Mittwoch, 5. September 2007

Bieder

Die Trierer Tageszeitung verkündet einem unter einer Art Dauerbeschallung, dass hier bald das Alan Parsons Project live auftreten wird. Trier ist offenbar diejenige Stadt, die am meisten von Wiedergängern heimgesucht wird, denen der Atem des Grabes aus dem Schlund weht.
Vor 25 Jahren hätte ich mich vor Freude benässt. Alan Parsons kommt in die Stadt, heilige Scheiße!
Weihnachten 1980 bekam ich eine Platte von ELO geschenkt, das war abgesprochen, aber mein Vater besorgte eine zusätzliche LP und hatte anscheinend beim Verkäufer nachgefragt, was denn wohl „so ähnlich“ klänge. Es lief auf Turn Of A Friendly Card heraus, die damals aktuelle Scheibe besagten Alan Parsons Project. Mein Vater lag goldrichtig, ich wurde Dauerhörer dieser, nun ja, ähem, Band und kaufte bald darauf alle verfügbaren Alben zusammen. Das ging so etwa bis 1982 und dem Album Eye in the Sky, bevor der Enthusiasmus abflaute.
Alan Parsons war ja gar kein Musiker, sondern Tontechniker, der sich zu Höherem berufen fühlte. Einer meiner Kumpels damals gebärdete sich ebenfalls als großer Fan von ihm und seinem Projekt und war der Auffassung, die Platten seien von hoher Qualität. Damit meinte er nicht die musikalische Qualität, sondern die technische, denn er war ein erblühender Hifi-Freak. Alles toll und sauber produziert. Hör mal diese Bässe, und erst dieses total klar herausstechende Keyboard, Mannomann! Und dieser Gesang, da hört man jede Nuance! Ja, Alan Parsons Project war genau das Richtige für kleine Nachwuchs-Wohnzimmerbeschaller und Stereo-Bastler.
Musikalisch erwies es sich leider als Gedöns, sobald man auf den Trichter kam, vom wem Alan Parsons und sein federführender Kumpel Eric Woolfson so alles geklaut hatten. Die Herren boten ihre eigene Version des Progressive Rock, der schon seit 1968/69 operierte und Zeit gehabt hatte, sich zu entwickeln und zu verzweigen. Parsons/Woolfson destillierten seine Substanz zu kommerziellem, kaltherzigem, technophilem und nicht zuletzt technokratischem Session-Pop-Geschwurbel, zusammen mit freiberuflich tätigen Begleitmusikern, die wie das agierten, was sie waren: Söldner. Kompetent, aber leidenschaftslos. Und dann ständig diese kulturell wertvollen Konzeptalben, die suggerierten, hier gäben gedankliche Tiefe und musikalisches Können einander die Hand … Parsons und Woolfson waren diejenigen, die den Progressive Rock endgültig für die Klientel der heranwachsenden Biederlinge und Bankkaufleute instrumentalisierten, die Bartflaumabrasierer, diejenigen, die eigentlich keine Ahnung von Musik hatten, sich aber dennoch vorgaukeln wollten, sie hätten Geschmack. Rock-Apokalypse. Woolfson fabrizierte nach seinem Bruch mit Parsons übrigens Musicals. Muss man mehr wissen?
Eye in the Sky von 1982 hatte ein Science-Fiction-Thema, irgendwas mit Satelliten und Überwachung und so was. Ein halbes Jahr später entdeckte ich eine andere SF-Platte, ebenfalls ein Konzeptalbum. Es war Doremi Fasol Latido von Hawkwind, damals schon zehn Jahre alt. Der Kontrast hätte nicht krasser ausfallen können. Es war der Aufbruch aus dem Land der Parsons-Berieselung in die Gefilde des aggressiven, schlammigen Rock, der Hifi-Freaks das Fürchten lehrte und Bewusstseine in Dimension sieben katapultierte. Es kam so langsam die Zeit des unkontrollierten Bart- und Haarwuchses, der ersten Military-Jacken, der Rock-T-Shirts, des Headbangens, der naiven politischen Diskurse und der Rebellion. Der Rebellion gegen Alan Parsons und das, was er mit der Musik und meinen Altersgenossen anrichtete.