Freitag, 31. Dezember 2010

Das vergangene Jahr ...

… im Schnelldurchlauf.
Lief alles ordentlich. Zitat Schwiegereltern: „Euch geht’s ja richtig gut!“. Wollen wir deswegen aber mal nicht gleich in grässliche Selbstzufriedenheit verfallen, sondern weiter an uns arbeiten. Angestrebtes Ziel: Stilles Glück im Winkel ohne Teilnahme der Außenwelt sowie Gewinn der monatlichen Sofortrente der Aktion Mensch.
Erkleckliche Steuerrückzahlung. Ebenfalls erkleckliche VG-Wort-Nachzahlung. Gewaltsames Ende einer langjährigen Redaktionsbeziehung; der entsprechende Ordner mit den Anfangs-, Zwischen- und Endversionen von sieben Romanen wurde demonstrativ gelöscht, die Belegexemplare in hohem Bogen weggeschmissen. Ersatzaufträge bringen das gleiche Honorar, aber zehn Prozent des Arbeitsaufwands. Eine ökonomisch absolut sinnvolle Entscheidung. Ein Haufen unterhaltsamer Anrufe aus Hamburg. Kleiner Urlaub unter Schafen. Spare-Ribs-Testessen. Rülpserchen. Kabarett. Mengenweise Kampfjets aus Plastik. Neue, erfreuliche Hawkwind-Platte. Gestrandeten Alien im Keller entdeckt sowie eine Elfenkolonie weiter oben im Haus. Wegzug des cineastischen Nachbarn und monatelanger Wohnungsleerstand nebenan. Monströse Auftragslage (Höhe des Stapels am Jahresende: 2,80 Meter, ohne die Dateien auf dem Sony Reader). Volle Mülltonnen vor dem Haus. Niemand räumt Schnee. Nach einem Vierteljahrhundert einen alten Kriegskameraden wenige Straßen entfernt wiederentdeckt und zum regelmäßigen Kölsch-Zischen und Wehrsportübungen im Königsforst verabredet. Weiterhin kein Erfolg bei der monatlichen Sofortrente der Aktion Mensch. Lucius Shepard hat einen Eintrag von mir auf Facebook kommentiert. Hurra!
Bestes in 2010 gegutachtetes Buch: The Dervish House von Ian McDonald. Schwer in Ordnung: Jon Courtenay Grimwood, Fallen Blade. Beste und nahezu perfekte Jugendfantasy und zugleich eiligstes Eilgutachten des Jahres: Ransom Riggs, Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children, beizeiten bei PAN. Sonderpreis in der Kategorie Hirnverknotung: James Renner, The Man from Primrose Lane. Sonderpreis in der Kategorie Nicht-zu-verachtender-Angstzustand: Adam Nevill, The Ritual. Bedauerlich: Die Felix Castor-Bücher von Mike Carey wurden offenbar von niemandem angekauft.

Montag, 27. Dezember 2010

Der Tiefpunkt

Herrje, das gestern war der schlechteste „Tatort“ aller Zeiten. Und wir können sagen, wir sind dabei gewesen. Historisches Datum. Der absolute Tiefpunkt. Nach einer Vorlage von Henning Mankell. Man konnte also im Vorfeld bereits ahnen, dass die wichtigtuerische Weltverbesserer-Scheiße nur so vom Bildschirm triefen würde, aber das schiere Ausmaß der strukturellen Verwirrung und der selbstverständlichen Dummbeutelei überraschte letzten Endes doch. Außerdem erwies sich, dass altlinke schwedische Sozialdepressiven-Kacke so ohne Weiteres nicht nach Deutschland importiert werden kann, ohne dass Drehbuchautoren darauf ausrutschen und voll reinplatschen. Hätte Slapstick sein können, war aber nur peinlich.

Sonntag, 26. Dezember 2010

Weihnachtsartistik

Verwandtenbesuch mit dem Auto. Als Problem bei diesen Temperaturen erweisen sich die Autotüren. Nicht die Schlösser, die dank Enteiser-Zeug frei sind. Es sind die Türdichtungen, die festfrieren, egal wie viel Nicht-festfrieren-Paste man vorher draufgestrichen hat. Der Kofferraum ist im Allgemeinen nicht betroffen, also selbigen öffnen, Hutablage abmontieren, Heckbank-Nackenstützen ebenso, Rückbank umlegen, auf exzentrische und neue Perspektiven schaffende Weise einsteigen und sich frisch geduscht und im vorzeigbaren Weihnachtsstaat purzelnd bis zu den Vordersitzen vorarbeiten wie ein Mineur. Von dort ist dank Schultergelenk mehr Druck auf die Türen möglich, als wenn man von außen an den Griffen zerrt – die eher abbrechen würden, als dass die Dichtungen auseinander gehen.
Halbwegs artistische Methode, die belegt, dass der Mann nach wie vor erstaunlich gelenkig ist und auch schön schlank, denn sonst würde er, von hinten kommend, gar nicht erst zwischen den Vordersitzen durchpassen. Ich empfehle zum Einsteigen nicht unbedingt die Bruce-Willis-Gedächtnisrolle – Steißprellung, Kopfverletzungen sowie Schäden an der Feiertagskleidung sind hierbei unvermeidlich -, sondern den beherzten WK-I-Infanterieangriff-Schritt mit eingezogenem Haupt.
Unbedingt beachten: Hinter sich den Kofferraumdeckel nicht zuziehen und einrasten lassen. Er lässt sich von innen nicht mehr öffnen, und wenn das mit dem Druck auf die Seitentüren nicht klappen sollte, sitzt man im Auto fest und erfriert ganz erbärmlich. Und es sieht einen dabei niemand, weil 50 Zentimeter Schnee auf dem Wagen liegen.

Freitag, 24. Dezember 2010

Dröhnung

Gestern im Kölner PhilharmonieLunch. Anderer Organist, andere Location, aber eben dieses Stück. Mächtig, mächtig.
Frohes Fest.

Dienstag, 21. Dezember 2010

Das ist keine Übung, Soldat!

Gestern Abend habe ich endlich meiner Frau die Wahrheit gesagt. Ich hatte dieses Versteckspiel einfach satt. So satt. Während des Anschauens von Die Bourne-Verschwörung wurde ich zunehmend unruhiger und wütender und habe sie nun darüber informiert, dass wir eine Tarnexistenz führen und auch ich ein Teilnehmer des Treadstone-Projekts bin. Und dass ich, immer wenn ich sage, ich ginge Zigaretten holen, Auftragsmorde für die CIA ausführe. Damit die Tarnung mit dem angeblichen Weg zum Kiosk aufrechterhalten werden kann, erhalte ich nur Aufträge in einem Aktionsradius von 150 Metern. Manchmal auch welche in 200 Metern Radius, weil die Ampel am Kiosk bekanntermaßen ziemlich lange Rotphasen hat und eine leicht verspätete Rückkehr daher nicht weiter auffällt. Ich habe meiner Frau auch das Versteck der Waffe gezeigt: im noch nie benutzten Raclette-Grill.

Sonntag, 19. Dezember 2010

Desktop-Erotik

Nicht ohne Stolz präsentiere ich hier meinen neuen Bildschirmhintergrund. Es handelt sich selbstverständlich um die gute alte Saab Viggen aus dem Land der Elche und der zügellosen Monarchen.

Samstag, 11. Dezember 2010

Katzen und Paketboten

Katzen haben die Angewohnheit, durch die Bude zu spurten und dabei z.B. hinter der Wohnungstür liegende Fußmatten zu verschieben. Paketboten haben die Angewohnheit, zu klingeln und dann sehr schnell wieder zu verschwinden, wenn sich niemand rührt. Diese beiden Tatsachen haben bei oberflächlicher Betrachtung recht wenig miteinander zu tun. Sie können jedoch sehr wohl eine fatale Kombination ergeben.
Wenn der Paketbote klingelt, spurtet der Hochparterre-Bewohner zur Wohnungstür, um auf diesem an und für sich einleuchtenden Weg schnellstmöglich an die Haustür zu gelangen. Nun hat jedoch die Katze beim Spurten die Fußmatte ungünstig verschoben, so dass sich beim gewaltsamen Aufreißen der Wohnungstür selbige unten an der schräg liegenden Fußmatte verkantet, die sich ihrerseits auf der anderen Flurseite am Schuhschrank verkantet hat, und exakt in dem Moment massiv zurückschlägt, als der Hochparterre-Bewohner bereits im Durchgang steht. Sie schleudert dabei dessen Kopf mit einem monumentalen Klonk! sowie einer leichten Knirsch!-Note gegen die Mauerkante rechts. Der Putz rieselt, kleine stellare Objekte werden im Blickfeld des Hochparterre-Bewohners sichtbar: Weiße Zwerge, Rote Riesen, Klasse-3-Sonnen sowie mindestens ein Schwarzes Loch. Die Beule ist groß und schwer, und sie pulsiert. Der Hochparterre-Bewohner stößt Flüche aus, die er bislang noch gar nicht kannte. Der Paketbote wirkt irritiert und ängstlich, als er seines Kunden ansichtig wird, als wolle er sagen: Hab nix gemacht!
Die aktuelle, adrette Kurzhaarfrisur des Hochparterre-Bewohners hat zur Folge, dass die Beule nur unzureichend vom Haarbewuchs verdeckt und er demzufolge die nächsten Tage definitiv nicht aus dem Haus gehen wird. Alle würden über ihn lachen.
Beruhigend für den Fall unabsehbarer medizinischer und juristischer Spätfolgen: Es war ein Arbeitsunfall, denn der Paketbote brachte mal wieder ein, ächz, Manuskript.

Dienstag, 7. Dezember 2010

SPECTRE ist zurück

Mir kommt dieser Herr Assange irgendwie unecht vor. Irgendwie installiert. Habe das im Urin. Mit dem stimmt was nicht. Vermutlich ein neuer Coup von SPECTRE (Special Executive for Counter-intelligence, Terrorism, Revenge and Extortion). Es war lange still um die, aber sie sind offensichtlich wieder da. Assanges weiße Haare haben meinen Verdacht geweckt. Es ist eine Perücke, und sie besteht mit ziemlicher Sicherheit aus dem Fell jener Katze, die Ernst Stavro Blofeld damals immer auf dem Schoß hatte. Und nach Informationen aus britischen Geheimdienstkreisen sollen alle Menschen mit Katzenhaarallergie in Assanges Nähe rote Augen kriegen und niesen. Ach je, SPECTRE, doch nur wieder die alten, vermeidbaren Fehler.

Montag, 6. Dezember 2010

Blockwart

Ich entwickle gewisse Blockwart-Tendenzen. Das ist zweifellos beunruhigend, sollte einen aber nicht weiter verwundern. In fortschreitendem Alter verflüssigt sich bekanntlich das Gehirn, und es klammert sich daher verzweifelt an Ordnungs- und Strukturprinzipien, so lange das noch geht.
In meinem Fall sind es die Mülltonnen. Das Haus verfügt über derer drei, die üblichen eben: Hausmüll (grüne Großvolumen-Tonne mit vier Rädern dran), Verpackungsmüll (gelbe Tonne) und Papiermüll (blaue Tonne). Leerung: Hausmüll wöchentlich, der Rest zweiwöchentlich.
Die Hausbewohner gehen mit dem im Grunde ganz einfachen Regelwerk einer funktionierenden Müllentsorgung durchweg nachlässig um. Jemand verbringt zum Beispiel in großem Stil Umzugskartons in die blaue Tonne. Ohne sie zu zerkleinern. Ist die Tonne voll, und das ist sie schnell, stapelt er den Rest daneben. Weitere Hausbewohner rammen in die an und für sich bereits voll geglaubte Tonne palettenweise Versandverpackungen. Ohne sie zu zerkleinern oder zumindest zu plätten. Der Rest landet neben der Tonne. Beachtet wird dabei nicht, dass die Müllabfuhr Anweisung hat, nur den Inhalt der Tonne zu entsorgen, nicht jedoch daneben gestapelte Hinterlassenschaften. Diese sauen bei winterlicher Witterung zwei Wochen oder länger ein und werden zu Papp-Pampe, die sich nicht nur unschön über den Vorbereich des Hauses sozusagen schleichend ergießt, sondern, sofern sich jemand ihrer überhaupt erbarmt, nur noch im Hausmüll entsorgt werden kann. Was wiederum die grüne Großvolumen-Hausmülltonne enorm belastet, zumal weitere Hausbewohner wegen der notorisch vollen Papiermülltonne ihre Papierabfälle in die Hausmülltonne werfen. In diese werden jedoch wegen ihrer einladenden Größe bereits halbe Wohnungseinrichtungen und Elektrogeräte entsorgt, obwohl die ja eigentlich ein Fall für die Elektromüll- oder Sperrmüllabfuhr wären. Die Folge ist, dass der dafür vorgesehene Hausmüll kaum noch zu entsorgen ist. Heute Morgen entdeckte ich daher in der gelben Tonne (!) unzerkleinerte, ungünstig verkantete Pizzadienst-Kartons mit Speiseresten drin. Der Blockwart in mir zuckte kurz zusammen und verbrachte dann höchstpersönlich die Pizzaschachteln in die dafür vorgesehene Großvolumen-Hausmülltonne, deren Deckel allerdings bereits schon wieder offen steht, so dass einem die Wohnungseinrichtungen und Elektrogeräte und Pappmatsche entgegengrinsen. Neulich erst habe ich unmittelbar nach der Leerung herumschmoddernde Papiermatsche in die Hausmülltonne geschaufelt, obwohl das keinesfalls meine eigene Matsche war, sowie herausgekullerte Hausmüllsäcke mit Gewalt zurück in die dafür vorgesehene grüne Tonne verbracht.
Wenn das hier so weitergeht, mache ich endgültig einen Zettel ans schwarze Brett und drohe mit Sanktionen wie Sprengfallen neben der Papiermülltonne, straff gespannte Klaviersaiten an der Großvolumen-Hausmülltonne und Zyanidgaskanister an der gelben Tonne. Aber die ganzen Leichenteile, Innereien und das Blut werde ja doch nur wieder ich wegmachen müssen.

Samstag, 4. Dezember 2010

Vorsicht, extrem putzig!


