Wir hatten da diesen unangenehmen Geruch in der Wohnung. „Tote Maus“, sagte die Gemahlin. Aus Richtung Küchenspüle. War früher schon mal da, der Gestank, ging aber immer wieder rückstandslos weg. Diesmal nicht. Wurde eher schlimmer. Also musste der Gatte seine Einsachtzig mal unter die Spüle falten, um sich diese Installation anzuschauen. Sah ziemlich kompliziert aus. Zu viele Rohre, Winkel, Kurven, Schläuche, Klemmen, Schraubverbindungen, Hähne, mysteriöse n-dimensionale Räume und Verkrümmungen. Letztens Endes gelang es mit ein wenig Logik, Relativitätstheorie und Konzentration, das Geheimnis zu durchschauen und dem Chaos eine Struktur abzutrotzen.
Als Kern des Geschehens erwies sich der allerhinterste Teil, wo der Schlauch ins Abflussrohr in der Wand verschwindet. Dort hatten sich die Hinterlassenschaften mehrerer Mietergenerationen gestaut, teils chaotisch, teils chronologisch. Unsere natürlich auch, klar, aber diese Stelle war seit dem Hausbau vermutlich nicht gereinigt worden, zumindest aber seit dem Zeitpunkt, seit sich dort ein ominöses, hartes Teil (eine Schreibfeder?) verkantet hatte, sehr viel nachkommendes Spülegeröll nicht mehr durchgelassen und somit einen Pfropfen erzeugt hatte. Während besagter Pfropfen über Klo und Duschwanne ausgekratzt und durchgespült wurde, offenbarte sich Stück für Stück, woraus er bestand.
Geliertes Hackfleisch (wabbelig, nahezu durchsichtig), zusammengebackenes Hackfleisch (Konsistenz: Mörtel), mumifiziertes Hackfleisch (braun-schwarz), Erbsen und Möhrchen, burgundisches Gulasch (vier Stunden auf kleiner Flamme), lappenartige chinesische Pilze, blaue Paprikaschoten (vermutlich früher rot), Chio Chips, Eiersoße, ein Plüschtier, zwei Kondome (unbenutzt und noch verpackt), eine SIM-Karte, Reste einer „Bravo“ von 1982, Nasenkufen von gleich drei unterschiedlichen Brillen, zwei Druckerpatronen, ein Playmobil-Männchen (aus der Serie „Bauarbeiter“), ein Michael-Schumacher-Fan-Wimpel in Deutschlandfarben, Fingerknochen eines früheren Mieters oder Hausmeisters, ein handgeschriebener Notruf der Franklin-Expedition von 1847 (größtenteils unleserlich), ein Basketball ohne Luft, ein abgestorbener Ficus, die Leiche eines kleinwüchsigen, etwa 45jährigen Zeugen Jehovas, einen Stapel „Wachturm“-Hefte von 1973 noch umklammert. Und ja, eine tote Maus auch.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen