Donnerstag, 24. Juni 2010

Dieses und jenes

• Ich steige jetzt endgültig um von Coke auf Pepsi. Das ist für jemanden, der seit dem dritten Lebensjahr ausschließlich mit Coke ernährt wurde und dennoch kein Gramm Fett zu viel aufweist, eine durchaus bemerkenswerte Entscheidung. Die Pepsi-Flaschen passen besser ins Einbauküchen-Tiefregal und sind auch noch billiger. Allerdings muss ich vom Netto bis hierher schwerer tragen, denn der Coke-Sixpack bestand aus 1,25er-Flaschen, der von Pepsi aus 1,5ern. Aber davon bekommt man bekanntlich Muckis. Sofern man es schnell genug über die Fußgängerampel schafft.

• Besitze jetzt, wie der Rest der Branche auch, einen E-Book-Reader, weil das Lesen von Manuskripten auf dem Laptop mich zunehmend nervt. Mich und den Nacken. Im Sommer kann es zudem ganz nett sein, mit dem Buchstabengerümpel mobil zu sein. Der Laptop war dazu nicht mehr geeignet; er muss dauernd am Strom hängen, denn der Akku kackt ab und gönnt mir bestenfalls noch eine Viertelstunde.

• Per Kreditkarte eine irrsinnige Masse von englischen Sonderangebots-DVDs bei Amazon.co.uk geordert. Der Euro ist zwar gefallen, aber doch nicht so sehr, dass das jetzt irgendwie teuer wäre. Der Stapel könnte bis zum Jahresende reichen.

• Das lustig-dramatische Nerd-Buchprojekt aus USA mochten sowohl der Programmleiter wie auch ich. Mir klappte zwischendurch sogar mal die Kinnlade runter, und es entfleuchte mir ein Quieken, als eine Passage allen Ernstes im „Temple of Syrinx“ spielt, dem mythischen Ort aus der Rocksuite „2112“ von Rush. Die Lektoratskonferenz in München lehnte das Projekt jedoch rundheraus ab, und nun gelten sowohl der Programmleiter wie auch ich intern als totale Nerds, über die man ungestraft den Kopf schütteln darf. Schüttelt ihr nur! Ihr habt vielleicht ein Privatleben und soziale Kontakte, wir sind dafür wandelnde Enzyklopädien und werden ganz gewiss irgendwann die Welt beherrschen! Es ist übrigens der erste Roman des Drehbuchautors von dem hier, und die Filmrechte wurden inzwischen für „eine hohe sechsstellige Summe“  verkauft.

• Killing Joke haben ihrem für September geplanten Album eine EP vorausgeschickt, mit der sie offenbar die Restkatholiken auf ihre Seite ziehen wollen: In Excelsis. Darauf befinden sich Songs, von denen noch nicht ganz klar ist, ob sie es aufs Album schaffen. Ich bin jedoch sehr dafür, dass zumindest das berauschend schöne „Kali Yuga“ es packt. Nach der kurzen Hörprobe habe ich entschieden, ohne diesen Song in Zukunft nicht mehr leben zu können oder zu wollen.

