Ich habe schon mal (aus der Erinnerung) von diesem Science-Fiction-Kinder-/Jugendfilm berichtet, der vor kurzem, dreißig Jahre nach Erstausstrahlung, als DVD erschienen ist. Nachdem ich ihn jetzt nach langer, langer Zeit wiedergesehen habe, muss ich mich zwanghaft etwas intensiver an ihm abarbeiten. Das bin ich der eigenen Vergangenheit schuldig.
Damals, ja, damals war die dunkle Zeit der Pädagogenherrschaft. Sie verbündeten sich mit dem Leitmedium Fernsehen und generierten erfolgreiche Kinder-Mehrteiler, mit denen sie Jugendliche, die dem Sandmännchen und der Augsburger Puppenkiste entwachsen waren, ernst nehmen wollten, ihnen komplexere Filmerzählungen präsentierten und sie zugleich pädagogisch steuerten. Zu diesem Zweck griff man mitunter auf schon ältere, aber populäre Jugendbücher zurück, adaptierte und modernisierte sie. Timm Thaler (ZDF, nach James Krüss) war der Star des Genres, sein Darsteller Thommie Ohrner in der damaligen Medienlandschaft allgegenwärtig. Wir Jungs, die von den Mädels wegen ihm links liegen gelassen wurden, hassten ihn selbstverständlich. Das tun wir eigentlich heute noch. Hormonelle Fragen hatten die Pädagogen nicht berücksichtigt.
Jan vom goldenen Stern sollte eine Reaktion des WDR auf den deutschen Jugendserien-Boom sein, aber auch ein Gegengewicht zu den beliebten tschechoslowakischen Serien mit phantastischer Thematik. Als Grundlage zog Drehbuchautor und Regisseur Peter Podehl den Roman The Forgotten Door (1965) des Amerikaners Alexander Key heran, der 1975 als Die Tür zu einer anderen Welt in Übersetzung erschienen war, und verlegte ihn in die deutsche Provinz. Es kamen für damalige Verhältnisse ungewöhnlich aufwendige Bauten und Bluebox-Tricks zum Einsatz. Zumindest behauptete man das und schickte der Ausstrahlung der Mini-Serie gleich noch ein Making-Of über die Trickaufnahmen in einer Fabrikhalle in Köln-Kalk hinterher. In einer Jugend-Programmzeitschrift namens Siehste!, einem Ableger der Hörzu, wurde das Projekt mächtig beworben, Interviews sowie eine epische Paraphrase des Drehbuchs kurz vor dem Serienstart als Fortsetzungsgeschichte abgedruckt, inklusive neugierig machender Standfotos.
Der Film wurde im Sommer 1979 von einem Team des WDR zu weiten Teilen in unserem Südeifel-Dörfchen gedreht. Ich lungerte während der Sommerferien jeden Tag am Drehort herum. Der Stoff war für mich wie gemacht, denn ich war ein 12jähriger Science-Fiction-Fan. Ich konnte mein Glück kaum fassen, direkt daneben zu stehen, während so etwas Exklusives gedreht wurde, oder für die Filmleute im Tante-Emma-Laden des Dorfs Bier kaufen zu dürfen. Weitere Drehorte waren im übrigen Köln, Trier und diverse Waldgegenden in der Eifel. In einer „Massenszene“ spielten eine Menge Statisten aus dem Dorf mit. Als Wohnhaus der Protagonisten-Familie diente für Außen- und Innenaufnahmen das alte, leerstehende Pfarrhaus der Gemeinde.
Darsteller Lutz Hochstraate kannte man aus einer Pfarrersserie, außerdem war er der Lebensgefährte von Barbara Rütting, die während der Dreharbeiten auch mal vorbeischaute. Hochstraates Filmpartnerin Thekla Carola Wied befand sich damals gerade mal auf dem Sprungbrett. Zwei jugendliche Darsteller, die man in Köln gecastet hatte, komplettierten die zentrale Filmfamilie. Hauptdarsteller Balthasar Lindauer wurde danach auf dem Bildschirm nie wieder erblickt. Er hat anderweitig Karriere gemacht. Hoffentlich denkt jemand daran, ihm jetzt die DVD zu schicken.
