Donnerstag, 31. Mai 2012

Night Air

Huw Lloyd-Langton gehörte als blutjunger Bursche der zweiten Hawkwind-Besetzung an und spielte als Lead-Gitarrist 1970 das Debütalbum mit ein. Danach wurde er vom LSD-betriebenen Personalkarussell herauskatapultiert. Er betätigte sich bei kleineren Bands wie Widowmaker oder für Leo Sayer. 
1979, nach dem großen Hawkwind-Knatsch, war Dave Brock gezwungen, eine neue Inkarnation der Band auf die Beine zu stellen. Lloyd-Langton war gerade frei. Und er wurde zu einem der signifikantesten Musiker im Hawks-Kosmos und einem Liebling der Fans, denn seine unverwechselbare, pfeilschnelle, futuristisch-psychedelische Lead-Gitarre half ganz enorm, aus den Spät-70er-Hawks eine Band der „New Wave of British Heavy Metal“ zu formen. Zu was Lloyd-Langton in der Lage war, zeigte er gleich schon mal auf Live 79, einem dramatisch guten, schnellen Live-Album mit extremistischer Gitarrenarbeit. Er erwies sich auch als veritabler Songwriter und war fortan zuständig für die melodischen Momente, die voll ausgearbeiteten Drei-Strophen-und-Refrain-Songs auf weitläufiger Blues-Basis. Huw blieb bis 1988 als Stammmitglied bei Hawkwind und trat seitdem immer mal wieder als Gastmusiker auf. Auf dem 2012er-Album Onward hat er wieder eine kleine Gastrolle inne. Ein erneutes festes Engagement scheiterte stets an seinem Gesundheitszustand. Lloyd-Langton fing sich in den Neunzigern die Legionärskrankheit ein und laboriert bis heute daran. Vor einigen Jahren machte er durch Nierenversagen auf sich aufmerksam und sprang gerade eben so dem Tod von der Schippe. 
1983, noch jung und vital, gründete er die unspektakulär benannte „Lloyd-Langton Group“ (kurz: LLG) als Blues- und Melodic-Rock-Trio, welches das Space-Gezische außen vor ließ und sich ganz auf klassische Songs und Gitarrenwerk für Club- oder Pub-Auftritte konzentrierte. Die erste offizielle LP des Trios hieß eigentlich Outside The Law, aber Huw und seine Frau und Managerin Marion werden nicht müde, vor dem Erwerb dieses Albums zu warnen. Es ist ein Live-Bootleg, bei dem die Nebengeräusche im Pub lauter sind als das Geschehen auf der Bühne, das aber die damalige Hawkwind-Plattenfirma Flicknife nichtsdestotrotz als Debüt-Publikation der neuen Rock-Hoffnung auf den Markt brachte – und sie damit im Grunde gleich versenkte. Nein, die erste richtige Platte der LLG ist das 1985 ebenfalls bei Flicknife erschienene Studioalbum Night Air. Cherry Red Records hat das rare Ding im Zuge seiner Hawkwind-Reissues vor kurzem neu aufgelegt. 
Das Cover von damals ist auch heute noch ziemlicher Mist. Sieht aus, als hätte ein mäßig begabter Siebtklässler es angefertigt. Aber hey, das ist Independent. Die Musik hingegen präsentiert eines der besten Alben aus der „Hawkwind Family“. Unspektakulärer, aber tief eindringender, elektrifizierter Melodic-Hardrock mit Blues, Folk, Psychedelia und einem klassischen Akustikgitarren-Stück, geprägt von soliden bis kunstvollen Riffs, extrem fixen, aber nicht eitlen Soli, einer inspirierten Rhythmusgruppe, mitunter wirklich herrlichen Melodiebögen und einer generellen Warmherzigkeit. Herausragend geraten das Hawkwind-lastige „Lonely Man“ (dieses Riff, herrje) ebenso wie das poetische „Night Air“ oder die mit angezogenen Schrauben operierenden Polit-Rocker „Got Your Number“ und „Diseased Society“. Regelrecht spektakulär sind die kürzeren, dichten und spielfreudigen „Alien Jiggers“ (instrumental, eines der besten Gitarrenstücke aller Zeiten irgendwo zwischen Ritchie Blackmore und Mike Oldfield) und „Candle Burning“. Typisch ist das Übereinanderlegen dreier Gitarrenschichten: eine rockige Rhythmusgitarre, eine Lead-Gitarre sowie eine verfremdete dritte, die als Quasi-Keyboard zwischen beiden Funktionen wechselt. Und natürlich sind da auch noch Kenny Wilson und John Clark, die dem Song stets treu ergebenen Erfüllungsgehilfen an Bass und Schlagzeug. 
Lloyd-Langton hat die Qualität dieses Debüts mit der LLG später nicht mehr erreicht. Da gibt es zweifellos noch ein paar hübsche Sachen, aber vieles wirkt repetetiv und müde. Heutzutage hat er sich fast ausschließlich dem Bluesrock und klassischen Akustikgitarren-Stücken verschrieben. Umso mehr wird Night Air Bestand haben als Summa Scientia eines begabten Musikers – neben den exzellenten Auftritten im Hawkwind-Zusammenhang natürlich.