Montag, 21. Juni 2010

Radau im Dinosauriergehege

Offenbar gibt es mit dem neuen Hawks-Album Blood of the Earth, das für heute vorgesehen war, Lieferschwierigkeiten in UK, weswegen sich das wohl noch etwas verzögert. In der schönen neuen Welt der MP3s ist die Platte aber bereits angekommen, und ich habe die paar läppischen Kröten mal eben investiert, um das Werk über Amazon.de runterzuladen, schmucklos zu brennen und der Heiligen Stereoanlage zur Kenntnisnahme vorzulegen. Couldn’t wait much longer.
Als physischer Tonträger erscheint es in dreifacher Ausführung, und der Verkaufsschlager wird wohl die Doppel-CD mit den Live-Tracks auf der zweiten Scheibe sein.
Das letzte komplette Studioalbum, Take Me To Your Leader, stammt von 2005, das davor, Distant Horizons, sogar von 1997. Die Lücken wurden gefüllt mit permanenten Tourneen durch UK, Live-Alben unterschiedlicher Qualität, Pröbchen, Solo-Ambitionen, DVDs sowie der noch nicht ganz abgeschlossenen Neuauflage der Alben von 1976-97. Für den Freund des dumpfen Rockens, gepflegten Zischens und tuckernden Blubberns gab es also seit der zweiten Neunzigerhälfte nicht gerade inflationär viel neues Material aus den Earth Studios in Devon.
Ich bezweifle, dass die Hawks überhaupt mit irgendeiner noch existierenden oder reunionierten Dinosaurier-Band zu vergleichen sind. Sicher, es gab in den mageren letzten Jahren die Tendenz, zur eigenen Tribute-Band zu verkommen, wie so viele andere auch, aber dann wurde gegengesteuert und aus der Not eine Tugend gemacht. Es wurden kräftige Klangfarben aufgetragen, altes Material angenehm aufgehübscht, neues Material aus dem Hut gezaubert, jüngere Talente aus der Peripherie herangezogen und aufgebaut, die Geriatrie durchsucht und dort aufgefundene alte Recken reaktiviert.
Die ständige Zugehörigkeit zur Gegenkultur und zum Underground, der schweifende Blick durch die Pop-Sphären, der Kampf mit sich selbst, die dauernden Häutungen, das Wegdriften aus dem öffentlichen Bewusstsein und das Herausfallen aus der Welt, das Festhalten an „intellektuellem Pulp“ und Space Opera, die Verquickung von fiepender HiTech mit Mutter-Erde-Schamanismus und Hippie-Gezausel, die drogenduselige Verbindung zwischen Proto-Techno und Heavy-Rock – all das hat die Band stets ausgemacht und fließt auf Blood of the Earth auf unverkennbare Weise ineinander. Dinosaurier im servogesteuerten Vollkörper-Kampfanzug. Die Iron Men des Spacerock.