Gesendet wurde Jan vom goldenen Stern als Dreiteiler à 30 Minuten im März 1980 im Nachmittagsprogramm der ARD, in den wenigen späteren Ausstrahlungen wurde er zum 90minütigen Spielfilm.
Erzählt wird die Geschichte eines Jungen, der von einem anderen, fortschrittlicheren und irgendwie auch esoterischeren Planeten durch eine Art Dimensionstor buchstäblich auf die Erde fällt. Leicht verletzt und verwirrt landet er in der Eifel, läuft der freundlichen Familie Kaufmann in die Arme und wird von dieser aufgenommen. „Jauon“, der sich etwa wie „Jan“ ausspricht, verfügt auf Erden über besondere Kräfte: Er kann Gedanken lesen und zwanzig Meter weit springen. Beides ist nützlich, wenn es darum geht, das Misstrauen der Erdenbürger früh zu erkennen und ihren Zudringlichkeiten zu entkommen. Während Herr Kaufmann für Nachbarn und Behörden an einer Legende über den Neuankömmling strickt, glauben die Mitbürger mehr und mehr zu erkennen, dass der „unnatürliche“ Junge gefährlich ist, und diffamieren ihn. Behörden, Geheimdienste, Presse und kriminelle Vigilanten machen es Jan und der Familie fortan so schwer, dass alle gemeinsam zurück auf seinen Planeten fliehen, nachdem die Außerirdischen das Dimensionstor irgendwo im Eifelwald wieder etabliert haben.
Peter Podehl hatte zuvor schon einige bemerkenswerte ARD-Klassiker zu verantworten oder maßgeblich daran mitgewirkt. Vor allem Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt und Lemmi und die Schmöker waren originelle Hybridformen, in denen Puppen mit Realfilm vertrickst wurden und dem jugendlichen TV-Zuschauer ganz neue Dimensionen visueller Phantasie erschlossen. Podehl sollte also für den tricktechnisch aufwendigen Jan vom goldenen Stern genau der Richtige sein. Das Projekt ging jedoch nach hinten los. Das lag zweifellos an einer biederen Inszenierung, läppischen Tricks auf dem Niveau von B-Filmen der 50er, notorischer Redundanz und Geschwätzigkeit sowie nervigen Schauspielern, die entweder nur kruden Text aufsagten oder frohgemut chargierten. Der Junge von außerhalb hat hauptsächlich eine relevante Textzeile: "Ich kann mich nicht erinnern." Als sein schauspielerisches Gegengewicht fungiert die hysterische Frau des kriminellen Försters, die bis zum Erbrechen hyperventiliert: "Der Junge ist nicht natürlich!"
Jans grundsätzliches Scheitern hatte aber auch zu tun mit dem pädagogischen Gehalt des Drehbuchs, das zwar die Grundzüge des Key-Romans aus den Sechzigern übernahm, sie aber im Sinne des WDR in die damalige bundesrepublikanische Wirklichkeit einpasste. Es spiegelt das zunehmende linksbürgerliche Unbehagen des ausgehenden Kalten Krieges wider, die Skepsis gegenüber der Staatsmacht und überhaupt den Grundpfeilern der deutschen Spießer-Gesellschaft, tut das aber wie in einem Zerrspiegel und macht sich dabei ziemlich lächerlich. Wie gesagt, es war die dunkle Zeit der Pädagogenherrschaft.
