Sonntag, 31. Juli 2011

Weltstars zum Anfassen

Direkt um die Ecke drehen sie mal wieder einen Film, einsehbar vom Balkon aus. Könnte „Alarm für Cobra 11“ sein. Alles voller Weltstars, deren Namen mir gerade entfallen sind. Man könnte mit Autogrammwünschen hingehen und anhand der Unterschrift versuchen, den Namen zu googeln. Der Anwohner jedenfalls trägt sein Scherflein zum Kulturgut bei, indem er sein Auto aus der Parkverbotszone wegfährt, damit die Weltstars, ihre Visagisten und ihre Schmink- und Catering-Mobile Platz für ihre Egos haben. Könnte sowieso ratsam sein, die Straße zu räumen, denn womöglich fliegen hier heute noch ein paar Sportwagen durch die Luft. Aber ich glaube, sie drehen hier meistens die Schießereien zu Fuß. Wenn also im Laufe des Tages Schüsse peitschen und ein paar tote Weltstars auf der Kreuzung herumliegen, ist das kein Grund, aus der Kontemplation hochzuschrecken.

Dienstag, 26. Juli 2011

Drei auf einmal

So mögen wir das. Drei eilige, schön dotierte Redaktionsaufträge gleichzeitig, die sich sozusagen ineinander verschränken. Eine gewisse Herausforderung, bei der darauf zu achten ist, die drei Dateien bloß voneinander fernzuhalten und bei eventuellen Copy-and-Paste-Schritten im jeweiligen Text zu bleiben. Sonst könnte es ein entzückendes postmodernes Durcheinander geben. Die Remix-Strategie ist in der Unterhaltungsliteratur noch nicht gänzlich angekommen, und ich möchte mich ungern als Innovator aufspielen. Aber gut zu wissen, dass man die Macht dazu hätte.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Jetzt digital

Unser neuer Digital-Kabelanschluss mit seinen 300 Kanälen ist eher eine Zwangsmaßnahme. Bibel-TV, Al Jazeera auf Arabisch und „Ikebana für Manager“. Benötigt hätten wir das eigentlich nicht, aber okay, freunden wir uns eben damit an. Leider erwies sich der Anschluss seinerseits als unfreundlich: Nach Ankunft und Anschluss des Digital-Receivers gab sich der Empfang bescheiden, um nicht zu sagen: komplett beschissen.
„Wenn was ist: Anrufen!“, hatte mir der Mann von der Betreiberfirma noch mitgeteilt, ehe er mit dem frisch unterschriebenen Vertrag um die Ecke verschwunden und zum nächsten Kunden entfleucht war. Also schauten wir weiter Analog-Kabel, aber ich nahm ihn natürlich beim Wort, den Mann, und erwischte ihn auf einem Campingplatz in Norddeutschland. „Wie ist das Wetter in Köln?“, fragte er. „Bedeckt“, sagte ich.
Es war nur ein Kurzurlaub, und er hielt Wort. Gestern fror mitten in der Analog-Tagesschau die großartige Susanne Daubner ein und schaute mich einen Moment lang erotisch streng an, als wollte sie sagen: A Quadrat plus B Quadrat gleich C Quadrat ... Nicht in der Nase popeln, und sitz endlich gerade! Dann waren sowohl sie wie auch der Empfang ganz weg. Ich wusste: Aha, er ist im Keller und schraubt rum. Er brauchte für die Signalverstärkung exakt zwei Minuten und kam mir, als ich runterging, schon freudestrahlend entgegengespurtet. Ich sagte: „Mein Bild ist weg.“ Er antwortete: „Versuchen Sie’s jetzt! Versuchen Sie’s jetzt! Müsste prächtig sein!“ 
Korrekt. Prächtig. Danach saßen wir noch ein Weilchen auf dem Parkett vor der Glotze, er nahm mich an der Hand und erklärte mir die Kniffe der neuen Fernbedienung: „Schmeißen Sie die Gebrauchsanleitung weg, und passen Sie JETZT auf!“ Zwischendurch klingelte sein Handy mit der Pink-Panther-Melodie. „Lass mich in Ruh, bin beim Kunden!“, rief er in Richtung Gürtel-Etui. Susanne Daubner war noch auf Sendung, er zappte an ihr vorbei, blieb kurz hängen und sagte mit einem Augenzwinkern: „Aaah, sieht die heute wieder scharf aus!“ Er hatte völlig recht: Susanne war schärfer und strenger denn je. Dann programmierte er mir zu Demonstrationszwecken DSF auf Platz eins der Favoriten. Vermutlich weil das sein Lieblingssender ist. Es lief gerade Werbung für Energy Drinks. Als er weg war, löschte ich DSF, holte Susanne zurück und setzte sie auf die Eins. Fernsehtechniker sind schon coole Säue.

