Donnerstag, 10. März 2011

Like acid and oil on a madman's face

(Schnipsel, Formulierungen, Notizen, Erkenntnisse für einen längeren BÖC-Artikel, zu dem mir die Zeit fehlte und weiterhin fehlt, zusammengebacken zu einem kurzen Text.)

Ich machte mich unlängst im Internet auf die Suche nach einem hübschen Autoaufkleber von Blue Öyster Cult. Am besten einen ganz puristischen, auf dem nur das legendäre Bandlogo abgebildet ist. Die Gemahlin, die den vernünftigen Part in dieser Ehe einnimmt, meinte leicht alarmiert: „Du bist keine Zwanzig mehr.“ Sie spielte an auf damals, als ich großflächig das BÖC/Chronos-Symbol auf die Fahrertür des weißen Kadetts C sprühte. Entzückend. Ein Nachbar berichtete, ein Bekannter hätte ihn beim Anblick des am Straßenrand parkenden Autos gefragt, ob hier irgendeine mordlüsterne Sekte hause. Einmal wurde ich auch von der Polizei aus dem Verkehr gefischt. Einer der Beamten fragte, was das für ein Dings auf der Fahrertür sei. Danach wollten die Herren noch einen Blick in den Kofferraum werfen. Es war keine zerstückelte Ritualmord-Leiche drin, und ich durfte weiterfahren. Ich nahm das damals als Beleg für eine steile These, die nämlich, dass das kommentarlose Auftauchen dieses Zeichens beunruhigender war als all die längst zum Straßenbild gehörenden haarigen Heavy-Metal-Nerds mit Eingeweide fressenden Horror-Zombies auf den T-Shirts. Die wurden nie angehalten und durchsucht.
Die uralte Band mit dem bedrohlichen Symbol betourt in wechselnden Besetzungen nach wie vor die USA, die letzte Aktualisierung auf der Website ist von 2008. Die jüngste Studioplatte ist zehn Jahre alt (Curse of the Hidden Mirror), davor gab es eine von 1998 (Heaven Forbid), und davor wiederum eine lange, fatale Pause. 1988 war das geplante Mammut-Projekt Imaginos aufgrund mangelnder Promotion der Plattenfirma, aber auch wegen seiner eigenen Ambitionen baden gegangen, was den Todesstoß für die Band bedeutete. Dennoch gab es seinerzeit Stimmen, die behaupteten, das Album sei eine Rückkehr zur alten Form und die relevanteste Heavy-Metal-Platte seit Metallicas Master of Puppets. Hört, hört. Die 83er- bzw. 85er-Alben The Revölution by Night und Club Ninja waren vom Publikum noch als endgültiges Aufgehen BÖCs im allzu gefälligen Mainstream gewertet worden. Sie waren die Folge von Zerfallserscheinungen einer bis dahin sehr stabilen Band, deren unmittelbar vorhergehenden beiden Platten (Cultösaurus Erectus, 1980, und Fire of Unknown Origin, 1981) von Heavy-Metal-Produzent Martin Birch noch mächtig auf Druck gebürstet worden waren und manchen als die besten der ganzen Diskographie galten.
Die eigentlich erfolgreiche Ära der Band zwischen 1972 und 1979 zerfiel grob in zwei Phasen, die jeweils ein Live-Album abschloss. Die „Schwarz-Weiße Phase“, benannt nach dem puristischen Farbschema der Albumcover, formulierte die rumpelnde ästhetische Ideologie der Band aus, die zweite Hälfte der Siebziger verfeinerte, veredelte und verpoppte sie. Die Band gab sich zunehmend perfektionistisch und megalomanisch, ohne dabei jedoch zu technokratisch zu werden. Als erfolgreichstes Album gilt das zweite Live-Album Some Enchanted Evening, zur einträglichsten Studioplatte geriet Agents of Fortune. Als bedeutsamstes Album wird indes Secret Treaties von 1974 gewertet, das mit dem genial-kryptischen Me262-Cover, hinter dem sich eine überaus rätselhafte Geschichte zu verbergen scheint. Noch heute findet man Hörer, die der Auffassung sind, dies sei die beste und organisierteste Hardrock-Platte aller Zeiten. Metallica coverten später den Klassiker „Astronomy“, aus dem die Überschrift dieses kleinen Artikels stammt.
