Freitag, 30. Januar 2009

Das Alter

Puha, das letzte Supereildings war so derart anstrengend, dass ich zwei volle Tage benötigte, um mich wieder halbwegs bewegen und Dinge fixieren zu können, die mehr als dreißig Zentimeter entfernt sind. Früher, ja früher, war das anders. Da hüpfte man(n) nackt und elegant mit Manuskriptstapeln auf Händen, Kopf, Schultern und Fußrücken und einem Liedlein auf den Lippen durch die Bude wie ein junges Böckchen, Efeu im blondgelockten Haupthaar, überbrückte mit einem Hüpfer fünf Meter Parkettboden und las den ganzen Krempel während des Herumhüpfens mal eben so weg. Danach klopfte man mit Leidenschaft und Verve gockelige, frohgemute Texte herunter, die sich regelmäßig zu idealistischen Essays ausweiteten, die niemand je bestellt hatte.
Heutzutage liegt man müffelnd, mit schmerzendem Nacken und grummelndem Bauch auf der Couch, klagt unterhalb der Artikulationsebene wie ein Gekreuzigter nach fünf Tagen Martyrium und zittert ein missmutiges, mageres Textchen in die Tasten, das lediglich belegen kann, dass noch ein einzelnes kleines Restmolekül Leben in diesem starren Gutachterkadaver steckt.
Das Supereildings ist übrigens der neue Roman dieser Dame hier und reichlich seltsam.

Sonntag, 25. Januar 2009

Desiree, nicht in die Berge fahren!

O weh, gestern war ein TV-Trailer zu sehen, laut dem Desiree Nosbusch am 8. Februar von einer Lawine verschüttet wird.
Lawine! Desiree! Fahr da bloß nicht hin, in die Berge! Mach das nicht!
Ich bin entsetzt, denn Desiree war meine erste mediale Liebelei. Eine mehrsprachige Luxemburgerin etwa in meinem Alter und ohne silbernen Löffel im Mund geboren, aber doch schon so viel weiter in ihrem Wunderkind-Appeal. Zuerst, Ende der 70er, kannte man sie nur aus dem Radio, RTL selbstverständlich, und womöglich von Fotos und himmelte sie an, dann ging sie leibhaftig zum ZDF und zeigte sich der Welt als Jungmädchen-Attraktion: Hits von der Schulbank, nachmittägliches Ferienprogramm oder Kindersendungen von der Funkausstellung, die sie allesamt souverän meisterte. In Anke erwuchs ihr bald Konkurrenz, aber Anke interessierte mich nie. Sie war für mich ein Neutrum. (Ist sie eigentlich heute noch.) Desiree hingegen hatte diesen multinationalen Charme, der aber irgendwie zugleich aus der direkten grenzüberschreitenden Nachbarschaft stammte. Wir waren ja selbst halbe Luxemburger. Man fühlte sich ihr seltsam nahe und nannte sie als langjähriger RTL-Hörer und Leser des Clubjournals gerne „uns Desiree“.
Bild beginnt ein Interview von 2008 mit den Worten: „Mal ehrlich: Fast jeder Mann war doch schon mal in Desiree Nosbusch verliebt“. Scheiße, echt? Da gab es noch mehr Kerle, die auf sie abfuhren? Okay, lag ich also seinerzeit nicht ganz falsch …