Ein eingescanntes Dia meines Vaters aus den 70ern. Ja, so etwas extrem Putziges teilte damals mit uns Haus und Hof. Aus dem ersten Wurf unserer Hauskatze. Die beiden wurden später abgegeben an einen Bauernhof in der Eifel mit mächtig artgerechtem Umfeld.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Choose Your Masques

Soeben neu erschienen als 2-CD-Special mit einer Menge Bonustracks aus den Archiven. Daher Pflichtkauf für den Enthusiasten.
Das letzte Album des Drei-Platten-Deals mit RCA. Von 1982. Der Konzern hat sich danach nie wieder für den Kram interessiert, sondern schickte zeitnah nur noch die heute superrare, irgendwie aber auch überflüssige Anthologie-LP Angels of Death hinterher. Die CD-Auswertungen der RCA-LPs blieben in den Neunzigern kleinen Labels vorbehalten. Demzufolge waren sie als CDs endlos lange vergriffen und wurden zu eklatanten Summen gehandelt. Bei Amazon-Marketplace wurde Choose Your Masques für über 200 € gesichtet. Damit ist jetzt Schluss dank Cherry Red Records.
Tolles Fantasy-Kapuzenmann-Cover, das mich 1982 sofort zugreifen ließ. Kurz darauf nahm ich Andreas H. ein Tape davon auf, weil er darum bat, und er meinte, es sei ganz, ganz furchtbare Musik. Er mochte eher so Phil Collins. Ich hätte es wissen müssen.
Tatsächlich war Choose Your Masques auch unter Eingeweihten heftig umstritten. Noch viel glatter produziert als Sonic Attack im Jahr zuvor, mit mächtig pumpenden, oft steril wirkenden Drumbeats, die entweder direkt aus der Maschine kamen oder von Drummer Martin Griffin auf den damals so beliebten Synth-Drums erzeugt wurden. Aus Copyright-Gründen nahm Michael Moorcock ein Pseudonym an, aber die von „L. Steele“ gefertigten Texte tragen eindeutig seine Handschrift. Mit an Bord war auch der ehrwürdige Schauspieler Ian Holm, allerdings nur in Form eines Dialog-Samples aus einem Hörspiel, was aber reichte, um ihn in den Credits zu nennen. Ebenso Dave Brocks noch junger Sohn Pascoe, der später eine Knast-Karriere einschlug. Und Frontmann Nik Turner tauchte auch wieder auf, ehe man sich in der Führungsetage der Band erneut überwarf. 
Es geht allenthalben um Utopia und die generelle Unfähigkeit, es je zu erreichen. Und es geht auch ein bisschen um den mythisch überhöhten Kampf gegen diejenigen aus der Epoche, die alles kaputt machen wollten. Wieder ein reichlich hybridiges Album: lang anhaltende Elektronik-Exkurse mit Post-Disco-Prä-Techno-Beats und Gesprächsfetzen aus Dimension sieben, zwei schwächere Kompositionen Huw Lloyd-Langtons, eine gänzlich überflüssige Neuaufnahme von „Silver Machine“, aber eben auch der All-time-Favorit „Arrival in Utopia“, von dem heute noch kraftvolle Live-Versionen produziert werden. Dazu das wummernde Titelstück sowie das sehr eigenartige „Fahrenheit 451“, eigentlich ein Proto-Punk-Song aus Robert Calverts Feder, um 1978 herum skizziert, aber hier, 1982, erstmals das Licht der Öffentlichkeit erblickend, und zwar in einem HiTech-Metal-Kontext mit fixer Leadgitarre. Hört sich seltsam, aber gut an. Und die technoid pumpende, leadgitarrendurchgleißte Neuaufnahme des 74er-Klassikers „Psychedelic Warlords“ ist auch durchaus ein zweites Hören wert. Ein steifes, aber relevantes Album. Eighties total.
Die Bonustracks sind so lala, meistens 'slightly different versions'. Und Huw Lloyd-Langton hat die abgespeckte Version von „Candle Burning“ drei Jahre später mit seiner Lloyd-Langton Group besser und rockiger hinbekommen.
Das Bootleg-Doppel-CD-Album Collector's Series Vol. 2 dokumentiert in erträglichem Sound übrigens ein kraftvolles Konzert dieser Epoche und dieser Besetzung, mit Teilnahme Michael Moorcocks.

Sonntag, 28. November 2010

Stolz

Dieser Haushalt ist in zweierlei Hinsicht zu recht stolz auf sich. Er hat es pünktlich geschafft, die Oster-Deko durch Advents-Deko zu ersetzen. All die bunten Hasen und Ostereier hatten im späten November ohnehin etwas Psychedelisches an sich. Jetzt brennt die Adventskerze. Nur eine Kerze für die ganze Zeit. Brenndauer 87 Stunden. Könnte ein angenehmer Job sein: Adventskerzenbrenndauertester.
Der zweite Grund für den Stolz ist die Tatsache, dass der Brunch-für-zwei-Personen-Gutschein fürs nahegelegene „Kap am Südkai“ nun endlich eingelöst wurde. Überreicht wurde er zur Hochzeit vor dreizehneinhalb Monaten. Drei Stunden gemütlich spachteln mit Blick auf den Rhein, vorbeiziehende Schiffe, eingemummelte Passanten und Fesselballons, die am Deutzer Ufer gegenüber aufgeblasen wurden und starteten. Das Leben kann ein Idyll sein.

Freitag, 26. November 2010

Filmkritik

Das Ehepaar Reitersmann gestern Abend gegen 20.45 Uhr beim Anschauen des vielfach preisgekrönten Films Wolke 9 auf Arte.

Mittwoch, 24. November 2010

Elfen-Zelle

Die neue Nachbarin zwei Stockwerke höher hat mir ihren Wohnungsschlüssel anvertraut. Der Schlüsselanhänger hat die Form einer silbernen stilisierten Harfe. Ich soll tagsüber den Mann von der Telefongesellschaft einlassen. Bei diesen Rehaugen konnte ich nicht Nein sagen. Sie trägt ständig eine Mütze, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie darunter spitze Ohren hat und heimlich auf einen schicken Namen wie Galadriel oder so was hört und nur bei uns hier drüben „Sabine“ gerufen wird. Ich habe ihr Vertrauen auch nicht missbraucht, sondern habe mir, während der Telefonmann an der Buchse werkelte, nur mal, einem alten Instinkt folgend, das Bücherregal angeschaut. Waren alles psychologische Fachbücher. Elfe mit Psychologiestudium, aha. Nach irgendwelchem Elfengold, prächtigem Geschmeide oder magischen Schwertern habe ich nicht gewühlt. Der Telefonmann war übrigens ein großer, schlanker Blonder mit ungewöhnlich reiner Haut, sah ein bisschen aus wie Julian Sands und trug eine Mütze bis über die Ohren. Mich überkamen gewisse Zweifel, ob der hier wirklich einen klassischen Telefonanschluss schaltet oder nicht doch in ganz anderem Auftrag eine Elfenagentinnen-Standleitung in die Anderwelt legt.
Bereits Tage zuvor war eine weitere potenzielle neue Mieterin mit dem Hausverwalter aus der leeren Nachbarwohnung getreten, die sie offenbar gerade besichtigt hatte. Auch sie mit Rehaugen, suspekter Mütze, einer nicht ganz irdischen Aura und diesem milden, leicht überlegen wirkenden Glamour-Lächeln. Ich dachte mir da noch nichts dabei. Erst als die Neue von oben vor der Tür stand, wurde mir klar, worauf das hier hinausläuft: Das Haus ist der Tummelplatz einer Elfen-Zelle, einer klammheimlichen Elfen-Machtergreifung. Alle mit Psychologiestudium, um den Feind analysieren zu können, und Standleitung nach Hause. Der Verwalter, eher einer mit dem typischen Trollwald-Phänotyp, trat sofort auf mich zu und empfahl mich der Dame, „für wenn mal was ist“. Ich dachte mir da, wie gesagt, noch nichts dabei.
Die Frage ist jetzt: Soll ich meinen Verdacht den Behörden melden, die momentan sowieso anderes zu tun haben, oder soll ich doch mitmachen bei der Machtergreifung und auf einen hübschen Posten im neuen Regime hoffen?

Dienstag, 23. November 2010

Tragödie des Hausmanns

Mannomann. Neulich, während ich zu Hause mit dem Tiroler Hüttenpfannerl (ohne Speck, dafür mit reingeschnippelten Kartoffeln) wartete, verlustierte sich die Gemahlin in einer Ausstellung mit Ingo Naujoks. Gestern wartete ich mit dem Kartoffelgratin, und die Gemahlin kommt aufgeregt heim und meint, sie habe sich eben mit Jan-Josef Liefers im Starbucks vergnügt. Wie zum Hohn liefen den ganzen Abend in der Glotze Werbespors mit Liefers, und die Gemahlin rief: "Der da! Der da war's!"

Montag, 22. November 2010

HR-17, ehemals Z-Generator

Die Gemahlin war bei Harry Potter im Kino. Allein, weil dem Herrn Gemahl dieser Kram auf den Senkel geht und weil er beim Anblick von Daniel Radcliffe sofort in Dauerhusten ausbricht. Fraglicher Gemahl kaufte sich stattdessen eine Fleecejacke und entdeckte endlich mal den lokal führenden Modellbauladen. Ist sogar locker fußläufig. Ziemlich klein, bildet sich aber ein, so ziemlich alles anbieten zu müssen, weswegen es eng und vollgestopft zugeht. Das Atmen fällt schwer, auch wegen der vielen Kunden und ihrer Ausdünstungen. Modellbauer duschen selten. Keine Zeit. Ich merke es selbst. Es ist gerade Modellbahn-Messe vor Ort, und selbst so weit weg vom Messegelände stehen seltsame Leute im Laden, reden seltsames Zeug und lachen schallend über Sachen, die, wenn man sie so belauscht, seltsamerweise gar nicht witzig sind.
A: Der XY war auch auf der Messe.
B: Was? Der XY war auf der Messe? Echt?
A: Ja, er stellte den brandneuen Z-Generator vor, der aber nicht mehr Z-Generator heißt, sondern HR-17!
B: Na, das ist ja ein Ding! HR-17! Wahrscheinlich noch mit Luftdruck-Rosette und Stanzventil!
A: Nö, aber mit Trockenmassen-Equalisator.
B: Nee, echt jetzt?
A: Und mit thaumaturgischem Tanzschlauch.
B: Boah, so was gibt’s noch?
A: Und jetzt kommt’s: Er stellte ihn auf Holländisch vor!
B: Auf Holländisch?
A: Auf Holländisch.
B: Ach, da wäre ich gerne dabei gewesen. Der alte Schlawiner.
A: (schallendes Gelächter, kurzes Schnauben) Ja.
Schulterzucken meinerseits. Geringfügige sympathische Aufwallung angesichts der Verwendung des schönen alten Wortes „Schlawiner“.
Unter anderem gibt es hier Flugzeugmodelle bis zur Decke. Ich brauche keinen HR-17. Düsenjets, gebt mir Düsenjets. Mit ordentlich Abwurftanks, Sidewinder-Raketen und lustigen kleinen Bomben dran. Leider habe ich (fast) alle in Frage kommenden Flugzeugtypen schon im Internet gekauft. Ich ging lediglich mit ein paar neuen Farben und Klebstoff raus, halte mir aber die Option auf eine Rückkehr offen. Diese Flugzeugmodell-Regalwand bis hinauf zur Decke ist schon beeindruckend. Wenig Lust verspüre ich allerdings weiterhin auf Panzerhaubitzen, tschechische Ambulanzwagen, napoleonische Grenadiere, irgendwelchen Fantasy-Quatsch, den HR-17 oder eine Komplettrekonstruktion der Wehrmacht anno 1942 im Maßstab 1:72.

Donnerstag, 11. November 2010

St. Martin

Als ich heute Morgen fröstelnd und mit verklebten Augen ins Bad schlurfte, saß völlig ungeniert St. Martin auf dem Klo, den fraglichen Mantel über die Handtuchhalterung gehängt, schaute mich an und sagte: "Reitersmann, hier müsste mal wieder geputzt werden."
Ich schrie einmal kurz auf, ging in die Küche und und zur Kaffeemaschine und wartete, bis ich Klospülung, Wasserhahn und Wohnungstür hörte.

Dienstag, 9. November 2010

BsF

Bauer sucht Frau ist tatsächlich ein tolles, anregendes Format. Jemand wie ich fühlt sich da gleich daheim. Traktoren, Eggen, Kühe, Mist, seltsame Typen mit rudimentären Deutschkenntnissen. Es drängt sich bei der neuen Staffel jedoch zunehmend der Eindruck auf, dass mindestens die Hälfte der Love-Konstellationen von Schauspielern interpretiert werden, die Texte aufsagen. Vermutlich hatten die echten Bauern diesmal nicht so viel Lust, sich zum Affen zu machen.
Das Format bedient Vorurteile („Vorurteile sind gelebte Erfahrungen, nur eben von anderen“, J. Hader) und leitet aus ihnen wichtige menschliche Regungen wie Mitleid ab. Mitleid mit den armen, jungfräulichen Dummbratzen, die es eher mit Tieren als mit Frauen haben. Im Gegensatz zu so etwas Schäbigem, Geek-Pornographischen wie Schwiegertochter gesucht hat BsF behauptete Romantik, Pragmatik und Liebenswürdigkeit zu bieten, gruppiert sich um einleuchtende, manchmal auch überraschende emotionale Zentren herum und erschafft wunderbare Tableaus des Stoischen, Hirnrissigen, peinlich Sprachlosen, die dann zu unpassend pathetischen Popmusikschnipseln tragikomisch aufgebrochen werden. Und dann diese irren Momente total selbstverständlich daherkommender Toleranz und Neugier. Die Bauern sind einfach nicht welterfahren und klug genug, um - im Gegensatz übrigens zum Zuschauer - Vorurteile zu haben und nach ihnen zu leben. Der Umgang des bratzigen Bayern mit seiner thailändischen Hofgefährtin in der letzten Staffel wurde nicht umsonst zum modernen TV-Klassiker. Rüüührrrend! Diesmal deutet sich eine Wiederholung dessen an, aber es droht bereits zur Formel zu erstarren und ist nicht halb so authentisch.
Besonders toll auch die dahergefaselten Texte der Cowgirl-Moderatorin, einem Ex-Schlagersternchen, dem seine Autoren ständig Adjektiv-Substantiv-Kombinationen an die Hand geben („rüstiger Hühnerwirt“, „liebenswürdiger Ackerbauer“), besonders gerne auch Alliterationen in geschriebener und gesprochener Form („charmanter Schäfer“, „mollige Melkerin“, „romantischer Rübenbauer“). In diesem Haushalt machen wir daraus einen Wettbewerb, indem wir nach noch einleuchtenderen Alliterationen suchen: „aggressiver Agrarökonom“, „hysterischer Hühnerschlachter“, „zorniger Ziegenwirt“, „triebhafter Treckerfahrer“, „tollwütiger Torfstecher“.

