Montag, 29. Juni 2009

Tektonik

Die Eifel fällt gerade zurück in die geologische Frühgeschichte. Zumindest was die Reisegeschwindigkeit betrifft. Man nimmt dort neuerdings die Kontinentalverschiebung wahr, kein Witz.
Die B51 zwischen Köln und dem Dorf war seit jeher eine Übung in Langmut. Kraftfahrstraße und Hauptverkehrsachse der Region und zugleich Abkürzung für LKWs, die zwischen skandinavischen Industriestädten und südeuropäischen Obstplantagen pendeln. Nach der Öffnung Osteuropas dann … o je ... Hier treten seit Jahrzehnten Durchreisende und Einheimische gegeneinander an, um herauszufinden, wer den härteren Schädel hat. Herrlich kreative, suizidale Fahrmanöver, immer gut für einen lauten Fluch oder ein noch lauteres Auflachen.
Nun jedoch eine Neuerung: Im Zuge sommerlicher Ausbesserungsarbeiten wurde nahezu jede Überholmöglichkeit gesperrt und mit Baustellen versehen. Die Illusion des Vorankommens wird einem genommen. Alle Überholspuren sind dicht, und als sich mir dieses Drama in einem mitleidlosen Nacheinander (gesperrt … gesperrt … auch gesperrt …) offenbart, kichere ich zunehmend irre. Hi. Hihi. Hihihi. Ich werde wahnsinnig. Ich muss so langsam fahren, dass ich die Tektonik unter den Reifen wahrnehme, das schiere Alter der Welt. Nicht ich bewege mich, sondern werde bewegt! Denn wenn gerade kein Laster vor einem keucht, dann ist es garantiert ein Düsseldorfer Rentner. Ich gebe es auf, nehme es poetisch und fühle mich wie ein Teil der planetaren Verschiebungen. Wenn das so weitergeht, befördert die Tektonik mich, das Auto und diese Straße schneller ans Ziel als der Motor. Und im Rückspiegel lässt derweil der Porschefahrer seinen eigenen Motor im zweiten Gang aufröhren, während sein Gesicht immer violetter wird und seine Frontscheibe beschlägt. Ich bin beruhigt: Gegen den ist mein eigener poetischer Wahnsinn mild. Der kichert nicht, der schreit. Er findet definitiv keinen Spaß daran, sich mit der Tektonik treiben zu lassen. Dann vollführt er auch noch dauernd diese Zickzack-Fahrbewegungen wie die Formel-1-Fahrer, wenn sie in der Einführungsrunde ihre Reifen aufwärmen. Ein verzweifeltes Zeichen, dass er noch lebt, die pure Weigerung, zur Kontinentalplatte zu erstarren. Auf dem vorletzten Stück, selige Autobahn, zieht er weg, schnappt sich mich und den Düsseldorfer Rentner, ein paar Lastwagen noch dazu – um kurz darauf in der nächsten Baustelle von 250 km/h auf 30 km/h runtergebremst zu werden. Da vorne, zwischen den Lastern, kann ich ihn sehen, wie er wieder seine Zickzack-Manöver ausführt, zucke mit den Schultern und beobachte leise kichernd, wie die Hügel um mich herum rollen.

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