Der Blaue-Austern-Kult ist die wahrscheinlich einflussreichste Rockband in den Gefilden des modernen Phantastischen. Nicht nur, weil Stephen King sie toll findet und das immer mal wieder proklamierte. Ein, zwei, vielleicht drei amerikanische Kreativengenerationen wuchsen mit ihr auf. Noch heute wird „(Don’t Fear) The Reaper“ von 1976 gerne genommen, um Gruselfilme oder einschlägige TV-Serials atmosphärisch zu unterstützen. Phantastik war spätestens seit Black Sabbath und Alice Cooper Rock’n’Roll, aber mit Blue Öyster Cult wurde nicht nur der Umlaut im Bandnamen eingeführt, sondern auch ein organisiertes postmodernes phantastisches Rock-Konzept etabliert. Ein Kunstprodukt und eine Metageschichte, die in der frühen kryptischen, Escher-inspirierten Cover-Art ihren Ausdruck fand und der man in den rätselhaften Songtexten auf die Spur kommen sollte. Ein erstes Kokettieren mit „thinking man’s rock“ auf der Basis einer augenzwinkernden Geheimgeschichte von Alien-Nachkommen, die bis heute die Geschicke der Menschheit lenken und in denen aller Okkultismus und alle Gruselmotive ihren Ursprung haben. Die Kulturen der Ägypter und Mayas, die Alchemisten, die Faschisten, die Postmoderne – alles Ausfluss jener steuernden dunklen Mächte kosmischen Ursprungs. Reiner Eklektizismus also. Jemand meinte, die Texte seien so, „als würden Stanley Kubrick und Alfred Hitchcock sich gegenseitig ihre sexuellen Phantasien erzählen“. Ironische Anklänge an Poe, R.L. Stevenson, Stoker, Huysmans, E.T.A. Hoffmann, W. Burroughs oder Kerouac finden sich jedoch ebenso. Manches Motiv wirkt wie eine Vorwegnahme des Achtziger-Horror-Booms.
Das von Bill Gawlik entworfene und von Anfang an allgegenwärtige Chronos- bzw. Saturn-Zeichen symbolisiert in der Alchemie Blei: heavy metal. Die abgewandelte Kreuzform verleiht ihm eine pseudo-religiöse Aura und kündet von geheimnisvollen, vermutlich verbotenen Ritualen. Einen Musikkritiker der 70er erinnerte es an „hinzurichtende politische Gegner“, andere sprachen von „Kryptofaschismus“ und „Totalitarismus“ zu einer Zeit, als die Postmoderne noch irritierend war, erst recht im Pop. Angesichts eines Plattentitels wie Tyranny and Mutation überrascht das nicht mal. Akte X-Schöpfer Chris Carter pfiff damals noch an der Highschool den Mädchen hinterher – und hörte zwischendurch mit ziemlicher Sicherheit BÖC-Platten. John Carpenter baute in Fürsten der Dunkelheit eine kleine Referenz ein, indem er auf dem Arm einer vom Teufel Besessenen das Symbol erscheinen lässt.