Montag, 8. November 2010

Nochmal "Hader spielt Hader"

Der unten stehende „Verriss“ des Josef-Hader-Kabarettabends hat offenbar hier und da für Irritationen gesorgt. Selbst hartgesottene Ironiker haben ihn für voll genommen. Das beunruhigt mich. Die Schuld liegt natürlich bei mir. Das mit der Ironie, die nicht als Ironie gekennzeichnet werden darf, um Ironie zu sein, hat nicht ganz geklappt.
Das kommt davon, wenn der übersichtlich talentierte Interpret/Rezensent (= ego) sich dem Künstler experimentell anzunähern versucht und die Erwartungshaltungen durchbrechen will. Wenn er auf das notorische Understatement, den Selbsthass und den dunkelschwarzen Humor des Bühnenaktivisten eingeht und das mordsmäßige Gegrantel bestätigt, um der Bühnenfigur sozusagen eine Freude zu machen. „Ja, Josef, hast recht mit dir. Ich stimme dir in jeder Hinsicht zu.“
Ich habe es da offenbar zu gut mit ihm gemeint. Der Text ist überambitioniert. Ich entschuldige mich in aller Form dafür, bin aber dennoch der Auffassung, dass es in der „Kritik“ einige Anhaltspunkte gibt, wie der Eintrag eventuell zu lesen sein könnte.
Also noch mal auf Deutsch: Josef Hader auf der Bühne ist ein Ereignis der blitzgescheiten Bösartigkeit, der überraschenden Volte, des angemessenen Nihilismus, der grotesken Ich-Bezogenheit, des Austeilens gegen alle. Gegen alle! Im Zusammenspiel mit Gerhard, dem Beleuchter, ist er grandioses absurdes Theater. Tragikomischer kann es nicht werden auf diesem Planeten, das Publikum hat völlig zu Recht getobt. Hader rules! Und er und seine spezifische Form müssen in Zeiten des bräsigen, berechenbaren Polit-Kabaretts und des großen Comedy-Gähnens mit aller Macht gelobt werden.
Den „Verriss“ also bitte tunlichst ignorieren. Oder nochmal lesen unter anderen Vorzeichen.

Hipness im Winter

Der T-Shirt-Versand will mir Atomkraft? Nein, danke-Shirts aufdrängen. Scheint gerade hip zu sein und zwischen Aufdrucken wie Turbopussy, Ich saufe Koma und Polizei gute Absätze zu erzielen. Aber es ist ja fast Winter, und ich stricke mir lieber einen Norweger mit Elchen drauf.

Freitag, 5. November 2010

"Hader spielt Hader"

"Ist Ironie, Gerhard!"
"Dann sag's halt dazu."
"Gerhard! Es ist das Wesen der Ironie, dass man nicht dazu sagt, dass es Ironie ist!"

Gestern Abend in der Comedia: der beliebteste Österreicher seit Adolf Hinkel und Udo Jürgens.
Es ist keine bahnbrechend neue Erkenntnis, dass es sich bei Josef Hader um eine der Schlüsselfiguren des deutschsprachigen Kabaretts handeln könnte, ach was, um einen der Titanen deutscher Zunge und deutscher Wortkunst, wenn er sich und das Publikum bloß lieben und sich bitteschön endlich mal an die Regeln halten würde. Es fängt schon an mit einer dreiminütigen Verspätung, weil der Herr Künstler draußen auf der Straße unbedingt einen Herzinfarkt erleiden musste („Sterben? Ist wurscht, sterb ich halt“). Den Auftrittsapplaus kommentiert er in etwa so: "Ja, toller Applaus. Danke. Ich sehe schon, Sie sind gut drauf, Sie sind motiviert - und das hier wird schrecklich schiefgehen."
Das Programm Hader spielt Hader entstand wieder nur wegen einer Steuernachzahlung und einer vorgetäuschten Schwangerschaft und bietet ein gänzlich unoriginelles, jede Stimmung runterziehendes „Best of“, dem lustlos eine neue Dramaturgie aufgepfropft wurde (besonders beliebt offenbar: „Zweite Kasse aufmachen! Zweite Kasse!“ Da musste sogar ich Intellektueller kurz amüsiert schnauben, aber nur kurz!). Vornüber gebeugtes Wiener-Schmäh-Geplauder und notorisches Gegrantel, ein bisschen Rumgespringe eines alternden Typen im Psycho-Hemd, alte mäandernde Nummern, meistens ohne Pointen und auch noch stolz drauf, notdürftig mit ein paar neuen Halbsätzen aktualisiert. Dazwischen grantige, sozialromantische Couplets am E-Piano, absurdes Theater und Grimme-Preis-heischendes Schauspiel sowie Wortgefechte mit dem völlig desinteressierten Beleuchter Gerhard („Bittä? I hob grad mit meinen Mädels telefoniert“). Angekündigt war eigentlich eine intellektuelle Dichterlesung, aber dann zielt der Lesespot einen Meter neben des Künstlers Lesetisch ("Gerhard? Fällt dir was auf?"). Dichterlesung entfällt größtenteils, stattdessen über die PA ein Streitgespräch mit einem einsilbigen Prolo. Zieht einen alles ziemlich runter („Es ist so fad!“).
Durch nichts zu rechtfertigender Nihilismus („Is eh olles wurscht!“) und Intellektuellenverachtung, um nicht zu sagen: Kabarettverachtung, gespeist von einem eklatanten Selbsthass, der allerdings authentisch rüberkommt: Der Künstler ist da ganz bei sich selbst, weist aber trotz seiner notorischen Depressivität immer noch so viel Selbstbewusstsein auf, die Schuld für sich selbst bei jedem und allem zu suchen. Sogar bei uns, dem Publikum. Sobald man einen Witz oder ein rhetorisches Mäandern verstanden zu haben glaubt, dampft es in eine völlig andere Richtung ab und endet irgendwie bei Air Berlin. Unbequem, mühselig. Dann auch noch Selbstverständlichkeiten wie Reinhold Messner, Luzifer, alberne Lemminge und der Steinscheißer-Karl. Der Mann hat zudem keine Hemmungen, sich an katholischen wie an jüdischen Traditionslinien zu vergehen und wieder mal die olle, vielfach vorgekommene Humoranalyse des christlich-jüdischen Abendlandes loszulassen („Humanismus? Is eh wurscht. Bringt nix.“). Als stille Eskalation blitzt ständig dieses irre Grinsen auf, das man eher auf einem Anstaltsflur vermuten würde und das uns eitel-irre dazu auffordert, doch mal mitzulachen. Auch wenn es grad gar nicht komisch, sondern scheißtragisch ist („Is jetzt eh wurscht“). Und das alles geht auch noch sage und schreibe über zweieinhalb Stunden.
Hader könnte so gut sein, wenn er nur sich und sein Publikum lieben und sich nach einem Vierteljahrhundert endlich mal an die Regeln halten würde. Es ist mir ein Rätsel, warum der ausverkaufte Saal zweieinhalb Stunden lang getobt und geschrien hat vor Glück. Ist wohl Selbsthass. Das nächste Mal bitte Udo Jürgens.

Donnerstag, 4. November 2010

Paketbombenwitze

Bekanntermaßen halte ich ja hier im Viertel den Paketzustellungsrekord sowie den Pakete-für-Nachbarn-entgegennehmen-Rekord. Es wurde bisher an der Haustür noch kein einziger Paketbombenwitz gerissen. Daran erkennt man Paketzuliefer- und Paketempfängerprofis: keine Paketbombenwitze. So etwas machen nur enthusiastische Anfänger, die sich noch für wichtig genug halten, dass irgendwer ihnen eine Bombe schickt.

Dienstag, 2. November 2010

Weltraumbanditen

Wurde jüngst neu aufgelegt von Cherry Red Records: Space Bandits von 1990. Von mir damals noch als LP gekauft, später ersetzt durch eine japanische CD. Ein erneuter Kauf steht an, denn es gibt ein bisschen rares Bonusmaterial, vor allem die Live-Studio-Version von "Out of the Shadows".
Ein Übergangsalbum von den 80ern in die 90er, das die Aufmerksamkeit der damaligen Rave-Szene auf die Veteranen lenkte. Und das, obwohl diese kurze Phase eher als neo-proggig gilt und dem kathedralenhaften Rock-Sound wieder mehr Raum gab. Zuvor hatten Drummer Thompson und Gitarrist Lloyd-Langton ihren Abschied genommen, während Schlagzeuger Richard Chadwick hinzugestoßen war. Ebenso kam der einst von David Bowie abgeworbene Geiger Simon House für kurze Zeit wieder ins Spiel. Als neues Mitglied wurde Sängerin und Performerin Bridget Wishart rekrutiert, die sich allerdings, wie sich später zeigen sollte, nicht gänzlich wohlfühlte in dieser Band. Sie singt auf diesem Album unter anderem den langen Song „Images“, einen sehr maßgeblichen und typischen Hawkwind-Song dieser Epoche.
Die Besetzung, die um 1990 herum auftrat, war live besser als auf Platte, auch wenn die performerischen Elemente Wisharts eher an avantgardistisches Schülertheater erinnerten und Harvey Bainbridges Endlos-Rezitationen seiner mittelmäßigen Spinner-Texte einem irgendwann ziemlich auf den Senkel gingen. Musikalisch war das jedoch eine dynamische Epoche, die Space Bandits da einleitete.
Chadwicks Schlagzeugspiel ist eine Wohltat im Vergleich zu dem seines Vorgängers. Harvey Bainbridge macht halbwegs erfolgreich auf Keyboard-Wizard, Dave Brock zieht sich von den Synths zurück und gibt der Gitarre viel Raum. Alan Davey ist noch nicht ganz so Motörhead-mäßig drauf wie später. Houses Violine sorgt für erfreuliche Rasanz, vor allem wenn sie Leadgitarren-Funktionen übernimmt.
Das Album bleibt recht konzeptlos, wirkt aber entschlackter und wieder deutlich druckvoller und dynamischer als der Vorgänger Xenon Codex. Und dunkel-dräuend in der Gesamtanmutung, regelrecht bedrohlich. Im Hawkwind-Kanon ist es ein eher mittelprächtiges Album, aber als unvorbereiteter Hörer könnte man hier überrascht werden. „Out of the Shadows“ mauserte sich seitdem zum kräftig drauflos rockenden Live-Klassiker, der sich zum harten Jammen vorzüglich eignet. Das Überwechseln dieses krachigen Songs in die dunkel wirbelnde Soundwolke „Realms“ und wie nach gut drei Minuten das pulsierende Irrlicht „Ship of Dreams“ daraus hervortaucht, gehört zu den besten Hawks-Momenten in vier Jahrzehnten Bandgeschichte. Die mystizistische Indianer-Sound-Collage „Black Elk Speaks“ geriet zu Unrecht in Vergessenheit und läuft heute vermutlich nur noch in irgendwelchen Esoterik- und Duftkerzen-Shops als Untermalung. „TV Suicide“ könnte das beste Stück sein, das Harvey Bainbridge im Hawks-Zusammenhang je erstellte, wenn er nur den Gesangspart weggelassen hätte. Ähnliches gilt für das verzichtbare „Wings“, als Soundscape ganz hübsch, als Komposition eines der vernachlässigbaren Davey-Stücke.
Ein brauchbares Album. Im Jahr darauf wurde der Sound durch den vorzüglichen Studio/Live-Hybriden Palace Springs noch mehr in Richtung Neo-Prog gesteuert.

Der Lämmes

Auf dem Dorf gibt es den Ausspruch „Dou bass wuhl vum Lämmes gebass“. Du bist wohl vom Lämmes gebissen worden. Heißt so viel wie: bescheuert/Arsch offen/Sprung in der Schüssel. Wer genau dieser Lämmes war, konnte unsere Generation nicht mehr verifizieren. Zu alt der Spruch, zu lange her die zugrunde liegenden Ereignisse. Die Vermutung geht dahin, dass der Lämmes jemand unter den Altvorderen war, der auf gewisse furchterregende, zumindest aber verwirrende Weise nicht ganz normal war und dessen Biss als infektiös gewertet wurde. Wahrscheinlich litt er an einer seltenen Krankheit, für welche die Altvorderen auf dem Dorf keinen Namen hatten. Ich könnte mir das Tourette-Syndrom oder so was vorstellen. Vermutlich sah er auch ein bisschen strange aus. Der Lämmes war für uns Kinder stets ein Mysterium und nahm mitunter dämonische Züge an.
Als ich jetzt in die aktuelle Staffel von „Bauer sucht Frau“ reinzappte, überlief es mich eiskalt. Da ist er! Der Lämmes! Er heißt genau so, kommt aus der Eifel, redet dieses unverkennbar mühselige, akzentdurchzogene Eifler Hochdeutsch, geht leicht vornüber gebeugt, lacht kehlig, macht sich an die Weiber ran – und er sieht ziemlich strange aus. Und bescheuert ist er auch, was allein schon die Tatsache belegt, dass er bei dieser Sendung mitmacht. Als er nach dem einleitenden Scheunenfest seine Angebetete dann endlich auf seinem Eifler Hof hatte und ihr am Ohr zu knabbern begann, rief ich panisch: „Da! Gleich beißt er sie, der Lämmes!“

Samstag, 23. Oktober 2010

Zweimal die Ministerpräsidentin und Bundesratspräsidentin berührt, ohne von Bodyguards zu Boden geworfen worden zu sein

