Soeben erschienen ist die neue Bemühung von Van der Graaf Generator, Trisector. Der Titel spielt darauf an, dass Saxofonist David Jackson die Band verlassen hat und sie nun als Trio operiert.
Ich war bestimmt mal, rein subjektiv natürlich, der größte VdGG-Fan des Planeten, zu Zeiten, als es die Band längst nicht mehr gab. Ich entdeckte sie und ihren Maestro im wilden Jahr 1982. Sie war ein Phänomen der späten 60er und 70er und deren Progressive Rock. Obwohl Anfang der 80er noch eine gewisse zeitliche Nähe zu dieser Vergangenheit herrschte, wusste niemand, den ich auch nur entfernt kannte, wie man die Band überhaupt buchstabiert. War auch zugegebenermaßen nicht ganz einfach. Heute hat man hingegen den Eindruck, dass die Gruppe überall große Wertschätzung erfährt – oder dass die Fankreise im Internet gut organisiert sind. Und dass gerade das Internet als Multiplikator gedient hat, als es darum ging, diese Veteranen der drohenden Vergessenheit zu entreißen.
1978 war Schluss mit Van der Graaf Generator, die sich zwischenzeitlich zu Van der Graaf verkürzt hatten. 2005 kam es zu einer Reunion des Quartetts. Es gab 2007 ein Live-Album und nun eben ein neues Studio-Projekt minus Saxofon. Ich habe es mir mal geordert, einfach aus Sentimentalität, erwarte mir aber relativ wenig davon. Schließlich ließ ich auch 2005 schon den VdGG-Auftritt bei den Leverkusener Jazztagen sausen, obwohl es gerade mal eine Viertelstunde Fahrt bedeutet hätte. Ich war einfach nicht mehr interessiert an dieser Musik. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Solo-Platten von Peter Hammill, dem VdGG-Mastermind.
Das war mal anders. Herrschaften, was habe ich in den 80ern die Umwelt mit meinem Enthusiasmus für den Mann genervt! Das gereicht mir heute noch zum Nachteil. Die 140-Watt-Kompaktanlage spielte kaum etwas anderes, meine Mutter kam schon mal ins Zimmer gestürmt und rief: „Mach das Geschrei aus!“ Das war verständlich, denn Hammill hat eine ganz eigene Art zu – ähem - singen. Ich gebe zudem ihm und niemand sonst die Schuld daran, dass ich damals von zeitgenössischem Pop nichts mitbekam und mich frühzeitig als Kauz outete. Für 16jährige ist das einfach nichts, die müssen rocken und dancen und schwitzen, zum Tanztee gehen und Petting machen, statt Denkerpose einzunehmen und sich von manierierten Spaßbremsen wie Hammill den Kosmos und unseren Platz darin erläutern zu lassen. Aber nachher ist man immer schlauer.
Andererseits war Hammill natürlich ein Phänomen, mit dessen Bewunderung man sich selbst den Anstrich des elitären Außenseiters verpassen konnte. Auch wenn man nur die Hälfte von dem raffte, was der Mann einem da erzählte. Immerhin: Durch das unbeholfene Übersetzen seiner Songtexte habe ich mehr Englisch gelernt als bei Frau Gabelmann.
