Montag, 27. Februar 2012

Lachsbrötchen

Ich vermute, dass die Algorithmen von Amazon ab und zu auch mal Pause machen. Die einen gehen raus, rauchen eine Zigarette und starren in die Wolken, um von Dingen tagzuträumen, von denen Algorithmen eben so tagträumen. Andere packen am Arbeitsplatz ihr Lachsbrötchen mit Salatblatt und Ei aus, mampfen mit glasigem Blick und trinken dazu Evian. 
Einer der Lachsbrötchen-Algorithmen erwischte heute Morgen offenbar eine Gräte, verschluckte sich ganz fürchterlich, pfiff und röchelte und hustete, wedelte mit den Armen und schlug wild auf seine Tastatur ein, ehe der Kollege vom Nachbarplatz (Salami-Sandwich mit Mayo) herüberkam und ihm kräftig auf den Rücken schlug. 
Der Lachsbrötchen-Algorithmus ist zuständig für meine Produktempfehlungen. Er studiert mein Kaufverhalten und die Dinge, die ich mir angesehen habe. Dann gibt er mir bei jedem Besuch der Startseite nett gemeinte Tipps, was mir noch gefallen könnte. Während er die Gräte im Hals hatte und panisch auf seine Tastatur einschlug, löste er eine höchst eigenartige Produktempfehlung aus, platzierte sie auf meiner Startseite unter „Das könnte Ihnen gefallen“ und stieß damit die Tür auf in eine vollkommen neue Produktwelt, von der ich bislang gar nicht so recht wusste, dass sie existiert:

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Ich habe da draufgeklickt, weil ich grundsätzlich auf alles klicke, was mein Algorithmus mir vorschlägt, und sei es auch noch so gruselig. Nun, dem Algorithmus ist inzwischen die Gräte gerutscht, und er hat mit Evian nachgespült. Er ist wieder bei sich. Postwendend stellt er fest, dass der Kunde, also ich, da draufgeklickt und damit Interesse bekundet hat. Deswegen heißt er ja auch Kunde. „Aha“, murmelt der Algorithmus und hüstelt noch einmal trocken in Erinnerung der Gräte. „Aha, das habe ich mir gedacht, dass ihm das gefällt.“ Also öffnet er mir die Tür in diese Produktwelt zur Gänze und pflastert meine Startseite zu mit Erzeugnissen wie diesen hier:

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Die Lehre, die daraus zu ziehen ist: Schau dir dein Lachsbrötchen genauer an, bevor du reinbeißt.

Donnerstag, 23. Februar 2012

Kur hinter Saarbrücken

Ich glaube, ich hätte mir Klaus Töpfer als Bundespräsident gewünscht. 
Mein Opa war damals irgendwo hinter Saarbrücken zur Kur, und Töpfer zog gerade im Landtags-Wahlkampf durch die Kureinrichtungen, redete ein bisschen mit den kränklichen Leuten und verteilte Infoblättchen. Als meine Mutter und ich mit Opas Auto, einem alten Audi 80, zu Besuch kamen, war der alte Herr, dreißig Jahre lang CDU-Bürgermeister unseres Dörfchens, ganz aufgeregt, wedelte mit einem Packen CDU-Infoblättchen und verkündete, er hätte Töpfer höchstselbst die Hand geschüttelt. „Guter Mann, guter Mann! Den muss ich wählen!“ Durfte er aber nicht, denn er war ja kein Saarländer, sondern hier nur zur Kur. Die Infoblättchen nahm er trotzdem mit. 
Töpfers Gegenkandidat, der amtierende Ministerpräsident Lafontaine, hatte als Schüler in der Eifel eine Zeitlang bei Opas Bruder zur Untermiete gewohnt und, viele Jahrzehnte später, bei des Bruders Ableben ein Kondolenzschreiben aus der Saarbrücker Staatskanzlei geschickt. Er hatte wohl in der regionalen Presse die Todesanzeige gesehen. Nette Geste. Das fand mein Opa damals auch, aber Parteienzugehörigkeit ist nun mal dicker als Wasser. 
Töpfer verlor die Landtagswahl natürlich krachend gegen den Napoleon von der Saar. Opa fluchte selbstverständlich, fügte sich aber als guter Demokrat in sein Schicksal. Töpfi jetzt als Ersten Staatsmann gehabt zu haben, hätte ihm Freude bereitet. Mir irgendwie auch.