Na ja, irgendwann wurde es dann seltsam. Mit 14 oder 15, also in einem prekären Alter, erfuhr ich, dass Desiree mit ihrem 26 Jahre älteren Manager, auch ein RTL-Moderator und Leiter der Abteilung Kinderfunk, zusammenlebte. Häh? War sowas überhaupt erlaubt? Bossert, so der Name des Mannes, wurde nach dieser Bekanntgabe von RTL jedenfalls umgehend entlassen. Kurz darauf wurde man in der Bravo und der Cinema gewahr, dass Desiree, offenbar unter Bosserts Fuchtel, einen Imagewechsel anstrebte, der ziemlich nach hinten losging: Sie spielte als junges Ding splitterfasernackisch in diesem Film, in dem sie diesen Kerl mit einem elektrischen Messer zerteilte und aufaß. Eben noch Hits von der Schulbank im hippen 80er-Overall moderiert, dann ein Kannibalenkunstfilm? Schockschwerenot, was redete ihr ihr Manager und Lebensgefährte da bloß ein? Das Schlimmste an der Sache aber war, dass wir den Film nicht sehen konnten, denn er war erst ab 18.
Zwischenzeitlich wurde sie zum europäischen Aushängeschild, als sie Veranstaltungen wie den Eurovision Songcontest mehrsprachig moderierte, damals als der Ostblock noch Ostblock war und Europa Europa. Kurz darauf drohte sie allerdings in der wie wild rotierenden italienischen Frühachtziger-Filmindustrie zu versacken, als sie neben Adriano Celentano auftauchte, immerhin unter der Regie von Sergio Corbucci, aber mit dem war damals auch schon nicht mehr viel los. Nein, diese Filme wollten wir gar nicht sehen. Einige Zeit später erhob sie sich mit Good Morning Babylon und vor allem mit der kleinen luxemburgischen Produktion A Wopbobaloobop a Lopbamboom über das Profane, um sich dann nach Los Angeles zu verflüchtigen, aber da, Ende der 80er, hatte ich längst das Interesse verloren.
Brisante Details nachgeliefert: Desiree trennte sich 1990 endgültig von Bossert und beendete eine "unglückliche Zeit", wie sie in einem Interview bekundete. Geliebt habe sie ihn auch nie. Bossert wurde 1995 bei einem Familienstreit von seinem offenbar geistig verwirrten Sohn erstochen, und der Boulevard munkelte, das habe etwas mit Bosserts manischer Vernarrtheit in seine schutzbefohlene Desiree zu tun gehabt, die stets vor dem eigenen Sohn rangierte. Eine bürgerliche Tragödie, die Ausgangsstoff für einen Roman sein könnte, aber bitte einen guten, der alle Ambivalenzen wahrnimmt und einbezieht.
Desiree spielte seitdem außerhalb meiner Wahrnehmung in einigen internationalen TV-Produktionen und hat sich gut gehalten seit damals. Attraktive, seriöse Frau, muss man schon sagen.
Und jetzt soll sie von dieser blöden Lawine verschüttet werden. Gerade jetzt, wo sie mir wieder auffiel? Dieser Trailer war ein Schock, ich weiß gar nicht, ob ich emotional in der Lage bin, mir diesen Film anzuschauen.

