Freitag, 18. April 2008

Epidemie

Habe gerade ein paar eilige Gutachten an einen großen deutschen Verlag gemailt. Der soll echt froh sein, dieser große deutsche Verlag, dass es heutzutage E-Mail gibt. Hätte ich die als Ausdrucke geschickt wie früher, wären die alle von klitzekleinen Magendarmgrippe-Viren verseucht gewesen und hätten den ganzen großen deutschen Verlag angesteckt und außer Gefecht gesetzt. Von der Sekretärin bis zum Chef. Spätestens das Herumreichen der Gutachten bei Lektoratskonferenzen hätte sie alle ausgeknockt. Diese ansonsten durchaus beliebten Bewertungen aus der Feder der wacker schuftenden „Allzweckwaffe“ (O-Ton eines Lektors) hätten sich gegen das Haus gekehrt, ihm Verluste bereitet und zweifellos zu kostspieligen Problemen mit den hauseigenen Sanitäreinrichtungen geführt. Was andererseits wiederum die Münchner Klempner-Innung, die Zeitarbeitsfirma mit den vielen Gebäudereinigerinnen sowie die Hersteller von Biohazard-Schutzanzügen gefreut hätte.
Es wäre jedoch keinesfalls zu Wettbewerbsverzerrungen auf dem Buchmarkt gekommen, denn die anderen großen deutschen Verlage hätten ebenfalls verkeimte Gutachten von mir erhalten, und deren Belegschaft wäre es genauso ergangen. Während der Inkubationszeit und vor Einsetzen der fatalen Symptome hätten die wiederum mengenweise Bücher und Manuskripte eingepackt und an andere Gutachter verschickt, in den Päckchen mit drin: die lustigen Nachkommen meiner originalen Virenstämme. Viele hart arbeitende Gutachter landauf, landab würden nach Öffnung der Post dem Grauen anheim fallen und müssten dringend die Arbeit ruhen lassen. Übersetzer würden ebenso ausfallen. Abgelehnte Leseexemplare wären indes an Agenturen zurückgesandt worden, alle verseucht von den kleinen munteren V-Dingern, und hätten Agenten und ihre feschen Mitarbeiterinnen an die eigenen Sanitäreinrichtungen gefesselt. Einige wären in die USA oder Großbritannien retourniert worden und hätten die Krise auf ein globales Niveau gehoben. „Geheimnisvolles Grippe-Virus in New York. Menschen kotzen aus Hochhäusern. Home Security ermittelt. Verschärfung des Patriot Act im Gespräch.“
Der wirklich Leidtragende wäre indes der Leser: In etwa einem Jahr von heute an würden plötzlich eine Zeitlang keinerlei neuen Bücher mehr erscheinen, in den Vorschauen wären bloß weiße Flecken. Dann würden die Buchhändler nur mit den Schultern zucken, müssten all die armen Leser Däumchen drehen, Fernsehen gucken oder hemmungslos Liebe machen. Sicherlich würde neun Monate später die Geburtenrate drastisch ansteigen und wir hätten bald kein demographisches Problem und keine Sozialversicherungsdiskussion mehr. Meine Fresse, wenn man sich vorstellt, was für eine systemstabilisierende Macht so ein einzelner kleiner vergrippter Wicht hätte haben können, wenn nicht irgendeiner dieses Scheißinternet erfunden hätte!

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