Mittwoch, 22. Februar 2012

30. April: Das Ende der Erdenschwere

Wichtigster Tag des Jahres? Klarer Fall, der 30. April. Veröffentlichung des neuen Hawkwind-Studio-Albums Onward. Nach dem Cover zu schließen, müsste es ein gar düsterliches Ding werden, aber das kann ich noch nicht so recht glauben. 
Nehmen wir uns vier Minuten, machen uns frei von der Schwere des Daseins und erinnern uns der kathedralenhaften, nach oben strebenden Schönheit des Vorgängeralbums.

Dienstag, 21. Februar 2012

Anbetung

Muss morgen beim Einkaufen unbedingt an Männer-Duschgel denken. Mit ordentlich Bullensperma-Extrakt und Eber-Pheromonen. Heute war ich gezwungen, „Magnolia“ zu benutzen. Und „Apfelblüte“ fürs Haar. Wenn mir jetzt noch jemand Blümchen über Kopf und Schultern schmeißt, komme ich mir vor wie ein schwuler keltischer Frühlingsgott. 
Aber ein bisschen Anbetung ist sicher auch mal ganz nett. Die Blumenbouquets und Erntedankgaben vom Großmarkt bitte auf der Außentreppe so platzieren, dass die anderen Mieter noch durchkommen. Tieropfer bitte nur auf der Freifläche unterm Balkon, ekstatische Gesänge und Nackttänze bitte im Flur, nicht in der Küche. Wegen der Hygiene. Keine schnörkeligen Malereien mit Lehmfarben auf den Wänden hinterlassen. Wegen der Kaution. Für das Menschenopfer bitte ausschließlich die Badewanne verwenden und danach säubern. Danke.

Sonntag, 19. Februar 2012

Sepulkralkultur

Heute Nacht träumte mir, sie hätten unseren lauschigen Dorffriedhof in einen Designer-Friedhof verwandelt.
Nicht mehr wiederzuerkennen. Am Eingang erstmal ein Ticket-Automat, dann eine Drehschranke. Dahinter überall monströse Mustergräber mit schmiedeeisernem Skulpturgedöns drauf, teilweise fünfzehn Meter hoch und von Elektromotoren betrieben. Stelen mit eingebauten Touchscreens, mittels derer man das Leben des jeweils Verblichenen als Action-Videoclip abrufen konnte. Inklusive Explosionen und vorgeschalteter Werbung von Versicherungsgesellschaften. Oder per Solarenergie beleuchtete Glaskästen mit ausgestellten Gegenständen aus dem Leben des Verstorbenen: Rasierapparat, Brieftasche, Impfpass, Parteibuch, das letzte Kleingeld. Auf einem Grab fuhr eine Porsche-Replik auf verborgenen Schienen hin und her: das Mustergrab für den Autofetischisten. Gesponsort von Autohaus Hackemüller. Urnengräber, aus denen beim Vorbeigehen (Lichtschranke) mittels pneumatischer Effekte die Asche herausgeschleudert wurde wie Konfetti. Laubengänge aus Edelstahlgebüsch, Windräder aus Verbundstoffen. Biomüll-Entsorgungsstation in Gestalt eines Jugendstil-Engels aus Presspappe. 
Eine Reisegruppe aus der Stadt (bäh!) hatte sich eingefunden und bevölkerte den Friedhof. Sie sagten unentwegt „Aha, schön-schön, interessant“ und drückten auf alle verfügbaren Knöpfe und setzten alle möglichen Mechanismen in Gang. Nachher wollten sie sich zu einem Kongress im Gemeindehaus versammeln: „Sepulkralkuktur und Aktienfonds. Wie mache ich aus Asche Geld“. Es waren mindestens fünf Busladungen voller Städter, und der Friedhof ist wirklich nicht sehr groß. 
Die Einheimischen fanden in dem Getümmel die Gräber ihrer Leute nicht wieder, bis irgendwer feststellte, dass sie gar nicht mehr da waren. Der Aktienfonds, der die Gemeinde gekauft hatte, war über Nacht mit Baggern angerückt, hatte alles ausgraben und planiert und die alten Grabsteine, das Erdreich, Knochen, Asche zur Verfüllung eines benachbarten Steinbruchs verwendet. 
Ich vermute mal, dieser Traum hat irgendetwas zu tun mit dem heranrückenden Aschermittwoch. „Bedenke, dass du Staub bist.“ So was kriegt man aus einem Katholiken nicht mehr heraus.