Dienstag, 29. Mai 2012

Wellness

Es ist eines jener Fünf-Tage-Rundum-Sorglos-Wellness-Programme, nach dem die Sommerfrischler je sieben Kilo schwerer in die Große Stadt zurückkehren. Egal. 
Das Leben ist schön. Es gilt, zwei Geburtstage abzufeiern, darunter einen groß aufgezogenen Fünfzigsten. Der Chefmeteorologe beteiligt sich wohlwollend, obwohl er es eigenwilligerweise so einrichtet, dass es nach Sonnenuntergang doch recht schnell kühl wird. Am ersten Abend gibt’s erstmal die kleinere Festivität im munteren Kreis und mit einem Freiluftbottich voller Flieten, in den jeder so lange reinfasst, bis die ganze Runde pappsatt ist. Danach ist der Boden des Bottichs jedoch immer noch mit Flieten bedeckt. Der ortsansässige Kater turnt derweil drumherum, macht artistische Kunststücke („Guckt mal, ohne Hände!“) und pinkelt in den Blumenkübel. Die meditativen Kondensstreifen der Flugzeuge am wolkenlosen Himmel werden irgendwann von den Sternen abgelöst. Und drüben im Gehölz schlägt lauthals die Nachtigall. „Das geht jetzt so bis in den frühen Morgen“, erklären die Einheimischen. Ich trinke nur wenig Viez, wegen der bekannten Nebenwirkungen. Die Nachtigall zwitschert tatsächlich die ganze Nacht. 
Am Abend darauf ist dann der Fünfzigste. Der Jubilar kennt so ziemlich jeden zwischen Luxemburg-Stadt und Frankfurt/M., und sogar welche aus dem Beitrittsgebiet. Letztere tragen Kappen mit Thüringer Bratwürsten obendrauf und sehen komisch aus. Aber das muss so. Perfekte Location für ein mediterran angehauchtes Lampionfest: „Unter den Linden“ auf dem Hof des Gemeindehauses, ehemals Dorfschule. Weiße Zelte, zahlreiche kommunikative Sitzecken und Leuchtgirlanden. Die Gattin klärt mich darüber auf, dass diese feierlich wallenden weißen Stuhlüberzieher wie auf Hochzeiten, die ich im Allgemeinen als „feierlich wallende weiße Stuhlüberzieher wie auf Hochzeiten“ bezeichne, „Hussen“ heißen. Aha. Der Caterer hat sich ins Zeug gelegt, es gibt nichts hier, was nicht schmeckt. Ich weiß es, denn ich habe alles probiert. Die Live-Band ist professionell und hat mehr als nur Gassenhauer drauf. Ich verziehe mich mal kurz in die Raucherecke zum steinalten Vater des Jubilars, und wir werden für eine Zigarettenlänge zu Waldorf und Statler. Bei einbrechender Dunkelheit kommen die liebevoll drapierten Leuchtmittel zum Einsatz, und dem Eigensinn des Chefmeteorologen wird mit Heizpilzen getrotzt. Der direkt neben uns weigert sich zuerst, in Betrieb zu gehen, und wir ziehen schon mal die Jacken an. Aber dann tut er’s doch, und wir ziehen die Jacken wieder aus. Es mag hier insgesamt etwas nobler aussehen als beim jährlichen Feuerwehrfest, aber im Kern ist auch diese Party robust. Etepetete ist hier niemand, das beherrscht auch keiner. Ich bin beruhigt. Fröhliche Zusammenführung von Generationen, Mentalitäten und geografischen Regionen. 
Ich gebe mir nicht den spirituösen Kick, denn das Wellness-Programm geht ja tags darauf weiter. Es steht ein prächtiges Pfingstmittagessen an, das einen erstmal satt und faul zurücklässt. Später am Tag wird dann der Abendsonne hinterher gewandert. Am Talgrund verflüchtigt sie sich als erstes, also hoch zum verwaisten Spielplatz mit seiner spektakulär meditativen Ringschaukel. Nur die Scharniere müssten mal geölt werden. Dann weiter das Tal hoch zu Kirche und Friedhof, wo die Sonne noch die Grabsteine bescheint. 
Tags darauf das nächste Pfingstmittagessen, diesmal im Restaurant. Nach einer angemessenen Pause werden schließlich Gegenmaßnahmen ergriffen. Die Gattin schnappt sich ihre Nordic-Walking-Stöcke und zischt ab über den schattigen Radweg. Der Gatte hinterher, allerdings im Südeifler-Walking-Style: ohne Stöcke, ohne Sportdress und im Schleichgang. Die Nachtigall pennt um diese Zeit noch. Sie ist eine Nachtarbeiterin. Als ich die Gattin wiedertreffe (sie hat nach knapp fünf Kilometern gewendet), zählen wir auf, wer von uns die meisten Viecher gesehen hat. Gattin gewinnt. 
Schließlich verabschieden sich die Pummelchen für diesmal und fahren zurück in die Stadt. Der Automotor muss in den Eifelsteigungen mehr arbeiten als auf dem Hinweg.