Die Crew besteht diesmal aus: dem Gründungs-Captain des HW-Sternenschiffs, dem 68jährigen Dave Brock (m.); Richard Chadwick, HW-Drummer seit 1988 (r.); den neuen Kräften Mr. Dibs (2.v.r.) und Niall Hone (2.v.l.) sowie Synthie-Guru Tim Blake (l.), der schon 1979/80 mal an Bord war. Diese Besetzung bewies in Konzerten bereits Dichte und Beständigkeit, und ihr erstes Studioalbum gerät mit kleinen Abstrichen zu einem Triumph des Wahren-Schönen-Guten. 
Sechzig Minuten Geräusch, Sound, Sphärenklang, Ethno, Geisterstimmen aus Dimension sieben, verzerrte Spoken-Word-Proklamationen, melancholische, duellierende E-Gitarren, schwere Basslinien, stampfender Rhythmus, mächtige Gitarrenschichten, neo-proggiger Powerrock mit punkiger Anmutung. Die Abstriche hat ausgerechnet Captain Brock zu verantworten, der entweder zu alt oder zu faul zum Songwriting geworden ist und lediglich zwei seiner alten Kompositionen neu in den Ring wirft. Warum er an seinem Mittachtziger-Solo-Stück „Sweet Obsession“ einen Narren gefressen hat, weiß man nicht, aber die Neueinspielung im Bandkontext wirkt anachronistisch und ist zudem zu happy für dieses doch recht dunkle Album. Die erste offizielle Studioaufnahme von HWs 74er-Live-Track „You’d Better Believe It“ begeht den Fehler einer zu extremen Dynamikschwankung, indem im Mittelteil des schnell stampfenden Seventies-Rockers eine großflächige, nichtssagende Space-Lounge-Passage eingefügt wird, zu der man zugegebenermaßen auf den Raumstationen des Sonnensystems nett smalltalken und den ein oder anderen futuristischen Cocktail schlürfen könnte. Der rockige Part hingegen klingt so dumpf, als erschalle er gerade aus dem seit 1974 nicht mehr gelüfteten Übungsraum.
Aber, aufgepasst, es gibt noch neun weitere Stücke auf Blood of the Earth, und die erste halbe Stunde dieses Albums gehört spontan zum Besten, was selbst die inszenierungsfreudigen Hawks je unters Volk gebracht haben. Die neuen Leute Dibs und Hone haben eine Menge Spaß, wie's scheint, und es handelt sich mal wieder um eines jener Alben, auf denen Dave Brock freiwillig zurücktritt hinter die kreativen Ideen der anderen. Ihn als Diktator zu diffamieren, der lediglich Kirmesmusikanten um sich schart, die ihm willenlos zuarbeiten, erscheint nach einem solchen Album absurder denn je. Das hier ist Teamwork. „Seahawks“ artikuliert sich zum Einstieg erstmal als pures alarmistisches Drama: Nebelhorn, Meereswellen und Metal-Gitarren, stoischer Rhythmus, vielgestaltiges Gitarrengequieke, jaulende Keyboards im Drama-Modus, düster-apokalyptische Gesamtanmutung, der Soundtrack zur Ölkatastrophe. Das phänomenale Stück geht über in den Titeltrack, ebenfalls wieder Öl-Thematik, aber mehr so düster-choralige Space Odyssey, ehe mit „Wraith“ richtig ins pralle Leben gegriffen wird. Melodischer Metallo-Prog-Punk-Radau mit Glückshormongarantie: Es ist wild! Die pastorale Schönheit von „Green Machine“ bringt einen fast zum Heulen, so melancholisch gerät das, die reinste Jenseitsvision, ehe mit „Inner Visions“ ein weiterer Höhepunkt folgt. Wie ein Krautrock-in-Arabien-Ethno-Kiffer-Experiment aus den 70ern, aufgedonnert mit modernsten Sounds, einer enormen Dichte und exotischen Instrumenten, unter anderem der Gast-Geige von Levellers-Mann Jon Sevink. Tanzbarer Tumult. Aus allen Winkeln und Ecken des Albums springt einem zudem Synthie-Wizard Tim Blake entgegen: Er hatte großen Anteil an dieser Platte, und es wäre zu hoffen, dass er der Band noch lange erhalten bleibt. Er ist der kleine ungezogene Kiffer-Bruder von Jean-Michel Jarre, nicht nur funktionaler Keyboarder und Erfüllungsgehilfe des Songs, sondern eigenwilliger Tüftler und Sound-Schamane, der die Stücke ebenso großflächig anstreicht, wie er sie konzertan verfeinert. Die Gattin schrie sogar zwischendurch einmal über den Lärm hinweg: „Das ist Bolero!“ Und Blakes blitzschnelle Duelle mit Hones Leadgitarre und Sevinks Gast-Geige muss man ebenfalls gehört haben. 
„Comfey Chair“ ist wieder eine dieser Collagen, die sich aus einem relaxten Spoken-Word-Beginn hocharbeitet zu spannendem Sound-Exkurs, während Bassist Mr. Dibs die zwei melancholisch-balladesken Stücke „Prometheus“ und „Sentinel“ beisteuert, von denen ersteres sich erneut zu einem exzellenten Space-Epos, einem HW-Klassiker, auswächst und letzteres fast mainstreamig ausfällt. Der Schlusstrack „Starshine“ findet sich nur als Bonustrack auf dem Kernalbum – auf der Doppel fehlt er –, was aber nicht weiter ins Gewicht fällt: Er könnte aus den Mittneunzigern stammen, ist der Kehraus einer großen Spacerock-Party, bleibt aber eine Weile im Ohr hängen wegen der klackenden Rieseninsektengeräusche von Heinlein'schen Ausmaßen.
Mächtige SciFi-HiFi-Sound-Soße, aber weniger schwermetalliges Powergedröhne als vielleicht erwartet. Oft ruhig und melancholisch, nicht wenig konzertan, ab und an angejazzt, aber dennoch mit genug schweren Tumulten, um klarzustellen, wer hier der Master of the Universe ist.