Die zentrale Filmfamilie ist Proto-Patchwork. Hochstraate als „Thomas Kaufmann“ ist nicht der Vater, Wieds Tochter ist nicht sein Kind und nennt ihn entsprechend nicht „Papa“, sondern beim Vornamen. Die Tochter wird allem Anschein nach antiautoritär erzogen, sie ist frech, vorlaut, aufgeweckt, fällt den Erwachsenen ins Wort und korrigiert sie, ohne dass jemand von denen sie zurechtweist. Man möchte heute dauernd draufhauen. Hochstraate und Wied sind nicht verheiratet, Wied ist in Hochstraates Haus nur „Gast“, wenn sie mit der Tochter aus Köln zu Besuch kommt. Das Paar schläft nicht im Doppelbett, sondern in um neunzig Grad versetzten Einzelbetten. Sie tragen unterschiedliche Nachnamen, aber ihre Umwelt identifiziert sie quasi automatisch als Ehepaar und spricht Wied mit „Frau Kaufmann“ an, was dann von Wied dauernd verbessert werden muss. Ein Hinweis darauf, wie ungewohnt die Patchwork-Idee um 1980 noch war. Hochstraates Filmfigur wirkt insgesamt wie ein Grüner im Werden. Er ist Ingenieur und beteiligt am Bau des Notstandsbunkers der Bundesregierung, also durchaus ein Systemrelevanter. Er ist politisch informiert und kennt, wie er ironisch bemerkt, seine Pflichten als Staatsbürger. Vor allem aber kennt er seine Rechte und begegnet der Staatsmacht sehr reserviert, später sogar empört und zunehmend aufgelöst. Durch das Hinzustoßen des außerirdischen Jungen wird der ganze Patchwork-Charakter noch verstärkt und durch die Brisanz des Besuchers zugleich gefährdet. Diese vier sind das unbedingte Sympathiezentrum des Films.
Und ja, ein treuer Hund gehört auch dazu. Mit dem Tierschutz schien man damals allerdings noch nicht so weit: Der Hund ist draußen an einer Laufleine angekettet, der arme Kerl. WDR-Cheftierschützerin Claudia Ludwig würde das heute sicher lautstark bemängeln und die zuständigen Redakteure belagern. Das wäre allerdings vorschnell, denn der Hund hat seinen Part zu spielen: Er ist aggressiv und bissig, ehe er sich durch den beruhigenden Einfluss des telepathischen, pazifistischen und vegetarischen (!) Jungen vom anderen Stern zum netten Familienhund wandelt. Der bissige Schäferhund namens Roland darf verstanden werden als Symbol für den Charakter Hochstraates, der noch dem alten kerndeutschen System anhängt, von diesem aber im Laufe der Handlung geheilt wird. Zudem symbolisiert der unruhige Hund unruhige Patchwork-Verhältnisse, die letztlich doch zur familiären Vollendung streben. Im selben Moment, in dem der Hund handzahm geworden ist, bekundet Wieds Tochter, dass sie „Thomas“ endlich „Papa“ nennen will.
Es existiert auch ein zu Hund Roland gegenläufiger Charakter: Der anfangs so nette Herr Dr. Feller erweist sich nämlich als MAD-Obermotz und wird mit zunehmender Länge des Films ausgesprochen bissig. Die Patchworker werden durch ein Dingsymbol an jenen Dr. Feller gekettet, auf einer persönlicheren Ebene, die sich aus der beruflichen heraus ergibt. Wied ist Goldschmiedin, fertigt für den Auftraggeber ihres Lebensgefährten einen Ring an und muss sich dauernd entschuldigen, dass das Schmuckstück noch nicht fertig ist. Am Ende steht Staatsvertreter Feller im verlassenen Verkaufsraum, betrachtet seufzend den herumliegenden unfertigen Ring und wird sich seiner Niederlage bewusst: Der Ring wird nun nie fertig werden, denn die Goldschmiedin hat seinen Einflussbereich verlassen und ist ins extraterrestrische Exil gegangen.
Es existiert auch ein zu Hund Roland gegenläufiger Charakter: Der anfangs so nette Herr Dr. Feller erweist sich nämlich als MAD-Obermotz und wird mit zunehmender Länge des Films ausgesprochen bissig. Die Patchworker werden durch ein Dingsymbol an jenen Dr. Feller gekettet, auf einer persönlicheren Ebene, die sich aus der beruflichen heraus ergibt. Wied ist Goldschmiedin, fertigt für den Auftraggeber ihres Lebensgefährten einen Ring an und muss sich dauernd entschuldigen, dass das Schmuckstück noch nicht fertig ist. Am Ende steht Staatsvertreter Feller im verlassenen Verkaufsraum, betrachtet seufzend den herumliegenden unfertigen Ring und wird sich seiner Niederlage bewusst: Der Ring wird nun nie fertig werden, denn die Goldschmiedin hat seinen Einflussbereich verlassen und ist ins extraterrestrische Exil gegangen.
