Freitag, 31. August 2007

Sportaufnahme

Im Zusammenhang mit dem „Nachruf“ (s.u.) habe ich eine Mail von einem Ex-Kollegen erhalten, der heute im Auftrag eines großen Bankhauses Diktatoren in der Dritten Welt finanziert oder so was. Er erinnerte mich an einige unserer damaligen Lieblingsüberschriften aus dem Schlagzeilen-Generator. Die Ortsnamen sind dabei austauschbar.
Der Allzeitfavorit, jederzeit verwendbar ab einem Ergebnis von 4:0, lautete: „Die Tore fielen wie reife Früchte“.
Nach dem gemeinsamen Scrabble-Abend mit der Redaktion des Landser: „Dreis sprengte Brück in die Luft“, „Grün-Weiße stürmen Festung Röhl“, „Burg zusammengeschossen“ oder „Die Kanonade von Prüm“.
Unsere stärker triebgesteuerten Mitarbeiter versuchten es mit: „Pfalzel fickte Gutweiler“, scheiterten aber an der Sportredaktion.
Mann, Mann, Mann … Wieso haben wir eigentlich nie einen von diesen Scheißnachwuchspreisen bekommen, sondern immer nur diese Strebervolontäre? Das war schließlich die meistgelesene Seite der Zeitung.

Donnerstag, 30. August 2007

In memoriam

Neulich ist Siggi Roth gestorben.
Im Jahr 1982 begann ich bei der „Sportaufnahme“ der Trierer Lokalzeitung und machte den Job, von einer einjährigen Unterbrechung abgesehen, bis 1998, sogar durch die Zeit des Wehrdienstes hindurch. Es war ein blinder Nebenzweig der Sportredaktion, besetzt mit Leuten, die das zusätzliche Honorar brauchen konnten. Sonntagabends wurden Ergebnisse und Spielberichte des Regionalfußballs durchgegeben, auf vorsintflutliche Gerätschaften (wiederbespielbare Platten!) aufgezeichnet und dann in die Schreibmaschine gehämmert. Die freien Mitarbeiter, die draußen in der Region die Ergebnisse sammelten und telefonisch durchgaben, waren nicht selten angeheitert oder besoffen, so dass die richtige Schreibweise von Torschützennamen in der Montagszeitung meistens auf Zufall oder Scrabble-Experimenten unsererseits beruhte.
Zur Crew gehörte auch der heutige Chefredakteur des Trierer Bistumsblatts, jung und langhaarig war der damals noch. Und eben auch Siggi Roth. Er war Festangestellter des Hauses und betreute zusammen mit einem Herrn namens Wolf den Aufnahmeraum. In dem gingen Nachrichten aus aller Welt ein und aus. Das Internet war noch ein feuchter IT-Traum, damals lief das alles über Telex, Fernschreiber oder Telefon. Die Sache wurde erst in den folgenden Jahren schrittweise moderner.
Herr Wolf ging irgendwann in Rente und starb wenig später. Er war ein Kettenraucher alter Schule; der Aufnahmeraum glich stets einer wabernden Nebelbank. Kollege Roth verblieb im Haus, wurde später in den Abteilungen herumgeschoben, ehe auch er in Rente ging, bald darauf einen Schlaganfall erlitt und zum Pflegefall wurde, was man so hörte. Ich weiß nicht, wie schlimm sein Zustand in den letzten Jahren war. Nun, am 20. August, ist er im Alter von 64 Jahren gestorben und ließ sich anonym bestatten.
Sicher war er etwas seltsam und nicht bei allen beliebt. Der Nachruf der Zeitung auf den eigenen Traueranzeigenseiten soll recht schmal ausgefallen sein. Ein fleischiger, jovialer Typ war er, der einen mit seiner No-Bullshit-Einstellung schon manchmal gewaltig nerven konnte – und mit seinen Verschwörungstheorien, die sich auf die Weltpolitik ebenso bezogen wie auf die Interna im Verlagshaus. Lange Jahre kam er mit dem Mofa angeknattert, den ganzen weiten Weg aus Konz. Begeisterter Angler war er und trat für einen "verantwortungsvollen Umgang" mit dem Flossentier ein. Er hatte eine geistig behinderte Tochter, klagte aber kein einziges Mal darüber, sondern sprach, wenn die Rede auf sie kam, immer zart von „seinem Mädchen“. Als ich den Job schließlich aufgab, war Siggi Roth immer noch im Haus, und ab und zu trafen wir uns in der Stadt und hielten ein Schwätzchen, der Dicke und ich. Seine Lache war irgendwo zwischen schallend und keckernd. Mit meiner später dazugestoßenen Kollegin Christina hat er sich sehr gut verstanden, weil beide Diskussionen mochten. Ich weiß gar nicht, ob sie von seinem Tod weiß. Wenn ich's recht überlege, weiß ich nicht mal, wo sie überhaupt abgeblieben ist.
Also, trotz anonymer Grabstätte und womöglich verwehter Urnenasche – die Erinnerung an Siegbert Roth ist hiermit schriftlich fixiert worden und ins Internet eingegangen.