Bandmanager und Journalist Sandy Pearlman, der auch die Metageschichte zusammenphantasiert hatte, etablierte „Heavy Metal“ als Gattungsbegriff. Blue Öyster Cult sind ganz offiziell die erste Heavy-Metal-Band, die sich als solche bezeichnete und in Songtexten mit dem Begriff spielte. (So werden etwa britische Bomber im Himmel über dem WK-II-Berlin zu „heavy metal fruits“.) Und BÖC waren die erste Band, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere eine aufwendige Lasershow einsetzte, zu der die Fans in Scharen pilgerten, während die Pädagogen und Religiösen, ahnungslos wie eh und je, vor „satanischer Rockmusik“ warnten. Genau wie Black Sabbath spielten BÖC ganz gezielt mit dem Image des „Bösen“, im Grunde waren sie aber stets gutgelaunte, eklektizistische Romantiker, die sich aus einem akademischen New Yorker Proto-Punk- und Kunststudenten-Underground und dem Dunstkreis des Magazins „Crawdaddy!“ erhoben hatten. Eine Antwort auf die avantgardistische Intellektualität von Velvet Underground und die animalische Rohheit von Black Sabbath gleichermaßen. Im Grunde war das Chronos-Zeichen als Konkurrenz zu Warhols Banane gedacht. BÖC, das waren: ein Frontmann in Schwarz (Eric Bloom), einer in Weiß (Donald Roeser), harter Gesang (Bloom) gegen weichen (Roeser), stramme Kompositionen (Bloom) gegen liebliche (Roeser) sowie ein ständiges Zueinanderbiegen dieser beiden Pole. Es wimmelt von okkulten Verschwörungstheorien, Liebesballaden mit Geisterbeteiligung, Avantgarde-Poemen, Oden an alte Leinwandmonster von Nosferatu bis Godzilla, lyrischen Geschichten vom genius loci verborgener Orte, belles dames sans merci, urbanem Horror, Psychokiller-Songs, kosmischem Grauen, l’art pour l’art phantastique, Grotesken, sentimentalem Mainstream. Und es gibt auch eine ironische Eloge an die Mounties, die kanadische berittene Polizei. Zwischendurch taucht immer mal wieder die ominöse Figur Susie auf, der Dinge zustoßen. Mein persönlicher Lieblingstext ist Richard Meltzers „Joan Crawford“, die satirische, höchst apokalyptische Paraphrase des Bestsellers Meine liebe Rabenmutter von Christina Crawford, in dem die Adoptivtochter der Hollywood-Diva mit ihrer Mutter abrechnete.
Stilistisch gerät das alles seltsam uneinheitlich, aber stets läuft es rund und verblüfft nicht selten durch die selbstverständliche Kombination von Hardrock-Power und Harmoniegesang, beunruhigender Tritonus-Atmosphäre und „Frightmotif“, losgelassenen, schier endlosen Boogie-Jams, Proto-Punk, Westcoast-Psychedelia, geschmeidigem Pop, knirschender Härte und ätherischer Leichtigkeit. Leute von außerhalb wurden eingeladen, ihr Scherflein beizutragen zu dieser offenen phantastischen Gegenwelt. Anfangs übernahmen Pearlman und sein Kollege Richard Meltzer maßgeblich das Ausformulieren der Grundlagen; früh mischte auch schon Patti Smith (damals die Lebensabschnittsgefährtin von Keyboarder Allen Lanier) mit, Ian Hunter kollaborierte auf einem Song. Schriftsteller steuerten Texte bei, unter ihnen Jim Carroll, Michael Moorcock, Eric van Lustbader und zuletzt Cyberpunk- und Horror-Autor John Shirley, der sich schon in seinen frühesten Romanen als BÖC-Adept geoutet hatte. Gastgitarristen wie Aldo Nova oder Robbie Krieger (Doors) tauchten auf und durften dem Kult huldigen – oder der Kult huldigte ihnen.
Zehn Jahre sind vergangen seit dem letzten, durchaus starken Studioalbum ... Heute ist die Diskographie längst aus dem Fokus einer hibbeligen Zeit gerückt. Die Band ist, zumindest diesseits des Atlantiks, inzwischen so aus der Mode gekommen, dass man nicht mal mehr Aufkleber bekommt. Die Suche beim E-Commerce blieb erfolglos, es wird also kein neues BÖC-Symbol auf dem Auto geben.