Mittwoch, 20. Juli 2011

Verfall

Er schreitet voran, der Verfall. Nun wurde da, wo’s meistens losgeht, am Übergang zwischen Hinterkopf und Schädeldecke nämlich, eine verdächtig schüttere Stelle entdeckt.
Also sind die Zeiten vorbei, in denen das weibliche Geschlecht, vor allem Frisösen und Großtanten, angesichts dieses vollen, potenten Haupthaars in Freudenschreie ausbrach und dauernd dran rumzuppelte, begleitet von irritierenden Äußerungen wie „Dieses Haar! Dieses Haar!“, „Was für ein Prachtbursche!“ oder „Mach mir ein Kind, das auch so Haar hat!“
Die Segnungen des Alters: kein Gezuppel mehr, keine haltlosen Kinderwünsche.

Dienstag, 19. Juli 2011

Modellbau-Hölle

Gestern gab’s bei Einsatz in vier Wänden den dramatischen Fall eines 68jährigen Modellbauers, der sich sein eigenes Haus zugerümpelt hatte. Völlig unterschiedslos mit Schiffen, Flugzeugen, Autos, Zinnfiguren, Modelleisenbahnen und so ziemlich allem, was man basteln kann. Das ging so seit dem Tod seiner Frau. Ein Fall für die dicke Knutschkugel Tine Wittler, die wieder mal als psychosozialer Notdienst fungierte und dem Mann zu völlig unpassender Musikuntermalung eine unpassend junge Designer-Wohnung herrichtete, die in drei Monaten vermutlich wieder so aussieht wie die vorherige. „Die Höllen-Hütte des Bastel-Opas“ war diese seriöse Fallstudie betitelt. Hauptfigur war wie üblich natürlich die dicke, eitle Frau Wittler, nicht ihr armes Opfer.
Wir ziehen dennoch Lehren aus diesem Fall. Modellbauer sind anfällig, denn sie leben in einem mysteriösen, weltabgewandten Zwischenreich zwischen Perfektion (die Modelle) und völliger Verwahrlosung (der ganze Rest). Die geringste Störung des Ablaufs, also z.B. das Ableben der Gemahlin, führt erst zu Irritation in der brisanten Balance, dann zu hoffnungsloser Introvertiertheit und Kompensationsverhalten. Und jetzt ist erst recht niemand mehr da, der hinter dem Exzess-Bastler aufräumt und ihn regelmäßig aus Wohnzimmer, Küche, Bad, Schlafzimmer oder Wintergarten wegscheucht. Das Ergebnis ist „Die Höllen-Hütte des Bastel-Opas“.
Wir lernen: Sich auf irgendeine Art Bastelobjekt konzentrieren. Nicht alles aufheben. Ab und zu mal Kartons wegwerfen. Die Dusche nicht mit halbfertigen Modellen zustellen. Eingetrocknete Farbdöschen wegwerfen. Die Bastelunterlagen mal ausschütteln, am besten draußen. Die Blumen im Wintergarten mal gießen. Sich ab und an mal den Bart schneiden. Mit Klebstoff verschmierte Finger nicht ablecken. Sich mal beim Schützenfest oder dem Seniorennachmittag blicken lassen. In der Küche Fallen für Fruchtfliegen auslegen. Wieder lernen, in ganzen Sätzen zu sprechen.