Nun ja, „berührt“ ist vielleicht etwas übertrieben. „Gestreift in der Menge“ trifft es besser, und das mehr so zufällig. Und Bodyguards hatte sie eigentlich auch keine dabei, nur so was wie Referentinnen im Schlepptau, den OB und eine Fotografin mit Metall durch die Backe. Anlass war die Neueröffnung des großen Kölner Museumsbaus Rautenstrauch-Joest/Schnütgen (Kulturquartier am Neumarkt). Riesendings. Völkerkunde und Mittelalter. 1600 geladene Gäste, alle Offiziellen mächtig stolz nach fünfzehn Jahren Planungs- und Bauzeit. Ministerpräsidentin auch. Irrsins-Catering vom Feinsten. Es gab kein Getränk, das es nicht gab. Ich war eine Viertelstunde vor Beginn schon ziemlich angeschickert. Zusätzlich gab es Häppchen, Fingerfood und später so was wie Currywurst in einer Schale aus Brot. Die obligatorisch anwesende Kunstmuse – sie hatte diesmal einen goldenen Hasenhut mit Weihnachtsherzchen auf dem roten Wallehaar – sprach mit uns. Ein bisschen wirr, aber das muss so. Der internationale Glamour hielt sich allerdings in Grenzen. Ich sah Rupert Neudeck; beim Thema Völkerkunde ist der Mann sicher irgendwie erwartbar. Ansonsten eher lokale Größen, Politik und obere Zehntausend sowie ein echter Beduine und schwarzafrikanische Schamanen im mitteleuropäischen Zwirn, die mittendrin mal angesichts eines Totempfahls zu Gesängen anhoben. Alle lauschten interessiert, es hätte jedoch auch das gesungene Telefonbuch ihres Heimatdorfs sein können. Der riesenhafte indonesische Reisspeicher im riesenhaften Foyer war von extra eingeflogenen indonesischen Reisspeicheraufbauern aufgebaut worden, die so etwas als Einzige auf der Welt noch beherrschen. (Woraufhin das Kölner Arbeitsamt anfragte, warum indonesische „Dachdecker“ eingeflogen würden, wenn doch genügend Kölner Dachdecker arbeitslos seien. Tss.)
Sehr hübsch geworden, alles, sehr modern und haptisch. Beim Marsch aus der spärlich-punktuell beleuchteten Bekleidungs-Abteilung in die gleißend helle Jenseits- und Begräbnisriten-Abteilung durchschreitet man ein von der Decke bis zum Boden hängendes Kunstfaserfäden-Labyrinth und kommt sich vor wie in einem mystischen Nebel. Als Erstes danach erblickt man eine bunte Kuh mit erhobenem Schwanz (was bei uns zu Hause bedeutete, dass sie gleich strullt), wobei ich mich belehren lassen musste, dass dies ein Stier und zugleich ein Sarg sei. Weiter hinten tolle Buddhas, hinduistische Tempelpforten und ein mächtiger Penis. Kicher. Vor allem bei den Sachen aus Bali und weiter östlich wird einem auch endgültig klar, woraus sich die sprudelnde Phantasie etwa eines Herr Myazaki so speist. Im neu eingerichteten „Junior-Museum“ sind moderne Kinderzimmer verschiedener Kulturen eingerichtet, und im japanischen hängen bezeichnenderweise Bilder aus Mein Nachbar Totoro. Bezüge, Bezüge.
Das Museum Schnütgen, dessen traditionelle Räume in der romanischen Kirche St. Cäcilien durch den Neu-/Anbau angemessen erweitert wurden, ist eine Perle mittelalterlich-frühneuzeitlicher Sakralkunst. Weltberühmt. Mir taten allerdings irgendwann die Beine weh.
Die 1600 geladenen Gäste verflüchtigten sich dann am späten Abend so langsam, nicht wenige von ihnen leicht schwankend und zu laut redend. Ab heute stehen die beiden Museen jedermann zur Verfügung.

Montag, 11. Oktober 2010

Dienstzeit

Von den weitläufigen Reitersmann’schen Ländereien auf dem Dorfe wurden jahreszeitgemäß Walnüsse eingeflogen (neben mehreren Flaschen süßen Viezes, die bereits zur Neige gehen). Aus dem reichlichen Vorrat an Nüssen wurde ein angemessenes Kontingent sicher ins Innere der Reitersmann’schen Gründerzeitvilla in Colonia verbracht, der Rest in einer Kiste auf dem Balkon derselben gelagert. Hochparterre, mit einem schmalen Bäumchen, das bis über die Brüstung ragt.
Die Dienstzeit von Eichhörnchen beginnt um Punkt 8.30 Uhr und endet gegen 18 Uhr. Gestern waren sie zu zweit und haben während der Dienstzeit die halbe Kiste leergeräumt. Ich ertappte sie recht früh dabei, wie eines das andere um die Kiste jagte und unbedingt die Nuss haben wollte, die das erste im Maul trug. Ich kniete mich hin und erklärte dem einen, dass solche Anstrengungen nicht nötig seien, denn schließlich flitze es gerade um eine Kiste, in der sich tausend weitere Nüsse befänden. Es hielt inne, dachte einen Moment lang niedlich nach, gab ein zirpendes "Ach so. Ja klar. Bin ich blöd!" von sich, beendete die Verfolgung und nahm sich eine eigene Nuss. Das ging dann den ganzen Tag so weiter. Heute scheinen es drei oder vier Eichhörnchen zu sein, schneller als der Schall, turbulenter als zwei Säcke Flöhe.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Zurück im Regal

Ich habe es wieder, die Depression wurde abgewendet. Das wichtigste Buch der späten Kindheit ist zurück im Regal. Nachdem es weder auf dem Dorf noch hier in Köln aufzufinden war, kam ich zu dem Schluss, dass ich es wohl irgendwann mal in einer durch nichts zu rechtfertigenden kampfflugzeugkritischen Phase verscherbelt hatte. Jetzt besorgte ich es mir antiquarisch und überaus günstig im Internet. Militärflugzeuge der Gegenwart aus aller Welt vom englischen Flugzeug-Journaillen-Guru Bill Gunston. Hübsche Illustrationen, Risszeichnungen, massenhaft Action-Bilder und Hintergrundinfos. Und schwärmerische Kommentare des Flugzeugfetischisten. 
Ich kaufte es mir damals von einem Gutschein. Weiß ich noch. Könnte sogar der Restbetrag eines Lernmittelgutscheins gewesen sein. Wenn das unsere friedensbewegten Lehrer gewusst hätten, diese Schlümpfe. Womöglich war die jugendliche Jet-Affinität sogar eine Art unartikulierter Protest gegen die biestigen Weltverbesserer, in deren Klauen wir damals geraten waren.
Die deutsche Ausgabe des Kölner Buch und Zeit Verlags stammt von 1978, das britische Original lässt sich aufgrund mangelhafter bibliographischer Angaben und der Unzahl von Gunston-Büchern nicht recht ermitteln. Wird so 1976 gewesen sein. Das war die Zeit, in der die sogenannte Dritte Generation der Strahlflugzeuge nach und nach in Dienst gestellt wurde. Die neuesten Flugzeuge in diesem Buch waren die F-16 und der Tornado, und sie standen noch vor der Inbetriebnahme. Das ist der Vorteil dieses Bandes. Denn in jüngeren Büchern werden ganz gerne wunderschöne, knorrige ältere Modelle, die längst überall ausgemustert wurden, unter den Tisch fallen gelassen zugunsten der Vierten Generation, die kampfjettechnisch vielleicht dernier cri, ästhetisch aber unglaublich langweilig ist. Typhoon, Rafale, Gripen, Raptor und so’n Zeug. Die sehen alle völlig gleich aus. Die Vertreter der Ersten Generation (nach dem WKII) sahen sich auch schon verhältnismäßig ähnlich, etwas grobschlächtig, ziemlich rundlich. Die Dritte Generation sah zwar völlig anders aus, wies aber auch wieder diese Ähnlichkeiten untereinander auf: teure, flache Flundern mit Doppelleitwerk, Schwenkflügeln und sowas. Wirklich knackig war jedoch der Übergang von der Ersten zur Zweiten Generation sowie jene Zweite selbst, die in den 60ern in Dienst gestellt und multinational die ganzen 70er und frühen 80er hindurch unseren lieblichen rheinland-pfälzischen Himmel durchpflügt, den Blick nach oben und die Handflächen auf die Ohrmuscheln gezwungen hat.
Lustig ist das Buch natürlich auch als historisches Dokument, denn über die zahlreichen sowjetischen Flugzeuge können manchmal nur Mutmaßungen angestellt werden, inklusive verwischter Fotos.

"Flieg, Fisch, lies und gesunde! Oder: Glück, wo ist dein Stachel?!"

Gestern Abend in der Comedia: der göttergleiche Jochen Malmsheimer. Der größte Teil des Abends war der Erläuterung des sperrigen Programmtitels (s.o.) gewidmet. Wäre man Intellektueller oder Lehrerssohn oder sowas, könnte man nun endlos lange herumanalysieren und zweifellos als Kennzeichen dieses speziellen Kabarettisten herausarbeiten: die Verbindung äußerst robusten, eskalationsfreudigen Auftretens mit den olympischen Freuden der Misanthropie sowie dem extremistischen Spaßfaktor rasantester Power-Hypotaxe, satzsemantischen Kontrollverlusts nebst unmittelbar darauf folgender Kontrollwiedergewinnung sowie der rauschhaften grammatikalischen Oberhoheit über den Text an sich. "Ziemlich textlastiger Abend, keine Pyrotechnik, keine Umzüge." Da es aber hier weder Intellektuelle noch Lehrerssöhne oder sowas gibt, außer Malmsheimer selbst natürlich, läuft das alles sowieso nur auf eines hinaus: Der Mann ist einfach irrsinnig komisch und zeigt in zwei Stunden nicht die geringste Neigung, auch nur einen Halbsatz lang unkomisch zu sein.

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Feline Proklamation

Die Katze hat beim Besteigen des aufgeklappten, eingeschalteten Laptops selbständig WinWord geöffnet, zwei Dokumente erstellt und folgende Proklamationen verkündet. Ich zitiere:
"Mmmmmmmmmmmmmm4y4444aa4aa" und "mxy".
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Freitag, 1. Oktober 2010

Absolute Dissent: 'The Dark Knight Returns'

So kann’s gehen. Da wollte ich unlängst mal eine Karte für das neu angesetzte Killing-Joke-Konzert morgen besorgen, und es stellte sich heraus, dass der Gig wohl schon seit einiger Zeit restlos ausverkauft ist. Hab ich verschwitzt. Immerhin habe ich nun eine gute Ausrede, meinen schwächlichen Altmännerkörper nicht diesen Phonzahlen aussetzen zu müssen. Ich wünsche den jungen Dingern viel Spaß, aber dass mir keine Klagen kommen über pulverisierte Zwerch- und Trommelfelle und explodierte Köpfe.
Es bleibt also die neue Platte, heute erschienen. Ist wieder in der ganz frühen O-Besetzung und darf verstanden werden als ein Zusammenführen der Fäden (oder besser: der Stahltrossen), die in 30 Jahren Bandgeschichte über einem durchs schiefergraue Firmament gezogen wurden. Eine dreckige, dumpfe Produktion wie auf dem letzten Album, aber sehr viel mehr aufgebrochene Soundwälle, was Uniformität und Monotonie verhindert. KJ ist zu einem um die 20% liegenden Anteil wieder eine Popband. Dadurch, dass Jaz Coleman in vielen Songs seinen weichen Gesangsstil bevorzugt, gerät das manchmal so melodisch und wavig wie in den 80ern, allerdings mit einem brennenden Nullerjahre-Punk-Metal-Riff-Gitarrenbrett, einem sumpfigen Bass und dem mächtigsten Metronom der Welt, namentlich Big Paul Ferguson am Schlagwerk. Eine Vielzahl von Scapes, einige Elektro-Pop-Momente, dicht und pathetisch im Ausdruck, brutal und balladesk. Ständige Ambivalenzen, erzeugt durch das direkte Nebeneinander der Dinge. KJ ist schön und elysisch, KJ ist hässlich und dämonisch, KJ ist Progressive Rock mit dem Dreschflegel.
Colemans neu entdeckte Vielseitigkeit im stimmlichen Ausdruck macht die Sache ungemein spannend, auch wenn er manchmal hinter den Instrumenten proklamiert, als stünde er etwas abseits des Geschehens. Wenn man gefragt wird, was von Killing Joke einst bleiben wird, verweise man in Zukunft bitte auf dieses programmatische Album. Britische Medien haben ihre Features zu Absolute Dissent überschrieben mit „The Dark Knight Returns“.
Worum geht’s? Polit-Rock, globaler Tribalismus, Rückgewinnung von Spiritualität, Mystizismus und Ethik, fundamentalgrünes Denken, modern angedacht. Überwachungsstaat, Biotech, Kapitalismus. Hass/Verachtung, Idyll/Schönheit stehen nebeneinander, durchdringen sich. Manch einem sind Colemans Botschaften zu radikal; ich persönlich halte seine ewigen Apokalypsenmessages für reinen Reflex. Da hat sich weltanschaulich nicht viel getan. Problem: Der Weltuntergang kam seit 1979, dem ersten Bandjahr, nicht. Langsam ist also gut. Aber man darf sich getrost überraschen lassen. Der Titel des Songs „European Super-State“ suggeriert vielleicht Kritik an aufgeblähter Bürokratie, Gleichmacherei und Reinrednerei, tatsächlich aber ist der Text ein Plädoyer für Europa und beinhaltet die Aufforderung, daran mitzuwirken. Dies ist mir in 'radikalen' Kreisen so noch nie begegnet. „I’m a Judeo-Christian morality with a Greco-Roman intellect/It’s the way we’re short-wired/It’s a civilising force that demands respect from the Baltic to the Straits of Gibraltar/(...)/A blue flag gold star sparks a brand new empire/Ours to build, ours the choice.” Muss auch mal gesagt werden dürfen, auch wenn es Berufsbesserwissern nicht passt.
Leider schaffte es das beschwörende „Kali Yuga“ nicht auf das Album, und man hätte sicher den ein oder anderen Apokalypse-Song gegen diesen Maxi-Track austauschen können, um das Album zu optimieren.

Dienstag, 21. September 2010

Korrektur nach 23 Jahren

Komisch, ich bin immer felsenfest davon ausgegangen, es sei eine CF-100 Canuck gewesen, die wir von der 2/930 anno 1987 mit scharfer Munition auf jenem einsamen, windumtosten Eifelplateau bewacht haben. Beziehungsweise deren Trümmer und die zwei zerlegten und verbrannten Piloten aus dem Land des Ahorns. Recherchen haben aber nun ergeben, dass die Canuck von der kanadischen Luftwaffe schon 1981 komplett ausgemustert wurde, so dass es sich eigentlich nur um eine T-33 Shooting Star gehandelt haben kann.
Im Internet gibt es keinerlei Nachweis dieses Absturzes, und auch angeblich vollständige, nach Jahreszahlen geordnete Absturzlisten ziviler wie militärischer Maschinen sind offenbar mit Vorsicht zu genießen. Ich kann jedoch versichern, dass diese gescheiterte militärische Flugstunde damals tatsächlich stattfand, denn ich habe das Ergebnis gesehen und gerochen. Möglicherweise war daran ja irgendwas schrecklich geheim.

