Montag, 21. Januar 2008

Oberstleutnant Sanftleben

Die Privatsender sind laut Rundfunkstaatsvertrag zur Ausstrahlung eines gewissen Kontingents an „Kultur“ verpflichtet. Von dieser Regelung profitiert seit einer Ewigkeit das von den Sendern ungeliebte Stiefkind Alexander Kluge mit Sendungen wieNews & Stories, in denen er einen Zeitgenossen zu einem – meist bizarren – Randthema interviewt. Man zappt ab und an mal am späteren Abend in diese Sendungen rein und bleibt – zumindest geht es mir so – oft genug hängen, einfach weil sie so diskurslastig, schmucklos und bizarr sind.
Gestern Abend interviewte Kluge den Verbindungsoffizier Oberstleutnant Sanftleben zu Gegenwart und Zukunft der Bundeswehr und der Kriegführung allgemein. Oberstleutnant Sanftleben ist eine Kunstfigur des Kabarettisten Georg Schramm (Neues aus der Anstalt), den die Feuilletons zum härtesten Kabarettisten Deutschlands erklärt haben. Hier sprach also ein (fingierter) Offizier so, wie er es wollte, aber in der Öffentlichkeit nur selten kann. Kein Blatt vorm Mund, politische Korrektheit ad acta gelegt und zugleich herrlich angestachelt von einem aufgedrehten Interviewer. Natürlich handelte es sich um Kabarett, aber es war doch mehr. Schramms Oberstleutnant ist nicht nur einer der bestgelaunten und rabiatesten Zyniker der Weltgeschichte, er ist auch blitzgescheit und enorm gut informiert. Für den Zuschauer entsteht ein Problem: Man muss dauernd schallend lachen, aber das Lachen droht all die Background-Infos zu übertönen, die Schramm gleich mit einflechtet. Wenn man also das Lachen krampfhaft unterdrückt und sich in die Lage versetzt, tatsächlich zuzuhören, klappt einem ständig die Kinnlade runter, so zynisch geht Schramm mit Politik und Militär um, so völlig desillusioniert zeichnet er die Lage, so aggressiv ist er. Aber alles streng in der Rolle und stets mit einem entwaffnenden Keckern. Man kommt sich wirklich vor wie das hedonistische Klein-Döfchen, das dem allgewaltigen, die Menschheitsgeschichte steuernden militärisch-industriellen Komplex, den uns Oberstleutnant Sanftleben auf seine gutgelaunte Art da skizziert, völlig naiv gegenübersteht. „Das Weichziel ist der Mensch“, der Zynismus ist nicht zu überbieten.
Schramms Kunstfigur ist extrem stimmig und kaum überzeichnet. Die kurzen Schnipsel, die er in den populären Kabarett-Sendungen loswerden kann, sind nichts im Vergleich zu so einem dreiviertelstündigen, forcierten Dialog. So wunderbar brutal und scharfsinnig kann das Nachtprogramm sein.