Samstag, 16. Juli 2011

Lachshäppchen

Heute Nacht entwickelte ich eine neue, revolutionäre Literaturtheorie, den sog. „Phantastischen Fiktionalitätsbremser“. Das erregte einiges Aufsehen, ich wurde dauernd auf Tagungen eingeladen, auf denen Leute mit Plastik-Elfenohren herumstanden, und fraß denen die Lachshäppchen weg. Eine Einladung von Tina Mendelsohn von der 3sat-„Kulturzeit“ lehnte ich ab, weil es da nur Prosecco gab, aber keine Lachshäppchen. Der Traum war nicht in der Lage, mir zu erklären, was der sog. „Phantastische Fiktionalitätsbremser“ eigentlich ist, aber die Lachshäppchen waren gut.

Mittwoch, 13. Juli 2011

Zivilisationsreste oder: Tote Maus

Wir hatten da diesen unangenehmen Geruch in der Wohnung. „Tote Maus“, sagte die Gemahlin. Aus Richtung Küchenspüle. War früher schon mal da, der Gestank, ging aber immer wieder rückstandslos weg. Diesmal nicht. Wurde eher schlimmer. Also musste der Gatte seine Einsachtzig mal unter die Spüle falten, um sich diese Installation anzuschauen. Sah ziemlich kompliziert aus. Zu viele Rohre, Winkel, Kurven, Schläuche, Klemmen, Schraubverbindungen, Hähne, mysteriöse n-dimensionale Räume und Verkrümmungen. Letztens Endes gelang es mit ein wenig Logik, Relativitätstheorie und Konzentration, das Geheimnis zu durchschauen und dem Chaos eine Struktur abzutrotzen.
Als Kern des Geschehens erwies sich der allerhinterste Teil, wo der Schlauch ins Abflussrohr in der Wand verschwindet. Dort hatten sich die Hinterlassenschaften mehrerer Mietergenerationen gestaut, teils chaotisch, teils chronologisch. Unsere natürlich auch, klar, aber diese Stelle war seit dem Hausbau vermutlich nicht gereinigt worden, zumindest aber seit dem Zeitpunkt, seit sich dort ein ominöses, hartes Teil (eine Schreibfeder?) verkantet hatte, sehr viel nachkommendes Spülegeröll nicht mehr durchgelassen und somit einen Pfropfen erzeugt hatte. Während besagter Pfropfen über Klo und Duschwanne ausgekratzt und durchgespült wurde, offenbarte sich Stück für Stück, woraus er bestand. 
Geliertes Hackfleisch (wabbelig, nahezu durchsichtig), zusammengebackenes Hackfleisch (Konsistenz: Mörtel), mumifiziertes Hackfleisch (braun-schwarz), Erbsen und Möhrchen, burgundisches Gulasch (vier Stunden auf kleiner Flamme), lappenartige chinesische Pilze, blaue Paprikaschoten (vermutlich früher rot), Chio Chips, Eiersoße, ein Plüschtier, zwei Kondome (unbenutzt und noch verpackt), eine SIM-Karte, Reste einer „Bravo“ von 1982, Nasenkufen von gleich drei unterschiedlichen Brillen, zwei Druckerpatronen, ein Playmobil-Männchen (aus der Serie „Bauarbeiter“), ein Michael-Schumacher-Fan-Wimpel in Deutschlandfarben, Fingerknochen eines früheren Mieters oder Hausmeisters, ein handgeschriebener Notruf der Franklin-Expedition von 1847 (größtenteils unleserlich), ein Basketball ohne Luft, ein abgestorbener Ficus, die Leiche eines kleinwüchsigen, etwa 45jährigen Zeugen Jehovas, einen Stapel „Wachturm“-Hefte von 1973 noch umklammert. Und ja, eine tote Maus auch.