Sonntag, 20. Juni 2010

Hochzeit

Ich wurde gezwungen, jawohl gezwungen, der Vermählung von Prinzessin Viktualia und ihrem Prinz Smörebröd aus Ockelbö (westlich von Bullerbü, südlich von Lönneberga und dem Kattult-Hof) am Bildschirm beizuwohnen. Gefühlte 35 Stunden Vorberichterstattung von royalistischen Patsche-Patsche-Journalisten, Rosarotmalern und kreuzkonservativen Knochen, und dann irgendwann ein abruptes „Jo!“ inne Kirche, und es ist geschehen. Meine eigene Gemahlin stellt fest, dass da neben der ganzen ordensprangenden Adels-Bagage auch normale Leute in der Kirche sind. „Wahrscheinlich die Nachfahren der Kinder von Bullerbü und weitere ausgesuchte Lindgren-Leser.“ Als die Gemahlin eine Träne verdrückt, sage ich: „Musst nicht weinen, ist nur’n Film.“ Noch ein bisschen Predigt, ein bisschen Gesingsel, dann geht’s raus an die frische Luft und dem Steuerzahler winke-winke machen. Der wedelt geschlossen mit Fahnen zurück, unter anderem auch mit deutschen Farben. Lustig: die Secret-Service-Leute, die neben der Kutsche her rennen. Die Gemahlin meint: „Die riechen aber heute Abend streng.“ – „Nee, die machen sich gleich frei und schwimmen neben der Schaluppe mit, fungiert gleichzeitig als Bad.“ – „Jetzt verkohlst du mich!“.
Dann die Schaluppenfahrt. Als der Kommentator meint, die Strömung in diesem Gewässer sei tückisch, äußere ich kurz die Befürchtung (Hoffnung?), sie könnten jetzt mit ihrem Bötchen raus auf die Nordsee treiben und verloren gehen. Dann nicke ich weg – der Takt der Ruderer ist einfach zu meditativ -, ehe die Salutschüsse mich wieder auffahren lassen und ich feststelle, dass die Gemahlin ebenfalls eingenickt ist und selbst die Artillerie sie nicht zurückholt ins Geschehen. Ich staune noch ein bisschen über die dicken, sexy Kriegsschiffe, an denen die Schaluppe vorbeizieht, höre mir die Ansprache an my dear peuple an, dann schalte ich um auf Fußball.

Samstag, 12. Juni 2010

Freitag, 11. Juni 2010

Kanzler

Heute Nacht wurde ich zum Bundeskanzler ernannt. Ich wurde nicht vom Volk bzw. vom Bundestag gewählt, sondern jemand war zurückgetreten und ich rückte auf den Posten nach. Die Inauguration ähnelte einem germanischen Stammes-Thing unter freiem Himmel, und einige Abgeordnete sahen aus wie Statisten aus Braveheart. Als es anfing zu regnen, setzte ich meine Alfa-Romeo-Schirmmütze auf und dachte bei mir: „Wie gut, dass die Legislaturperiode schon so weit fortgeschritten ist, denn komplette vier Jahre würde ich den Quatsch hier gar nicht aushalten.“ Dann wachte ich offenbar panikartig auf, und die Kanzlergattin neben mir sagte beruhigend: „War nur ein Traum. War nur ein Traum.“