Leserbrief

Herrje, nach etwa 75 Jahren hat der Reitersmann heute erstmals wieder einen Leserbrief in der Zeitung. Zu einem gesellschaftlich relevanten Thema. Er stellt dabei sogar die Überschrift des Leserforums. Haha, Forenbeiträge und Blog-Gedöns kann jeder verzapfen, aber echte Leserbriefe, das ist verdammt noch mal schwarz auf weiß! (Und morgen wird der Fisch drin eingewickelt.)

Samstag, 18. September 2010

Tic Tac

Ich habe Tic Tac wiederentdeckt. Die mit Orangengeschmack. Im Netto nebenan verkaufen sie Großpackungen. Ich schaffe locker zwei von denen am Tag. Wenn man die Dinger beim Fernsehen in sich reinschüttet, sollte man stets die Stellen im Film wählen, in denen gerade nicht gesprochen wird. Die Tic Tacs klappern beim Kippen der Box so laut, dass man nichts mehr versteht.
Schuld daran ist der Typ aus Jason Reitmans nettem Film Juno, den ich neulich erstmals im Fernsehen gesehen habe. Den Typen, Vater von Junos frühem Kind, erkannte ich sofort als Geistesverwandten, obwohl es natürlich einige Unterschiede gibt. Eigentlich gibt es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten, aber seine eigenartige Affinität zu Orange-Tic-Tacs nahm mich sofort für ihn ein. Ich kenne den Drang zu diesen Dingern, hätte aber nie gedacht, dass es noch mehr solche Männer gibt. Der Typ ist ein linkischer Nerd, ein bisschen grenzautistisch, läuft in grässlichem Trikot Mittel- und Langstrecke, schläft in einem Rennauto-Bett und hat überhaupt sein Kinderzimmer noch nicht altersgemäß upgedated. Klampft dilettantisch auf der Gitarre, vermittelt dabei aber zutiefst ehrliche Gefühle. Und er mampft schachtelweise Tic Tacs, die ja eigentlich Leckerlis für die Frauen-Handtasche sind (nur 1 Kalorie!). Ein unglaublich stimmiger Charakter, der sich bestimmt auch im Erwachsenenalter absolut treu bleiben wird. Tic-Tac-Mampfer sind so, und ich möchte so sein wie er.

Donnerstag, 16. September 2010

Comedia

Gestern erstmalig die Comedia aufgesucht. Sie ist, wie schon mal vermeldet, nur zwei Fußminuten von uns entfernt. Sehr schöne Location in der alten Südstadt-Feuerwache, schick und edel. Ziemlich bürgerliches Publikum. Für die Merkliste: bei ausverkauftem Haus früh erscheinen, um möglichst weit vorne einen Platz zu bekommen, außer Spuckweite des Auftretenden, aber nah genug, um jedes mimische Detail mitzubekommen. Bei Kabarett könnte das entscheidend sein.
Für den Anfang hatten wir uns etwas Unverfängliches ausgesucht, sozusagen zur Eingewöhnung. Eine Show auf der Basis einer Radio-Comedy auf WDR2. Zwei Comedians, Männlein und Weiblein, imitieren Polit- und sonstige Stimmen und stellen es auf der Bühne halbwegs szenisch dar, unterstützt von Soundfiles.
Es ging über zweieinhalb Stunden, und ein paar laute Lacher waren drin. Einiges war druckvoller und besser als halbgares oder schwaches Kabarett, aber für die Laufzeit war es mir insgesamt doch zu beliebig und redundant. U-Radio ist nicht mein Medium und der darin verbreitete Humor nicht ganz mein Fall. Die Gattin kennt die Formate und findet sie im Radio knackiger als jetzt auf der Bühne. Unser Lachpegel hielt sich in überschaubaren Grenzen, nichtsdestotrotz fühlten wir uns genug unterhalten fürs Geld, und der Abend wurde als „nett“ bewertet.
Die fremde weibliche Person, die auf der anderen Seite neben mir saß, empfand das nicht so. Sie brüllte und johlte bei jedem Gag, schnappatmete, grunzte, trampelte mit den Füßen, warf sich im Sitz vor und zurück, so dass sie der ganzen Sitzreihe eine nicht angeforderte Dienstleistung in Form einer Rückenmassage verpasste – zweieinhalb Stunden lang. Schön zu sehen, wenn Leute mal so richtig glücklich sind. Und meinem Rücken geht’s auch besser, ehrlich gesagt.
Wir arbeiten uns im Herbst kabaretttechnisch weiter hoch, was dann bei Josef Hader, dem König der allumfassenden Lebensschwärze, seinen Höhepunkt finden wird.

Haptisches Hobby II

Ich gehe vollkommen in meinem Hobby auf und möchte bitte eine Zeitlang mit nichts behelligt werden. Die gesamte Konzentration richtet sich auf Kampfflugzeuge Maßstab 1:72 und 1:48. Ist im Moment weniger Hobby als Besessenheit. Ich will lernen! Frau und Katze sprechen nur noch untereinander; ich höre ab und zu, dass sie auch über mich, den Bastel-Autisten da in der Ecke, reden und darüber mutmaßen, ich sei nun endgültig in der Midlife Crisis angekommen.
Modellbau ist tückisch, stellenweise mit meinem jetzigen Erfahrungsschatz unlösbar, bedarf eines ziemlichen Aufwands und eines Feinmechaniker-Equipments, das man sich aus günstigen Materialien und Utensilien selbst zusammenstellt. Ich habe mich mit mir darauf geeinigt, die zusammengebauten Modelle erstmal einfach zu bemalen, vielleicht im Sinne einer Grundierung, statt gleich das volle Ambitionierten-Programm durchzuziehen. Das wird zu schnell frustrierend.

Mittwoch, 8. September 2010

Abenteuer in Tröa

Das ist ganz schön heavy, so nach tagelanger kompletter Isolation das Lebkuchenhäuschen und den dunklen Tann zu verlassen, um in die große, große Stadt mit ihren vielen, vielen Menschen zu rollen. Ich war da, wenn ich's recht bedenke, schon fast ein Jahr nicht mehr.
Die neue Finanzberaterin war der Auffassung, man müsse sich mal kennenlernen und ein bisschen Kohle von hier nach da schieben. Die neue Finanzberaterin ist jung, hübsch, kommunikativ, gründlich, verschenkt Schirme und edle Feuerzeuge und steht um fünf Uhr morgens auf, um sich Rammstein-Tickets zu sichern. Ich meinte höflich, Rammstein sei mir zu deutsch, und konterte mit Killing Joke. Ich bin gerne in der Tröarer Filiale der Hausbank geblieben. Man kennt sich, die Leute sind nicht so glatt, sondern beraten ausführlich, man spricht ungefähr die gleiche Sprache. Die alte Finanzberaterin etwa ist in Frührente gegangen, weil sie eine kranke Mutter zu pflegen hat. So sind die Banker in Tröa. De facto ist mit der Kohle nicht viel geschehen, dennoch dauerte das Gespräch gute anderthalb Stunden und zog sich bis nach Öffnungszeit. Eben weil die neue Finanzberaterin so kommunikativ und gründlich ist - und weil der Computer des Öfteren mal, wasndasjetz?, streikte.
Es gibt jedoch auch einen Schock aus Tröa zu vermelden: Brauns Fischrestaurant hat zu! Das ganze Gebäude ist eingerüstet und mit einer Barriere versehen. Neben mir standen auch noch einige Einheimische fassungslos davor und taten das, was Leute in dieser Stadt am liebsten tun: vor Bauzäunen stehen und fragen: "Und was wird hier gebaut?" Keine Ahnung, ob Brauns Fischrestaurant nach dem Umbau zurückkehrt oder da bald ein Scheißschuhladen oder ein Scheißbiosaftladen drin ist.
Ich wich also aus zum Drei-Finger-Joe und seinen weltbekannten Frikadellen. Dort traf ich meinen Onkel Erich, Lagerist bei der weltberühmten Sektkellerei, der gerade Mittagspause hatte und eine weltberühmte Frikadelle aß. Wir sprachen kurz übers Wetter. Dann ging ich noch zum größten Spielzeugladen der Stadt, kaufte fürs neue Hobby Kleber und Farben und entdeckte zu meinem Vergnügen einen älteren, etwas ramponierten und offenbar völlig vergessenen Karton mit einem britischen Jaguar-Jet. Die hübsche BAC Lightning von Revell nahm ich auch noch mit. Im Laden tobten ein paar kleine Türkenkinder rum, und ihre Kopftuch-Oma wusste sie nicht recht zu bändigen. Der Verkäufer verwickelte mich in eine Diskussion über Integration. Ich nickte und brummte irgendwas, sagte aber nicht, dass ich das "Integrationsproblem" in Tröa wohl nicht für so irre virulent halte. Das hätte den Mann nur zu weiteren Äußerungen animiert, wir kennen das ja. Da kann man mal sehen, was so ein bisschen landesweite Diskussion selbst bei Tröarer Spielzeuggeschäftverkäufern anrichtet. Mehr Spielzeug verkaufen, bitte, weniger "Anne Will" gucken.
Ich saß dann noch ein Weilchen am Kornmarkt und betrachtete die Flaneure. Es lief aber niemand vorbei, den ich kannte. Ich sah bloß die Frau-die-nickt und den Mann-der-aussieht-wie-dieser-eine-Schauspieler. Obwohl ich die Parkzeit um eine Dreiviertelstunde überzogen hatte, gab es kein Knöllchen. Ich liebe Tröa.

Dienstag, 7. September 2010

Männchen

Habe mal die ganzen Star-Wars-Männchen vom Speicher geholt, sie hier vor mir auf dem Tisch aufgebaut und eine Stunde lang in Denkerpose betrachtet. Ich ging jedoch nicht so weit, mit ihnen auch zu spielen. Es sind tatsächlich alles Figuren aus dem ersten Film, lediglich eine verweist auf Das Imperium schlägt zurück. Die muss mein Bruder nachträglich erstanden und der Sammlung hinzugefügt haben.
All jene Leute, die heute noch und in erwachsenem Alter diesem Instant-Universum anhängen und es enzyklopädisch erweitern und ausdiskutieren, verachte ich eigentlich. Totale Nerds, die mich extrem verängstigen und denen ich nicht im Mondenschein begegnen möchte. Ja, ich habe Angst vor Nerds, vor der mit ihnen einhergehenden Wichtigtuerei und ihrem multimedialen Fortpflanzungsverhalten, mit dem sie die ganze Welt übernehmen wollen. 
Ich weiß noch, dass ein gewisser Typ, der in der Oberstufe im Zuge von Die Rückkehr der Jedi-Ritter mit Star-Wars-Aufnähern auf seiner Jacke herumlief, lauthals verlacht und "arme Sau" gerufen wurde. Der würde zweifellos nie die Welt übernehmen, und ich empfand das damals als gerecht. Natürlich verschwieg ich den coolen Früh-/Mittachtziger-Wortführern (die mit den BAP- und Friedenstauben-T-Shirts) gegenüber vorsichtshalber meine Männchen-Sammlung. Das war aber gar nicht nötig, weil ich mich mentalitätsmäßig schon von ihr entfernt, sie auf dem Speicher deponiert und durch Rockmusik-Platten ersetzt hatte.
Aber wenn ich diese Figurenparade vor mir jetzt so anschaue, verfalle ich in milde Resignation. Das Universum ist schließlich Teil unser aller Popkultur, und die Wortführer von damals haben nicht nur ihre BAP-Shirts in Putzlappen verwandelt, sondern ihren Kindern inzwischen bestimmt auch Star-Wars-Männchen und -Videospiele gekauft, weil diese danach verlangten. Die Nerds haben sowieso schon längst gewonnen.
Das ändert aber im Prinzip nichts daran, dass ich die Männchen jetzt wieder in ihren Karton werfen und auf den Speicher zurückbringen werde.

Montag, 6. September 2010

Auf dem Speicher

Heute früh aus dem Bett gefallen, weil gestern früh ins Bett gefallen. So konnte ich gerade dabei zusehen, wie die Sonne den Hang hinunterkriecht, den Luxemburger Wald illuminiert und wie auf den Wiesen darunter eine Kuh nach der anderen aufleuchtet. Sehr hübsch, sehr ländlich. Ein paar Tage Haus hüten auf dem Dorf, weil mein Vater Urlaub am Meer macht. Das-Früh-ins-Bett-fallen könnte zu tun haben mit dem einzelnen Glas Viez gestern Abend. Ein gewisses Kontingent des Gesöffs steht hier herum. Ich habe in den kommenden Tagen (mit Absicht) nur einen einzigen Termin, ansonsten gebe ich mich der Anarchie und dem Viez hin, allerdings in einem gewissen Rahmen. Denn es gilt eine Redaktion abzuschließen, auf dem Reader befinden sich fünf Manuskripte, und stündlich werden neue erwartet.
Habe gestern den Speicher durchsucht nach dem wichtigsten Buch meiner Kindheit und Jugend, das für mein neu gewähltes klassisches Hobby hochrelevant ist: Militärflugzeuge der Gegenwart. Nicht gefunden. Ich kann mich irgendwie nicht erinnern, es nach Köln mitgenommen zu haben, aber hier ist es jedenfalls nicht. Wenn es in Köln, wo ich noch nicht richtig nachgesehen habe, auch fehlen sollte, werde ich heulen. Das Buch war prägend und u.a. verantwortlich dafür, dass ich bei der Armee den Unterricht in Flugerkennung an mich gerissen habe und in den Tests stets der Beste war. Die anderen bejubelten mich, trugen mich auf ihren Schultern johlend durch die Kaserne und wollten Liebe mit mir machen. Ich muss diesen Bildband unbedingt wiederfinden. Immerhin habe ich das alte Quartettspiel Kampfflugzeuge entstauben können.
Außerdem habe ich die komplette Sammlung an Star-Wars-Männchen gefunden. Frühe Modelle, gleich nach dem ersten Film damals gekauft. Wir haben sie zu Tableaus und Displays zusammengestellt, Kulissen aus dem Film auf Pappe gemalt und Szenen nachgestellt. Einen großen X-Wing- und einen TIE-Fighter gibt es auch noch. Man kann die Männchen, idealerweise die dafür vorgesehenen Piloten, da reinsetzen, Kanzel dichtmachen und drauflos fighten. Beide Raumschiffe haben kleine rote Lämpchen, die auf Tastendruck aufleuchten und Laserfeuer simulieren, während aus dem Inneren das obligatorische Laserfeuersounddesign erklingt. Aber die Batterien sind längst leer.
Entdeckt wurden auch ein riesenhafter, deaktivierter Spielzeugzoo, das komplette dekonstruierte Fort Laramie, die prächtige Ritterburg, haufenweise Playmobil und Play Big. Beim Play-Big-Fußballspiel meines Bruders (Deutschland vs. Italien) überläuft mich süßes Sentiment, denn sobald Brüderchen es auspackte und aufbaute, kam der Kater angerannt und spielte mit. Er platzierte sich als Torwart und verhinderte jeden Treffer. Deutschland - Italien 23:0. Außerdem gibt es Militärminiaturen, Ü-Eier-Nippes, die komplette Spielzeugauto-Sammlung (in beklagenswertem Zustand, weil mit ihnen tatsächlich robust gespielt wurde), das Aldi-Teleskop, mit dem ich allen Ernstes den Saturn entdeckte, Karnevals-Colts, Peter-Alexander-LPs, diverse Gesellschaftsspiele, Konzerttickets von 1985-1991 sowie stapelweise hochnotpeinliche Schulhefte, die nie, niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfen. Schmerzlich vermisst wird seit Jahren schon der Karton mit den Comics. Jedes Kind unserer Generation besaß so einen, aber unserer ist weg. Die Heftchen waren kurzweilige Unterhaltung, wertlose Gebrauchsware, die man nach zweimaligem Lesen in den Karton schmiss und dann vergaß. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich in dieser zusammengewürfelten Seventies-Sammlung neben dem ganzen Schrott die eine oder andere Rarität verbarg, die man gerne noch mal durchblättern würde. Aber sie sind alle weg. Keine Ahnung, wohin.
Den titanischen Haufen SF- und Fantasy- und Horror-Bücher, den ich aus dem eigenen Haushalt hierher deportierte, habe ich vorerst mal umgangen. Der wird in den kommenden Jahren irgendwann mal in zwei Hälften geteilt: Scheiß und Kein-Scheiß. Und Scheiß wird dann direkt durchs Speicherfenster in die offene Altpapiertonne unten geschmissen. Dann herrscht auch wieder Platz hier oben.

