Sonntag, 30. Januar 2011

Trost

Laut Erhebungen schaute diesmal neben dem Prekariat auch jeder vierte Akademiker Dschungelcamp. Die Feuilletons sind hin und weg. Die Sendung ist angekommen in der Mitte der Gesellschaft, die Hemmschwellen und Verkrampfungen sind überwunden.
Alle sind froh, dass Peer K. Dschungelkönig geworden ist. Ich im tiefsten Inneren natürlich auch. Der Mann war kreativ, sensibel, sentimental, spontan, naiv, lieb, etwas rückhaltlos, Heulsuse, dennoch maskulin. Er hatte Außenseitertendenzen und war verwirrt angesichts des Intrigengeflechts der anderen. Und er sprach ungeniert mit seinem Plüschaffen, manchmal sehr viel ausführlicher als mit seinen menschlichen Kameraden. Nun gut, manchmal hatte man schon die Befürchtung, er könne in Richtung „Herr der Fliegen“ abdriften, aber er fing sich stets und kompensierte durch das Erzeugen von Seifenblasen. Er stand im Kontrast zu den eiskalt kalkulierenden und chargierenden Schönlingen, männlichen wie weiblichen, und den notorischen Opportunisten, die sich immer auf die Seite der vermeintlich Starken schlagen. Bis das Publikum dieses Arschloch-Verhalten erkannte und die entsprechenden Personen abstrafte. Oder, anders gesagt, bis RTL wollte, dass das Publikum dieses Arschloch-Verhalten erkannte, und den Schnitt entsprechend steuerte.
In den früheren Staffeln wurden die Illusionen von Bodenständigkeit, Inszenierungsfreude, Durchhaltewille oder purer, freakiger Quiekigkeit belohnt. Mit dem Sieg des lieben Peer kommt nun eine neue Qualität mit ins Spiel. Es ist beinahe so, als wollte RTL uns Hoffnung schenken. Wenn ein freundlicher Weichling mit Plüschaffe jenes Format als Gewinner verlässt, das seit jeher den eklen sozialdarwinistischen Kern des Neoliberalismus besonders realsatirisch herausarbeitete, dann tröstet das uns alle. Großes Drama, entzückende Parabel, moralische Morgenröte. Bitte bald die nächste Staffel. Mit mindestens einem Politiker der Linken, einem ehemaligen Afrika-Korrespondenten mit Alkoholproblem und einem paranoiden Wikileaks-Aktivisten.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Wutmeisen

Jedesmal, wenn die Katze auf den Balkon kommt und sich erdreistet, auf die Brüstung zu springen, gründen die Meisen auf den Bäumen drumherum eine spontane Bürgerinitiative. Lautes Geschrei, übererregtes Geflatter, Rufe wie „Herrje, hab ich mich jetzt erschreckt!“ oder „Ist ja Lebensgefahr hier!“. Es werden Transparente gehoben mit Aufschriften wie „Katzen raus aus Hinterhöfen!“, „Balkons sind zum Draufkacken da!“, „Luftangriffe legalisieren!“ oder „Mehr Meisenknödel!“. Wenn man nicht auf ihre Forderungen eingeht, kreischen sie beim nächsten Mal noch lauter. Was die Wutmeisen nicht beachten und vielleicht aufgrund ihrer klitzekleinen Gehirne auch gar nicht verstehen, ist, dass die Katze mehr Angst vor ihnen hat als sie vor der Katze.

Verdächtig

Vor dem Netto stand eben ein schwarzer Lincoln Navigator mit getönten Scheiben, einem US-Diplomatenkennzeichen und laufendem Motor. Im Inneren waren die Umrisse zweier Männer auf der Rückbank zu erkennen. Der eine trug einen Turban und war offenbar geknebelt. Drinnen im Markt waren zwei Männer in schwarzen Anzügen, militärischem Kurzhaarschnitt und Knopf im Ohr damit beschäftigt, die Regale mit Toast leerzuräumen. Ich schob den Einkaufswagen an ihnen vorbei und kaufte heute doch lieber das abgepackte Schwarzbrot.