Donnerstag, 23. August 2007

Klimawandel abgewendet

Ich sitze an der U-Bahn-Haltestelle Kalk-Post auf einer Bank und warte auf die Linie 9. Da kommt diese dicke, ältere Frau mit Trolley und Aldi-Garderobe – Typus „Risikogruppe-in-vierlerlei-Hinsicht“, wie man sie in Kalk des Öfteren sieht – und lässt sich mit einem laut vernehmlichen „Hoppala“ direkt neben mich plumpsen, obwohl noch jede Menge weitere Bänke frei sind. Ich ahne, was kommt.
„Ist wieder warm geworden“, informiert sie mich.
Ich begehe einen Fehler, indem ich antworte: „Ja, gestern dachte man noch, es wird schon Herbst.“
„Da trocknet wenigstens die ganze Nässe.“
„Hm.“
„Dabei sind wir noch gut weggekommen.“
„Hm?“
„Also im Vergleich zum Ruhrgebiet.“ Ich verstehe: Sie meint damit die Überschwemmungen zwei Tage zuvor.
„Hm.“
„Wir müssen einfach viel mehr Energie sparen.“
„Hm. Ja.“
„Es wird ja alles immer schlimmer!“
„Hm, wird es.“
„Ist alles dieser Klimawandel!“
„Hm, Klimawandel. Ja.“
„Wo soll das noch hinführen?“
Ein Schulterzucken meinerseits.
„Wird ja alles verpestet!“
„Ja, alles.“
„Keiner macht was!“
„Nee, die reden alle nur.“
„Jahaa, das könnense laut sagen. Müssen alles wir kleinen Leute machen. Und die da oben … nix als Scheißdreck machen die ...“
Die Frau hält inne, schnaubt verächtlich, fummelt sich eine Zigarette aus der Jackentasche und zündet sie an, trotz unterirdischen Rauchverbots. Ich verzichte darauf, sie zu belehren: Nicht wegen des überall angeschlagenen Verbots, sondern weil nicht nur Flamme und brennender Tabak Sauerstoff aus der Atmosphäre ziehen, nein, die Studien besagen auch, dass besonders Einwegfeuerzeuge mit ihren Unmengen von CO2 die schlimmsten Klimakiller überhaupt sind.
Die Bahn kommt. Ich lasse der Dame den Vortritt, wie es sich gehört, und wende mich im Waggon dann in die entgegengesetzte Richtung als die, die sie mit ihrem Trolley nimmt. Dennoch: ein hoffnungsvolles Gespräch. Wenn das Thema bereits in die Bewusstseine Kalker Risikogruppen eingedrungen ist, dann darf man halbwegs zuversichtlich in die Zukunft blicken. Noch ein kleiner Schubs in die richtige Richtung durch all die hysterischen Auguren und Kassandras (und natürlich Weltenrettersender PRO7), und der Klimawandel darf als erledigt betrachtet werden.