Obwohl sie eigentlich aus großstädtischem Umfeld kommen, haben Hochstraate und Wied sich zur Selbstverwirklichung das Landleben ausgesucht. Da soll es ja schön sein. Prächtiges, altes Haus, viel Grün, viel Ellenbogenfreiheit, die Tochter darf hier im Gegensatz zur Stadt Fahrrad fahren. Hier kann man bürgerlich-alternativ und selbständig leben. Da redet einem niemand rein. Schwerer Fehler. Denn hier gibt es sie noch, die Hexenjäger. Weiß doch jeder. Sie treten auf:
a) als sensationslüsterne Bauerntrampel (schönen Gruß an die Statisten aus dem Dorf, die für 50 Mark Tagesgage auftraten),
b) als dummdreiste, kleinkriminelle Hetzer, angeführt von einer hysterischen, irrationalistischen Vettel ("Der Junge ist nicht natürlich!") und einem schweinebackigen Jägersmann, die dem fremden Jungen die eigenen Diebstähle in die Schuhe schieben,
c) als geifernde Presse (schönen Gruß an den Trierischen Volksfreund, der dafür seine Redaktionsräume zur Verfügung stellte),
d) als Militärischer Abschirmdienst und Kalter-Krieg-Staatsmacht, die die Eifel, den „Flugzeugträger der NATO“, umfassend überwacht und gegen staatszerstörerische Aktivitäten absichert. Das Militär rückt bei Aliens ja traditionell immer an, jedoch kommt hier erstaunlicherweise niemand auf die Idee, dass es sich bei Jan um einen solchen handelt, sondern man vermutet in ihm einen als Russland-Aussiedler getarnten Spion. (Wäre der MAD auf den Trichter gekommen, was Jan wirklich ist, hätte er ihn vermutlich laufen lassen: „Ach, kein Spion? Dann ist gut … Moment mal, ist er eventuell berechtigt, für seinen Planeten Waffengeschäfte zu tätigen?“)
Die Welt ist schlecht! Da will man eigentlich nichts anderes als gemütlich-patchworkig seine Ruhe haben, ist nur ein klein bisschen anders als der Rest, aber dann steht man unvermittelt jenem paranoiden, zerstörerischen Kuddelmuddel gegenüber, das die Gesellschaft vor 1980 laut Pädagogenmeinung so überdeutlich charakterisierte. Spießer, Heuchler, Paranoiker, Denunzianten, Ausländerfeinde, Obskurantisten, sinistre Staatsmacht, manipulative Presse. Was bleibt einem da anderes übrig als die buchstäbliche Weltflucht auf den goldenen Stern, wo die Leute offenbar den ganzen Tag in Renaissance-Kleidern endkommunistisch abhängen, die Sternlein betrachten, mit Tieren sprechen und ihre perfekte Gesellschaft esoterisch singend ausgestalten? Oder aber man geht eben zu den Grünen. Aber die gab es, herrje, zur Entstehungszeit des Films offiziell noch gar nicht.
Jan vom goldenen Stern ist der liebenswürdig-plumpe Versuch, die Jugend von damals auf progressiv zu trimmen, indem die Wirklichkeit für sie zart alarmistisch zurechtgebogen wird. War Timm Thaler noch eine Faustiade mit halbwegs zeitlosen Phantastik-Themen (und Horst Frank als dem hölzernsten Teufel der Filmgeschichte), gerät die Geschichte um den Knaben vom goldenen Stern zu drolliger, aber subtextuell handfester Polit-SF. Gerade deshalb ist sie als Zeitdokument mindestens so amüsant wie Monitor-Wiederholungen von damals. Um nach dieser dreisten Linksmanipulation wieder ins ideologische Gleichgewicht zu kommen, hätte man zwei Stunden lang ZDF-Magazin mit Gerhard Löwenthal schauen müssen, aber da war für 12jährige einfach zu wenig Science Fiction drin.