Montag, 24. Januar 2011

Gestiefelt und gespornt

Acht ergiebige Stunden geschlafen, Zähne geputzt, Seitenscheitel gezogen, Schnurrbart gewichst. Gestiefelt und gespornt. Auf ins Gefecht, Husar! Das sind verdammt viele Buchstaben, und ihr Feldherr ist von der schnellen, harten Sorte.

Samstag, 22. Januar 2011

Meteorite Recon

Hier entlang zu Dr. Buhls Meteoritenseite. Dr. Buhl stammt aus dem Nachbardorf und ist seit Grundschulzeiten ein guter Kumpel meines Bruders. Ich traf ihn später im Germanistik-Studium wieder und habe noch sein epochemachendes Ernst-Jünger-Referat in bester Erinnerung. Seit einigen Jahren hat sich Dr. Buhl, inzwischen wohnhaft im Hanseatischen, aufs weltweite Meteoritensuchen verlegt. Je unwirtlicher die Gegend, desto besser, wobei Dr. Buhl regelmäßig mit der Landschaft und der jeweiligen Kultur zu verschmelzen scheint. Seine Expeditionsberichte sind nicht nur sehr lehrreich für uns Laien, sondern vor allem höchst amüsant.

Freitag, 21. Januar 2011

Streber

Entsetzlich. Haben gerade bei einem zufälligen Gespräch mit dem Hausverwalter erfahren, dass wir hier als Mustermieter gelten. Wir sind die Hausstreber. Und zwar deswegen, weil wir die Miete bezahlen, keine Glastüren eintreten, nicht aus dem Fenster auf Passanten spucken, das Auto nicht in die Feuerwehrzufahrt stellen, nicht als "Spinner" gelten und die Kartons klein reißen, ehe wir sie in die Papiermülltonne schmeißen. Was ist das nur für eine verkommene Welt, in der zivilisatorische Grundlagen als mustergültiges Verhalten gelten?

Dienstag, 11. Januar 2011

A2000

Handwaschbecken im Bad komplett verstopft. Da geht nix mehr. Zähneputzen über der Duschwanne. Untragbarer Zustand. Herumstochern mit Draht oder flexiblen Kabeln: zwecklos. Pümpel: erfolglos. Abschrauben des Siphons: problematisch, weil verborgen hinter einer tonnenschweren Keramikverkleidung, deren Ab- und Anbau kryptisch anmutet. Besser Finger weg. Power Gel: stinkendes, blödes chemisches Teufelszeug, ebenso erfolglos und womöglich das Problem sogar verschlimmernd.
Also als handwerklicher Volltrottel und reiner Verstandesmensch den beschwerlichen Weg zum Bauhaus am Barbarossaplatz angetreten, um eine dieser sagenumwobenen Reinigungsspiralen zu erstehen. Nicht gefunden, stattdessen gebannt einer Video-Präsentation des „A2000“ beigewohnt. Wunderwaffe, heißt es. Genau das, was Sie brauchen, Sie ahnungsloser Wicht. Kleine Dose mit Druckluft drin und Adapter für diverse Abflusstypen. Nicht sehr teuer. Also mitgenommen, allerdings ohne viel Hoffnung.
A2000 der Anleitung entsprechend auf den Abfluss platziert, Überlauf mit nassem Waschlappen verstopft (wegen des Drucks) und mit einer gewissen technologiefeindlichen Skepsis A2000 aktiviert. Es macht KABAUTZ!, der Waschlappen fliegt mit 250 km/h aus dem Überlauf und mir ins Gesicht, Wasserfontäne spritzt heraus, und A2000 haut derweil wie die Faust Gottes in den Abfluss und ballert die Verstopfung in Lichtgeschwindigkeit an ihren Bestimmungsort tief unter der Stadt. Nachdem ich mir den Waschlappen aus dem Gesicht genommen habe, schaue ich in den saubersten, schönsten Abfluss der Welt.
A2000, ich mag dich. Auch wenn ich bezweifle, dass du noch sehr lange auf dem Markt sein wirst, wenn das Innenministerium erstmal dahinterkommt, dass man für deinen Einsatz eigentlich einen Waffenschein benötigt.