Donnerstag, 22. Januar 2009

Einkauf zu zweit

Ich bin im Saturn, DVD-Abteilung, und lasse den Blick über die Auslagen schweifen. Stehe vor einem mehr als mannshohen Präsentationsregal, dessen Vorder- und Hinterseite mit Ware bestückt ist. Zwischen der obersten Ebene und der darunter befindet sich ein Schlitz genau auf Augenhöhe, und da sehe ich auf der anderen Seite vage diese junge Frau stehen und dasselbe tun wie ich: DVDs studieren. Eine sehr große Dunkelhaarige, ein bisschen grob gebaut, zu tantige, brave Frisur für ihr Alter und mit einem auffälligen Schmollmund. Versicherungsfachangestellte, denke ich spontan. Was man eben so auf die Schnelle registriert oder denkt. Ich will mich wieder den DVDs zuwenden, als sie durch den Schlitz hindurch Blickkontakt aufnimmt, aber schnell wieder wegschaut.
Ich greife mir Die Bartholomäusnacht und gehe langsam weiter zu dem langen Warentisch mit den, wie ich glaube, Angeboten. Die junge Frau ist ebenfalls zu dem Tisch gegangen, steht am anderen Ende und betrachtet die Filme darauf. Es sind aber keine Angebote, sondern der Sondertisch mit BluRays. Ich besitze keinen BluRay-Player, also drehe ich mich desinteressiert um und marschiere ein Dutzend Meter weiter bis zu den niedrigen Regalen mit „Filme A-Z“. Bei den Filmen mit „I“ sehe ich aus dem Augenwinkel auf der gegenüberliegenden Seite, leicht versetzt, die junge Frau bei „M“ stehen und das Cover von The Mongol studieren. Ich greife mir The Illusionist und schreite zur Kasse.
Ich schlendere das Stück durch die Hohe Straße zum Media-Markt und dort ins Untergeschoss zu den DVDs. Ich platziere mich vor dem FSK18-Regal und widme mich den Neuerscheinungen. Drei Meter neben mir steht die junge Frau aus dem Saturn und betrachtet japanische Animes. Ich entdecke nichts von Interesse, wende mich dem A-Z-Angebot an der langen Wand zu und finde, dass die hier alle teurer sind als anderswo. Ich gehe wieder. Am Fuß der Rolltreppe beugt sich die junge Frau gerade über eine Kartonschütte mit Billigsachen. Als ich mich an der Kassenschlange von Kasse 6 vorbeizwänge, ist die junge Frau fünf Schritte hinter mir und rennt fast in mich hinein, als ich abrupt stoppen muss, weil jemand den Weg versperrt.
Ich wandere die Hohe Straße hinauf und durch die belebte Schildergasse zum WOM im Karstadt. An den Regalen mit „Aus unserem Katalog“ steht die junge Frau und interessiert sich gerade für Flyboys. Bei den Western weiter hinten steht sie wieder drei Meter neben mir, vor den Weltkriegs-Dokus. Ich greife mir Keoma – Melodie des Sterbens, werfe einen hoffentlich desinteressiert wirkenden Blick zur Seite, erhalte aber keine Reaktion. Einen Gang weiter, bei A-Z, forsche ich nach Der Smaragdwald, die junge Frau steht versetzt zu mir und betrachtet im FSK-18-Bereich leidenschaftlos das Cover von Des Kurpfuschers fixe Töchter.
Ich bezahle und gehe auf dem Heimweg nochmal im Saturn vorbei, um dort nach Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada zu schauen. An der Kasse steht die junge Frau hinter mir und bezahlt für Der unglaubliche Hulk.
Ich gehe gemächlich auf der üblichen Route nach Hause, knappe halbe Stunde, Hohe Pforte, Waidmarkt, Severinstraße, Jakobstraße abbiegen, Stückchen Kartäusergasse, Stückchen Ulrichgasse, Ulrepforte. Als ich an der Ampel die Straßenseite wechseln muss, springt die Fußgängerampel punktgenau auf Grün. Bevor ich losgehe, vergewissere ich mich, dass das erste herankommende Auto auch anhält, und sehe in dem neuen weißen Fiat 500 die junge Frau sitzen und - während ich die Straße kreuze - ihre Fingerknöchel auf dem Lenkrad betrachten. Die blaue Saturn-Tüte mit dem unglaublichen Hulk liegt auf dem Beifahrersitz. Auf der anderen Straßenseite bleibe ich noch einen Moment stehen, halb hinter einem Baum, und warte, bis die Ampel umspringt und die Autos losfahren. Ich schaue dem weißen Fiat hinterher, nur um sicher zu gehen, dass die junge Frau nicht dort unten, hundert Meter weiter, anhält, aussteigt und bei uns klingelt, um unseren DVD-Player zu benutzen.

Montag, 19. Januar 2009

Thing

Gestern Abend lief es nicht optimal. Ich wollte wie üblich gepflegt wegnicken bei den Wahlsendungen, indem ich den meditativ-einschläfernden Effekt der Laufschriften am unteren Bildrand nutzte. Es klappte auch grundsätzlich, allerdings hatte ich das ZDF eingeschaltet, und dort verkündete alle paar Minuten eine Dame namens Bettina die neuen Hochrechnungen, unternahm Analysen und erzählte sonstwas vom Pferd, und Bettina hat eine unangenehm laute Stimme, so, als würde sie nicht in Mikrofone zu den Menschen an den Empfängern sprechen, sondern als müsste sie die Ergebnisse über die Blasmusik hinweg durch ein Bierzelt verkünden. Oder auf einem Thing die Wahl von Häuptling Roland Feuchtlippe bekanntgeben, während die in Fell gekleidete, metsaufende Wahlgesellschaft schon mit Keulen und Bronzeschwertern wild aufeinander eindrischt. Und ich fand im Halbschlaf die Fernbedienung nicht. Ab 19.30 Uhr wurde es besser, als Bettina verstummte und die Berliner Runde begann, die lediglich aus beruhigendem Gemurmel bestand. Ich träumte dann vage davon, wie Dirk Niebel im Bärenfell und Hubertus Heil in primitiver Plattenrüstung ein Duell um Bettinas priesterliche Jungfräulichkeit ausfochten, sich dabei gegenseitig umbrachten, so dass schließlich ein grinsender Ronald Pofalla ihr den Leinenfetzen vom Leib riss und sie nackt durch den hessischen Wald jagte.