Montag, 7. Juni 2010

Zwischenwerk VIIIb

Am "Tag der Forts" werden viele sonst unzugängliche Kölner Befestigungsanlagen geöffnet, und man kann sie zusammen mit fachkundigen Leuten begehen. Im Mittelpunkt stehen die Reste des preußischen Verteidigungsrings, der nach dem Wiener Kongress 1815 begonnen und stetig erweitert wurde, bis nach dem Versailler Vertrag die "Entfestigung" erfolgte. Adenauer ließ diese mit Bebauungsverbot belegten Areale später in einen Grüngürtel umwandeln, und die meisten der Fort-Reste befinden sich heute in Parks. Sie waren für lange Zeit Stiefkinder der Stadt, ehe man sie als spannende historische Zweckarchitektur wiederentdeckte. 52.000 Mann sollten hier ursprünglich stationiert werden, und hätte es jemals eine Armee (im Zweifelsfall die französische) auf Köln abgesehen, wäre es vor allem am äußeren Gürtel zu Szenen wie in Verdun gekommen.
Wir haben uns diesmal Zwischenwerk VIIIb in Marienburg ausgesucht, eine kleine, aber feine Anlage des Außenrings. Dieses „Biehlersche Schemafort“ war zur Rheinverteidigung gedacht, ist besonders typisch und wird seit 2003 vom ehrenamtlichen Verein CRIFA (Cologne Research Institute of Fortification Architecture) als Festungsmuseum vorbereitet. Endziel der wackeren Herrschaften ist es, die noch vorhandenen Gebäudeteile in den Zustand ihrer Fertigstellung von 1876 zurückzuführen, nachdem die Räumlichkeiten fast ein Jahrhundert lang zweckentfremdet worden waren. Der Verein hat bei eBay ein paar hübsche Einrichtungsgegenstände ersteigert, damit der Bau nicht ganz so karg wirkt. Hier die professionelle CRIFA-Fotostrecke vom jetzigen Zustand. Besonders beeindruckend: die „Sprengstelle“, an der bei der Schleifung die Spitzenkaserne von der Kehlkaserne abgesprengt und der breite Gang, durch den man die Geschütze transportierte, von Trümmern verschüttet wurde. Zu sehen gibt es ebenfalls die einzige in Köln erhaltene Kaponniere („Kampfblock“ für Gewehrschützen) sowie die, wie der nette CRIFA-Mann uns erklärte und vorführte, einzige originale und noch funktionstüchtige Fort-Klappbrücke deutschlandweit. Als sich draußen ein kleines Gewitter entlud, konnte man feststellen, wie exzellent die Lüftung hier drinnen funktioniert: Böen drückten Luft von außen in die Schächte, und schlagartig wechselte das Klima von schattig zu eiskalt.
Schade nur, dass beim Regenguss draußen die Dixie-Band ihr Tun beendete und der Bratwurstgrill dichtmachte. Ich hatte ein bisschen Hunger.
Sehr hübsch, sehr ehrenamtlich, absolut lohnenswert. Zwischenwerk VIIIb hat auch an anderen Tagen geöffnet.