Donnerstag, 2. September 2010

Der Geruch von Klebstoff und Farbe

Habe ernst gemacht und für den langen Winter ein Geschwader aus folgenden Sex-Objekten bestellt:


Von den Herstellern Revell, Academy, Hobby Boss, PM Model, Airfix, RPM und Italeri. Das wird ein ziemlich dickes Paket, deucht mich.

Sonntag, 29. August 2010

Haptisches Hobby

Habe mal überlegt, mir für die langen Winterabende ein Hobby zuzulegen. So ein richtig klassisches haptisches Hobby. Mir kam der Modellbau in den Sinn. Nicht der Funktionsmodellbau, an dessen Ende Dinge irgendwie funktionieren müssen, sondern der Standmodellbau, bei dem man Dinge zusammenpappt, sie vielleicht auch noch anmalt und dann wohlgefällig bis selbstzufrieden betrachtet. Früher habe ich so etwas schon mal gemacht, wenn auch nicht stressmäßig. Ich hatte damals einen Stuka und mein Bruder diesen Heinkel-Nachtjäger mit den Hirschgeweih-Antennen vorne dran. Beide Modelle gibt es heute noch im Revell-Programm. Später habe ich noch Düsenjäger, Klingonen und Romulaner zusammengebaut. Ich weiß, dass ich diese Tätigkeit im Prinzip beherrsche und sie nicht in Wutanfällen enden wird. Außerdem sind die Sachen, die mir vorschweben, für Kinder ab 10 oder 14. 
Ich schätze, viele Jungs haben das gemacht. Könnte ja sein, dass der Kleine seine Ingenieursleidenschaft entdeckt und später viel Geld verdient. Stukas oder Panther-Panzer zusammenbauen oder Risszeichnungen von Perry-Rhodan-Raumschiffen erstellen. Nichts liegt mir heute ferner als die Gedankenwelt von Ingenieuren, aber ein bisschen Design-Geilheit habe ich offenbar behalten. 
Wenn man sich umschaut, stellt man fest, dass es unglaublich viel Zeug zum Zusammenbauen gibt. Es müsste ein Schwerpunkt her. Ich würde wieder für Flugzeuge plädieren, weil ich die grundsätzlich sexy finde. Man komme bitte nicht mit dem Wort Penis, ich weiß das alles selbst. Wenn man sich dann umschaut, stellt man fest, dass es unglaublich viele Flugzeuge zum Zusammenbauen gibt. Es müsste ein Schwerpunkt her. Zivil- oder Militärluftfahrt? Frühere Epochen oder Gegenwart? Erster, Zweiter Weltkrieg oder Nachkriegszeit und Kalter Krieg?
Wenn ich dieses Hobby tatsächlich ergreifen sollte, dann würde ich mich, glaube ich, in Kindheit und Jugend zurückorientieren, in die Zeit, in der alles besser war. Ich würde Kampfjets von etwa 1950-1975 bevorzugen. Bei Flugzeugen ist es wie mit Autos. Heute sehen sie alle gleich aus, aber damals hatten sie noch individuelle Formen und Charakter, waren knorrige Design-Gebilde. „Soar up the sky with your gleaming needles“, nicht ganz ausgereift, todesverachtend, laut, dramatisch. In The Right Stuff fliegt Sam Shepard mit seinem Starfighter so hoch, dass er den Weltraum sieht – und stürzt dann ab.
Ja, der Starfighter müsste unbedingt dazugehören, die Sabre, die Corsair, die Northrop, die Thunderbird, die Mirage, die Draken, die Phantom ist auch ganz hübsch, der Alpha Jet womöglich. Kein Tornado, keine F-14, F-15, F-16. Zu spät, zu sehr durch Top Gun versaut, zu offensichtlich Yuppie-Penisse. Und wenn MiGs, dann bitte nur die ganz alten Kisten.
Nachteile des Hobbys: Unsere recht offene Wohnung stinkt vermutlich ständig nach Klebstoff und Farbe, und nach Fertigstellung wüsste ich nicht recht, wohin mit den Modellen. Muss noch ausführlicher drüber nachgedacht werden …

Mittwoch, 25. August 2010

Annäherung

So, liebe Auftragslage, ich nähere mich dir mal ganz langsam und vorsichtig schlurfend, damit du dich nicht erschreckst, dabei umkippst und mich womöglich erschlägst. Ich betrachte dich vorerst mal aus respektvollem Abstand und erstelle im Geiste eine Art Prioritätsfahrplan, ehe ich den Schutzhelm und den Atemschutz aufsetze, den Meißel zur Hand nehme und entscheide, was ich ganz sachte und zärtlich aus deinem Festungsmauerwerk freilege und herausziehe.

Montag, 23. August 2010

Hart am Wind

Entspannung auf der Insel. Keine Telekommunikation, kein Internet und nicht die geringsten Anzeichen eines Manuskripts. Es wäre ohnehin weggeflogen.
Aufs Meer und in den Himmel starren. Schiffe und Wolken zählen. Möwen hypnotisieren. Jeden Tag mindestens einmal hart am Wind die Arme ausbreiten. Gegen ein bisschen waagerechten Regen ist nichts einzuwenden. Gehört dazu. Viel Sand und Muscheln mitgebracht, den Sand eher unfreiwillig.
In der anderen Richtung liegen die weiten Dünen- und Heidelandschaften, ein Streifen Wald und dahinter die flachen Polder von - ja, es heißt wirklich so - Eierland. Die Höfe dort tragen lustige Namen wie Astrid, Axel oder Sir Robert Peel.  Hund und Katze der Wirtsfamilie bekamen den Frühstücksschinken, wenn gerade keiner hinschaute. Der Reitersmann futterte sich abends durch die lokale Spare-Ribs-Population und vergab insgeheim Gastro-Punkte auf einem Bierdeckel, obwohl er ja Punktewertungen ansonsten verabscheut.

Mittwoch, 11. August 2010

Paralleluniversum

Die Evangelikalen leben in einem Paralleluniversum. Den Herrn preisen, nicht fluchen, nicht rauchen, Alkohol als Menschheitsfeind, nicht pimpern vor der Ehe, danach aber am besten zwölf Kinder in die Welt setzen. Und sie schreiben ihre Bücher selbst. Das müssen sie auch, denn außer der Bibel ist alles, was sonst so geschrieben wurde und wird, schließlich Teufelszeug und handelt von Fluchen, Rauchen, Alkohol, vorehelichem Pimpern oder Kinderlosigkeit. Da sie in ihren Büchern dazu neigen, religiös oder spirituell zu werden, werden diese Titel gerne der „Fantasy“, „Phantastik“ oder dem „Horror“ zugerechnet und ins große Kontinuum überführt. Weswegen immer mal wieder eins beim Gutachter aufschlägt.
Die erste Gemeinsamkeit des Oeuvres ist das wenig dezente Darreichen der fundamentalchristlichen Botschaft, die mühselig in eine Fiktion gekleidet wird. Die zweite Gemeinsamkeit hat zu tun mit der generellen Ahnungslosigkeit, was den Rest der Welt und dessen Literatur betrifft. Weswegen diese Bücher gemeinhin von einer plumpen, kitschigen Art sind und vom Gutachter mit schönster Regelmäßigkeit als „Nicht-Literatur“ bezeichnet werden. Und drittens findet man im Internet ausschließlich Lob und vorzügliche Rezensionen. Das liegt natürlich daran, dass kein Mensch außer Fundamentalchristen diese Bücher liest. Und da dieses Publikum keinerlei Ahnung von dem hat, was außerhalb seiner Realitätsblase so stattfindet, findet es natürlich alles mächtig gut, in dem der Herr gepriesen, nicht geflucht, nicht geraucht, nicht gesoffen und nicht vorehelich gepimpert wird. Besonders heiter wird es dann für den Rest der Welt, wenn in den Foren und Zirkeln des Paralleluniversums eine neue, heiße Autorin durchdiskutiert wird, sich die „Kolumnisten“ und „Rezensenten“ ihrer annehmen und sie ganz selbstverständlich zum neuen Superstar der Literatur aufbauen – obwohl der Rest der Welt von der Dame nie etwas hören wird und hören will. Dafür sorgt zumindest der Gutachter. Aber der flucht, raucht, säuft ja auch und hat vor der Ehe gepimpert.

Dienstag, 10. August 2010

Bio-Festplatte und echte Festplatte

Hier rein mit den Manuskripten, da wieder raus. Die Bio-Festplatte hat eine bestimmte Kapazität, und alles Gewesene fällt irgendwann hinten runter, tummelt sich auf der Partition U („Unbewusstes – Assoziatives“) und wird von zersetzenden Pilzen überwachsen.
Zurzeit wird überall Justin Cronins Roman Der Übergang (The Passage) herumgereicht. Als ich jetzt mal im Internet diesem Blockbuster nachspürte, war ich felsenfest davon überzeugt, noch nie etwas von ihm gehört zu haben. Aber schon nach dem ersten Satz Inhaltsangabe ruckelte die Partition U vernehmlich und schüttelte ein paar Pilze ab. Momeng, das kennen wir doch irgendwoher. Eine Suche auf der Computer-Festplatte erbrachte erst kein Ergebnis. Nachdem die Suchparameter neu definiert worden waren (merke: auf Manuskripten steht nicht immer derselbe Autorenname wie später auf dem Buch), hatten wir den Salat: Gutachten vom Juli 2007.
Na, da bin ich aber beruhigt, dass ich den Blockbuster ja doch kenne.

Sonntag, 8. August 2010

Hygiene

Hmm, irgendwie ist in diesem Haushalt das Männer-Duschgel alle. Ich musste eine neue Sorte der Gattin benutzen, und jetzt rieche ich statt nach Moschusochse nach Brombeerhecke.

Montag, 2. August 2010

Gurken

Neulich klickte ich mich mal durch das Angebot an Spätsiebziger/Frühachtziger-Trash-Filmen, und es kam die Frage auf, wann und warum die italienische Rip-off-Filmindustrie eigentlich einging. War es das Kinosterben, oder starben doch eher die Regisseure? Es wurde bestimmt schon einiges darüber geschrieben, aber ich hatte bislang noch keine Zeit, dem nachzugehen. Ein Thema für die nächste Kölsch-Sitzung mit dem cineastischen Nachbarn.
In früheren Jahrzehnten gebaren die Italiener aus ihrem Kopistenbedürfnis heraus neue Stile und Formen. Psychedelischen Sandalenschrott, Spaghetti-Western, den Giallo, gruseligen Gothic aus der Familie Bava, Sexfilme, Kriegsfilme. Aber in den späten 70ern und frühen 80ern setzten sie sich an die Hacken von allem, was irgendwie trendy aussah, und filmten es mit ihren Portokassen-Budgets, den ewig gleichen Darstellern und internationalen, finanziell klammen Ex-Stars nach. Letztere schauten für ein Zweite-Klasse-Freiflugticket nach Rom gerne mal vorbei und machten sich ein paar schöne Tage in der ewigen Stadt.
Und all dieser Kram wurde damals durch die Filmprojektoren unserer lokalen Kinos gejagt und stahl mir armem Wurm das mühsam erbettelte Taschengeld. Unselige Varianten von Horror, Zombies, Söldnerfilm, Space Opera, Aliens, Tierhorror, Post-Apokalypse, Fantasy, Rambo, Klapperschlange und und und. Nun ja, für den Euro-Gore war ich noch zu jung, auch für die meisten Post-Apokalypse-Gemetzel.
Mein Favorit ist nach wie vor Star Crash – Sterne im Duell, der auf unfassbare Weise schlechteste Film aller Zeiten, obwohl Leute behaupten, David Hasselhoff hätte hier seine beste Rolle gespielt. Und natürlich mit sexy Caroline, in die ich mächtig verknallt war. (Aber wer war das nicht?) Mit zunehmendem Alter jedoch wird einem die Zeit zu schade, all diesen Schrott vom Schlage Ator – Herr des Feuers, Metropolis 2000 oder Das Duell der Besten noch mal zu sichten. Trash, ja, aber bitte von der Sorte, die einen auch heute noch seriös zu unterhalten weiß. Und wenn nicht, dann wenigstens mit solchen Heroinen wie Caroline, die einem schüchtern ihre upgepushten Hauptargumente entgegenrecken.
Ich habe beim Trash-Durchklicken nun eine weitere alte Perle wiederentdeckt, die mir entfallen war. Von den billigen Weltraum-Gurken, die nach der Krieg der Sterne-Euphorie durch die Projektoren gequetscht wurden, war Star Crash sicher die allerschönste, allerdings erwies sich eine amerikanische Film-Flasche als die seriöseste: Sador – Herrscher im Weltraum. Eine Roger-Corman-Produktion und mit einem gewissen James Cameron als Kulissenschieber, äh, Ausstatter. Sador ist deshalb originell, weil er eines der größten und einflussreichsten Filmmotive aller Zeiten, Die sieben Samurai nämlich, endlich mal auf die Space Opera anwandte. Wir besaßen ihn damals als körnige Raubkopie, und ich habe ihn oft geguckt. Es wird also Zeit für eine kleine sentimentale Wiederbegegnung auf DVD. Der Film zeigt John-Boy Walton in der Rolle von Mark Hamill und verfügt mit Robert Vaughn sogar über einen der Darsteller aus Die glorreichen Sieben, der ersten Hollywood-Ausbeute von Kurosawas Klassiker. Wenn ich mich danach nicht allzu peinlich berührt fühle, sage ich irgendwas dazu im Filmblog nebenan.