Freitag, 16. Januar 2009

Random Hold

Ich stelle fest, dass ich diese Band nach wie vor mag. Liegt daran, dass ich damals, erste Hälfte 80er, vom Progressive Rock her kam und im Rahmen meiner Peter-Hammill-Begeisterung auf Gerüchte stieß, Hammill hätte diese Band produziert. Als Produzent hatte Hammill sich sehr, sehr rar gemacht, also besorgte ich mir etwas von dieser mysteriösen Combo.
Später stießen übrigens zahlreiche Hörer aus dem Peter-Gabriel-Lager auf die Band. David Rhodes, Gabriels langjähriger Gitarrist, war vordem einer der Random Hold-Köpfe.
Obwohl die Band keinen nennenswerten Erfolg hatte und Bassist Bill MacCormick meint, sie hätten so gut wie überhaupt keine Platten verkauft und die Tantiemen seien dementsprechend lächerlich ausgefallen, findet man doch eine Menge Hintergrund-Material im Internet.
Die kurze Biographie von Random Hold und die multiperspektivische Sicht darauf ist ein schönes Schaustück, das sich um das Prinzip „Scheitern an sich selbst“ rankt. Hochtalentierte, gebildete Musiker und Intellektuelle mit künstlerischen Konzepten im Hinterkopf, in deren Zusammenwirken die Plattenfirmen einen kommenden Mega-Act vom Format von Ultravox, den Stranglers oder Roxy Music erkannten und sich gegenseitig überboten. Der stolze Sieger, Polydor, machte schließlich 80.000 Pfund für die Produktion des ersten Albums locker. Kurz darauf feuerte die Band ihren zweiten Gitarristen und Frontmann, weil er den Ambitionierteren unter ihnen zu unkonzentriert und zu poppig war. (Er war gerade verliebt.) Dieser Rausschmiss gefiel der Plattenfirma gar nicht, hatte sie doch in ihm das Zugpferd der Pop-Band Random Hold gesehen. Die Befürchtungen gingen dahin, die neu an Land gezogenen Helden würden nun doch zu arg "künstlerisch". Gleichzeitig ersetzten die Bandköpfe den Drummer, weil der sich eine Gelenkerkrankung zuzog, was wiederum einige als musikalisch wie moralisch fragwürdigen Akt einstuften. Zudem gab es offenbar politische Differenzen zwischen zwei Mitgliedern, längere Abwesenheiten von Gitarrist Rhodes zugunsten von Sessionarbeiten für Peter Gabriel, Unstimmigkeiten, was die beste Produktion des Demo-Materials betraf, und die unmittelbar aufeinanderfolgende Mitwirkung Peter Gabriels und Peter Hammills, was innerhalb der Band zu einer Lagerbildung führte. Bassist MacCormick gab dem "diktatorischen" Hammill die Mitschuld an einer zu dünnen Produktion. (Dabei spielte gerade MacCormacks Bass eine herausragende Rolle im Mix.) Tourneen als Vorgruppe von Peter Gabriel schienen von Erfolg zu künden, aber die Plattenfirma verlor nach unspektakulären ersten Verkäufen schlagartig das Interesse und kündigte den Vertrag. Zwischen den Mitgliedern kam es in der angespannten Lage zu Streit, McCormick wurde gefeuert. Er verlangte daraufhin das Geld, das er aus seinem eigenen Beutel in die Band investiert hatte, zurück und ruinierte Random Hold. Ausgerechnet Rhodes, die treibende Kraft beim Umbau der Band und der kreative Kopf, machte sich dann, als seine Vorstellungen alle umgesetzt schienen und eine neue Plattenfirma gefunden war, vom Acker, um neben hochpreisigen Sessionmusikern in der Begleitband Peter Gabriels zu spielen. Die beiden Übriggebliebenen, Drummer Phipps und Keyboarder Ferguson, machten mit neuen Musikern weiter, aber es blieb halbgar, weil die enormen Talente von Rhodes und MacCormick fehlten. Der Sound wurde auf „Burn the Buildings“ keyboardiger und verschwurbelter und geschmäcklerischer, hatte nicht mehr den knochentrockenen Anschlag der früheren Besetzung.
Schade drum, aber einige eindrucksvolle Relikte sind immerhin geblieben.
Nachtrag 04/2010: David Ferguson starb im Juli 2009 56jährig an Krebs.