Montag, 10. Januar 2011

Jazzrock

Heute Nacht träumte mir, ich hätte damals die Fretless-Bassgitarre gespielt in einer Jazzrock-Band. Den Namen der Band habe ich vergessen, sehr wohl aber erinnere ich mich an unsere einzige Hitsingle „Halberstadt IV“ (1981). Sie wurde als 7’’ gepresst, was in Jazzrock-Kreisen echt ungewöhnlich war, und kam in die Charts, was noch viel ungewöhnlicher war. Wir wurden von den Bildungsbürgern deswegen als „Verräter!“ beschimpft. Auf der B-Seite befand sich der Track „Funkstörung in Detmold“. Wir spielten damals in bestuhlten Sälen (schnarch!) und zerstritten uns schließlich heillos wegen zweier Groupies, Professorenzwillingstöchter aus Dormagen. Der Drummer gibt heute Trommelkurse auf Bali, der Gitarrist ist Psychotherapeut, der Saxophonist hat Hämorrhoiden und trinkt nur noch Pflaumensaft, und der E-Klavier-Typ sitzt für die Grünen in irgendeinem Landtag. Unser Manager ging 1985 ins Wasser. 
Möglicherweise wurden in diesem Traum auch nur die Erinnerungen von jemand anders angezapft. So sehr ich mein Hirn im Wachzustand auch anstrenge, mir sagt das alles nämlich gar nichts.

Freitag, 7. Januar 2011

Flugausstellung

Flugausstellung L.+ P. Junior. Hier entlang. Als Kind war ich ein-, zweimal da. Kein Wunder, denn die Lokalität liegt nur 40 Kilometer vom Heimatdorf entfernt. Ich habe es als ziemlich klein in Erinnerung. Hauptausstellungsobjekt war eine Concorde, in der zugleich das Café des Museums untergebracht war. Seither aber scheint sich das Privatmuseum zu einer der prächtigsten Flugzeugausstellungen in Europa gemausert zu haben. Spektakulär, was dort alles an ausgemusterten Kampfjets herumsteht. Saisonale Öffnung am 1. April. Besuch ist zwingend erforderlich. Kamera nicht vergessen. Bericht folgt zu gegebener Zeit.

Mittwoch, 5. Januar 2011

Depressionsschub

Gestern wurde es depressiv. Am späten Abend, nach Wallander in der ARD, hatte ich kurzzeitig das zwingende Bedürfnis, ins Bad zu gehen und mich zu erhängen. Die Gemahlin hielt mich davon ab.
Diese braunen, dunklen, holzvertäfelten Räume mit muffiger Fünfziger-bis-Siebziger-Inneneinrichtung, die es ganz, ganz eng machen. Offensichtlich kaufen die Schweden nicht selbst bei Ikea, sondern exportieren all diese Buntheit bloß. Diese zugezogenen Übergardinen, dieser Verfallsgeruch, dieser Mottenfraß, diese notorische Depri-Atmo wie in einem vergessenen ländlichen Pflegeheim. Immer nur Gewalt, Rassismus, familiäre Despotie, Alkoholismus und Muff, veräußerlicht in Bildern, die sich selbst verabscheuen. Der Kriminalfall ist irgendwie reichlich egal und ohnehin ziemlich Banane, aber die Bilder sind erdrückender Selbsthass bis zur Selbstparodie. Sogar Blumenläden und Handyklingeln sind depressiv. Die Sache wird nur deswegen überhaupt erträglich, weil Kenneth Branagh und David Warner mitspielen.
Kaum war dieser erste Depressionsschub überwunden, wurde beim Zappen eine Doku über Dauercamper erwischt. Na, wenn schon depressiv, dann bitte richtig. Alte, nahezu nackte, faltige Männer beim Waschen im Freien. Oder beim Schlurfen übers Gelände in Badelatschen. Oder beim Bierholen, beim Nudelkochen, beim Autowaschen, beim halbnackten Klugscheißen über Gott und die Welt. Und das größtenteils in einem grauen Ruhrpott-Idiom Marke Herne oder Gelsenkirchen. Herrje, wo war noch mal der Strick?