Sonntag, 1. August 2010

Triumph

Weiteres Material aus den Zeiten der starken Kompaktanlagen und scheußlichen Frisuren. Triumph war ein hochkommerzieller kanadischer Dreier auf den Spuren der frühen Rush, maßgeschneidert für den nordamerikanischen Mainstream-Hardrock-Markt. Konzentrierter, straighter und weniger „bildungsbürgerlich“ aufideologisiert als das große Vorbild. Keine aufgeblasenen Fantasy-Epen, mehr AOR. Der hohe Gesang, die Gitarrensoli und der Keyboardkleister sorgen heutzutage durchaus schon mal für Erheiterung, aber einige Songs sind verdammte Ohrwürmer und können einen durch den ganzen gutgelaunten Tag begleiten. Ich kaufte bis 1984 alle Alben; als meine Favoriten erwiesen sich Never Surrender und Thunder Seven und als schönster Song wiederum "Time Goes By". Das im Songtitel angesprochene Thema betrifft uns schließlich alle, wenn auch sicher noch nicht mit 17. Ich hätte mir damals fast ein Triumph-T-Shirt gekauft. Der Nachfolger Surveillance war mir dann aber entschieden zu klebrig, und ich legte die Band zu den Akten.

Freitag, 30. Juli 2010

Sittich

Da ich gerade von der alten Kompaktanlage geschwärmt habe, hier noch etwas elektrisches Futter von damals.
Budgie („Sittich“): olle walisische Band unter der Leitung von Bassist Burke Shelley und mit wechselnden Mitspielern, aber immer als Rock-Trio und ohne Keyboards. Das Wappentier auf den Plattencovern ist der Wellensittich, der in alle möglichen futuristischen oder Fantasy-Kontexte gesetzt wird, teilweise von Fantasy-Illustrator Roger Dean.
In den frühen 70ern als Mitschwimmer im Led-Zeppelin-Kielwasser identifizierbar: eher Hardrock als Progressive, dennoch mit epischen Interessen; stoische Riffs, verformter Bluesrock, hoher Gesang. Ein bisschen Black Sabbath steckt auch mit drin. Viel Material, nicht immer konzentriert genug, teils sperrig und ermüdend, absurd lange Songtitel. Ein nicht kleinzukriegender, ewiger Geheimtipp. Ausgesprochen hübsch gerät etwa das psychedelische „Black Velvet Stallion“ von 1976. Die Band erlangte sehr viel später etwas Ruhm, als Metallica zwei ihrer Riff-Monster von 1973 coverte.
Während der späteren 70er tun sich gewisse Parallelen zu AC/DC und Rush auf, manchmal auch zu Motörhead. Um 1980 herum als (größtenteils erfolgloser) Major Act bei RCA und mitten ins Getümmel der New Wave of British Heavy Metal geworfen. Das Album „Power Supply“ (1980) destilliert und konzentriert den Sound, gerät kommerzieller und kam mir immer vor wie eines der signifikantesten Heavy-Rock-Alben der Welt. Kein Gewese, kaum Geklimper und progressives Däumchendrehen, null Horror-Schock-Okkult-Monsterquatsch, sondern Heavy-Rock bis zur totalen Besinnungslosigkeit. Manche der älteren Fans mochten es nicht. Gekauft circa 1983 im Kölner Saturn. Der stoische Opener „Forearm Smash“ gehört in die Walhalla des Heavy-Rock, gleich neben die AC/DC-Büste.

Mittwoch, 28. Juli 2010

Seismisches Ereignis

Habe heute Nacht von meiner alten Kompaktanlage geträumt und bin immer noch ganz gerührt. Ich hatte eine schlimme Frisur, aber ansonsten war es eine gloriose Zeit. Mein Vater brachte sie 1982 mit, die Kompaktanlage, nicht die Frisur. War ein günstiges Vorführgerät mit einem kleinen Kratzer im Deckel. Mir gingen erst die Augen über, kurz darauf auch die Ohren. Eine von den flachen Anlagen, dunkelbraun getönter Deckel, anthrazitfarbenes Gehäuse. Wunderbar: Kinderzimmer im Eigenheim auf dem Dorf, Eltern tolerant, Nachbarn in gewisser Entfernung und 2 x 70 Watt. Kein Kopfhörer weit und breit. Die Markierung am Lautstärke-Drehknopf stand immer ziemlich weit rechts, etwas weiter rechts wäre einem seismischen Ereignis gleichgekommen. Für Marken habe ich mich nie interessiert, aber ich glaube, es war es eine Universum (Hausmarke von Quelle) mit einem eingepassten, damals hippen Dual-Plattenspieler mit Federung, Cassettendeck und Radio. Letzteres war für mich uninteressant, aber es war eben mit drin. Ich finde im Internet keine Bezeichnung und kein Foto des genauen Modells; ich selbst besitze hier am Ort auch keines. Irgendwann, nach Jahren, fing das Cassettendeck an zu spinnen und auf Aufnahmen knisternde, zirpende Geräusche zu verursachen. Vermutlich eine Art Magnetisierung, der ich trotz permanenter Anti-Magnetisierungs-Cassetten und -Kampagnen nicht Herr wurde. Also vielleicht doch keine Magnetisierung. Ich weiß nicht mehr genau, wann das alte Schlachtross ausgemustert wurde, aber es muss so um 1992 gewesen sein, als ein Sony-Turm mit CD-Player Einzug hielt. Wären also geschlagene zehn Jahre gewesen.

Donnerstag, 22. Juli 2010

Filme

• Gestern wieder neu verliebt in Regreso a Moira. Kursiert auf dem internationalen DVD-Markt, also auch dem deutschen, unter den Titeln Spectre und A Ghost Story. Zweiter Teil der sechsteiligen spanischen Grusel-TV-Serie Peliculas para no dormir (Filme, die dich nicht schlafen lassen) von 2006. Die zweite Regiearbeit von Mateo Gil, der zuvor schon als Autor mit Alejandro Amenabar kooperiert hatte und deren überzeugendstes Ergebnis Tesis hieß. 
Letzten Endes hängt der Erfolg der Rezeption von Ihrem Charakter ab, werter Betrachter. Mögen Sie es womöglich sehr klassisch, sehr langsam, raffiniert, romantisch, poetisch, subtil und zurückhaltend und dazu noch in gleißendem Sonnenschein? Dann könnte Regreso a Moira ein kleines Meisterwerk für Sie sein und der vielleicht seriöseste Gruselfilm der letzten Jahre. Wenn Sie es hart und schnell mögen, schauen Sie sich nach etwas anderem um.

• Außerdem wurden Richard Lesters zwei Musketier-Filme aus den 70ern geordert. Doppel-DVD in der Edition „Große TV-Momente“. Wie wahr, wie wahr. Zusammen mit Robin und Marian (auch von Lester) gehören sie zu den allergrößten Historien-Heldenfilmen aus Kindheit und Jugend. Total unverwüstlich. Das hat mit der entzückenden Balance zwischen Authentizität und Anachronismus zu tun, mit der großartigen Mixtur aus Tragik und Albernheit. Lesters dritter Musketier-Film aus den 80ern ist sicher auch ganz nett, aber im Vergleich zu den wilden Originalen doch vergleichsweise verzichtbar.

• Erfolglos hingegen blieb die Suche nach einem weiteren Michael-York-Film, der die 70er prägte und zu den wertvollsten Kindheitserinnerungen gehört. Ich habe jede Ausstrahlung von Zeppelin gesehen, ich wiederhole: jede. Einige davon mit meiner Oma, die sich immer die Hände vor die Augen hielt, als es spannend wurde.
Nirgendwo als DVD zu kriegen, lediglich eine zu teure, zudem geschnittene spanische Fassung mit englischer Tonspur. So etwas Knackiges wird heute nicht mehr gemacht. Es geht um ein heikles deutsches Kommandounternehmen im Ersten Weltkrieg, das mit einem Zeppelin ausgeführt wird. Die Deutschen wollen das nach Schottland evakuierte Britische Nationalarchiv vernichten, um den Gegner zu demoralisieren. Was mich damals begeisterte, waren die Spannung, die majestätischen Trickaufnahmen, das Brummen der Motoren und die tolle Agenten- und Kriegs-Action. Was mich überraschte, war die enorme, bedrohliche Effizienz der Deutschen. Aus angloamerikanischen Kriegsfilmen kannten wir die Krauts, also sozusagen unsere eigenen Großväter, ja prinzipiell als zackige Idioten, die man als Alliierter mal eben austricksen und dann im Dutzenderpack niedermachen konnte. Hier hingegen ist die deutsche Perspektive die maßgebliche, und die Herren erweisen sich als brandgefährliche, schlaue Gegner mit überlegener Technik und Disziplin, die am Ende zwar majestätisch scheitern, bis dahin aber enormen Schaden angerichtet haben. Okay, das waren noch keine wahnsinnigen Nazis, sondern Kaiserreich-Krauts, Hunnen. Mit denen konnte man als britischer Drehbuchautor des Jahres 1970 sogar sympathisieren. Harter, spannender Reißer, der auch heute bestimmt noch einen Heidenspaß machen würde – wenn es ihn denn irgendwo als vernünftige DVD gäbe.

• Übers Wochenende gibt’s aus dem Verleih Public Enemy No.1, die Blu-ray mit beiden Teilen, was eine Vier-Stunden-Sitzung bedeutet. Da bin ich mal sehr gespannt, vor allem weil das für Vincent Cassel die Rolle seines Lebens sein könnte.

Mittwoch, 21. Juli 2010

T-Shirt

Gestern ging für mich der Traum eines jeden seriösen, bewussten T-Shirt-Trägers in Erfüllung. An der Supermarktkasse sprach mich ein junger Vater an und begann eine Diskussion über meinen T-Shirt-Aufdruck Entropie. Genau das richtige Thema für die Supermarktkasse, wenn ein Dutzend mutmaßlich klügere Südstadt-Bewohner hinter einem stehen und zuhören, die Kassenkraft verständnislos vom Scanner aufblickt und uns anstarrt und Gattin und Kind des Fragenden die Augen verdrehen auf eine Weise, die sagt: "Ach je, jetzt muss er wieder fremde Leute ausfragen!"
Ich war etwas überrumpelt, brachte aber immerhin die eher soziologisch-philosophischen Definitionen „Das Maß an Chaos innerhalb eines Systems“, „Der Übergang eines geordneten Systems in ein ungeordnetes“ und „Alles geht kaputt“ zusammen. Aber auf die Frage nach dem Gegenteil von Entropie musste ich glattweg passen. Er meinte, es sei die Enthalpie. Ich sagte - Prinzenrolle in der einen Hand, eisgekühltes Kaffeemischgetränk in der anderen -, ich müsste das zu Hause mal nachschlagen. Laut meiner Quellen erweist sich als das genaue Gegenteil („Abwesenheit von Chaos“) allerdings die Negentropie, Syntropie könnte eventuell auch durchgehen, aber Enthalpie ist offenbar was anderes.
Jedenfalls, wenn ich demnächst mit meinen beiden String-Theorie-Fan-Shirts Ich bin elfdimensional und Elf Dimensionen müsst ihr sein! unter die Leute gehe, werde ich top informiert sein.

Dienstag, 20. Juli 2010

Küssen

Am Ampelmast vorm Haus, der traditionell als Anzeigenfläche dient, findet sich heute ein neuer handgeschriebener Zettel: „Wer bringt mir das Küssen bei? (Festnetznummer)“.
Die Person scheint in erotischer Hinsicht entweder recht offen oder ziemlich verzweifelt zu sein. Denn der Text wirft beim Adressaten gewisse Fragen auf, die durch ein daneben geklebtes Foto hätten geklärt werden können. Welchen Alters und justiziabel? Welchen Geschlechts? Hasenzähne? Herpes-Bläschen? Raucher? Lippen- oder Zungen-Piercing? Und wir wissen ja alle, wie das geht: Was passiert, wenn es nicht beim Küssen bleibt? Eher was Lockeres oder feste Beziehung? Kinderwunsch? Heirat? Aus Liebe oder aus steuerlichen Gründen? Zusammenveranlagung bei der ESt? Gütertrennung, ja oder nein? Eigenheim im Grünen oder Mietwohnung in der Stadt? Gemeinsame Grabstelle oder nicht?
Der Zettel ist mir zu vage.

Montag, 19. Juli 2010

Balkon

Der halbnackte Nachbar vom Haus nebenan ist offenbar ausgezogen. Schade, wir lernten uns gerade besser kennen, indem wir von Balkon zu Balkon Proklamationen über die Hitze austauschten. Jetzt tummelt sich auf dem winzigen Balkönchen ganztägig eine Großfamilie mit Migrationshintergrund, faltet sich selbst um einen aufgeklappten Wäscheständer herum und schaut mir still dabei zu, wie ich halbnackt rauche und mich am Sack kratze. Ich fühle mich beobachtet.

Sonntag, 18. Juli 2010

"Der Junge ist nicht natürlich!"

