Donnerstag, 29. September 2011

Gewalt gegen Schüler

Heute Nacht träumte mir, dass ich an die Tafel gerufen wurde, um eine besonders komplizierte und lange mathematische Gleichung niederzuschreiben. Die Tafel war eines von den mobilen Modellen auf Rollen, und man konnte sie an der horizontalen Achse umklappen. Vorderseite nach hinten, Rückseite nach vorne und so. Das Drehgelenk war jedoch ausgeleiert. Solange ich die Kreide an der Tafel hielt und schrieb, war das kein Problem. Sobald ich aber absetzte, um über den nächsten Schritt in der unglaublich komplexen Gleichung nachzudenken, klappte die Tafel um und haute mir mit Schmackes auf den Kopf. 
Vermutlich irgendwas Sexuelles.

Dienstag, 27. September 2011

Lektoratsphysik

Mal wieder ganz simpel. Das Manuskript sollte kommen am 29.9. Einiges dran zu tun, hieß es. Der eigene Abgabetermin war der 10.10. Relativ knapp, aber machbar. Das Manuskript kam de facto am 26.9., allerdings stellt sich nun heraus, dass es am 20.9. in der Herstellung sein muss. 
Was tut der erfahrene, gutausgebildete Redakteur? Er geht in den Netto, kauft sich zwei Sechser-Packungen Snickers und einen Ring Fleischwurst, verrührt das per Rührstab in einer Kanne schwarzem Kaffee, trinkt alles aus und fasst dann mit einem nichtisolierten Draht in die nächstbeste Steckdose. Die beste Zeitsprung-Methode weit und breit. Sowas lernt man in der geheimen Lektoratsgeheimausbildung auf Schloss Dosenschreck. Wenn der Zeitsprung vier statt zwei Wochen umfassen soll, muss noch eine Banane mit rein.

Sonntag, 25. September 2011

Wear your t-shirt with pride

Ich arbeite mich nach längerer Pause durch das Gesamtwerk dieser hochwertigen, um nicht zu sagen: bedeutenden, Rockband und gehe ein bisschen auf MP3-Tour. Die Band gehörte damals nicht zur ersten Welle meiner musikalischen Sozialisation. Das ist unentschuldbar. 
Es wurde auch ein altes Versäumnis nachgeholt und endlich ein T-Shirt bestellt. Die philosophische Ermahnung an eine teilnahmslose, beliebig gewordene Welt qua Schriftzug: Besinnt euch zurück, o Sünder, auf gute, einfache Geschichten, Schönheit, Transzendenz und kontrollierte Rohheit. 
Das wirklich Tolle an der Band war für mich stets die frohgemute, maskuline Randständigkeit, aus der sich eine fast überschäumende Menschlichkeit ableitet, eine lyrische Zugewandtheit und Mitgefühl. Gespeist wurde das natürlich aus Phil Lynotts Biographie und Street Credibility, und es prägte selbst die hochkommerziellen Songs. Und wie er das in mäandernde Barden-Geschichten fasste, gesanglich interpretierte und dabei in Zwiesprache mit kongenialen Gitarristen trat. Ich bin immer wieder gerührt. Danach ist man ein besserer Mensch. Phil Lynott: santo subito!

Samstag, 24. September 2011

Papst und Toast

Ich finde, so ein Samstag gewinnt enorm, wenn man zu einer Papstmesse aufwacht, die Orgel schmettert und die Erfurter „Gloriosa“, die größte freischwingende Glocke der Welt (der Welt!), die Kaffeetasse zum Vibrieren bringt und den Marmeladen-Toast zum Zittern. Große Show, aber doch tapsig genug, um nicht allzu perfektionistisch zu wirken. Wir sind doch alle nur kleine Sünder und Nerds. Der MDR hängt sich ziemlich rein in die Kamerafahrten und -flüge und ist überhaupt mächtig stolz auf sich und sein Sendegebiet. Die Bischöfe sehen heute aus wie Vanille-Eis mit Pfirsich-Einschüssen. In Berlin waren sie noch Kermit der Frosch. Der Erfurter Bischof ist viel netter als der Berliner. Das Wetter ist schön, die Leute freuen sich, und diese Domplatz-Kulisse mit den zwei Kirchen … großartig.

Donnerstag, 22. September 2011

Live dabei

Bin noch nicht genau informiert, welcher TV-Sender welche Live-Berichterstattung vom Papstbesuch bringt. Werde einfach durchzappen. Hauptsache keine kritischen Reportagen (gähn) und Gesprächsrunden (zzzz). Die kenne ich alle schon. Jetzt ist langsam mal Zeit für katholisches Show Biz, weggeworfene Krücken, ein bisschen ekstatisches Zucken und Sprechen-in-Zungen.