Peter Hammill: spindeldürrer katholischer Engländer, jesuitische Erziehung, literarische Bildung, Wirtschaftsstudium, Kunststudium, naturwissenschaftlich bewandert, Metaphysiker, kettenrauchender Mystiker, großartiger Songschreiber, eigenartiger Sänger, eher mittelmäßiger Musiker. Mit seiner famosen Band spielte er hochdynamischen psychedelischen Progressive Rock mit Jazzrock und Free-Elementen, Gitarre nach hinten gedrängt, den Bass erledigte (meistens) der Tastenmann mit Hilfe von Pedalen, dominant waren Saxofon und Gesang, und das jazzige Schlagzeug kam sowieso einer Offenbarung gleich. Dunkel und existentialistisch ging es bei VdGG zu, philosophisch und schwer, absurd mitunter, Science-Fiction-mäßig, poetisch und oft genug krass exaltiert. Der stille Jesuit und Ex-Student brüllte seinem Publikum kosmologische Analysen an den Kopf, dass die Welt sich schier verdunkeln wollte. Die Band trennte sich 1972 und hinterließ mit „A Plague of Lighthouse Keepers“ die allerbeschwörendste all der 70er-Rock-Suiten. Hammill ging auf Solo-Trip und horchte aufmerksam in sich hinein. Stille Psychoanalysen-Avantgarde mit Eruptionscharakter und extremen, pathetischen, irrwitzigen Ergebnissen: „Modern“ oder „The Comet, the Course, the Tail“ oder die gruselige Soundcollage „Gog/Magog“, die ich regelmäßig im komplett abgedunkelten Zimmer hörte und die mein Leben geprägt hat: Der Sound der Apokalypse und ich, eingesperrt in meinem Zimmer und in meinem Kopf. Ja, ja, ganz schön dunkel da drin. Wenn das die Brights wüssten.
Das Jahr 1975 hinterließ spannende Dokumente. Zum einen war da Hammills ungewöhnlichstes Solo-Album, Nadir’s Big Chance, auf dem er vorgab, lediglich als Channel oder Medium für einen Rüpel namens Rikki Nadir zu fungieren, eine Art jüngeres Selbst, das rocktechnisch mal ein bisschen die Sau rauslassen wollte. Das Ergebnis war, dass diese Platte des stillen Kunststudenten zu einem Fundamentstein des britischen Punk erklärt wurde. Hammill? Punk? Stand der nicht eigentlich auf der Gegenseite, der des nervigen, gedrechselten Art Rock? Falsch, ganz falsch, denn bei Hammill war damals nichts berechenbar. Zum anderen kehrte 1975 VdGG zurück, entschlackt, jazziger, manchmal fast ein bisschen poppig, aber immer noch mit eruptiven Stücken, die die Zehn-Minuten-Grenze selten unterboten. Godbluff enthielt nur vier Tracks. Mitunter wurde der ganze philosophisch-kosmologische Output jedoch ein bisschen arg weihevoll, was sich zum Beispiel in Songtiteln wie „Childlike Faith in Childhood’s End“ ausdrückte. 1977 kam es zu einer Neuorientierung, kürzere Songs, straffere Vorgehensweise, symphonische Momente, mit Geiger Graham Smith ein aufregender neuer Musiker. Am besten am dialektisch betitelten Album The Quiet Zone/The Pleasure Dome fand ich jedoch die Schlagzeugspur, denn die war überlaut abgemischt. Man wurde förmlich mit der Nase auf Guy Evans bei der Ausübung seiner Pflichten gestoßen, und das war wirklich eine Wonne. Das ist ein Schlagwerker, Mannomann! Nach der extrem raubeinigen Live-Platte Vital, die mir heute noch um einiges lauter vorkommt als damals, war finito mit VdGG. Hammill machte wieder den Solisten und stieß erstmal eine seiner besten Platten aus: Over. Er kotzte sie förmlich aus, denn sie dokumentierte das Ende einer langjährigen Liebesbeziehung. Die Frau zog mit dem besten Freund von dannen. Wie immer konnte man nicht so genau wissen, was davon denn autobiographisch und was fiktional war. Der Schlussakkord jedenfalls, „Lost and Found“, ist brillianter Zynismus. Danach fuhr Hammill damit fort, avantgardistische Sound-Ideen umzusetzen, mit einzelnen Begleitmusikern aus dem VdGG-Umfeld und durchweg songorientiert. Die Jahre von 1977-81 sind womöglich der Höhepunkt in seinem Schaffen: hoher Wiedererkennungswert, aber völlig unberechenbar und immer anders. Sorgfältig inszenierte Songs, ruppig und ruhig zugleich, wavig, state-of-the-art regelrecht und dennoch nichts anderes als intim. Hammill kooperierte auch mit dem damals schwer angesagten Peter Gabriel, hielt sich aber stets in dessen Schatten. Durch Gabriel geriet er auch an den Auftrag, die hoffnungsvolle New-Wave-Band Random Hold zu produzieren, deren Mitglieder sich aus Progressive Rockern der dritten Generation rekrutierten und mit Macht in Richtung Erfolg drängten. Wurde nichts draus, aber zumindest heute hören sie sich schön wummernd und schroff an. Bei denen hatte Hammill verschissen, aber andere hippe Musiker propagierten ihn als wichtigen Einfluss, allen voran Herr Fish von Marillion. Auf dem Cover des Albums Fugazi, auf dem Herr Fish sich ein bisschen surreal-symbolüberladen herumfläzt, stehen in der Zimmerecke Hammill-Alben angelehnt.