Mittwoch, 15. Februar 2012

Beschwerde

Beschwerdebrief einer Leserin. Übersetzer und Redakteur sind totale Nulpen. Die recherchieren nicht, wohingegen sie, die Leserin, natürlich Bescheid weiß. Ihr Tonfall trieft vor Süffisanz und suggeriert komplettestmögliches Komplettwissen. 
Sie beschwert sich außerdem darüber, dass auf ihre diverse Beschwerdeschreiben bislang nie jemand geantwortet hat. Es ist tatsächlich nicht ihre erste Beschwerde. Beim letzten Mal wies sie im Zustand überschäumender Rechthaberei auf ein falsch übersetztes Wort hin, das lustigerweise jedoch sehr richtig übersetzt war. Diesmal empfiehlt sie uns Vollpfosten „Google“ für unsere eigenen Recherchen. Google, aha. Nie von gehört. Wo gibt’s das? Ach ... hier ist es ja ... war ja gar nicht so schwer. Schauen wir also mal unverbindlich da rein. 
Die Beschwerdeführerin erhitzt sich diesmal darüber, dass der Held des Romans an einer Stelle einen 32er Colt benutzt, und den auch noch als Pistole. Gibt es nicht, sagt die Leserin. Es gibt nur einen 38er Colt, und der ist bekanntlich ein Revolver. Sieh an, sieh an. Gehen wir dem mal auf den Grund und klicken ein wenig herum. Allerdings existiert sehr wohl ein 38er Colt als Pistole, die kleinere Variante des populären 45er Colt 1911 Government nämlich. Ich habe ihn bei diesem komischen Google innerhalb von zehn Sekunden aufgespürt. Und, potzblitz, es existiert tatsächlich auch eine 32er Pistole der Firma Colt. Aufgefunden nach weiteren fünf Sekunden. 
Die Beschwerdeführerin erregt sich weiterhin über eine angebliche Walther P 32, die im Text vorkommen soll. Es gibt, so unsere Leserin, gar keine Walther P 32, sondern nur eine Walther P 38. Damit hat sie zweifellos recht, unsere Leserin, allerdings ist im Roman nie die Rede von einer Walther P 32, sondern von einer „32er Walther“. Und die gibt es sehr wohl, sie ist sogar Popkultur. Es ist James Bonds PPK. Würde der Held nun jene P 38 benutzen, die die Leserin hier vermutet, wäre das allerdings, so die Leserin weiter, auch ziemlicher Unsinn, denn die Wehrmachtspistole P 38 ist ja nur noch ein Sammlerobjekt, und der Held würde für sie nirgendwo mehr Patronen finden. Tatsächlich - und das weiß ich sogar ohne dieses lustige Google - fand die P 38 jedoch in der nahezu baugleichen P 1 ihre Nachfolgerin, und die war jahrzehntelang Standardpistole der deutschen Bundeswehr. Sie wird teilweise heute noch benutzt. Die 9mm-Parabellum-Munition, mit der beide Waffen schießen, gibt es wie Sand am Meer. 
Beide im Text vorkommende 32er Waffen sind kleine, handliche Pistolen und für den Romanhelden, einen Agenten mit leichtem Gepäck, wie geschaffen. Der 38er Colt-Revolver oder die P 38 sind schwere Ballermänner, und die kann der Mann bei seinen Aufträgen so gar nicht gebrauchen. Also benutzt er sie auch nicht, sondern genau diejenigen Waffen, die im Text stehen. 
Beschwerde abgewiesen. Und danke für den Hinweis auf dieses drollige Google, Leserin. Könnte sich als hilfreich erweisen. Vor allem für Sie selbst.

