Freitag, 11. Januar 2008

Günther oder Jürgen

Weiß eigentlich jemand, was aus Günther geworden ist? Oder hieß er Jürgen?
Wie auch immer, Günther/Jürgen war der Typ, der im Katalog des HamburgerMalibu-Versands die Texte zu den neuen Platten schrieb. Wenn er Lust hatte, formulierte er auch viele knackige Kurzbeschreibungen zu den älteren Sachen, die auf Lager waren. Der Malibu-Versand (Maskottchen: ein Krokodil mit Sonnenbrille) war damals wichtig für mich Jungmann, so etwa ab 1987. Der kleinformatige, aber dicke Katalog kam in einem Erscheinungsrhythmus, den ich nicht mehr parat habe, monatlich, zweimonatlich, irgendsowas, und beinhaltete stets viele, viele Platten (CDs waren noch nicht so verbreitet) für das Independent-Volk. Und Günther/Jürgen kommentierte die auf fachkundige Art und Weise. Natürlich wollten diese Versandleute auch von ihrer Ware leben, dennoch waren sie independent und flunkerten einem nichts vor. Sie wollten ehrlich sein und eine Vertrauensbasis zur Kundschaft aufbauen. Günther/Jürgens kleine Textchen waren trotzdem oft viel zu euphorisch, einige seiner Einschätzungen lagen völlig daneben, aber das kann man erst aus der Retrospektive feststellen. Damals hätte aus dieser oder jener Band tatsächlich eine große Nummer werden können, also hatte Günther/Jürgen im Kontext der Zeit, in der er aktiv war, völlig recht. Und wenn seine Jubelarie zu dieser oder jener neuen US-Band sich mal nicht mit dem eigenen Eindruck deckte, na, dann war das eben der Subjektivität geschuldet.
Damals war die Zeit, in der man dank solcher leuchtender Fixsterne wie Malibuund Günther/Jürgen tatsächlich in der Lage war, einen Komplettüberblick über diese oder jene hippe Musikrichtung zu gewinnen. Hip Hop war zum Beispiel im Kommen, interessierte mich aber nicht. Ich wollte die amerikanischen Gitarrenbands, die Post-Hardcore-Pop-Punker. Es gab regelrechte Schulen mit geographischer Verwurzelung. Boston, New York, L.A., Washington, Minneapolis, Portland etc. Seattle kam erst später. Die Bands unterschieden sich im Melodie- und Härtegrad ganz signifikant. Günther/Jürgen erklärte einem das und stellte zudem Zusammenhänge zu Vergangenheit und Tradition her. Durch Günther/Jürgen stieß ich auf die Wipers. Es taten sich ständige Querverweise auf. Günther/Jürgen war also ein wichtiger Mann in Bezug auf meine Musiksozialisierung, sehr wichtig. Das darf man natürlich nicht sagen, denn es wäre unverantwortlich, und dennoch: Er hatte größeren Einfluss als SPEX, vor allem deshalb, weil seine kleinen Kommentare sich nicht mit feuilletonistischer Eitelkeit selbst vernebelten. Ich habe damals innerhalb recht kurzer Zeit bestimmt 200 Platten von US-Post-Punk-Bands gekauft, nicht alle bei Günther/Jürgen und Malibu, aber viele.
Die direktere Bezugsquelle war der kleine, zauselige, aber verdammt gut sortierte Plattenladen namens Musikland in der Trierer Brotstraße, wo ein irrwitzig cooler Typ an der Kasse saß, ein langbärtiger Hippie, der Gerüchten zufolge mal bei einer Kundin, die nach Tina Turner verlangte, aus der Haut gefahren und sie lautstark zu Karstadt gejagt haben soll. Sie wollte nach der Tirade wohl den Geschäftsführer sprechen, aber das war er selbst. Hihi.
Mich würde ja auch mal interessieren, was aus dem Bärtigen geworden ist. Aber wenn jemand was über Günther/Jürgen weiß und mir mitteilen kann, dass es ihm gutgeht, wäre mir schon geholfen. Malibu jedenfalls ging 1998 pleite. Ich hoffe nur, der beste Katalogtexter des Universums hat sich damals nicht vorschnell erhängt oder so was.