Das Dorf liegt im Tal, an einer Flusskehre, und schmiegt sich an einen verhältnismäßig sanften Hang. Auf der anderen Flussseite, die zum Großherzogtum Luxemburg gehört, geht es hingegen steil und dunkel bewaldet bergauf, so dass man beinahe ein wenig Platzangst bekommen könnte, wenn man nicht das ganze Leben hier verbracht und sich längst daran gewöhnt hätte.
Meine Cousine Ulrike hatte damals diesen Traum, von dem sie uns berichtete und der uns alle verständnisvoll nicken und auch ein bisschen schaudern ließ. Sie sei den Waldhang hochgekraxelt, und oben hätte sie eine gruselige dunkle Schlucht vorgefunden, einen dunklen Weltende-Abgrund, in den sie hineingefallen sei. Sie wohne jetzt ihr ganzes Leben im Schatten dieses Hangs, meinte sie, und wolle doch endlich mal sehen, was um Himmels willen bloß dahinter ist.
Wir aktivierten den harten Kern der Dorfjugend zum Wandertag an einem warmen, beinahe sommerlichen 1. Mai.
Die Luxemburger (oder „Schangen“, wie wir sie damals nannten = Verballhornung des gebräuchlichen Vornamens Jean) hatten beim Nachbardorf den Fluss gestaut und einen Kanal gegraben, der etwa auf Höhe unseres Dorfs Wasser auf die Turbinen eines kleinen Kraftwerks leitete. Aus irgendwelchen ingenieurstechnischen Gründen war es deshalb notwendig, den Fluss zu beruhigen und mit steinernen Stauwehren zu versehen, flachwinkligen Gebilden mit geregeltem Wasserdurchfluss und Fischtreppen. Da die nächste offizielle Brücke sich erst im Nachbardorf befand, fünf Kilometer entfernt, marschierten wir natürlich über das erste Wehr, was gar nicht so ungefährlich war. Wir nassforsche Kiddies mit einigen Nichtschwimmern und Wasserscheuen im Schlepp mussten über Aussparungen springen und liefen dabei Gefahr, rechts in den Fluss zu klatschen oder links in die Fischtreppe. Natürlich waren solche Grenzübertritte streng verboten, überall standen Warnschilder. Wir ignorierten sie. Danach mussten wir am Kraftwerk vorbei und dessen Treppen benutzen, wobei die Luxemburger Angestellten, die das mitbekamen, uns unverständliche Dinge hinterherriefen. Die Polizei oder den Zoll haben sie jedoch nicht verständigt. Wir blieben unbehelligt, unsere Eltern mussten uns nicht auf irgendeinem Polizeirevier abholen.
Dann begann die Kraxelei. Wir starteten vom gegenüberliegenden Luxemburger Dorf, heute ein Highlight des Tanktourismus, von dem aus Wege in den Waldhang führten, kämpften uns durchs Gestrüpp, fanden uns wieder im beeindruckend stillen Forst und verloren beinahe Irmgard. Bei solchen Wanderungen verloren wir beinahe dauernd Irmgard, denn sie war etwas ängstlich und blieb gerne zurück. Ich entsinne mich an einen Fahrradausflug ein Jahr zuvor, bei dem es ein herrliches Gefälle runterging, das wir alle euphorisch genossen. Unten warteten wir eine halbe Stunde auf Irmgard, bis sie im Schneckentempo, mit blasser Gesichtsfarbe und panisch umklammerter Fahrradbremse ebenfalls angequietscht kam.
Meine Cousine Ulrike hatte damals diesen Traum, von dem sie uns berichtete und der uns alle verständnisvoll nicken und auch ein bisschen schaudern ließ. Sie sei den Waldhang hochgekraxelt, und oben hätte sie eine gruselige dunkle Schlucht vorgefunden, einen dunklen Weltende-Abgrund, in den sie hineingefallen sei. Sie wohne jetzt ihr ganzes Leben im Schatten dieses Hangs, meinte sie, und wolle doch endlich mal sehen, was um Himmels willen bloß dahinter ist.
Wir aktivierten den harten Kern der Dorfjugend zum Wandertag an einem warmen, beinahe sommerlichen 1. Mai.