Dienstag, 20. September 2011

No place safe

„O'zapft is in Kölle. Bereits zum siebten Mal wird das Südstadion zur Hochburg bierseliger, bayerischer Geselligkeit. Für ausgelassene Stimmung sorgt ein musikalisches Unterhaltungsprogramm.“ 
Und wer wohnt in der Einflugschneise dieser kulturellen Verwirrung und hat Tag und Nacht das Geboller in der Bude und kölsche Trachtentrottel-Mutanten mit mitternächtlichen Jodel-Imitationsversuchen unterm Fenster? Genau.

Donnerstag, 15. September 2011

Igel, Fledermaus, Eichelhäher und Co.

Es ist wieder so weit. Vater Reitersmann weilt an der Ostsee, und Sohn Reitersmann übernimmt für einige Tage das Kommando über das herrschaftliche Anwesen, den Waldbesitz, die Obstplantagen, die Ställe und das Fernsehprogramm. 
Die Kutschfahrt verläuft über die übliche Strecke, die inzwischen fast ausschließlich aus Baustellen besteht. Ich werde mich wohl doch mal an die Nobilität wenden und eine Beschleunigung der baulichen Maßnahmen fordern müssen. Schließlich stellt unsere Familie einen der sieben Kurfürsten. Der direkte Vergleich der belebten Bonner Straße in Köln, Startpunkt der Kutschreise, mit dem letzten Stück bis zum Freisassen-Dorf bringt mich immer wieder zum Staunen über den Kontrastreichtum der Welt. Ich werde hin- und hergeworfen in meiner Kutsche, es holpert recht ordentlich. Ich werde Baumaßnahmen verlangen müssen. 
Sofort nach Ankunft in der süßen pastoralen Einsamkeit zwischen Hecken und Streuobstwiesen und gegenüber dem schier endlosen Waldhang wird der Kutscher entlassen und eilt zu Frau und Kindern. Ich schlüpfe aus den allzu städtischen Turnschuhen und in die Pantoletten, um langsam und dem Ort angemessen durch dunkle Räume und Gänge zu schlurfen. Dunkel? Ach so, ja, die Fensterläden müssen aufgeklappt werden. Das dauert etwa vier Stunden. Dann die Pflanzen gießen, Zeitungen reinholen, die Senseo-Maschine zum Funktionieren bringen, die Lage in Kühlschrank und Weinkeller vergegenwärtigen, draußen Streunerkatzen füttern. Die Schwarze maunzt schon. 
Dann ein kleiner Marsch übers Anwesen. Alles in bester Plaisir. Einmal die Birke umarmt („Hallo, Birke!“), danach kurz im Komposthaufen gewälzt, um Geruch anzunehmen. Sofort zeigt sich, dass es sich gelohnt hat, denn der Eichelhäher setzt sich spontan auf meine Schulter. Braves Tier. Vor dem Nachbarhaus, dessen Bewohnerin unlängst verstarb, wie man hört, steht verrottender Sperrmüll und liegen gärende Äpfel von den Bäumen weiter oben am Hang. Es riecht streng. Aus den Ritzen der Einfahrt sprießt das Kraut, das Dach ist völlig vermoost. Sollte mal jemand in Ordnung bringen. Ich werde eine Verordnung erlassen. 
Dann noch eine Senseo und einige Ausgaben der Lokalzeitung lesen. Dauert exakt 3,5 Sekunden. Entspricht nicht meiner Interessenlage, dieses hiesige Druckerzeugnis, aber die Untertanen müssen nun mal (in Maßen) informiert und unterhalten werden. 
Kleiner Spaziergang durch die Ortschaft, dazu von den Pantoletten wieder in die Turnschuhe wechseln. Den Gehrock gerade zupfen. Die Freisassen und Leibeigenen grüßen freundlich und bewundern den Städter angemessen. Braves Volk. Huldvolles Winken. Einige Kinder sind ganz fasziniert von meinem Gehstock und dem Messingknauf in Gestalt eines chinesischen Drachen. Auf dem Spielplatz ist allerdings schon wieder kein einziges Kind. Ich muss mal eine Verordnung erlassen, denn die Anlage hat mich eine Stange Taler gekostet. An der Kirche begegne ich dem Herrn Pastor und werde von ihm in ein Gespräch verwickelt über „Das Wort zum Sonntag“. Offenbar spricht am kommenden Wochenende unser teutscher Papst selbst im Fernsehen. Außerdem kündigt auf Plakaten der Kirchenchor fürs Wochenende ein Fest an. Überlege, ob ich sie mit einer Anwesenheit beehren soll, entscheide mich aber dagegen, weil die braven Freisassen mir bei solchen Gelegenheiten ständig einen ausgeben und ich wohl nicht unter 3,5 Promille dort wegkommen werde und zudem den Papst im Fernsehen verpassen könnte. Außerdem würde ich auf dem Heimweg vermutlich irgendwo ins Gebüsch reihern. Das geziemt sich nicht. 
Nach Einbruch der Dunkelheit und dem Entzünden der Laternen eben noch auf der Kiesauffahrt eine besinnliche türkische Zigarre im Nachtrock. Igel, Fledermaus und eine rote Katze gesellen sich hinzu. Danach im Schlafgemach noch einige edle Tropfen in Nuss und dem Knarzen der Deckenbalken lauschen, bis der Schlaf einen schließlich überkömmt.