Bis in die Mitte der 80er unterhielt Hammill die „K Group“, zu der Guy Evans, der Ex-VdGG-Bassist Nic Potter und Ex-Vibrators-Gitarrist John Ellis gehörten. Straffer, rauer Gitarrenrock mit Hinwendung zum Popsong. Ungewohnt geschmeidig und manchmal nahezu kommerziell, nicht jedoch auf dem Live-Album The Margin, das einen glattzubügeln droht in seiner radikal schartigen Art. All diese Platten sind heute noch problemlos hörbar, weil kaum gealtert und nicht so schrecklich 80er-mäßig, obwohl sie paradoxerweise nur in den 80ern so möglich waren. Es blieb spannend mit melodiösen Alben wie Skin oder In A Foreign Town. Andererseits tauchten nun extrem verinnerlichte Scheiben auf, die nur mit Piano und ein bisschen Gitarre eingespielt wurden, generell an die Frühsiebziger-Sachen erinnerten, jedoch auf deren großartige Sound-Wände verzichteten. Einmal konnte man sich so was leisten, aber auf Dauer ermüdete es einen doch. Zu ruhig, zu ereignislos. Hammill nahm auch eine Rock-Oper auf (The Fall of the House of Usher) sowie eine Platte auf Deutsch (Offensichtlich Goldfisch). Zu den Gastsängern bei ersterer gehörte ein gewisser Herbert Grönemeyer, was einige deutsche Fans fassungslos vor Entsetzen zurückließ, die Texte des deutschsprachigen Projekts ließ Hammill von einem Herrn namens Heinz-Rudolf Kunze übersetzen. Zumindest in Deutschland war Hammill also im bittersten Mainstream angekommen, wahrscheinlich ohne es zu bemerken.
Bis etwa 1996 konnte er mich halbwegs bei der Stange halten, auch wenn seine Alben sich zunehmend in einen selbstreferenziellen Mikrokosmos verflüchtigten und sich wiederholten. Reizvoll war noch die Abfolge von Fireships (ruhig) und The Noise (poppig-rockig) und There Goes the Daylight (Live-Aggression mit kompletter Band) und Roaring Forties (Neo-Progressive mit Schmackes), danach wurde mir alles etwas pampig und breiig und einschläfernd, und ich verlor sowohl den Faden wie auch das Interesse. Ach ja, live gesehen habe ich ihn insgesamt dreimal.
Dennoch gehört neben der neuen VdGG auch das 2006er Soloalbum Singularity zu meiner jüngsten Order, denn Hammill diskutiert darauf seinen 2004 erlittenen Herzinfarkt durch und macht sich allerhand Gedanken über den Tod und das vermeintliche Nichts, auf das wir alle zusteuern. Könnte sein, dass er der rechte Mann zur rechten Zeit ist für so was. Das Thema hat ihn schon immer brennend interessiert, und nun stand er selbst mal auf der Schwelle. Interessiert mich, was er da erblickt hat. Ich schreibe es dem eigenen Alter zu, dass mich das irgendwie berührt.