Wie eine Freeclimbing-Halle ohne Erwachsene, ohne Sicherheitsleinen, ohne Sturzhelme, dafür mit berauschendem Geruch. Unten drunter befindet sich der Stall mit den Kühen, ihre Dünste ziehen herauf, die ihrer Ausscheidungen, die ihres Kraft- oder Grünfutters, und vermischen sich mit dem Duft des Strohs und des Heus. Man hört bloß gedämpft kauende Kühe, ab und zu muht eine unmotiviert, pisst einen Strahl ins Stroh oder klatscht einen Fladen hin. Manchmal schnaubt der Zuchtbulle in der abgetrennten Box und tritt gegen seine Tür, wenn ihm gerade danach ist. Oben herrscht eine Zeitlang stille Andacht, ehe die Toberei losgeht.
Es gibt Ballen bis unter die hohe Decke und in den teils offenen Dachstuhl, aber nie so diszipliniert und eng gestapelt, dass man nicht zwischen ihnen durchrennen, darauf herumklettern oder Höhlenbildungen untersuchen könnte. Natürlich ist das scheißgefährlich, denn so etwas kann einstürzen. Ein, zwei Ballen tun einem nichts, aber zwanzig, dreißig, eine ganze Lawine aus Ballen, während man gerade in einer Höhle steckt? Es bleibt uns überlassen, das zu checken und die Gefahren zu erkennen oder auch nicht. Heu gibt es auch da oben. Heu ist weicher und liegt lose aus, nicht gepresst. Man springt metertief von Strohballen ins Heu. Dabei muss man aufpassen, dass es auch hoch genug liegt, denn der Boden ist aus nacktem Beton, und mit dem möchte man keine Bekanntschaft schließen. Ich lernte ihn einmal kennen und prellte mir bei einer Heu-Arschbombe ganz gehörig den Steiß. Arztbesuch. Tut manchmal heute noch weh, eventuell ein Haarriss im Steißknochen.
Attraktiv ist auch die Transportkette, die von draußen vertikal hereinkommt, unter der Decke in die Horizontale abknickt und durch den ganzen Raum verläuft, damit sie Ballen in jede Ecke transportieren kann. Sie verfügt über ein orangefarbenes Sicherheitsgestänge, fest in der Decke verankert, an dem man sich entlanghangeln kann, um sich dann aus großer Höhe ins Heu fallen zu lassen. Es gibt einen älteren Teil des Heubodens, abgetrennt von dem neueren, durch einen alten, gratigen Mauerdurchbruch zu erreichen, für den festes Schuhwerk zu empfehlen ist. Da gibt es kein Fenster, es ist noch schummriger, es riecht noch intensiver, die Mauern sind uralt, man sieht nicht mal, wohin man springt. Ideal zum Verstecken und Verweilen und zum Verschüttgehen und nie wieder Auftauchen.
Wir mussten im Frühjahr und im Herbst ein wenig aufpassen, wenn die Katzen hier ihre Jungen warfen. Wir machten einen weiten Bogen um sie und behandelten sie stets wie wertvolles Porzellan, die kleinen Geschöpfe, denn schließlich waren sie Geistesverwandte. Irgendwann purzelten sie über verschlungene Pfade runter in den Stall und legten ihrerseits zwischen den Kühen los mit dem Getobe.
Natürlich ist so ein Heuboden auch toll zum Knutschen oder für Doktorspiele. Ich muss gestehen, gewisse präpubertäre Fantasien diesbezüglich gehegt zu haben, ohne sie jedoch so recht zu verstehen. Wir waren einfach noch zu jung dafür, und als man in das entsprechende Alter kam, hatte der Heuboden für uns schon keine wirkliche Relevanz mehr. Die Aktivitäten hatten sich anderswohin verlagert. Glücklicherweise hatten wir wenigstens unsere ersten, verbotenen Experimente mit Filterzigaretten nicht da oben durchgeführt.
Später soll sich da mal tagelang ein von der Polizei gesuchter Krimineller versteckt haben, ehe er abhaute und sich im Saarland umbrachte. Würde gerne mal wissen, wie der mystische Ort heute aussieht, nachdem der Bauer seinen Hof aufgegeben hat. Der Bauer, mein Patenonkel, wohnt da noch, aber die ganze bäuerliche Infrastruktur und die ganzen Utensilien sind außer Betrieb und leer geräumt.