Mittwoch, 23. Mai 2012

Spuren verwischen

Man soll ja ab und an mal seine Spuren im Internet löschen. Diejenigen, die man aufgrund eines durch nichts zu rechtfertigenden Mitteilungsbedürfnisses platziert hat, ohne zu beachten, dass die dann da stehen und stehen und stehen. 
Ich bin mal in meinen Amazon-Account abgetaucht und habe entdeckt, dass da allen Ernstes noch 33 Kundenrezensionen zu ‚Kunstwerken im weitesten Sinne’ rumstanden. Die mussten wirklich mal ausgedünnt werden, zumal ich das heute nie und nimmer wieder machen würde: Kundenrezensionen. Brrr. 
Ich habe es allerdings aus Gründen der Eitelkeit nicht übers Herz gebracht, alle zu löschen, denn es sind einige mit Kommentaren anderer Internet-Teilhaber dabei sowie eine, bei er es allen Ernstes heißt: „28 von 28 Kunden fanden diese Rezension hilfreich“. So etwas muss einfach erhalten bleiben, da sollen ruhig noch die Enkel draufklicken, um zu sehen, dass Opa nicht immer nur unartikuliert gebrummt und Kautabak gespuckt hat, sondern früher auch mal richtig formulieren konnte.

Sonntag, 13. Mai 2012

Burgfrieden

Endlich! Die Unfreien und Sassen haben ihn aus seinem jahrhundertelangen Schlaf unter dem Hügel geweckt! Den Vermieterdrachen! Erst wirkte er noch ein bisschen brummig und triefäugig, der Dampf des Desinteresses stob aus seinen Nüstern, und er wedelte das Problem mit seinen Klauen weg und wollte sich wieder schlafen legen. Dann aber klopften immer mehr Sassen immer lauter an die Pforte seiner Höhle – mit dem Ergebnis, dass er sich den Bademantel überzog, aus dem Bau stapfte und die zivilisatorischen Grundlagen wiederherstellte. 
Jetzt hängt ein ermahnender Zettel am Schwarzen Brett der Burg, geschrieben in Drachenklauenschrift und umwabert von Rauchwölkchen, und liegt als Minuskel-Kopie in jedem Briefkasten: dass die in Kubikmetern zu messende Papiermüllmatsche vor der Burg endlich vom verursachenden Sassen zu entfernen sei und weitere derartige Ablagerungen mit „Maßnahmen gemäß Burgordnung“ geahndet würden. Was bedeutet: Der verursachende Sasse wird gefressen. Und flugs war dieser Mons Olympus des Papiermülls verschwunden und kehrte wieder Frieden ein in die Burg. 
Allerdings müssten die Unfreien jetzt, da sie vereint stehen, mit dem Vermieterdrachen, da er schon mal wach ist, noch über die Nebenkosten für „Burggartenpflege“ (findet nicht statt), „Burgmeisterdienste“ (alle Jubeljahre mal) und „Burgreinigung“ (fix rein, fix raus) disputieren.