Sonntag, 10. Juli 2011

Kölner Lichter

Gestern Nacht bei den Kölner Lichtern, dem jährlichen Großfeuerwerk auf dem Rhein, mal die Videofunktion der neuen Kamera getestet. Für so ein kleines Ding gar nicht verkehrt. Das Finale könnte man allerdings auch als „Luftangriff auf Tripolis“ ins Internet stellen, und man käme damit vielleicht sogar in die Nachrichten. („Wie lange steht Ghaddafi das noch durch?“) Entlarvend wäre lediglich der Ton, denn wegen des elfährigen, „kölschen“ Jubiläums der Veranstaltung war das Feuerwerk diesmal zu Kölschen Gassenhauern choreographiert. Andererseits ist es durchaus vorstellbar, dass die NATO aus Gründen der psychologischen Kriegsführung ihre Bombardements mit Kölschen Gassenhauern untermalt.

Donnerstag, 7. Juli 2011

Fremde im Zimmer

Heute am frühen Morgen ging plötzlich das Licht an, und ich schaute einer dicken, aufgeschwemmten Frau ins überdimensionale Gesicht, über deren wulstige Lippen irgendein Gebrüll dröhnte. Ich begriff im halbgeweckten Verwirrzustand natürlich sofort, dass das keinesfalls die Gemahlin sein konnte, denn die ist 1) nicht dick und aufgeschwemmt und mit wulstigen Lippen, 2) brüllt nicht herum und liegt 3) auf der anderen Bettseite. Wer zum Teufel war diese unangenehme Person? War die Wohnungstür über Nacht unverschlossen geblieben? Gehörte sie irgendeiner Stadtguerilla-Performance an, die frühmorgens das Bürgertum aus dem Schlaf der Halbgerechten scheucht und mit Proklamationen gegen Atomkraft, das Patriarchat oder laktosehaltige Lebensmittel überschüttet? Ich verstand gar nicht, was die blöde Kuh da redete!
Nun ja, ich konzentrierte mich also auf ihren Sermon und wurde währenddessen wacher. Auf der Bettkante bemerkte ich zudem eine sehr wache, quengelige Katze. Unsere Katze. Und die Fernbedienung des Fernsehers, die über Nacht dort liegengeblieben war. Und den hellen, eingeschalteten Breitbildschirm nah am Bett, der auf Stand-by gestanden hatte. Die Katze hatte ihn beim Quengeln eingeschaltet, auf RTL, und dabei die Wiederholung einer nachmittäglichen Reality-Darbietung erwischt. Die fette Schnepfe mit der haarigen Warze am Kinn war gar keine Stadtguerilla, sondern brüllte nur gerade ihren untreuen Gatten an, er solle mit „seiner Yvonne“ doch bitte dahin gehen, wo der Pfeffer wächst. Sie habe jedenfalls die Schnauze gestrichen voll.
Ich stellte den Ton ab, gab der Katze im Licht des Breitbildfernsehers ihr Futter und machte dann alles wieder dunkel.

Dienstag, 5. Juli 2011

Rotation

Einigkeit zwischen den ansonsten widerstreitenden Kräften in meinem Verstand: Lollipop ist das großherzigste, schlüssigste und psychedelischste Sommeralbum, das wir, die Kräfte und ich, überhaupt je gehört haben. Im Sommer 1989 hatten wir, die Kräfte und ich, auch schöne Platten, klar, aber hätten wir dieses Album damals besessen, wir wären Raketenstufen gewesen.
Vielleicht ist es aber auch bloß Sentimentalität angesichts der Tatsache, dass wir, die Kräfte und ich, heutzutage nach zehn Minuten Herumhüpfen schon schnappatmig werden und bei den melancholischen Passagen anfangen zu weinen. Und vielleicht ist es auch Bestürzung angesichts der Tatsache, dass man die Platte am liebsten so oft in die Rotation schicken würde, wie man es damals getan hätte, heutzutage aber von Broterwerb daran gehindert wird. Damals gab es noch keinen Broterwerb, damals gab es nur wichtige Dinge, und es gab die nie endende Rotation.
Aber mal nüchtern betrachtet und ohne diese elende Verklärung: Es ist schön, dass die Meat Puppets dabei sein können und unseren Sommer, den der Kräfte und meinen, wieder mit Schönheit übergießen.