Weltherrschaft

Wenn die Katze morgen die Weltherrschaft übernähme …
... würde sie die globale Ökonomie allein auf die Fertigung von Gummibällchen, Bio-Katzenstreu, Roasted-Turkey-Aufschnitt, Cord-Sofas, Laptop-Taschen und Bücherregale umstellen.
... würde sie aus dem verarmten Mittelstand dreihunderttausend Sklaven rekrutieren, die Tag und Nacht mit Katzenminze getränkte Wattestäbchen durch den Thronsaal werfen.

Dienstag, 13. Januar 2009

Civil War

Ich komme nun doch langsam mal dazu, mein Weihnachtsgeschenk aufzugucken. Ken Burns’ neunteilige Doku (1990) über den amerikanischen Bürgerkrieg. Die einzelnen Folgen haben unterschiedliche Länge und laufen teils mehr als 100 Minuten. Viel Zeug also, das in den Neunzigern schon mal in einigen dritten Programmen lief.
Es gibt dabei nicht eine einzige Spielszene wie im Guido-Knopp-TV, in dem Laiendarsteller mit angeklebten Bärten irgendwas nachspielen und dabei meistens nur den Eindruck von Banalisierung der Historie hinterlassen. Phantasieloses Re-Enactment für die komplett Phantasielosen.
Ken Burns montiert stattdessen eine Unzahl historischer Fotografien, vergrößert dabei immer wieder Teilausschnitte, um das Detail herauszustellen, ebenso wie er die Kamera über zeitgenössische Gemälde fahren lässt, die Schauplätze des Krieges in ruhigen, melancholischen Landschaftseinstellungen mit viel Nebel und Natur abfilmt oder detaillierte Karten einzelner Kampagnen vorstellt. Aus dem Off informieren Sprecher in verteilten „Rollen“ über den Fortgang der Ereignisse, lesen aus Briefen, Zeitungsartikeln und Proklamationen, während sich ab und an Experten mittels Interview-Passagen einschalten und Statements abgeben. Vor allem der 2005 verstorbene Schriftsteller Shelby Foote, ein Spezialist in Sachen Sezessionskrieg, trägt in seiner ruhigen Art viel dazu bei, wichtige atmosphärische Anekdoten zu vermitteln und auch etwas Humor in die Tragödie einzuschleusen. Bildfolgen werden von zeitgenössischer Musik untermalt oder von Schlachtgeräuschen. Von fachkundigen Rezensenten kritisiert wurde eine gewisse Unionslastigkeit, Unvollständigkeit in Teilaspekten und die Tatsache, dass nicht alles Bildmaterial immer den im Text gerade vermittelten Ereignissen zugeordnet werden kann. Dennoch ermöglicht diese Form ein hochdynamisches Eintauchen in die Epoche, intensiver und eindringlicher, als jedes Dokutainment mit seiner Oberflächlichkeit und seinem Häppchenverabreichen es könnte. Man wird ausgestattet mit der Distanz, die das alles als Vergangenheit markiert, aber schon nach kurzer Zeit wird es lebendig, beginnt zu sprechen und wird im besten Sinne sentimental und pathetisch, hauptsächlich ein Verdienst des O-Tons und der beinahe magisch wirkenden Fotografien mit ihrer unheimlichen Schärfe, ihren langen Belichtungszeiten und Schliereneffekten.
Burns’ Werk berücksichtigt alles und ist bei weitem nicht bloß eine Military-Doku für Hobby-Strategen. Sie klappert nicht nur die Kriegsschauplätze ab, sondern kümmert sich intensiv und tiefgreifend um die Stimmung im zerrissenen Land, um Politik, Ökonomie, Gesellschaft, Presse – und natürlich um die zahllosen Schlachten. Ein beeindruckendes Kaleidoskop, mehr als nur Fleißarbeit, sondern ein Doku-Monument, das dem Zuschauer Konzentration abverlangt.
Die Fotografie erlebte damals ihre Blüte und bildete alles schonungslos ab, die freie Presse berichtete umfassend, nichts blieb verborgen. Die Elite des Landes diskutierte aufgeregt, kämpfte und starb, ebenso wie der kleine Mann, der Farmer, Schullehrer, Schuster und Drechsler. Die Jahre dieses Krieges sind eine Polyphonie der Meinungen und Statements, geprägt von einem demokratischen Geist, der nie zuvor so abgebildet werden konnte.
Der Krieg wurde maßlos, fanatisch und geriet völlig aus dem Ruder. Manchmal bewahrt der Humor den Zuschauer vor einem großen schwarzen Loch: Formulierungen wie „General XY lief nach der verlorenen Schlacht orientierungslos herum wie eine Ente, der man auf den Kopf geschlagen hat“ oder die Anekdote von der Himmelsfahrt des stramm religiösen Generals Stonewall Jackson, dessen Seele die Englein holen wollten, aber nirgendwo fanden. Als sie zurück am Himmelstor waren, stellten sie fest, dass Jackson den Himmel bereits „mit einem genialen Flankenmanöver“ erobert hatte.
Die garstige Epoche einer sich selbst zerfleischenden Demokratie. Tiefer hineinsinken in diese Zeit kann man nicht als in dieser polyphonischen Doku.