Sonntag, 6. Juni 2010

Mensch und Tier

Der Mann hat Farbe bekommen. Ein Besuch im Zoo an einem strahlenden Samstag kann da Wunder wirken. Vor allem auch deshalb, weil jeglicher Schatten bereits von Heerscharen von Besuchern besetzt ist und einem gar nichts anderes übrig bleibt, als sich in der Sonne aufzuhalten. Tatsächlich sind die Besucher manchmal spannender als die Tiere, vor allem ihre vielen, vielen Tattoos. Riesige Engelsflügel auf dem Rücken einer korpulenten, mächtig verlebten Mama. Nie wurde auf Erden etwas Engelsferneres erblickt als diese Dame. Ein riesenhaftes Kölsches Stadtwappen, von einem noch gewaltigeren Doppeladler gehalten, an den Waden einer drallen S/M-Komplettgepiercten in Tarn-Shorts. Extrem schlecht ausgeführter Indianerkopf auf der Schulter eines Kalker Großfamilienvorstands, den man in der Schlange die ganze Zeit anstarren muss. Handelsübliche Großflächen-Tribals über Schulter und Arm, zwischen die auch noch japanische Schriftzeichen gesetzt sind. Passt überhaupt nicht, und der arme Kerl trägt das jetzt sein Leben lang. Schönes Wetter hat auch seine Nachteile.
Anlass für den Besuch war der neue „Hippodom“, eine Anlage für die Flusspferde, in der der Besucher in eine Senke geführt wird und die Viecher hinter Panzerglas in gefiltertem Wasser schwimmen sehen kann. Wenn die Kolosse sich mal nach vorne bequemen, was sie angesichts der glotzäugigen Menschlein hinter dem Glas ganz gerne tun, bieten sie eine hübsche Show. Man fragt sich, wer hier wen zur eigenen Erbauung studiert. Auf der gegenüberliegenden Seite kann man dasselbe mit Krokodilen haben, die aber bewegen sich nur, wenn es wirklich nötig ist. Habe trotzdem eins schwimmen sehen.
Die Lemuren hängen faul rum, die Schwänze ergeben sich der Gravitation. Weiter oben steigt der Giraffenbulle zärtlich der Stute nach, knabbert an ihrem Hals herum und schubbelt sich, sie aber hat vermutlich Kopfschmerz und führt ihn langsam zum Heu, wo ihm plötzlich jeder erotische Gedanke vergeht. Clever, diese Stute. Ihre Fellzeichnung entschädigt zudem für so manches Menschen-Tattoo.
„Guck mal, Geier!“, ruft der menschliche Familienvorstand und lenkt seine Truppe zum offenen Gehege mit dem Federvieh, bei dem es sich allerdings doch eher um Marabus handelt. Steht zumindest dran, und ich bilde mir ein, dass einer der schreitenden Vögel den Vater anschaut, einmal mit dem Riesenschnabel klackt und den Kopf schüttelt. Zwischenzeitlich werden wir des großen dicken Mannes gewahr, der mitten in der prallen Sonne einen wenig schmeichelhaften Sermon über Merkel und Rösler und die Kopfpauschale hält. Ich nenne ihn spontan „den Polit-Aktivisten“, muss ihn aber später entschuldigen, als er sich als Mitglied einer Gruppe geistig Behinderter erweist. Er begegnet uns fortan immer wieder auf unserer Runde und hält unterschiedliche Kurzpredigten über diesen oder jenen. Ich vermute, dass er in bestimmten Besuchern oder auch in Tieren Personen des öffentlichen Lebens erkennt. Als die Gruppenbetreuerin ihn im Affenhaus auf die Schimpansen hinweist, sagt er: „Das ist die Merkel.“ Und der zweite Schimpanse daneben, das sei „der Personenschutz“. Auf der anderen Seite im Affenhaus sitzt King Kongs größerer Cousin, knabbert an Lauchstangen oder so etwas und schaut der Interaktion zwischen seiner Erst-, Zweit- oder Drittgemahlin und ihrem Neugeborenen zu. Das Publikum klebt an den Scheiben und sagt: „Süüß!“ Und es hat recht. Der Polit-Aktivist allerdings glaubt hier „Arabella Kiesbauer“ zu erkennen, was die Niedlichkeitsstimmung etwas trübt. Das klitzekleine Äffchen im extra Seitengehege nimmt kaum einer wahr, außer wir natürlich, und es guckt erst zurück und wird dann ganz aufgeregt.
Am Pavianfelsen stellen wir anhand des Spektakels Mutmaßungen an über pavianische Endzeitpropheten, Erweckungs– und Pilgerbewegungen, Fronleichnam und religiöse Massenaufläufe. Wer diese Rundum-Prozession am Felsen schon mal gesehen hat, weiß, was ich meine.
Auf der Empore des gigantischen Elefantenhauses kann man übrigens auch standesamtlich heiraten. Allerdings riecht die Hochzeitsgesellschaft danach vermutlich nach Dickhäuter-Dung. Die Herde ist heute natürlich draußen im großen Freigehege, und nach einigen Minuten Meditation ob ihres Anblicks stelle ich fest, dass ich Elefant sein möchte. Den ganzen Tag lang rumstehen, den Rüssel schwingen lassen und sich ab und zu Dreck auf den Rücken werfen. Paradiesisch.
Die Seelöwen-Fütterung fällt heute aus, trotzdem stehen etwa fünftausend Menschen ums Geländer herum, als hätten sie das Schild nicht gesehen. Die Seelöwen ziehen derweil ihre Kreise, und einer geht in Rückenlage und tippt sich mit der Flosse an die Stirn.
Wir sind dann irgendwann ziemlich nah dran an der Zoo-Schließung und müssen zum Ausgang, und ich kann das irre niedliche Wasserschwein nicht mehr in Ruhe studieren. Es befindet sich in einem Gehege mit genauso großartigen Tapiren, ganz weit hinten, und wird beim nächsten Mal als Allererstes begutachtet.