Montag, 13. Februar 2012

Nase platt drücken

Laut Zeitung haben neulich „zwei Dutzend Aktivisten und eine Sambagruppe“ einen Outdoor- und Waffenladen von der Bonner Straße vertrieben. Die sogenannten „Anscheinswaffen“ im Schaufenster verführten all die kleinen Torbens und Kevins offenbar dazu, sich die Nasen platt zu drücken. Dürfen sie aber nicht, denn das ist schädlich. 
Wir haben das damals auch gemacht. Die Nasen an solchen Fenstern platt gedrückt. Auf dem Dorf gab es so was nicht, in der Stadt aber schon. Und wir kamen auf dem Schulweg jeden Tag an ihnen vorbei: gefährliche Lustobjekte, bekannt aus Funk und Fernsehen. Es stand nie eine Sambagruppe daneben, und wir fühlten uns sicher. 
Schützenverein hatten wir keinen, also herrschte nie konkreter Bedarf an Waffen. Es gab bei uns überhaupt nie eine derartige Tradition im echten Leben, außer die Jäger, aber die galten allgemein als dubios. Die ganzen zerschossenen Verkehrsschilder in der grünen Heide und am Waldrand sprachen Bände. Die paar Burschen, die Luftgewehre besaßen, waren als Problemkinder verrufen. 
Aber es existierte sehr wohl eine andere Tradition. Die im Fernsehen nämlich: Krimis, Western, Ritterfilme, Kriegsfilme. Unsere Helden verschafften sich mit diesen Objekten Respekt oder verhalfen der Guten Sache zum Erfolg. Also durfte man sich ihre Werkzeuge doch mal unverbindlich anschauen und sich die Nase platt drücken, oder nicht? Von Berühren war nie die Rede. Zu Hause benutzten wir zur Durchsetzung der Guten Sache nämlich ausschließlich Karnevalsrevolver, Erbsenpistolen (ich hatte eine Walther PPK), Wasserpistolen oder selbstgeschnitzte Objekte. Mein braunes Holzgewehr (Xyladecor-Beschichtung!) war mit schwarzem Duct-Tape umwickelt und sah wirklich cool aus. Irgendwer warf es mal irgendwo ins Feuer, und ich war eine Zeitlang erzürnt. Der Griff meines Holzschwerts war mit der ausgeleierten Gummidichtung einer Melkmaschine versehen. Passte perfekt und federte die Schläge besser ab. Natürlich waren wir auf der richtigen Seite, denn Michel aus Lönneberga lief schließlich auch mit einem Holzgewehr oder einer Weidenrute als Säbel herum und wehrte Kavallerie-Angriffe ab, oder etwa nicht? 
Wir verloren schließlich das Interesse, als die Mädchen aktuell wurden und wir dazu übergingen, diejenigen Waffen zu erkunden, welche die Biologie uns mit auf den Weg gegeben hatte. Nichtsdestotrotz kamen später einige Buben zu dem Schluss, dass die nicht ausreichten, kauften sich PS-starke Motorräder und Golf GTIs und brachten sich damit selbst um. Wilde Jugend, kurze Jugend. 
Nun, wir leben heute in anderen Zeiten. Die Kinder halten sich zwar immer noch in Fiktionen auf, aber die scheinen rauher geworden zu sein, kompetetiver und darwinistischer, und die Grenze zur Realität scheint manchmal auszufasern. Insofern ist es sicher gut, dass die Sozialpädagogen ihre Trommeln schlagen und die Torbens und Kevins vor sich selbst retten. 
Immerhin hat diese kleine Veedel-Affäre mich zur Verwirklichung eines Kindheitstraums veranlasst. Nase platt drücken ist nicht mehr. Ich bin jetzt Besitzer eines Colt Revolver von 1873. Peacemaker, die lange Version. Natürlich handelt es sich um eine nicht schussfähige Replik, die aber hinsichtlich Größe, Gewicht, verwendeter Materialien und Mechanik authentisch ist. Die Motivation zum Kauf war zu gleichen Teilen sentimentaler, ästhetischer, popkultureller, historischer, haptischer und querulantischer Anti-Sambagruppen-Natur. Ein bisschen Gute Sache von damals schwang sicher auch noch mit.