Mittwoch, 22. August 2007

Komplettes Rätsel

Gestern gab’s einen Beitrag der Sendereihe „37 Grad“ (ZDF) über drei beinharte weibliche Fans, jede auf ihre Art hingebungsvoll an einen Künstler gebunden. Ein Teenie-Girl, das Sarah Connor anhimmelt. Soweit halbwegs normal und bekannt, inklusive der erschütternden Naivität, die diese Sängerin als eine messianische Figur begreift und nicht als das, was sie ist: ein kühl kalkuliertes Industrieprodukt, das jungen Mädchen Anteilnahme an ihrer Gefühlswelt vorgaukelt. Dann eine gesundheitlich angeschlagene Endfünfzigerin, die es mit Roy Black hat. Devotionalienschrein im Keller nebst Devotionalienarchiv, Roy-Black-Rose im Garten und duldsamem Ehemann. Auch nichts allzu Irritierendes, teils sogar richtig rührend.
Fall drei hingegen war rätselhaft. Eine 30jährige Bauzeichnerin steht auf Walzertorte André Rieu. Diese junge Frau, die ihr Leben durchaus noch vor sich hat und grundsympathisch wirkt, verfügt über zwei Beine, zwei Arme, einen Kopf, blondes Haar (keck zu Girlie-Zöpfen geflochten), einen Hintern und Busen, hat einen Beruf und ein Auto, ist modern gekleidet und eine mehr als aparte Erscheinung. Will sagen: Mit der scheint sonst eigentlich alles in Ordnung. Dann sagt sie jedoch Dinge wie: Wenn Rieu (58) morgen beschließen würde, die Geige an den Nagel zu hängen, hätte sie ein ernstes Problem. Sie gibt freimütig zu, dass sie bei SEINEN Konzerten stets die Jüngste im Publikum ist, und behauptet, dass ER sie genau deswegen von der Bühne herab länger anschaut als die anderen, während sie zugleich die erotische Komponente ihrer „Beziehung“ verneint: ER sei zu alt für sie, ja, sie halte IHN schon für einen attraktiven Mann und würde auch sicher gerne mal mit IHM essen gehen, aber nein, um diese Art von Verhältnis ginge es ja gar nicht.
Ich ertappe mich dabei, fasziniert zu sein. Niemals habe ich von „so einer“ gehört. Wenn sie wenigstens Hartmut Engler von PUR anhimmeln würde, ja, das ließe sich verstehen. Das ist der scheußlichste Sänger von der scheußlichsten Band der Welt, aber es wäre zumindest verständlich. Es wäre irgendwie normal, denn dem fliegen solch empfindliche Frauenherzen doch zu wie aus der Tenniskanone geschossen. Hört man zumindest. Aber Walzerbacke Rieu? Ich meine, wie tief muss man mit Dreißig schon gesunken sein, um …?
Die Küchenpsychologie in mir arbeitet auf Hochtouren. Die junge Frau hatte eine schwere Kindheit, mutmaße ich, ihre Eltern haben sich früh getrennt. Oder sind früh verstorben. Und einen Kerl hat sie auch nicht, nie einen gehabt, mit dem sie etwas anfangen konnte, oder sie konnte denjenigen, der etwas taugte, nicht halten. Irgendsoein Trauma wird wohl dahinter stecken. Ich liege vorerst völlig falsch, wie sich bald darauf herausstellt. Ihre Eltern erfreuen sich bester Gesundheit, sind selbst beinharte Rieu-Fans und haben ihre Leidenschaft an die Tochter weitergegeben. Der Mutter scheint es insgeheim fast ein bisschen peinlich, dass Töchterlein durch sie auf diesen Trip geraten ist. Die Mutter hat es auf unartikulierbare Weise im Urin: Gutgewachsene Dreißigjährige sollten ihre Freizeit eigentlich nicht damit verbringen, stundenlang Rieu zu hören, auf Video zu schauen und anzuschmachten. Und dann noch eine Überraschung: Sie ist längst verheiratet. Der Ehemann kann allerdings mit ihrer Leidenschaft wenig anfangen, taucht in dem Beitrag nur als stummer Statist auf und verlässt dann – irgendwie symbolisch – das Haus. Als er weg ist, sitzt sie im Wohnzimmer und erzählt wieder davon, Rieu sei zwar erotisch, aber wohl doch zu alt für sie – als müsse sie sich das einhämmern, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Ich fange an, vor Entsetzen zu zittern, aber da ist die Sendung schon vorbei. Ich fordere vom ZDF eine „extended version“ dieses einen Falls, eine 120-Minuten-Doku über das Leben und den Alltag dieser komplett rätselhaften jungen Frau. Für meine Gebühren möchte ich nicht so holterdipolter abgefertigt werden, sondern gefälligst wissen, was da falsch gelaufen ist. Ob man die junge Frau eventuell zu diesem oder jenem Zeitpunkt ihres Lebens hätte retten können, bevor sie für sich selbst die Hölle wählte. Und warum grinst und kichert ihr Vater immer so merkwürdig?