Samstag, 5. Juni 2010

Naherholung

Passiert auch nicht jedes Jahr, dass der Tölzer Knabenchor der Gemahlin ein Geburtstagsständchen bringt. Vermutlich wusste der Chor gar nichts vom Jubeltage, gesungen hat er trotzdem, in Form einer mittäglichen Probe fürs abendliche Konzert im Altenberger Dom. Dorthin hatte uns der Weg geführt. Gerüchten zufolge ist es die zweitgrößte Kirche des Rheinlands, karge zisterziensische Gotik, und drumherum ist kaum etwas außer einem umgebauten Ex-Kloster, einigen Hotels und Restaurants, knackigen jungen Pilgerinnen und weniger knackigen schlurfenden Rentnern, einem uralten Märchenpark, einem mit einer verrotteten Plane abgedeckten Trabbi und einem weitläufigen Areal für Jakobspilgervolk und sonstige Besinnliche. Und ein ausgedehntes Wegenetz für den strammen Wandersmann, der über Stock und Stein kreuchen, das Rotwild beim Äsen beobachten oder einfach nur seine Ruhe haben möchte. Eine Abordnung des Tölzer Knabenchors trafen wir ebenfalls im Gehölz wieder: Nach der Probe verlustierten sie sich im Wald mit Flussüberquerungsspielen Marke Indiana Jones. Ob abends jemand von ihnen fehlte, entzieht sich unserer Kenntnis. Den keltischen Ringwall weiter oben haben wir nur bis zur Mitte bestiegen; es war zu heiß und zu steil. Als nach diesen zweieinhalb Stunden Wanderung schließlich diese riesige, eiskalte Cola vor mir stand, ließ ich sie erst fünf Minuten unberührt und starrte sie nur gierig an. Die Vorfreude auskosten. Als hübschestes architektonisches Fleckchen vor Ort erwies sich die etwas versteckte Markuskapelle, komplett von 1225, klitzeklein, gar dusterlich und gruftig und volle Kanne Mittelalter. Danach Bratkartoffeln mit Leberkäs und Sinalco an der Kuhwiese und gegenseitig den Sonnenbrand bestaunen. 