Sonntag, 12. Februar 2012

Quellwasser

Heute Morgen haben wir uns gegenseitig mit fünf Litern Quellwasser vom Türken übergossen. Es war schön, es war sexy, und es war scheißkalt. Der Türke verkauft diese handlichen Quellwasser-Kanister, und er macht glücklicherweise schon um sieben Uhr seinen Kiosk auf. 
Als der polnische „Hausmeister“ gestern Mittag das Wasser im ganzen Haus abdrehte und man ihn fragte, was denn los sei, sagte er noch „Null Problemm“. Viel mehr Deutsch beherrscht er sowieso nicht, was soll er also sonst groß sagen? Na ja, wir mussten ohnehin weg zur Familienfeier ins Ruhrgebiet. Nach der Rückkehr am Abend pflanzte man(n) sich erstmal mit entspanntem Gesichtausdruck auf die Sanitärkeramik, um danach festzustellen, dass wir gerade „Viell Problemm“ hatten. Kein Wasser nämlich. Und nirgendwo im Haus eine Benachrichtigung. Dabei verfügt das Haus über eine Einrichtung namens Schwarzes Brett. Der Hausmeister hält es offenbar für eine Panorama-Ansicht „Köln bei Nacht“, für eine Dartscheibe oder eine Wandkachel. Andererseits, was sollte er schon groß draufschreiben? „Null Problemm“, denn mehr Deutsch kann er ja nicht.
Eine SMS an den Vermieter um 23.15 Uhr, die morgens um sieben, immerhin noch vor dem vermieterlichen Kirchgang, beantwortet wird, führt zu der Erkenntnis, dass es irgendwo im Haus einen Rohrbruch durch Frost gibt. Vermutlich, weil irgendsoein Gehirnchirurg von Nachbar in Skiurlaub gefahren ist und in seiner Wohnung alle Heizungen abdrehte. Wenn ich herausfinde, wer das war, nehme ich für den oder die keine Pakete mehr entgegen. Kein einziges mehr, selbst wenn es sich um „SuperPussy“-Slips vom C&A-Online-Shop handelt. Reparatur, so simst der Vermieter, erst nächste Woche möglich. Bitte um Verständnis. MfG. 
Ich kundschafte derweil eine Karawanenroute zum Türken aus und schleppe jedes Mal zwei Fünf-Liter-Kanister Quellwasser zu 1,60/Stück an. Andererseits: Mit diesem Wasser schmeckt der Kaffee ziemlich gut. Und sich regelmäßig gegenseitig mit fünf Litern kaltem Quellwasser zu übergießen, ist gut für die Ehe.

Donnerstag, 9. Februar 2012

"Bespielt"