Sonntag, 11. Januar 2009

Beutetier

Ich fürchte, die Katze wird eines Tages herausfinden, dass die alte schwarze Kordel, die sich stets so aufreizend langsam zwischen den Falten des zusammengelegten Bettzeugs hindurchschlängelt, verschwindet und wieder auftaucht, den knotigen Kopf hervorstreckt und wieder einzieht, gar kein vorwitziges Beutetier ist, dem man sich mit voller Katzensprungkraft nachzukatapultieren hat, sondern dass bloß ein großer, grinsender Zweibeiner dahintersteckt, der am anderen Ende zieht. Das wird dann der Tag sein, an dem das Weltbild der Katze zusammenbricht und sie in Depression verfällt: Herrje, ich wurde die ganzen Jahre über verarscht!

Montag, 5. Januar 2009

Weißer Tag

Liegt doch schon eine Zeit zurück, dass in der kölschen Wärmebucht so hoch und dauerhaft Schnee lag wie heute. Im Volksgarten übersteigt die Zahl der beeindruckenden Schneemänner die Dreißiger-Marke, sofern man den kleinen, fünfzehn Zentimeter hohen mitzählt, den ein Scherzkeks am Wegesrand gebaut hat. Einer der großen hat Brüste mit Titten aus Aststücken, eine durch ein Zweiggeflecht dargestellte Scham, und er salutiert. Sexuelle Phantasien gleich am Parkeingang.
Die Zahl der Hunde reicht ebenfalls an die Dreißiger-Marke heran. Manche sind eingemummt in Hundemäntelchen, niedriger als die Schneedecke und fräsen Tunnels ins Weiß. Die Anzahl der Kinder übersteigt die Hunderter-Marke. Das Mädchen, das von seiner Mutter mit dem elaborierten Namen „Soleil“ gerufen wurde, baute keinen Schneemann und rodelte auch nicht, sondern verfütterte Frühstücksreste an die Enten auf dem zugefrorenen Teich. Ich weiß auch nicht recht, ob man es mit dem Namen in die Nähe anderer Kinder lassen sollte. Kinder können bekanntlich grausam sein. Ich vermute, Soleils Nachname lautet zum Ausgleich Brunzmüller, Schnackenmeier oder Brockhuisen.
Wir ließen es uns nicht nehmen, händchenhaltend über einen kurzen Pfad zu gehen, über den seit heute Nacht noch niemand sonst gegangen war, und den Schnee seiner Jungfräulichkeit zu berauben. Wir schauten am Ende des Wegs zurück und sahen die flüchtigen Spuren unserer Existenz an diesem weißen Tag.