Sonntag, 19. August 2007

Jan vom goldenen Stern

Diese Kinder-Mini-TV-Serie, in späteren Wiederholungen ein einzelner 90-Minüter, wurde im Sommer 1979 vom WDR in unserem Dörfchen gedreht. Regie: Peter Podehl, der auch an Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt verantwortlich mitgewirkt hatte. Meine Oma starb in diesem Sommer, und die Dreharbeiten mussten während der Beerdigung ruhen, weil die Filmleute kein störendes Glockengeläut auf ihren Bändern haben durften. Der Drehort befand sich direkt unterhalb des Friedhofs. Ich besaß damals als einziger Dorfknabe ein Autogramm vom Hauptdarsteller (gleiches Alter wie ich und schon ein Star!). Ich lauerte ihm irgendwann nach Drehende auf, und er schrieb, mit meinen Schultern als Unterlage, seinen Namen auf einen Block. Purer Glamour. Man hat seitdem nie wieder etwas von ihm gehört. Balthasar Lindauer hieß er, heißt er vermutlich heute immer noch. Eine kleine Googelei klärt darüber auf, dass ein Mann gleichen ungewöhnlichen Namens heute "stellvertretender Direktor der Abteilung für Nukleare Sicherheit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London" ist. Das hört sich nach Karriere an, allerdings in einem gänzlich anderen Milieu.
Das alte Pfarrhaus diente als Haus der zentralen Filmfamilie, eine Menge Statisten aus dem Dorf durften in einigen Szenen mitspielen. Viele von ihnen weilen längst nicht mehr unter uns. Thekla Carola Wied spielte mit, bevor irgendwer sie kannte. Und der männliche Hauptdarsteller Lutz Hochstraate, damals gerade mit einer Pfarrersserie im Fernsehen, war im wirklichen Leben der Lebensgefährte von, festhalten bitte!, Barbara Rütting!!! Und die kam auch vorbei, ihren Schatz besuchen. Was für ein Starauftrieb. Atemlosigkeit war der Normalzustand im Sommer '79.
Die Serie lief im Frühjahr 1980 im Fernsehen. Damals waren wir irre spitz drauf, das Ergebnis zu sehen. Es gab noch keine Videorecorder; ich nahm den Ton, nur den Ton, auf einem Cassettenrecorder auf. Ich schaute es und nahm es auf bei Großtante Nini, die im Gegensatz zu uns einen Farbfernseher besaß. Sie hustete dauernd dazwischen. Auch sie weilt nicht mehr unter uns, und die Bänder mit ihrem Gehuste sind ebenfalls verschwunden.
Viele Jahre später, bei einer Wiederholung, wurde ich gewahr, dass dieser Dreiteiler so ziemlich der schlechteste und manipulativste Kinderfilm aller Zeiten war. Es ging oberflächlich um einen Burschen, der von einem anderen Planeten durch ein Dimensionstor oder sowas auf die Erde plumpst und hier Kal-El-mäßig über allerhand Superkräfte verfügt. Bald hat er den MAD an den flinken Hacken, aber politisch aufgeklärte, linksgedrehte Patchwork-Familie mit extrem nerviger Tochter rettet und versteckt ihn. Unter dem kleinen Abenteuer wimmelt es von Subtext: Scheiß-Nachrüstung, der Staat ist böse, Journalisten sind manipuliert und gekauft, der Rest der Menschheit auch, wir werden alle heimlich überwacht, Außenseiter werden gejagt, und überhaupt - wir haben gar nichts getan! Am Ende flieht die sympathische Kotz-Familie mit dem goldenen Jan durchs Dimensionstor auf dessen Welt. In unserer Welt gründeten sich kurz darauf die Grünen. Da hätten Thekla und Lutz vielleicht noch ein bisschen warten sollen mit ihrem extraterrestrischen Eskapismus.
Ein ganz typisches WDR-Produkt aus jener Zeit, das Drehbuch hat vermutlich die Redaktion von Monitor geschrieben. Hölzern gespielt, bieder gefilmt, unglaublich schlecht getrickst. Eine echte kreative Totgeburt. Aber hurra, ich bin dabei gewesen!