Auf dem Speicher des Elternhauses liegen noch viele von ihnen herum, die Miniaturen der Kindheit. In Kisten und Tüten, verborgen unter umgekippten Bücher- und Zeitschriftenstapeln, zwischen eingemottetem Haushaltsmaterial und Staub und von den Jahrzehnten malträtiert. Es wurde Zeit, mal mit einer Dokumentation dieses Materials zu beginnen. Es wertzuschätzen. Besser spät als nie. Hier die Fotostrecke
Da ich nicht alles auf einmal schaffen konnte, wurde gesiebt. Die ganzen Playmobil-Tableaus (Bauarbeiter, Feuerwehr, Ritter, Fernsehteam) wurden weggelassen, weil sie mehr Spielzeug sind als Miniatur. Bei der raren „Bundeswehr“-Edition von Play Big konnte ich hingegen nicht widerstehen. Für das Ablichten der beiden Play-Big-Fußballteams (Deutschland u. Italien) meines Bruders fehlte mir die Zeit. Manches ist auch so ramponiert, dass kaum noch zu erkennen ist, was es einmal darstellen sollte. Es gibt also durchaus noch mehr, aber für den Moment bin ich erschöpft. Andererseits ist einiges, an das ich mich erinnere, spurlos verschwunden. Die völlig kaputte Carrera-Bahn wurde irgendwann entsorgt, leider auch die hübschen Rennautos. Modelleisenbahn hat uns nie interessiert. Hätte zu viel Geduld gefordert, außerdem waren wir hauptsächlich an Kaputtschlagen und Aus-der-Kurve-fliegen interessiert. 
Liebhaber und Sammler müssen beim Betrachten dieser Fotos sehr, sehr tapfer sein. Man konnte einem Siebziger-Kind mit robuster Spielambition nun mal nicht erklären, dass sein Spielzeug eventuell mal Sammlerwert erlangen wird und es, das Kind, daher pfleglich mit ihm umzugehen hatte. Es am besten gar nicht erst anfasst. Es erst recht nicht vom Balkon schmeißt, nicht darauf herumspringt, es nicht dem kleinen Bruder an die freche Birne ballert, nicht darauf herumkaut, keine China-Böller darin zündet, nicht Godzilla oder die jüngste Autoverfolgungsjagd aus dem Fernsehen möglichst naturalistisch nachspielt. Für Sammeln hatte das Kind damals keinen Nerv, es wollte draufhauen, erobern, Machtphantasien ausleben und sich die Miniaturwelt untertan machen. Das in Sammlerkreisen gängige Adjektiv „bespielt“ klingt zu harmlos. Es müsste „komplett in Grund und Boden gerammt“ heißen. Und man vergaß auch, dem Kind mitzuteilen, die Objekte nach dem Spielen nicht in hohem Bogen in einen Karton zu schmeißen, auf den nicht optimal isolierten Speicher zu schleppen und sie dort jahrzehntelang zu vergessen – in offenen Kisten und den klimatischen Bedingungen ausgesetzt. Sommerhitze unterm Dach, Winterkälte, feuchte Schwüle. Lack platzt ab, durchsichtige Plastikteile erblinden und so weiter. 
Wie gesagt, Sammler und Liebhaber sollten sich bei einigen dieser Fotos ihrer Tränen nicht schämen.
Immerhin, es gibt Erkenntnisse zu gewinnen. Generell war dies eine Ära der Inkorrektheiten. Kriegsspielzeug (natürlich, Mann!), Zirkus- und Zootiere mit Käfigen und Wärtern. Zirkusszenen-Nippes aus Plastik, der Elfenbeinschnitzereien imitierte. Viele der Matchbox-Autos von Anfang/Mitte Siebziger sind erstaunlich bizarre, realen Vorbildern nachgebildete Rennvehikel, mit denen damals vorbehaltlos und der Ölkrise zum Trotz dem PS-Kult gehuldigt und auf dicke Hose gemacht wurde. „Für die Rennfahrer von morgen“, hieß, glaube ich, einer der Werbeslogans. Die damaligen Rennfahrer von morgen bilden heute mit ihren biederen SUVs lange vierspurige Schlangen auf dem Kölner Autobahnring und stieren sinnentleert die Leitplanke an. Ich hätte mir damals mehr authentische Straßenfahrzeuge schenken lassen sollen, um den Alltag der Epoche besser abzubilden – aber wen interessierte schon der Alltag? Dicke Hose, Mann! Mich meinten die mit „Rennfahrer von morgen“! 
Die allererste Edition der Krieg der Sterne-Männchen, wie sie ab Ende 1977 von George Lucas in die deutschen Spielwarenläden geschaufelt wurde, ist allen Ernstes komplett. Klar, einzelne Figuren haben Accessoires eingebüßt und sind beschädigt, aber die Serie an sich ist vollständig, inklusive der beiden (fatalerweise selbstbemalten) Raumschiffmodelle in 1:32. Einige Jahre später war der Rausch allerdings wieder vorbei: Von den Das Imperium schlägt zurück-Männchen, die eine deutlich höhere Qualität und Detailfreude aufwiesen, existieren nur zwei, und die habe nicht ich erstanden, sondern der kleine Bruder. 
Eine Fehllackierung des „Dodge Wreck Truck“ von Matchbox (1965) bringt heute auf Auktionen übrigens 3000 £, aber ich besitze nur die herkömmliche Version für 1,90 € (eBay), und die auch noch völlig ramponiert. Typisch.

