Freitag, 5. November 2010

"Hader spielt Hader"

"Ist Ironie, Gerhard!"
"Dann sag's halt dazu."
"Gerhard! Es ist das Wesen der Ironie, dass man nicht dazu sagt, dass es Ironie ist!"

Gestern Abend in der Comedia: der beliebteste Österreicher seit Adolf Hinkel und Udo Jürgens.
Es ist keine bahnbrechend neue Erkenntnis, dass es sich bei Josef Hader um eine der Schlüsselfiguren des deutschsprachigen Kabaretts handeln könnte, ach was, um einen der Titanen deutscher Zunge und deutscher Wortkunst, wenn er sich und das Publikum bloß lieben und sich bitteschön endlich mal an die Regeln halten würde. Es fängt schon an mit einer dreiminütigen Verspätung, weil der Herr Künstler draußen auf der Straße unbedingt einen Herzinfarkt erleiden musste („Sterben? Ist wurscht, sterb ich halt“). Den Auftrittsapplaus kommentiert er in etwa so: "Ja, toller Applaus. Danke. Ich sehe schon, Sie sind gut drauf, Sie sind motiviert - und das hier wird schrecklich schiefgehen."
Das Programm Hader spielt Hader entstand wieder nur wegen einer Steuernachzahlung und einer vorgetäuschten Schwangerschaft und bietet ein gänzlich unoriginelles, jede Stimmung runterziehendes „Best of“, dem lustlos eine neue Dramaturgie aufgepfropft wurde (besonders beliebt offenbar: „Zweite Kasse aufmachen! Zweite Kasse!“ Da musste sogar ich Intellektueller kurz amüsiert schnauben, aber nur kurz!). Vornüber gebeugtes Wiener-Schmäh-Geplauder und notorisches Gegrantel, ein bisschen Rumgespringe eines alternden Typen im Psycho-Hemd, alte mäandernde Nummern, meistens ohne Pointen und auch noch stolz drauf, notdürftig mit ein paar neuen Halbsätzen aktualisiert. Dazwischen grantige, sozialromantische Couplets am E-Piano, absurdes Theater und Grimme-Preis-heischendes Schauspiel sowie Wortgefechte mit dem völlig desinteressierten Beleuchter Gerhard („Bittä? I hob grad mit meinen Mädels telefoniert“). Angekündigt war eigentlich eine intellektuelle Dichterlesung, aber dann zielt der Lesespot einen Meter neben des Künstlers Lesetisch ("Gerhard? Fällt dir was auf?"). Dichterlesung entfällt größtenteils, stattdessen über die PA ein Streitgespräch mit einem einsilbigen Prolo. Zieht einen alles ziemlich runter („Es ist so fad!“).
Durch nichts zu rechtfertigender Nihilismus („Is eh olles wurscht!“) und Intellektuellenverachtung, um nicht zu sagen: Kabarettverachtung, gespeist von einem eklatanten Selbsthass, der allerdings authentisch rüberkommt: Der Künstler ist da ganz bei sich selbst, weist aber trotz seiner notorischen Depressivität immer noch so viel Selbstbewusstsein auf, die Schuld für sich selbst bei jedem und allem zu suchen. Sogar bei uns, dem Publikum. Sobald man einen Witz oder ein rhetorisches Mäandern verstanden zu haben glaubt, dampft es in eine völlig andere Richtung ab und endet irgendwie bei Air Berlin. Unbequem, mühselig. Dann auch noch Selbstverständlichkeiten wie Reinhold Messner, Luzifer, alberne Lemminge und der Steinscheißer-Karl. Der Mann hat zudem keine Hemmungen, sich an katholischen wie an jüdischen Traditionslinien zu vergehen und wieder mal die olle, vielfach vorgekommene Humoranalyse des christlich-jüdischen Abendlandes loszulassen („Humanismus? Is eh wurscht. Bringt nix.“). Als stille Eskalation blitzt ständig dieses irre Grinsen auf, das man eher auf einem Anstaltsflur vermuten würde und das uns eitel-irre dazu auffordert, doch mal mitzulachen. Auch wenn es grad gar nicht komisch, sondern scheißtragisch ist („Is jetzt eh wurscht“). Und das alles geht auch noch sage und schreibe über zweieinhalb Stunden.
Hader könnte so gut sein, wenn er nur sich und sein Publikum lieben und sich nach einem Vierteljahrhundert endlich mal an die Regeln halten würde. Es ist mir ein Rätsel, warum der ausverkaufte Saal zweieinhalb Stunden lang getobt und geschrien hat vor Glück. Ist wohl Selbsthass. Das nächste Mal bitte Udo Jürgens.