Die Luxemburger (oder „Schangen“, wie wir sie damals nannten = Verballhornung des gebräuchlichen Vornamens Jean) hatten beim Nachbardorf den Fluss gestaut und einen Kanal gegraben, der etwa auf Höhe unseres Dorfs Wasser auf die Turbinen eines kleinen Kraftwerks leitete. Aus irgendwelchen ingenieurstechnischen Gründen war es deshalb notwendig, den Fluss zu beruhigen und mit steinernen Stauwehren zu versehen, flachwinkligen Gebilden mit geregeltem Wasserdurchfluss und Fischtreppen. Da die nächste offizielle Brücke sich erst im Nachbardorf befand, fünf Kilometer entfernt, marschierten wir natürlich über das erste Wehr, was gar nicht so ungefährlich war. Wir nassforsche Kiddies mit einigen Nichtschwimmern und Wasserscheuen im Schlepp mussten über Aussparungen springen und liefen dabei Gefahr, rechts in den Fluss zu klatschen oder links in die Fischtreppe. Natürlich waren solche Grenzübertritte streng verboten, überall standen Warnschilder. Wir ignorierten sie. Danach mussten wir am Kraftwerk vorbei und dessen Treppen benutzen, wobei die Luxemburger Angestellten, die das mitbekamen, uns unverständliche Dinge hinterherriefen. Die Polizei oder den Zoll haben sie jedoch nicht verständigt. Wir blieben unbehelligt, unsere Eltern mussten uns nicht auf irgendeinem Polizeirevier abholen.
Dann begann die Kraxelei. Wir starteten vom gegenüberliegenden Luxemburger Dorf, heute ein Highlight des Tanktourismus, von dem aus Wege in den Waldhang führten, kämpften uns durchs Gestrüpp, fanden uns wieder im beeindruckend stillen Forst und verloren beinahe Irmgard. Bei solchen Wanderungen verloren wir beinahe dauernd Irmgard, denn sie war etwas ängstlich und blieb gerne zurück. Ich entsinne mich an einen Fahrradausflug ein Jahr zuvor, bei dem es ein herrliches Gefälle runterging, das wir alle euphorisch genossen. Unten warteten wir eine halbe Stunde auf Irmgard, bis sie im Schneckentempo, mit blasser Gesichtsfarbe und panisch umklammerter Fahrradbremse ebenfalls angequietscht kam.
Wir machten uns an die Erklimmung des Hangs, durch die Bäume hindurch immer unser Heimatdorf vage im Blick, denn es lag ja direkt gegenüber am anderen Flussufer. Einige von uns brüllten Dinge hinüber, aber ich weiß nicht, ob irgendwer uns bemerkte. Wir kamen nach einiger Schwitzerei und dreimaligem Beinahe-Herabkullern schließlich oben an, oben am Hang, der Ulrike ihren Albtraum beschert hatte. Und wir blickten natürlich nicht in den Abgrund am Ende der bekannten Welt, sondern über ein Luxemburger Hochplateau mit Wiesen, Kühen, Äckern und weiterem Wald. Wir marschierten drauflos, tranken in der Gastwirtschaft Brause mit Kohlensäure, vielleicht schmierte uns die Luxemburger Wirtin auch ein paar Brote, weiß ich nicht mehr. Um die berühmte Marien-Wallfahrtskirche Girster Klause zu suchen, die sich, wie wir wussten, irgendwo in der Nähe befinden musste, waren wir nun doch zu erschöpft und traten stattdessen den kullernden Rückweg an. Kann sein, dass wir uns an der Shell-Tankstelle noch jeder ein „Eskimo Pie“ kauften, ein Waffeleis, das wir genauso aussprachen, wie wir es lasen: „Eskimopi“. Das Besondere daran war, dass man einen eingewickelten Eisblock erstand und die beiden Waffeln extra, so dass man das Eis eigenhändig auspacken und zwischen die Waffeln quetschen musste. Exzentrisch, diese Schangen. Kann auch sein, dass wir uns nach der Rückkehr unten im Dorf bei Herrn Funke jeder noch ein „Brauner Bär“ gönnten. An Kraftwerk und Flusswehr hatte uns diesmal niemand behelligt, und wir kehrten alle wohlbehalten zurück, auch Irmgard überlebte. Ulrike hatte ihren Albtraum nie wieder, zumindest erzählte sie nichts mehr davon.