Montag, 6. Februar 2012

Entwarnung

Die Gattin meint, sie schläft gern mit Dietmar Bär ein, und einer Freundin ginge das ganz genauso. Ich bin kurz irritiert und frage mich, ob Dietmar Bärs Frau wohl weiß, mit wem ihr Herr Gemahl da so alles … 
Aber die Irritation währt nur kurz. Gemeint ist Dietmar Bärs Stimme. Von den diversen Krimi-Hörbüchern, die er einliest. Die Gattin meint, die Qualität des Buchs sei nicht so eminent wichtig, Hauptsache Dietmar Bär. Also, Gemahlin von Dietmar Bär: Entwarnung! Ich hoffe, dass er Ihnen abends auch ab und zu mal was vorliest. Die Weiber stehen da offensichtlich drauf.

Freitag, 3. Februar 2012

Alles redet über die Kälte

Die Fahrt aufs Dorf verlief diesmal mit leichtem Handicap. Die Frontscheibe war zugefroren, lustigerweise von innen. Es war also irgendwo Feuchtigkeit im Wagen, die sich niederschlug und gar feste gefror.
Es dauert ein wenig, die Sicht freizubekommen, und danach sind Innenraum und Fahrer von Eiskristallen überrieselt. Sieht lustig aus. Dann noch zehn Minuten im Stand das Gebläse laufen lassen, bis aus dem ganzen Eis Wasser wird. Schließlich noch die Scheibe abwischen. Was zur Folge hat, dass sie elend verschmiert und es bei niedrigem Sonnenstand so aussieht, als fahre man durch eine endlose Nebelbank. Gerade noch so zu verantworten. Fahre die 160 Kilometer mit hochgepowertem Gebläse, um die Nässe loszuwerden, und habe bei Ankunft das Bedürfnis, mich nackt im Schnee zu wälzen. Aber es ist nicht so viel Schnee hier unten im Tal. 
Derart wohlbehalten angekommen und ohne sich in der tückischen Eifel wegen schlechter Sicht zu verfahren, geht es gleich wieder auf die Piste, sprich: gut eingepackt über den Berg. Wollmütze, Schal, Ziegenfell-Lederjacke mit hocklappbarem und schnallentechnisch abdichtbarem Ziegelfell-Lederjacken-Kragen, Fleece-Weste, Handschuhe, aparte lange Unterhose, dicke Jeans, Winterspezialstrümpfe, formidable Rieker-Allzweck-Schuhe mit Fellinnenleben. Auf dem Berg herrscht strahlender Sonnenschein, aber auch Windstärke acht, Windchill-Faktor minus 25. Einige Fotos für die Fotostrecke Dorf machen, aber nur die allernotwendigsten, denn zum Befummeln der kleinen Kamera müssen zwingend die Handschuhe aus. Bergauf ziehen die Beinmuskeln etwas. Eindeutig das Alter. Ab und zu pausiert und mit Wohlbehagen in die Landschaft gestarrt. Weißgetünchte Weite, man sieht entgegenkommende Spaziergänger Stunden vorher. Der Mensch ist klein, das Land ist groß und alt, und es atmet kalt.