Donnerstag, 1. Januar 2009

Glückwunsch

RTL wird morgen 25 Jahre alt. Es hieß damals noch RTL-plus und wurde terrestrisch aus Luxemburg gesendet. Wir waren nicht ganz von Anfang an dabei, bekamen aber doch recht zügig die Zusatzantenne aufs Dach, mit der man sich im Grenzland diese Schöne Neue Welt ins Wohnzimmer holen konnte.
Es gab damals eine Bindung an den Radiosender, und nun konnte man all die Typen, die man seit einer Ewigkeit aus der Dudelkiste kannte, als TV-Moderatoren bewundern. In einer behaglichen Wohnzimmer-Kulisse laberten lebende Legenden wie Rainer Holbe, Camillo Felgen, Axel Fitzke oder Jochen Pützenbacher (wir nannten ihn „Pfützenkacker“) bis zur Besinnungslosigkeit Blech, quizzten ein scheintotes Publikum um den letzten Lebensfunken und bezeichneten das Versenden schimmeliger Videocassetten aus den untersten Fächern insolventer Provinz-Videotheken kackfrech als „cineastische Leckerbissen“. Im Grunde wurde nur die Zeit zwischen den Werbeblöcken überbrückt, und diese Dreistigkeit war damals tatsächlich neu. Die Werbung stammte oft genug aus der Region und war ein Knüller. „Möbel Flasche“ war über Jahre hinweg mein Favorit. Die Spots hatte der Junior-Chef noch selbst konzipiert, und er trat auch selbst vor die Kamera. Sehr abschreckend.
Und ja, Camillo Felgen sang auch ab und zu mal live ein Liedchen. Meistens das mit den „schneeweißen Haaren“. Mit so was machte man damals die Omas scharf. Ich hingegen war eine Zeitlang verknallt in Biggi Lechtermann und Isolde Tarrach. Beide trugen coole Stirnbänder, bizarre 80er-Mode, die an Overalls erinnerte, und waren blond.
Irgendwann realisierte die alte Radio-Garde ihr Scheitern oder verzweifelte an ihrer Bedeutungslosigkeit, und es glitschten sich immer mehr schleimige Reptilien in die neuen, schickeren Studios, ehe die Yuppies sich den Sender gänzlich unter den Nagel rissen.
Glückwunsch zum 25. Wiegenfest. Die frühesten Jahre waren echt erheiternd, danach ... na ja ... reden wir nicht drüber.

1.1.

Neues Jahr. Es sieht hier alles noch so aus wie im alten. Hätte mich auch beunruhigt, wenn es sich anders verhalten würde.
Wir waren am neuen Hafen, gleich bei den Kranhäusern. Auf dem Hinweg steckten wir in einer Masse von Studenten fest, und ein ausgesprochen nüchterner Jungspund hielt seiner Kommilitonin ein ausgesprochen nüchternes Referat darüber, warum Silvester allgemein überschätzt wird, man als junger Mensch das Fest aber noch begeht, während seine Bedeutung im Alter verblasst. Er wollte sie wohl mit seiner Eloquenz beeindrucken und den Sermon im Januar zusätzlich als Seminararbeit einreichen. Wir alten Menschen schauten uns nur schweigend an, lächelten und waren froh, dass wir solches Gespreize nicht mehr nötig haben.
Der neue Hafen ist offenbar ein beliebter Ort für Schaulustige und Raketenanzünder. Manche der Raketen knallen den reichen Leuten, die sich die Quadratmeterpreise dieses Areals leisten können, direkt auf die Balkons. Aber reiche Leute haben keinen Müll auf den Balkons stehen, der sich entzünden könnte. Diese beschaulichen asiatischen Schwebelampions sind mir früher in dieser Fülle nie aufgefallen. Sie sind wohl erst seit ein paar Jahren dabei. Manche Raketenanzünder machten sich einen Spaß daraus, die majestätisch schwebenden Gebilde abzuschießen, trafen aber nie. Nicht mal, wenn sie Raketen aus der Hand abschossen und direkt auf die Dinger zielten.
War fast nur Jungvolk anwesend, das danach in den Kneipen abtauchte. Der Typ vom Hinweg quatscht wahrscheinlich jetzt noch seine Kommilitonin zu, über Jugend und Alter und die Soziologie von Silvester. Wir alten Menschen hingegen stiefelten nach Hause, tranken gesittet einen Sekt und schauten im ZDF ein bisschen Michael Holm, The Sweet oder Ilja Richter, und ich erklärte der Lebensgefährtin, dass dieser lustige Winselgrieche Demis Roussos früher zusammen mit Vangelis in der griechischen Progressive-Rock-Band Aphrodite’s Child spielte, bevor wir uns zur neujährlichen Ruhe betteten.
Und heute Morgen sind wir immer noch da, nur etwas älter.