Sonntag, 11. September 2011

The Business Trip

Damals, Herbst 1993, war ich auf der Tour, welche dieses Live-Album abbildet, und das Zwerchfell flattert immer noch manchmal, wenn es sich daran erinnert. Das kurz darauf publizierte Live-Album vernachlässigte ich allerdings immer ein wenig. Das Problem, fand ich, nahm seinen Anfang beim Studioalbum, das der Tour zugrunde lag. It’s The Business Of The Future To Be Dangerous war so technobasiert, dass es keine nennenswerten Songs und dementsprechende klassische Strukturen enthielt. Ob experimentelle oder kommerzielle Absichten dahintersteckten oder einfach nur kreative Verlegenheit, blieb unklar. Die Platte geriet jedenfalls reichlich amorph. Viele Fans mochten sie nicht, und um die Stammhörer auf der Tournee trotzdem bedienen zu können, musste sozusagen um das Album drumherum gespielt werden, ohne neues Songmaterial zum Promoten zu haben. Außerdem operierte die Band damals als Trio, das sehr viel Sound zu produzieren hatte und deswegen auf der Bühne kaum präsent wirkte. Ein bisschen wie eine Mixtur aus späten Pink Floyd und den zeitgenössischen Techno-DJs, die sich hinter ihren Aufbauten und Maschinen verbargen. Das Bearbeiten der Instrumente und das Abrufen zahlloser Samples forderte die ganze Aufmerksamkeit der drei schwer ackernden Bühnenaktivisten. Muss eine ziemliche Tüftelei gewesen sein, bis dieses Programm stand. 
The Business Trip kam mir immer etwas zahm vor, im Gegensatz zum Konzert damals. Die Platte funktioniert in einer Art Modul-Bauweise, bei der um einige zentrale ältere Songs herum Strukturen und Fragmente sowohl des neuen Studioalbums wie auch Aktualisierungen betagterer Passagen gestellt werden. Selten sind die Übergänge zwischen den Modulen scharf, alles fließt episch ineinander und beharkt einen förmlich mit Dynamikschwankungen und -brüchen, abrupten Wechseln zwischen meditativ-halluzinogem Geschwebe und bretthartem Rock. Tatsächlich hat man mit dem Kauf dieser CD einen Trip gebucht, einen Flug durch eine imaginäre, oft surreale Galaxie, in der es immer was zu gucken gibt. Besichtigung eines postsozialistischen Abbruchviertels auf einem Planeten mit violetter Oberfläche, danach mit Lichtgeschwindigkeit links am Altair vorbei zur Welt Elysium, rüber zur submarinen Zivilisation des Grünflossigen Dämons, danach einen Abstecher zur Goldenen Leere, um kurz darauf in eine wilde Raumschlacht verwickelt zu werden, in der die Laserkanonen mächtig grollen. 
Beim jüngsten Trip durch dieses Terrain habe ich diese Inszenierung sehr genossen. Mit dem exzellenten Sound und der erzählerischen Wucht ist es womöglich eines der besten Live-Alben der Band – sofern man Live-Alben nicht auffasst als möglichst perfektes Rekonstruieren von Studiosongs. Und es ist mir angesichts mancher explosiven Ausbrüche ein völliges Rätsel, wie ich The Business Trip jemals für „zahm“ halten konnte.