Dienstag, 4. Januar 2011

Hintersibirien

Spektakulärer Fund auf Youtube. Jemand fährt bei Nacht und Schnee die Strecke von Trier bis zu meinem Heimatdorf (ca. 15 Kilometer), hat dabei eine Kamera laufen und erklärt einem die Strecke in einer Fremdsprache, die Polnisch oder Bulgarisch sein könnte. Nicht mehr zu unterscheiden von Hintersibirien. Er hält schließlich an in der Echternacher Straße, am alten Haus von Werner und Josette, heute Mietshaus. In früheren Jahren habe ich auch einige Fahrten bei solchen Verhältnissen absolviert. Spektakulär!

Teil eins
Teil zwei
Teil drei
Teil vier

Samstag, 1. Januar 2011

Shakespeare und Abba

Heiterer Jahreswechsel. Im Theater Der Keller wurde als Silvester-Sause Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt) gegeben. Eine Fußminute entfernt von diesem Haushalt, oder doch eher 53 Fußsekunden. Drei junge männliche Schauspieler führen vor, wie des Barden Gesamtwerk auf eindreiviertel Stunden komprimiert werden kann. Dem ohnehin schon hohen Tempo setzen die Burschen noch eins drauf, indem sie am Ende die ganze Aufführung im Zeitraffer wiederholen. Im Prinzip harmlos, aber urkomisch und perfekt für dieses Datum. Und wirklich toll, in einem kleinen, sich stetig aufheizenden Saal jungen, losgelassenen Könnern zuzuschauen. Die haben was drauf. Mir gefielen natürlich vor allem die komprimierten Sterbeszenen ("Aaargh!").
Zur ‚heiteren’ Einstimmung gab es zuvor bereits Mamma mia!, die Verfilmung des Abba-Musicals, auf DVD. Ich habe der Gemahlin vergeblich zu erklären versucht, dass Abba für Kerle meiner Generation das absolute Feindbild darstellt. Aber okay, es kann ja nicht schaden, den Aktivitäten des Feindes auf der Spur zu bleiben. Schlimmer als erwartet. Prominente Schauspieler labern dümmliches Zeug, mühselig herumgeschrieben um die ‚Inhalte’ von Abba-Songs, und singen dauernd. Schief, aber immerhin charaktervoll im Fall von Herrn Brosnan. Totales Nichts, gähnende Leere, die weltweit so viel Flocken umgesetzt hat, dass man damit den Staatshaushalt des Schauplatzes, Griechenland, auf einen Schlag sanieren könnte. Wir hatten auf der DVD die Karaoke-Funktion zugeschaltet, und zum ersten Mal wurde mir so richtig klar, wie unfassbar schlecht Abba-Texte eigentlich sind. Ich hatte mir zuvor nie wirklich Gedanken darüber gemacht, ich hasste bloß die Musik. Nun aber muss neidlos anerkannt werden, das dass Talent der Komponisten hauptsächlich darin bestand, diesen lyrischen Hirnschiss durch die Musik möglichst gut überdeckt zu haben.
Danach dann am Rheinauhafen Feuerwerk gucken. Beliebter Treffpunkt für Hunderte von Raketenzischern und Bombardenschmeißern. Am Fluss war es allerdings sehr diesig, und als all der Pulverdampf dazukam, war es ganz aus. Die Raketen sah man kaum noch detonieren, also beschränkte sich die Aufmerksamkeit auf hübsches Bodenfeuerwerk. Auf dem Rückweg fast flachgelegt: Raketen-Folienverpackung auf überfrorener Schneedecke = ernsthafte Gefahr für Leib, Leben und Steißbein.