Lasst die Puppen tanzen

Vor Jahren tauchte aus dem Nichts dieser Detlef Soost auf und durfte überall seine Ideologie verbreiten. Die hörte sich beim ersten Mal auch gar nicht so verkehrt an. Mach es so wie ich, sagte er, arbeite an dir und komm aus der Gosse ganz nach oben. Ehrgeiz, eiserner Wille und Disziplin sind gefragt, eventuell auch Talent, wenn's sein muss. Auf jeden Fall aber eine große Schnauze. Das Talent von Detlef Soost, der - ganz Reduktionist - sich fortan D! nannte, erstreckte sich auf den brutalisierten diskothekenkompatiblen Ausdruckstanz – oder wie immer man das Gehüpfe nennen will, das er vorführte. Sogar das ZDF gönnte ihm eine Betroffenheitsdoku und wies ihn aus als jemanden mit einer Mission: Das eigene Modell des Hart-an-sich-Arbeitens wollte er der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, natürlich mit sich selbst als Vortänzer. Andere können auch so werden wie er. Soost öffnete seine soziale Ader und gab kund, die Kids mit seinen Projekten von der Straße zu holen, vergleichbar mit den Box-Trainern, die in sozial unterdeterminierten Stadtvierteln Kurse für Jugendliche anbieten, um Aggressionen zu kanalisieren und kathartisch abzuarbeiten. Ein bisschen Anerkennung fällt dabei vielleicht auch noch ab. Soost wollte nicht boxen, nein, sondern die Jugend zum Tanzen bringen. Eine Illusion, die schon damals unter ihrer idealistischen Oberfläche schrecklich nach kontrolliertem Faustrecht müffelte.
1964 drehte Sidney Lumet den Film The Hill (deutscher Titel: Ein Haufen toller Hunde). Darin geht es um ein britisches Sträflingslager in Nordafrika, in dem während des 2. Weltkriegs straffällig gewordene Soldaten resozialisiert werden sollen. Das Drehbuch, nach einem Theaterstück entstanden, ist unglaublich präzise; veredelt wird das Ganze durch eine Konzentration von Schauspieltalent, wie man sie selten zu sehen bekommt: Sean Connery, Ian Bannen, Ian Hendry, Harry Andrews, Michael Redgrave, Ossie Davis, Roy Kinnear, Jack Watson und und und. Der Film gilt als eines der heftigsten und leidenschaftlichsten Plädoyers gegen die „Kultur“ des Militärs überhaupt, gegen die faschistoiden Tendenzen, die jeder Armee der Welt innewohnten und wohl auch weiterhin innewohnen. Die Individuen werden gebrochen, um danach wieder aufgebaut zu werden, ganz nach den Maßgaben des Militärs. Sie werden wieder zu brauchbaren Soldaten und Kanonenfutter. Die Sträflinge wehren sich mit Intelligenz, Individualität und schließlich auch mit Gewalt gegen die Misshandlungen. In diesem Film sitzt jede Geste und jeder Satz, hier wird mit Leidenschaft argumentiert, und nebenbei ist The Hill ausgesprochen komisch. So war das noch in den Mittsechzigern.
Die Botschaft des Films ist inzwischen vergessen, heute gibt es jedoch Detlef Soost, der eiskalt das wiederholt, was Harry Andrews in Gestalt des Hauptfeldwebels in The Hill den Neuankömmlingen im Lager mitteilt. Er zeigt auf das Tor, das sich gerade hinter ihnen geschlossen hat, und meint: „Wenn ihr hier fertig seid, werdet ihr da heraustanzen wie die Puppen!“ Das hätte Harry Andrews gern, aber es geht natürlich ganz anders aus, dieses Drama.
Nicht so bei Soost. Da funktioniert alles. Seine wackelige, aber sympathische „Aus dem Loser wird ja doch noch was“-Ideologie ist auf dem Weg zu „Popstars“ umgekippt und wälzt sich im Staub von Bootcamp und Umerziehungslager. Soost erzeugt mit seinen vorgeblichen Sozialtherapien keine selbstbestimmten Individuen, das war nie seine Absicht, sondern Puppen, mit denen er sein brüchiges Ego (und natürlich seine Konten) füttert. Soost ist das Update von Harry Andrews: Er erschafft aus Sand und sozialem Lehm Kanonenfutter für die Medienwelt. Und wenn die Püppchen verheizt sind und als Moderatorenimitationen bei „Neun Live“ enden, kommt eben der nächste Schwung ins Lager, die nächste Staffel „Popstars“.
Diese Sendung hat Chuzpe. So fest wurden Sozialdarwinismus, Menschenverachtung und Kommerz noch nie zuvor zusammengebacken.
The Hill ist übrigens skandalöserweise nicht auf DVD erschienen, und das VHS-Band kriegt man auch nirgendwo.