Samstag, 10. September 2011

Aufräumen II

Das Billy wurde schneller aufgebaut, als das menschliche Auge folgen kann. Die Gattin meint, es seien nur seltsame Lichteffekte, optische Schlieren und Nachbilder zu sehen gewesen. Selbst das Festnageln der Rückwand ging so rasant, dass das Hämmern sich offenbar anhörte wie ein schnelles, hochfrequentes Quietschen oder Zirpen. Ich kann mich an nichts erinnern und war danach nicht mal erschöpft. „Mein starker Held“, sagte die Gattin. „Kraul mir die Locken“, sagte ich. 
Der „Arbeitsplatz“ ähnelt nun einer weiten mesopotamischen Landschaft kurz nach dem Schöpfungsakt und vor der Ankunft des Menschen. Muss mir nur noch einen Platz überlegen für Lumpi, das vollkommen zerknuddelte Stofftier (Bär? Hund?), das mir Großtante Änni, selig, zum Geburtstag (= Tag der Geburt) schenkte und das mich seit fast 45 Jahren begleitet. Zuletzt lag es etwas vernachlässigt unter irgendwelchen Papierstapeln am Schreibtischrand und muss jetzt dringend mal aufgewertet werden.

Freitag, 9. September 2011

Aufräumen

Man wird nicht jünger. Ich habe das Gefühl, dieses verpackte Ikea-Billy durch die halbe Stadt geschleppt zu haben, dabei war es nur vom Anwohnerparken vorm Haus bis hier herein ins Hochparterre. Kaum auszudenken, wie der Mann sich erst fühlt, wenn er das Ding morgen aufgebaut hat. 
Das Billy ist gedacht für eine ziemlich unaufgeräumte Ecke der Wohnung, die man krass beschönigend als „Arbeitsplatz“ bezeichnen könnte, und dient hauptsächlich dazu, des Zweimeterfünfzig-Stapels an Gutachten-Material Herr zu werden. Der Stapel wird nicht kleiner, da ich die Tätigkeit für diesen Anbieter auf Eis gelegt und den Empfang weiterer Texte abgelehnt habe, solange andere Verlage so nett sind, deutlich lukrativere Aufträge zu vergeben – und das in hoher Frequenz. So etwas nennt man Marktwirtschaft. Da keiner vom Gutachten-Verlag mault, bleibt der Stapel also erstmal hier, wird aufs neue Billy verteilt und dient als Notgroschen für magere Zeiten. Auch wenn Gutachten dann eventuell mit zehnjähriger Verspätung bei denen eingehen und bis dahin der deutsche Markt austrocknet. 
Der Höhepunkt der Aufräumaktion in dieser Ecke wird jedoch das Ersetzen des alten Event Horizon-Posters durch das neue Totoro-Poster. 
Es wurden weiterhin zwei zusätzliche Regalböden für das Ivar-System erstanden, denn aus einem der Ivars wurden die meisten Bücher weggeräumt, dann wurden mittels der beiden neuen Böden die Höhen der einzelnen Fächer reduziert, schön gleichmäßig, um darin haufenweise Kampfjets in 1:48 oder 1:72 unterzubringen. Das Killermaschinen-Tableau wirkt in dieser Massierung reichlich manisch, aber das muss so.

Donnerstag, 1. September 2011

Grundnahrungsmittel

Gerade stand ich mal wieder vor dem unübersichtlichen Knabbereien-Regal der spätkapitalistischen, globalisierten, saturierten Gesellschaft und versuchte mich zu orientieren. Dabei durchwehte mich ein sentimentales Gefühl des Bedauerns. Im Grunde bin ich markentreu bis zur Selbstverleugnung, außer man provoziert mich grundlos.
Ich weiß nicht mehr genau, wann Chio Chips die Rezeptur verändert hat. Muss schon Jahre her sein. Aber seitdem scheidet die Marke aus, obwohl sie in der Jugend das Grundnahrungsmittel Nummer eins darstellte. Der Konzern lebte mehrere Jahre lang allein von mir. Ich bezahlte deren Gehälter. Das wird sicherlich daran gelegen haben, dass der frühkapitalistische, unglobalisierte Tante-Emma-Laden im Dorf (selig) nur diese eine Marke führte und der Griff zur roten Tüte obligatorisch war. Besonders beliebt waren Chio Chips übrigens nach einem Besuch im Schwimmbad. Das gechlorte Wasser hat irgendwas mit den Geschmacksnerven angestellt, und die direkt darauffolgende Verabreichung von Chio Chips führte zu einer ungeheuren Geschmacksexplosion, nach der einem ganz entzückend die Birne brannte.
Seit geraumer Zeit haben die gewöhnlichen Chio Chips einen neuen Geschmack, „Red Paprika“ oder so was, der mit dem der Jugend definitiv nicht mehr konform geht. Irgendwas ist da anders, irgendein Mad Scientist hat drauflos gemixt, vermutlich mit dem Auftrag, es „jugendlicher“ zu machen.
Habe schon seit langem umgestellt auf die normalen Geschmackstypen von „funny-frisch“, nachdem allerdings auch hier einige Sorten (afrikanisch, asiatisch) verworfen wurden als pseudo-exotischer, spätkapitalistischer Globalisierungs-Mumpitz.