Ich habe schon mal (aus der Erinnerung) von diesem Science-Fiction-Kinder-/Jugendfilm berichtet, der vor kurzem, dreißig Jahre nach Erstausstrahlung, als DVD erschienen ist. Nachdem ich ihn jetzt nach langer, langer Zeit wiedergesehen habe, muss ich mich zwanghaft etwas intensiver an ihm abarbeiten. Das bin ich der eigenen Vergangenheit schuldig.
Damals, ja, damals war die dunkle Zeit der Pädagogenherrschaft. Sie verbündeten sich mit dem Leitmedium Fernsehen und generierten erfolgreiche Kinder-Mehrteiler, mit denen sie Jugendliche, die dem Sandmännchen und der Augsburger Puppenkiste entwachsen waren, ernst nehmen wollten, ihnen komplexere Filmerzählungen präsentierten und sie zugleich pädagogisch steuerten. Zu diesem Zweck griff man mitunter auf schon ältere, aber populäre Jugendbücher zurück, adaptierte und modernisierte sie. Timm Thaler (ZDF, nach James Krüss) war der Star des Genres, sein Darsteller Thommie Ohrner in der damaligen Medienlandschaft allgegenwärtig. Wir Jungs, die von den Mädels wegen ihm links liegen gelassen wurden, hassten ihn selbstverständlich. Das tun wir eigentlich heute noch. Hormonelle Fragen hatten die Pädagogen nicht berücksichtigt.
Jan vom goldenen Stern sollte eine Reaktion des WDR auf den deutschen Jugendserien-Boom sein, aber auch ein Gegengewicht zu den beliebten tschechoslowakischen Serien mit phantastischer Thematik. Als Grundlage zog Drehbuchautor und Regisseur Peter Podehl den Roman The Forgotten Door (1965) des Amerikaners Alexander Key heran, der 1975 als Die Tür zu einer anderen Welt in Übersetzung erschienen war, und verlegte ihn in die deutsche Provinz. Es kamen für damalige Verhältnisse ungewöhnlich aufwendige Bauten und Bluebox-Tricks zum Einsatz. Zumindest behauptete man das und schickte der Ausstrahlung der Mini-Serie gleich noch ein Making-Of über die Trickaufnahmen in einer Fabrikhalle in Köln-Kalk hinterher. In einer Jugend-Programmzeitschrift namens Siehste!, einem Ableger der Hörzu, wurde das Projekt mächtig beworben, Interviews sowie eine epische Paraphrase des Drehbuchs kurz vor dem Serienstart als Fortsetzungsgeschichte abgedruckt, inklusive neugierig machender Standfotos.
Der Film wurde im Sommer 1979 von einem Team des WDR zu weiten Teilen in unserem Südeifel-Dörfchen gedreht. Ich lungerte während der Sommerferien jeden Tag am Drehort herum. Der Stoff war für mich wie gemacht, denn ich war ein 12jähriger Science-Fiction-Fan. Ich konnte mein Glück kaum fassen, direkt daneben zu stehen, während so etwas Exklusives gedreht wurde, oder für die Filmleute im Tante-Emma-Laden des Dorfs Bier kaufen zu dürfen. Weitere Drehorte waren im übrigen Köln, Trier und diverse Waldgegenden in der Eifel. In einer „Massenszene“ spielten eine Menge Statisten aus dem Dorf mit. Als Wohnhaus der Protagonisten-Familie diente für Außen- und Innenaufnahmen das alte, leerstehende Pfarrhaus der Gemeinde.
Darsteller Lutz Hochstraate kannte man aus einer Pfarrersserie, außerdem war er der Lebensgefährte von Barbara Rütting, die während der Dreharbeiten auch mal vorbeischaute. Hochstraates Filmpartnerin Thekla Carola Wied befand sich damals gerade mal auf dem Sprungbrett. Zwei jugendliche Darsteller, die man in Köln gecastet hatte, komplettierten die zentrale Filmfamilie. Hauptdarsteller Balthasar Lindauer wurde danach auf dem Bildschirm nie wieder erblickt. Er hat anderweitig Karriere gemacht. Hoffentlich denkt jemand daran, ihm jetzt die DVD zu schicken.
Gesendet wurde Jan vom goldenen Stern als Dreiteiler à 30 Minuten im März 1980 im Nachmittagsprogramm der ARD, in den wenigen späteren Ausstrahlungen wurde er zum 90minütigen Spielfilm.
Erzählt wird die Geschichte eines Jungen, der von einem anderen, fortschrittlicheren und irgendwie auch esoterischeren Planeten durch eine Art Dimensionstor buchstäblich auf die Erde fällt. Leicht verletzt und verwirrt landet er in der Eifel, läuft der freundlichen Familie Kaufmann in die Arme und wird von dieser aufgenommen. „Jauon“, der sich etwa wie „Jan“ ausspricht, verfügt auf Erden über besondere Kräfte: Er kann Gedanken lesen und zwanzig Meter weit springen. Beides ist nützlich, wenn es darum geht, das Misstrauen der Erdenbürger früh zu erkennen und ihren Zudringlichkeiten zu entkommen. Während Herr Kaufmann für Nachbarn und Behörden an einer Legende über den Neuankömmling strickt, glauben die Mitbürger mehr und mehr zu erkennen, dass der „unnatürliche“ Junge gefährlich ist, und diffamieren ihn. Behörden, Geheimdienste, Presse und kriminelle Vigilanten machen es Jan und der Familie fortan so schwer, dass alle gemeinsam zurück auf seinen Planeten fliehen, nachdem die Außerirdischen das Dimensionstor irgendwo im Eifelwald wieder etabliert haben.
Peter Podehl hatte zuvor schon einige bemerkenswerte ARD-Klassiker zu verantworten oder maßgeblich daran mitgewirkt. Vor allem Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt und Lemmi und die Schmöker waren originelle Hybridformen, in denen Puppen mit Realfilm vertrickst wurden und dem jugendlichen TV-Zuschauer ganz neue Dimensionen visueller Phantasie erschlossen. Podehl sollte also für den tricktechnisch aufwendigen Jan vom goldenen Stern genau der Richtige sein. Das Projekt ging jedoch nach hinten los. Das lag zweifellos an einer biederen Inszenierung, läppischen Tricks auf dem Niveau von B-Filmen der 50er, notorischer Redundanz und Geschwätzigkeit sowie nervigen Schauspielern, die entweder nur kruden Text aufsagten oder frohgemut chargierten. Der Junge von außerhalb hat hauptsächlich eine relevante Textzeile: "Ich kann mich nicht erinnern." Als sein schauspielerisches Gegengewicht fungiert die hysterische Frau des kriminellen Försters, die bis zum Erbrechen hyperventiliert: "Der Junge ist nicht natürlich!"
Jans grundsätzliches Scheitern hatte aber auch zu tun mit dem pädagogischen Gehalt des Drehbuchs, das zwar die Grundzüge des Key-Romans aus den Sechzigern übernahm, sie aber im Sinne des WDR in die damalige bundesrepublikanische Wirklichkeit einpasste. Es spiegelt das zunehmende linksbürgerliche Unbehagen des ausgehenden Kalten Krieges wider, die Skepsis gegenüber der Staatsmacht und überhaupt den Grundpfeilern der deutschen Spießer-Gesellschaft, tut das aber wie in einem Zerrspiegel und macht sich dabei ziemlich lächerlich. Wie gesagt, es war die dunkle Zeit der Pädagogenherrschaft.
Die zentrale Filmfamilie ist Proto-Patchwork. Hochstraate als „Thomas Kaufmann“ ist nicht der Vater, Wieds Tochter ist nicht sein Kind und nennt ihn entsprechend nicht „Papa“, sondern beim Vornamen. Die Tochter wird allem Anschein nach antiautoritär erzogen, sie ist frech, vorlaut, aufgeweckt, fällt den Erwachsenen ins Wort und korrigiert sie, ohne dass jemand von denen sie zurechtweist. Man möchte heute dauernd draufhauen. Hochstraate und Wied sind nicht verheiratet, Wied ist in Hochstraates Haus nur „Gast“, wenn sie mit der Tochter aus Köln zu Besuch kommt. Das Paar schläft nicht im Doppelbett, sondern in um neunzig Grad versetzten Einzelbetten. Sie tragen unterschiedliche Nachnamen, aber ihre Umwelt identifiziert sie quasi automatisch als Ehepaar und spricht Wied mit „Frau Kaufmann“ an, was dann von Wied dauernd verbessert werden muss. Ein Hinweis darauf, wie ungewohnt die Patchwork-Idee um 1980 noch war. Hochstraates Filmfigur wirkt insgesamt wie ein Grüner im Werden. Er ist Ingenieur und beteiligt am Bau des Notstandsbunkers der Bundesregierung, also durchaus ein Systemrelevanter. Er ist politisch informiert und kennt, wie er ironisch bemerkt, seine Pflichten als Staatsbürger. Vor allem aber kennt er seine Rechte und begegnet der Staatsmacht sehr reserviert, später sogar empört und zunehmend aufgelöst. Durch das Hinzustoßen des außerirdischen Jungen wird der ganze Patchwork-Charakter noch verstärkt und durch die Brisanz des Besuchers zugleich gefährdet. Diese vier sind das unbedingte Sympathiezentrum des Films. 
Und ja, ein treuer Hund gehört auch dazu. Mit dem Tierschutz schien man damals allerdings noch nicht so weit: Der Hund ist draußen an einer Laufleine angekettet, der arme Kerl. WDR-Cheftierschützerin Claudia Ludwig würde das heute sicher lautstark bemängeln und die zuständigen Redakteure belagern. Das wäre allerdings vorschnell, denn der Hund hat seinen Part zu spielen: Er ist aggressiv und bissig, ehe er sich durch den beruhigenden Einfluss des telepathischen, pazifistischen und vegetarischen (!) Jungen vom anderen Stern zum netten Familienhund wandelt. Der bissige Schäferhund namens Roland darf verstanden werden als Symbol für den Charakter Hochstraates, der noch dem alten kerndeutschen System anhängt, von diesem aber im Laufe der Handlung geheilt wird. Zudem symbolisiert der unruhige Hund unruhige Patchwork-Verhältnisse, die letztlich doch zur familiären Vollendung streben. Im selben Moment, in dem der Hund handzahm geworden ist, bekundet Wieds Tochter, dass sie „Thomas“ endlich „Papa“ nennen will.
Es existiert auch ein zu Hund Roland gegenläufiger Charakter: Der anfangs so nette Herr Dr. Feller erweist sich nämlich als MAD-Obermotz und wird mit zunehmender Länge des Films ausgesprochen bissig. Die Patchworker werden durch ein Dingsymbol an jenen Dr. Feller gekettet, auf einer persönlicheren Ebene, die sich aus der beruflichen heraus ergibt. Wied ist Goldschmiedin, fertigt für den Auftraggeber ihres Lebensgefährten einen Ring an und muss sich dauernd entschuldigen, dass das Schmuckstück noch nicht fertig ist. Am Ende steht Staatsvertreter Feller im verlassenen Verkaufsraum, betrachtet seufzend den herumliegenden unfertigen Ring und wird sich seiner Niederlage bewusst: Der Ring wird nun nie fertig werden, denn die Goldschmiedin hat seinen Einflussbereich verlassen und ist ins extraterrestrische Exil gegangen.   
Obwohl sie eigentlich aus großstädtischem Umfeld kommen, haben Hochstraate und Wied sich zur Selbstverwirklichung das Landleben ausgesucht. Da soll es ja schön sein. Prächtiges, altes Haus, viel Grün, viel Ellenbogenfreiheit, die Tochter darf hier im Gegensatz zur Stadt Fahrrad fahren. Hier kann man bürgerlich-alternativ und selbständig leben. Da redet einem niemand rein. Schwerer Fehler. Denn hier gibt es sie noch, die Hexenjäger. Weiß doch jeder. Sie treten auf:
a) als sensationslüsterne Bauerntrampel (schönen Gruß an die Statisten aus dem Dorf, die für 50 Mark Tagesgage auftraten),
b) als dummdreiste, kleinkriminelle Hetzer, angeführt von einer hysterischen, irrationalistischen Vettel ("Der Junge ist nicht natürlich!") und einem schweinebackigen Jägersmann, die dem fremden Jungen die eigenen Diebstähle in die Schuhe schieben,
c) als geifernde Presse (schönen Gruß an den Trierischen Volksfreund, der dafür seine Redaktionsräume zur Verfügung stellte),
d) als Militärischer Abschirmdienst und Kalter-Krieg-Staatsmacht, die die Eifel, den „Flugzeugträger der NATO“, umfassend überwacht und gegen staatszerstörerische Aktivitäten absichert. Das Militär rückt bei Aliens ja traditionell immer an, jedoch kommt hier erstaunlicherweise niemand auf die Idee, dass es sich bei Jan um einen solchen handelt, sondern man vermutet in ihm einen als Russland-Aussiedler getarnten Spion. (Wäre der MAD auf den Trichter gekommen, was Jan wirklich ist, hätte er ihn vermutlich laufen lassen: „Ach, kein Spion? Dann ist gut … Moment mal, ist er eventuell berechtigt, für seinen Planeten Waffengeschäfte zu tätigen?“)
Die Welt ist schlecht! Da will man eigentlich nichts anderes als gemütlich-patchworkig seine Ruhe haben, ist nur ein klein bisschen anders als der Rest, aber dann steht man unvermittelt jenem paranoiden, zerstörerischen Kuddelmuddel gegenüber, das die Gesellschaft vor 1980 laut Pädagogenmeinung so überdeutlich charakterisierte. Spießer, Heuchler, Paranoiker, Denunzianten, Ausländerfeinde, Obskurantisten, sinistre Staatsmacht, manipulative Presse. Was bleibt einem da anderes übrig als die buchstäbliche Weltflucht auf den goldenen Stern, wo die Leute offenbar den ganzen Tag in Renaissance-Kleidern endkommunistisch abhängen, die Sternlein betrachten, mit Tieren sprechen und ihre perfekte Gesellschaft esoterisch singend ausgestalten? Oder aber man geht eben zu den Grünen. Aber die gab es, herrje, zur Entstehungszeit des Films offiziell noch gar nicht.
Jan vom goldenen Stern ist der liebenswürdig-plumpe Versuch, die Jugend von damals auf progressiv zu trimmen, indem die Wirklichkeit für sie zart alarmistisch zurechtgebogen wird. War Timm Thaler noch eine Faustiade mit halbwegs zeitlosen Phantastik-Themen (und Horst Frank als dem hölzernsten Teufel der Filmgeschichte), gerät die Geschichte um den Knaben vom goldenen Stern zu drolliger, aber subtextuell handfester Polit-SF. Gerade deshalb ist sie als Zeitdokument mindestens so amüsant wie Monitor-Wiederholungen von damals. Um nach dieser dreisten Linksmanipulation wieder ins ideologische Gleichgewicht zu kommen, hätte man zwei Stunden lang ZDF-Magazin mit Gerhard Löwenthal schauen müssen, aber da war für 12jährige einfach zu wenig Science Fiction drin.