Dienstag, 1. Juni 2010

Den Xenon Codex neu aufgeblättert

Gestern kam der neuaufgelegte Xenon Codex aus London an. Die Platte erschien ursprünglich in dem Monat, in dem ich mein Studium aufnahm: April 1988. Das schweißt schon irgendwie zusammen.
Das Remastering war ein voller Erfolg, das Album bollert und tuckert schön schwer, aber das ändert im Prinzip nichts daran, dass die Platte fragmentiert wirkt. Es musste damals schnell gehen mit dem Ding, weil das Management drängelte. Manche Stücke sind aus dem Ärmel geschüttelte Jams, die im Studio mit Effektschichten überklebt wurden. Eine Neuentdeckung lohnt der Eröffnungstrack „The War I Survived“ mit seiner Vonnegut-inspirierten Lyrik von Roger Neville-Smith. Der Begleittext spricht von einem der besten Opener irgendeines Hawks-Albums, und bei der Art, wie einen der Song förmlich überfällt, mag man beinahe zustimmen. Herzallerliebst, wie in diesem tumultös-straighten Gedröhne auch noch Blues- und Southern-Rock-Phrasierungen untergebracht werden. Meine Favoriten waren jedoch stets das meditative „Wastelands of Sleep“, das eine gewisse Ähnlichkeit zu dem noch besseren „Green Finned Demon“ von 1984 aufweist, sowie „Heads“ mit seinem wissenschaftskritischen Text, seiner stoischen Basslinie und seinem veritablen Spannungsaufbau in Sachen Sound. Harvey Bainbridge erforscht in seiner Keyboard-Burg symphonische Klangräume, wird an einer Stelle („Lost Chronicles“) sogar mächtig konzertan, allerdings auch ein bisschen zu geschmäcklerisch und mainstreamig für meinen Rocker-Geschmack. Alan Daveys „Sword of the East“ ist Hawkwind auf dem Höhepunkt der Melodic-Rock-Qualitäten und enorm gut inszeniert. Kein Rumpf, wie so oft, sondern richtig ausformulierter Fantasy-Hardrock inklusive Samples von schnaubenden und wiehernden Pferden. Vermisst hingegen wird ein Beitrag Huw Lloyd-Langtons, der in dieser Hinsicht in den 80ern die besten Songs ablieferte. „E.M.C.“ ist ein einfacher, nach vorn drängender Jam voller Kraft und voller verdrehter Samples, der belegt, warum die Hawks als Techno-Vorläufer gewertet werden, auch wenn dieses Stück im Prinzip eher Rock ist. Der schlussendliche Jam „Good Evening“ wäre verzichtbar, wenn nicht gegen Ende eines der schönsten Soundscapes der gesamten Hawks-Historie zu finden wäre: ein melancholisches E-Gitarren-Thema wird von Maschinengewehrfeuer begleitet. Das meine ich mit fragmentiert: Ein solch phantastisches Element hätte sinnvoll in einen besseren Song eingebunden werden müssen.
Ein leidiges Thema ist immer noch das stumpfe Trommeln von Danny Thompson, wobei man nicht so genau weiß, ob er es damals nicht besser konnte oder ob Dave Brock ihn dazu anhielt. Das käme weniger blöd rüber, wenn die Snare trockener knallen würde und nicht mit so viel dumpfem Hall. Das Album erschien im April 1988, und bereits im Dezember saß Richard Chadwick an den Drums. Die fünf Bonus-Live-Stücke aus diesem Monat zeigen zwar keine völlig andere Band, aber eine wesentlich druckvollere und härtere.
Trotz allem: ein Album zum Drinspazierengehen.

Das menschliche Antlitz der Politik

Gestern nach dieser erschütternden Nachricht kurz mit Horst telefoniert. Wir kennen uns ja von früher, als wir beide noch in der Sparkasse arbeiteten. Er meinte, er habe schon lange keinen Bock mehr auf das ganze staatstragende Zeug und würde gerne mal wieder einfach nur ein bisschen auf dem Taschenrechner rumklopfen, Rentenfonds verwalten, Kunden betreuen, mit afrikanischen Jungs Fußbälle gegen Garagentore pfeffern und eine Zigarre rauchen. Eva sei zuletzt beim Anblick einer einzelnen wehenden Deutschlandfahne schon depri geworden, der ganze Lena-Kram sei der absolute Horror gewesen und er habe den Rücktritt unbedingt noch vor der Fußball-WM hinbekommen wollen. Ich meinte, wir sollten hier in der Südstadt mal wieder ein paar Kölsch zischen, um runterzukommen. Er dürfe auch die Striche auf dem Deckel addieren und bezahlen.