Mittwoch, 8. August 2007

Quiekie und Kamps

Quieki und Klein-Kamps sind in den Hafen der Ehe eingefahren. Das, was die beiden erlebt haben, möchte man nicht unbedingt als Hochzeitstag bezeichnen, aber so ist das eben, wenn die Medienhuren-Verträge vorsehen, dass die Zeremonie live in der Prime Time gesendet wird und es erst gegen 22 Uhr zum Jawort kommt.
Der geneigte Zuschauer musste sich durch mehr als anderthalb quälende Stunden schleppen, organisiert von zwei entzückenden Arschloch-Moderatoren (Steven Wersdas und Natascha Habichvergessen) und mit gelegentlichen Aufnahmen von Bodensatz-Prominenz (Kai Ebel, Scooter) und Tischen voller grauenhafter Geschenke, wie etwa dem "Gemälde", das Kai Ebels Freundin, eine (hmm) Künstlerin, eigenhändig mundgeblasen hatte. Ebel, nun ja, das ist so einer, der früher nie eine Freundin hatte, weil alle Mädchen ihn für mordsmäßig peinlich hielten. Und zu schwabbelig war er auch. Aber dann, nachdem er plötzlich im Fernsehen auftauchte und auf RTL-Kosten um die Welt jetten durfte, bekam auch er das ein oder andere Boxenluder ab, diesmal sogar eins mit, hmm, künstlerischen Ambitionen.
Heimlicher Star des PRO7-Abends war m.E. jedoch der Rolf-Seelmann-Eggebert-Ersatz, den PRO7 als kundigen Off-Kommentator engagiert hatte. Dieser Mensch namens Torben Soundso gab freimütig zu, noch nie bei einer Hochzeit anwesend gewesen zu sein, und schwärmte ergriffen im besten „Was bin ich heute wieder schwul!“-Timbre dauernd etwas von wunderbaaar und schööön. Immerhin: Es passte, denn er war bloß das rhetorische Äquivalent zum Patsche-Patsche der Braut, die an diesem Abend größtenteils mal die Fresse halten musste. Also hat man irgendwo den schlimmsten Dummschwätzer ausgegraben, damit der Zuschauer auch bloß keine Entzugserscheinungen zeitigt.
Und das alles am schönen Ostseestrand bzw. an dessen angeberischster Ecke. Die vom Zuschauer herbeigesehnte Sturmflut blieb leider aus, und auch in der Kommentatorenkabine brach bedauerlicherweise kein Brand aus.
Zudem gab es noch Quiekis Brautkleid, das eher in einen Night Club gepasst hätte, per schwarzem Privathelikopter aus London einfliegende fingierte „Freunde“ des Paares und den Bräutigam, der mit dem geschmacklosesten Lamborghini vorfährt, den er finden konnte. Er mault, der Wagen sei unbequem. Ja, hat er sich den nicht zuvor anpassen lassen?
Während der heiß ersehnten Zeremonie stimmt dann etwas mit der Ausleuchtung nicht: Kamps scheint wie aus Kerzenwachs modelliert, und die Birne brennt ihm auch schon; die Braut hat offenbar vor dem Auftritt noch eine Runde auf dem Wienerwald-Grill gedreht, und die Bräutigam-Mutter wirkt mit ihrer Schminke wie eine Nebendarstellerin aus Dawn of the Dead, der Originalfassung von 1978. Vermutlich war die Visagistin ziemlich teuer. Die Show jedenfalls war spottbillig.
Die eigentliche Zeremonie wurde völlig vergeigt, und ein Fauxpas reihte sich an den nächsten. Rolf Seelmann-Eggebert hätte den Abend mit Durchfall auf dem Klo verbracht. Braut und Bräutigam sind es nicht gewohnt zuzuhören, weswegen sie bei der Philosoph Roger Cicero (!) zitierenden Standesbeamtenansprache zappeln wie die Aale und gar nichts mitkriegen, aber das Allerschlimmste ist die von Kumpelhumorschüben (ähm … kicher) geprägte Rede des Schmierlappen-Trauzeugen, die 1) schrecklich ist und 2) nicht in eine solche Zeremonie gehört, sondern zum lockeren Beisammensein danach. Da könnte man eventuell auch vor ihr fliehen, indem man pinkeln geht oder eben mal bewusstlos unter den Tisch sinkt. Den Standesbeamten, der dies zuließ, sollte man aus dem Staatsdienst entfernen und zum Steinebrechen nach Sachsen-Anhalt schicken. Danach zerrt Kamps die Braut förmlich weg von der Location auf einen Balkon, von wo aus sie genießen können, wie unter ihnen auf der Bühne Scooters neue Single zu, ähm, Gehör gebracht wird.
Am reizvollsten erwies sich indes die Affäre um Vater Kamps. Die Presse verbreitete im Vorfeld, der Brötchen-Trilliardär wolle nichts mit dieser Veranstaltung zu tun haben. Der PRO7-Moderator beeilte sich anfangs mitzuteilen, dass Vater Kamps sehr wohl komme (ätsch, Presse!). Lustigerweise wurde der Geldbeutel jedoch nie wieder erwähnt, geschweige denn gezeigt. Es steht zu vermuten, dass er eine einstweilige Verfügung gegen PRO7 angestrengt hat, bei der Hochzeit seines wohlgeratenen Sohnes bloß nicht im Bild aufzutauchen. Das macht den Mann ja schlechterdings sympathisch.
Es ist vollbracht, Quieki ist unter der Haube, und das Universum rückt wieder ein Stück weit weg vom Zustand der Entropie. Bis zur PRO7-tauglichen Scheidung im Reality-Format.