Freitag, 11. Januar 2008

Günther oder Jürgen

Weiß eigentlich jemand, was aus Günther geworden ist? Oder hieß er Jürgen?
Wie auch immer, Günther/Jürgen war der Typ, der im Katalog des HamburgerMalibu-Versands die Texte zu den neuen Platten schrieb. Wenn er Lust hatte, formulierte er auch viele knackige Kurzbeschreibungen zu den älteren Sachen, die auf Lager waren. Der Malibu-Versand (Maskottchen: ein Krokodil mit Sonnenbrille) war damals wichtig für mich Jungmann, so etwa ab 1987. Der kleinformatige, aber dicke Katalog kam in einem Erscheinungsrhythmus, den ich nicht mehr parat habe, monatlich, zweimonatlich, irgendsowas, und beinhaltete stets viele, viele Platten (CDs waren noch nicht so verbreitet) für das Independent-Volk. Und Günther/Jürgen kommentierte die auf fachkundige Art und Weise. Natürlich wollten diese Versandleute auch von ihrer Ware leben, dennoch waren sie independent und flunkerten einem nichts vor. Sie wollten ehrlich sein und eine Vertrauensbasis zur Kundschaft aufbauen. Günther/Jürgens kleine Textchen waren trotzdem oft viel zu euphorisch, einige seiner Einschätzungen lagen völlig daneben, aber das kann man erst aus der Retrospektive feststellen. Damals hätte aus dieser oder jener Band tatsächlich eine große Nummer werden können, also hatte Günther/Jürgen im Kontext der Zeit, in der er aktiv war, völlig recht. Und wenn seine Jubelarie zu dieser oder jener neuen US-Band sich mal nicht mit dem eigenen Eindruck deckte, na, dann war das eben der Subjektivität geschuldet.
Damals war die Zeit, in der man dank solcher leuchtender Fixsterne wie Malibuund Günther/Jürgen tatsächlich in der Lage war, einen Komplettüberblick über diese oder jene hippe Musikrichtung zu gewinnen. Hip Hop war zum Beispiel im Kommen, interessierte mich aber nicht. Ich wollte die amerikanischen Gitarrenbands, die Post-Hardcore-Pop-Punker. Es gab regelrechte Schulen mit geographischer Verwurzelung. Boston, New York, L.A., Washington, Minneapolis, Portland etc. Seattle kam erst später. Die Bands unterschieden sich im Melodie- und Härtegrad ganz signifikant. Günther/Jürgen erklärte einem das und stellte zudem Zusammenhänge zu Vergangenheit und Tradition her. Durch Günther/Jürgen stieß ich auf die Wipers. Es taten sich ständige Querverweise auf. Günther/Jürgen war also ein wichtiger Mann in Bezug auf meine Musiksozialisierung, sehr wichtig. Das darf man natürlich nicht sagen, denn es wäre unverantwortlich, und dennoch: Er hatte größeren Einfluss als SPEX, vor allem deshalb, weil seine kleinen Kommentare sich nicht mit feuilletonistischer Eitelkeit selbst vernebelten. Ich habe damals innerhalb recht kurzer Zeit bestimmt 200 Platten von US-Post-Punk-Bands gekauft, nicht alle bei Günther/Jürgen und Malibu, aber viele.
Die direktere Bezugsquelle war der kleine, zauselige, aber verdammt gut sortierte Plattenladen namens Musikland in der Trierer Brotstraße, wo ein irrwitzig cooler Typ an der Kasse saß, ein langbärtiger Hippie, der Gerüchten zufolge mal bei einer Kundin, die nach Tina Turner verlangte, aus der Haut gefahren und sie lautstark zu Karstadt gejagt haben soll. Sie wollte nach der Tirade wohl den Geschäftsführer sprechen, aber das war er selbst. Hihi.
Mich würde ja auch mal interessieren, was aus dem Bärtigen geworden ist. Aber wenn jemand was über Günther/Jürgen weiß und mir mitteilen kann, dass es ihm gutgeht, wäre mir schon geholfen. Malibu jedenfalls ging 1998 pleite. Ich hoffe nur, der beste Katalogtexter des Universums hat sich damals nicht vorschnell erhängt oder so was.

Montag, 7. Januar 2008

Immer nur Arbeit, niemals Minne!

Am Wochenende habe ich aus Gründen der Zerstreuung mal in der Kiste mit den alten PC-Spielen gekramt. Strategiespiele selbstverständlich. Ego-Shooter und so was sind nichts für meine Nerven.
Kennt irgendwer ein Spiel, das für ältere Herren geeignet ist und in dem die kleinen Männchen eines 41jährigen Zerstreuungsspielers nicht dauernd von den feindlichen kleinen Männchen besiegt und zusammengehauen werden? Irgendein Spiel, das einem zwischendurch mal ein Erfolgserlebnis gewährt und in dem sich nicht sofort jede Unbedachtheit schrecklich rächt? Ich spreche hier von lächerlichen Greisen-Spielen wie Empire Earth, Warrior Kings oder Medieval: Total War. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich werde dauernd besiegt. Ich glaube, meine eigenen kleinen Männchen sind einfach böse auf mich, weil ich ihnen Befehle eingebe. Sie sagen jedenfalls dauernd solche Sachen wie: "Elender Sklaventreiber!" oder "Ich würde gerne sehen, wie Ihr solches verrichtet!" oder: "Immer nur Arbeit, niemals Minne!". Dabei gehe ich doch sehr schonend mit dem Bauernvolk um. Ein paar Baumstämme fällen, ein bisschen Gold schürfen, Felsen kleinhauen. Ich verzichte meistens sogar auf den frühzeitigen Aufbau einer Streitmacht, weil die den Bauern alles wegfrisst, was sie in mühsamer Arbeit zusammengetragen haben. Kann ich nicht verantworten. Ich bin ein freundlicher Lehnsherr. Trotzdem maulen die dauernd. Und wenn dann der Feind aus dem Nachbarreich kommt, der die ganze Zeit über nichts anderes gemacht hat, als eine Riesenarmee aufzubauen, tja, dann rennen sie dumm herum und meckern auch nur wieder. "Wo ist unsere Verteidigung?", "Warum brennt meine Hütte?", "Warum schänden diese Typen gerade meine Frau?"
Undankbares Pack.