Genscher kommt ein bisschen später. Flieger ist gelandet, soviel ist klar, aber jetzt steckt der Wagen irgendwo im Stau. Im Foyer des Museums für Ostasiatische Kunst, wo sich die 750 geladenen Gäste eingefunden haben, wird es derweil zunehmend heißer und lauter und enger. T-Shirt hätte auch gereicht, denke ich bei mir, Hemd und Sakko wären nicht nötig gewesen. Kann man aber nicht machen bei einer solch gediegenen Veranstaltung. Es geht hier schließlich nicht um einen schlurfigen New Yorker Pop-Art-Künstler, zu dessen Ausstellungseröffnung sich die schrillen Musen mit ihren blöden Frisuren sammeln. Nein, hier ist die höhere Gesellschaft anwesend, um die starke deutsch-chinesische Achse zu feiern, die es traditionell in Köln gibt. Das „China-Jahr“ 2012 trägt der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Volksrepublik und Bundesrepublik vor vierzig Jahren Rechnung, ebenso der Begründung der Städtepartnerschaft Köln-Peking vor einem Vierteljahrhundert. Das hier ist also nicht nur Kultur, sondern hat eine diplomatische, außenpolitische Dimension. Da muss man schon ein klein wenig staatstragend aussehen und dreinschauen.
Das Palastmuseum Peking hat für die Ausstellung „Glanz der Kaiser von China“ nur für Köln knapp 200 Exponate aus der Verbotenen Stadt herausgerückt, speziell solche aus der Qing-Dynastie (ab 1644), die auch die starke Kooperation des chinesischen Kaiserhofs mit europäischen Jesuiten belegen.
Mit den Eröffnungsreden wird gewartet, bis Genscher da ist. Es wird wärmer und stickiger. Draußen im japanischen Garten, den man durch die Panoramafenster betrachten kann, flattern die Fledermäuse, mächtig irritiert von so viel noblem Volk. Ich mache mir derweil Sorgen um meinen Rücken, denn wir sitzen nun schon ziemlich lange auf diesen unbequemen Stühlen, und es kommen noch fünf Reden …
Dann entsteht Unruhe; er ist da: Genscher! Mit gelbem Pullunder! Applaus, obwohl er noch gar nichts gesagt oder getan hat. Der Bonus der lebenden Legende. Er wird ausgiebig begrüßt und redet dann diplomatisch und völlig frei von Völkerverständigung und Respekt vor der Kultur des anderen. Hätte man glatt erwarten können, aber Mannomann, das ist Genscher! Der war damals bei der Aufnahme besagter diplomatischer Beziehungen selbst mit dabei. Ich war da erst fünf und demzufolge nicht dabei.
Good Vibrations zwischen Deutschen und Chinesen, mächtig stolze Museumsdirektorin, nach vier weiteren Reden, einer davon auf Mandarin, geht es in die Ausstellung, wo die noble Gesellschaft am Eingang erst mal einen mächtigen Stau verursacht und sich die noblen Duftwässerchen ungünstig vermischen. Genscher wird von seiner Entourage durchs Gewühl nach vorn geschoben, einer der Fotografen schubst den Elder Statesman aus Versehen gegen mich.
Die Ausstellung selbst ist prächtig und exotisch und umfassend. Die unglaublich aufwendigen, nahezu fotorealistischen Kaiserporträts im zweiten großen Raum ziehen mich spontan am meisten an. Als säßen sie tatsächlich da, die Himmelssöhne. Aber man muss sich als Europäer bei diesen Exponaten konzentrieren, und dazu ist ein solcher Eröffnungsabend mit seinem Gewimmel nicht so ideal. Müsste man sicher noch mal hin, um in Ruhe zu gucken. Vorbeigeschlendert an Thronen, titanischen Hofmalereien, buddhistischen Religionsutensilien, Porzellan, zeremoniellen Waffen wie dem Schwert „Große Reinheit“ und der Muskete „Macht und Triumph“ und zurück im Foyer entdecke ich auf meinem Sakko eine Fluse von einem gelben Pullunder. Muss vorhin beim Anrempeln passiert sein. Genscher!