Freitag, 3. August 2007

Model und Freak

Eine weitere Großtat von PRO7, obwohl es da natürlich einiges an Begriffsverwirrung gibt. „The Model and the Geek“ heißt das Originalformat, in Deutschland wird der „Freak“ daraus. PRO7 weiß um die Ahnungslosigkeit seines Publikums und dichtet um. Der Freak ist im herkömmlichen Sprachgebrauch entweder eine „körperbehinderte Jahrmarktattraktion“ früherer Tage oder ein „halbwegs unverständlicher Enthusiast“. Die Buben, die in der Sendung vorgeführt werden, sind jedoch klassische Geeks = Hanswürste.
PRO7 dreht dabei einfach mal die Machtverhältnisse herum. In Wirklichkeit sind es natürlich die Geeks, die die Welt beherrschen. Sie gründen Softwarefirmen und werden zu Milliardären, sie entwickeln in Labors Mittel gegen Gebärmutterhalskrebs, sie erfinden TV-Monumente wie die Simpsons. Auf PRO7 regieren jedoch die Models die Welt, oder das, was heutzutage als Models durchgeht: ukrainische Prostituierte mit gebrochenem Deutsch („Du bist einen geilen Sau!“), die unlängst von einem besoffen grölenden Publikum in München zur „Miss Wies'n“ gewählt wurden. Nach Michel Friedmans Läuterung sind die Damen offenbar reichlich beschäftigungslos, weswegen sie Angebote vom Fernsehen gerne annehmen. Sie sehen völlig gleich aus, bis auf die Haarfarbe. Aber die kann, wie man beunruhigenderweise hört, heutzutage ja auch nach Belieben manipuliert werden. Es macht diesen als Frauenimitation zurechtlackierten Hohlholzkörpern sichtlich Spaß, Rache zu üben am anderen Geschlecht und dessen weniger dominante Vertreter vorzuführen. Die armseligen Geeks werden, wie einst gegnerische Agenten, umgedreht zu willfährigen Vertretern der eigenen Ideologie, zu schnuckeligen Hipness-Schablonen, in welche die geekigen Charaktere jedoch einfach nicht hineinwachsen wollen oder können. Sie stehen danach genauso verloren da wie zuvor.
Leider, leider jedoch wird den armen Säcken der letzte Schritt dieses Veredelungsprozesses vorenthalten. Natürlich geht es ausschließlich um sexuelle Attraktivität, um die Aufwertung des quasi-autistischen Verhaltensgestörten zum attraktiven Mann, wie ihn sich „Models“ vorstellen. Am Ende klopfen sich die Mädels auf die Schultern und sind mordsmäßig zufrieden mit sich, den teilgewendeten Geek lassen sie jedoch allein zurück. Sie hätten ihm zumindest so viel Bestätigung zukommen lassen können, ihn vernünftig zu initiieren und gratis durchzunudeln.