Dienstag, 8. Mai 2012

Kölschbruch

Ich kehre angeheitert aus dem Supermarkt zurück. Der Regaleinräumerin fiel ein Stapel mit fünf Kölsch-Kästen um. Keine einzige Flasche blieb heil. Die Ausdünstungen verdrängten in rasender Geschwindigkeit den Sauerstoff im Markt. Zuerst wurde ausgiebig geflucht („Himmelherrgottnochmal!“), nach drei Minuten schunkelten die ersten, nach fünf gab es eine Polonäse zwischen Haushaltswaren, Konservenobst und Sonderverkaufsfläche. Dabei ging noch mehr zu Bruch. Eine der Kassiererinnen fütterte flugs die markteigene Beschallungsanlage mit einschlägigem Liedgut. Ich wurde fünf bis zehn Mal abgeknutscht, so genau weiß ich das nicht mehr. 
Es ist für einen Griesgram und Misanthropen nicht leicht, in dieser Stadt charakterfest zu bleiben.

Montag, 7. Mai 2012

Brummen und Schaben

Seit einiger Zeit höre ich nachts, wenn alles zur Ruhe gekommen ist, ein eigenartiges Brummen und Schaben, das über eine zwar kryptische, aber doch erkennbare rhythmische Qualität verfügt. Als würde hinter der Wand, wo der Nachbar seine Küche hat, ständig die Spülmaschine laufen. Aber die Wohnung hinter der Wand steht momentan leer. Was könnte das also sein? Kratzt unser Kühlschrankaggregat im Nebenraum? Hm, tut es tagsüber aber nicht. Eine Möglichkeit wäre auch, dass jemand drei Häuser weiter jede Nacht verzweifelt versucht, seinen NSU Ro 80 mit Wankelmotor anzuwerfen. Irgendwann müsste aber doch mal die Batterie leer sein. Oder macht jemand vier Häuser weiter Baumfällarbeiten? Wo bleiben bitteschön die Ordnungskräfte?
Nein, es ist irgendwo hier im Raum. Meine wohlbegründete Vermutung geht inzwischen dahin, dass die Mikroorganismen in meinem Kopfkissen einen Evolutionssprung absolviert haben und gerade die Frühindustrialisierung durchlaufen. Sagt Bescheid, wenn ihr beim Ersten Weltkrieg angekommen seid, dann wechsle ich das Kissen.

Mittwoch, 2. Mai 2012

1.Mai

Keine Kundgebung, nee. Bin Freiberufler und habe keine Lust, irgendwas kundzugeben. Stattdessen ein Eis in die Faust, dessen drei Kugeln eher sechs Kugeln sind. Ich hatte den Burschen mit der freigiebigen Eisportionierungskelle. Die Gattin hatte die Dame mit der weniger freigiebigen Eisportionierungskelle. Ihr Eis sieht nur halb so groß aus. Nachteil: Meine Kugeln laufen schneller weg, als man lecken kann. Danach die Hand in den Teich im Park stecken und abwaschen. Dabei aufpassen, dass sie nicht von einem rasenden Tretboot abgetrennt wird, was wiederum die Teich-Piranhas anlocken würde. Ich entwickle offenbar eine Grillrauch-Allergie, denn ich muss im Park dauernd niesen. Wir teilen die Grünanlage in Planquadrate, zählen die Leute in einem davon und rechnen dann auf den gesamten Park hoch. 5000 Menschen. Jeder zweite davon grillt. Ich muss niesen. 
Also weiter zur offiziellen Eröffnung der Freiluft-Spargelsaison. Da, wo der harte Kern der örtlichen Linken sich nach getaner Kundgebung versammelt, die Transparente in die Ecke stellt und sich zur Weltrevolution bei Spargel verabredet, weil die Kundgebung mal wieder nichts gebracht hat. Spargel. Keine Experimente bitte. Pralle, potente Stangen mit Hollandaise, Kartoffels und gekochtem Schinken. Da esse ich sogar aus Versehen die Teller- und Tischdeko mit. Danach noch Russische Schokolade. Am Nebentisch der Außengastronomie sitzt allen Ernstes Deutschlands allererfolgreichster Star-Comedian. Der Typ mit dem Bart(h), der mit seinen Männlein-Weiblein-Witzen angeblich alle Stadien der Republik vollmacht. Weiß nicht, ob’s stimmt, denn ich schalte immer weg, wenn der im Fernsehen ist. Heute erzählt er weder Männlein-Weiblein-Witze, noch isst er Spargel, sondern duckt sich unauffällig unter seine Schirmmütze und sieht ziemlich unheiter aus. Aber spielt nicht jeder von uns eine Rolle? 
Zurück zu Hause, auf dem Balkon, riecht es, als würden unten im Park 2500 Menschen grillen. Ich gehe niesend ins Bett.